Der Geist aus der Flasche
Seit Mitte der neunziger Jahre haben politische Führer in Côte d'Ivoire sich auch Jugendlicher bedient, um die Bevölkerung für ihre Zwecke aufzuputschen, und damit die Saat für den Bürgerkrieg gesät. Doch mehr und mehr entgleitet ihnen die Kontrolle über die Kräfte, die sie losgelassen haben.
von Ruth Marshall-Fratani
Am 19. September 2002 wurde Côte d'Ivoire nach einer gescheiterten Meuterei in einen Bürgerkrieg gestürzt. In den darauffolgenden Wochen und Monaten bildeten Jugendliche auf beiden Seiten des Konflikts die politische und militärische Avantgarde. Der Anführer der Forces Nouvelles, des Bündnisses von drei Rebellengruppen, ist Guillaume Soro. Mit nur 31 Jahren wurde er Staatsminister und Kommunikationsminister in der im Rahmen der Friedensabkommen von Marcoussis gebildeten Regierung der Versöhnung.
Im Lager des Präsidenten Laurent Gbagbo hat Charles Blé Goudé - gemeinsam mit einem Dutzend anderer jugendlicher Führungskräfte - die “Allianz der jungen Patrioten für die nationale Erhebung” gegründet. Diese hat die Reaktion “des Volkes” auf die Rebellion völlig monopolisiert und den Friedensprozess blockiert. Soro und Blé Goudé wurden in den militanten Reihen des mächtigen Studentenbundes Fédération estudiantine et scolaire de la Côte d'Ivoire (FESCI) geformt. Soro gab 1998 die Leitung der FESCI an seinen Stellvertreter Blé Goudé ab. Die beiden waren Freunde und Waffengefährten beim Kampf für die Demokratie. Heute stehen sie sich mit ihren jungen Anhängern als Todfeinde gegenüber.
Diese jungen Menschen sind mehr als gefügige Gefolgsleute ihrer politischen und militärischen Herren. Sie haben nicht nur während der Krise aktiv mitgemischt, sondern auch eine führende Rolle dabei gespielt, die gewaltsamen politischen Spaltungen zu verschärfen, die seit Mitte der neunziger Jahre die Saat des Bürgerkriegs gesät haben. Nach dem 19. September 2002 hat ihre außerordentliche Mobilisierung die Reihen der Kämpfer auf beiden Seiten des Konflikts anschwellen lassen. Mit ihren Kundgebungen, Pressekonferenzen, Märschen und gewaltsamen Demonstrationen lieferten sie für die ideologischen Plattformen der jeweiligen Seite ein