Der Rohstoffboom bringt Afrika Wirtschaftswachstum und Chancen
Die Prognosen sehen gut aus für Afrika. Um fast sechs Prozent wird die Wirtschaft des Kontinents im Jahr 2007 wachsen fast viermal so viel wie die in Deutschland. Das wäre das beste Jahresergebnis seit mehr als 15 Jahren. So sagen es jedenfalls die neuesten Zahlen des Internationalen Währungsfonds (IWF) voraus. Diesen Aufschwung verdankt Afrika einer Erblast aus der Kolonialzeit, der starken Ausrichtung der Volkswirtschaften auf den Rohstoffexport.
von Jürgen Duenbostel
Ursprung des jetzigen Wirtschaftswachstums sind nämlich vor allem die in den vergangenen Jahren gestiegenen Rohstoffpreise, insbesondere für Öl und Bodenschätze. Das Rohöl ist in den Jahren 2002 bis 2005 um 114 Prozent teurer geworden, Eisenerz um mehr als 118 und Kupfer sogar um 136 Prozent. Der neue Rohstoffboom wird dauerhaft sein, denn die Nachfrage allein aus China und Indien ist inzwischen unersättlich.
Wirkt sich die Kolonialzeit jetzt Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit gewinnbringend für Afrika aus?
Die Kolonialherren hatten die Ausrichtung der afrikanischen Volkswirtschaften auf Rohstoffexport in ihrem eigenen Interesse geschaffen und die Verkehrsverbindungen und zugehörige Infrastruktur von den Bergwerken und Plantagen zu den Häfen ausgebaut. Die damals existierenden innerafrikanischen Verbindungen und Märkte für traditionelle afrikanische Waren wurden hingegen vernachlässigt oder ganz aufgegeben.
Als in den sechziger Jahren die meisten afrikanischen Staaten unabhängig wurden, verwendeten deren Regierungen wenig Energie darauf, an dieser Struktur etwas zu ändern. Es war nämlich die Zeit des Nachkriegs-Wirtschaftswunders mit einer großen Nachfrage nach Bodenschätzen, Öl und Plantagenprodukten und entsprechend hohen Rohstoffpreisen. Afrika verdiente gut daran. Die Devisen aus dem Rohstoffexport waren willkommen zur Finanzierung der eigenen Entwicklung. Das Entwicklungsmodell der meisten Staatschefs war die schnelle, nachholende Industrialisierung. Also wurden nach dem Vorbild Russlands oder des Westens Stahlwerke und Zementfabriken gebaut. Die eigenen Kleinunternehmer und Bauern hatten in diesem Entwicklungsmodell kaum einen Platz.
Aber über 100 Jahre Erfahrung von Tüftlern in Europa und Nordamerika lassen sich nicht im Gewaltmarsch binnen zehn Jahren übernehmen. Die nachholende Entwicklung durch schnelle Einführung von Großindustrie nach dem Modell von Russland oder Nordamerika musste zur völligen Abhängigkeit von teuren Fachleuten aus diesen Ländern führen oder mangels eigener Fachkräfte scheitern.
Doch es kam noch eine neue Chance, das Entwicklungsmodell zu revidieren. Dieses Mal setzte man auf eine Importe ersetzende Konsumgüterindustrie, die überwiegend Waren für die städtische Bevölkerung und den Export herstellen sollte. Die Finanzierung schien problemlos. Anfang der siebziger Jahre hatte nämlich die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) die Rohölpreise kräftig erhöht. Ölländer wie Nigeria oder das erst 1975 unabhängig gewordene Angola schwammen plötzlich im Geld. Die Länder ohne Öl hatten nun zwar höhere Energiekosten, aber sie bekamen billige Kredite, weil die OPEC-Staaten gar nicht wussten, wo sie das viele Geld so schnell anlegen konnten. Mit den billigen Krediten bauten afrikanische Staaten damals Fabriken für Fertigwaren wie Bekleidung. Mit dem Erlös aus den Exporten der Waren aus diesen Fabriken hofften sie, die Kredite schnell zurückzahlen zu können.
Sie hatten die Rechnung ohne Ronald Reagan gemacht, den damaligen US-Präsidenten. Der hatte seine Wahlen mit Steuersenkungsprogrammen gewonnen und damit die US-Nation in ein tiefes Schuldenloch getrieben. Um einen Kursverfall des Dollars ins Bodenlose zu verhindern, mussten die USA mit hohen Zinsen neues Auslandsgeld anlocken. Die hohen Zinsen für Dollar-Kredite allerdings würgten die Konjunktur im Westen ab. Der schützte die heimische Industrie vor billigen Importen von Fertigwaren aus der Dritten Welt.
Für Afrika bedeutete das, dass sich die Waren aus den neuen, auf Pump gebauten Fabriken nicht mehr im Westen verkaufen ließen. Auch die Rohstoffpreise verfielen, weil in der Konjunkturflaute die Nachfrage nach diesen sank. Aber für die Kredite, mit denen die Fabriken gebaut worden waren, musste die Dritte Welt immer höhere Zinsen zahlen. Die Schuldenfalle schnappte zu.
Rund zwanzig Jahre lang versank der Kontinent mit wenigen Ausnahmen in einer tiefen Krise. Wer aus dem Elend herauskommen wollte, musste seine Chance anderswo suchen in Europa oder den USA. Ganze Großfamilien sammelten Geld, um wenigstens ein Mitglied von Ihnen dorthin zu schicken, in der Erwartung, dass diese Migranten einen gut bezahlten Job bekommen und dann einen gehörigen Anteil von ihrem Verdienst nach Hause schicken würden.
Bis heute machen sich viele oft unter Lebensgefahr, aber mit großen Hoffnungen auf den Weg. Manche scheitern schon unterwegs an den Hürden der "Festung Europa". Andere landen weit unter ihrer Qualifikation in "beschissenen" Jobs, säubern etwa Toiletten bei McDonalds. Gleichwohl senden sie von ihrem sauer verdienten geringen Lohn noch etwas heim, um ihre Familien zu unterstützen. Diese Heimsendung von Geld übersteigt inzwischen die gesamte Entwicklungshilfe, kommt direkt bei den Familien an und bewirkt in vielen Fällen mehr als die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Regierungen.
Aber darf die Entwicklung eines ganzen Kontinents von diesen Kloputzern abhängen, kann man eine Zukunft darauf bauen, dass die dynamischsten Leute ins Ausland gehen? Der neue Geldstrom aus den Rohstofferlösen könnte eine Chance bieten, noch einmal einen neuen Weg zu versuchen. Könnte. Bislang aber fließt der Geldsegen nur in die wenigen Länder, die mit Bodenschätzen gesegnet sind etwa Angola, Nigeria oder Sambia. Dagegen müssen afrikanische Länder, die Öl importieren müssen und kaum Bodenschätze haben, jetzt mehr dafür bezahlen.
Um einen Ausgleich zu schaffen, sollten die afrikanischen Staaten zunächst einmal Ernst machen mit der oft bekundeten innerafrikanischen Solidarität. Die rohstoffreichen Länder könnten mit einem Teil ihrer Exporterlöse den Afrikanischen Entwicklungsfonds speisen. Und in ihren eigenen Ländern müssten die Regierungen einen Großteil der neuen Erlöse zunächst in die Grundschulbildung, Berufsausbildung und Gesundheitsversorgung investieren, um der Entwicklung eine neue Chance zu geben.
Aber man darf bezweifeln, dass etwa in Angola angesichts der korrupten Eliten die Armen etwas von dem Ölreichtum abbekommen. Eher können die Schweizer Banken damit rechnen, dass einige Kontenstände durch Geldzuflüsse aus Afrika steigen. Und warum sollte jemand in einem afrikanischen Land investieren, dessen Regierungsmitglieder ihr eigenes oder abgezweigtes Geld ins sichere Ausland schaffen.
Die meisten Bewohner Afrikas haben von dem neuen Wirtschaftswunder bisher wohl kaum etwas bemerkt. Ihr Lebensstandard ist heute geringer als zu Beginn der Unabhängigkeit. Viele müssen sich im informellen Sektor durchschlagen, weil sie nirgends anders Arbeit finden. In Malawi etwa haben nach einer neuesten Weltbank-Schätzung gerade einmal 55.000 Menschen einen Arbeitsplatz im formellen Sektor von einer Bevölkerung von rund 12 Millionen. Aber gerade die Überlebenskünstler im informellen Sektor zeigen oft großes unternehmerisches Geschick. Und doch stoßen sie bald an eine Grenze, etwa weil sie keinen Zugang zu Krediten haben, oder weil staatliche Stellen sie auf jede erdenkliche Weise zu schröpfen versuchen, sobald ihr Betrieb eine gewisse Größe überschreitet.
So hat sich in vielen Ländern Afrikas noch keine bedeutende Unternehmerklasse entwickeln können, die mit genügend Kapital ausgestattet eine solide mittelständische Basis für eine gesunde Volkswirtschaft bilden könnte. Die Industrialisierung in Europa im 20. Jahrhundert konnte auf einem Kapitalstock aus der so genannten ursprünglichen Akkumulation aufbauen, Kapital, das durch Ausplünderung von Kolonien und Ausbeutung von Arbeitskräften geschaffen wurde, die, vom Land verdrängt, in den Städten Arbeit suchten. Dazu gehörten aber auch Unternehmer, die nicht nur selbst gut leben wollten, sondern vor allem für ihre Kinder, Enkel und Urenkel etwas aufbauen wollten.
Solchen Unternehmergeist könnten afrikanische Regierungen wecken, wenn sie Betriebe im informellen Sektor mit Hilfe der Rohstofferlöse fördern und ihr Hineinwachsen in die formelle Wirtschaft unterstützen würden auch indem sie Rechtssicherheit und Eigentumstitel garantieren. Wenn darüber hinaus mehr in die berufliche Ausbildung investiert wird, wächst die Wirtschaft bald aus eigenen Kräften, werden qualifizierte Kräfte im eigenen Land benötigt und bezahlt. Dazu braucht man allerdings gute Regierungsführung und Demokratien, die stark genug sind, die schnelle, populistische Erfüllung von Wünschen abzuwehren zugunsten von Investitionen für künftige Generationen.
In Afrika aber ist die Gefahr groß, dass sich viele Regierungen wie schon in der Vergangenheit (vergl. "der überblick" 1/2004) auf den leicht verdienten Rohstofferlösen ausruhen, zumal wenn sie einen Teil davon quasi als Renteneinkommen, für das man nichts tun muss, in die eigenen Taschen fließen lassen. Dann aber würde der jetzige Aufschwung nur die rohstofflastigen Strukturen in Afrika verstärken, die einer Entwicklung entgegenstehen. Es fände keine Wiederentwicklung des innerafrikanischen Handels und der eigenen Märkte statt. Und dann würde sich der Rohstoffreichtum erneut als Fluch erweisen.
aus: der überblick 03/2006, Seite 22
AUTOR(EN):
Jürgen Duenbostel
Jürgen Duenbostel ist Redakteur beim "überblick".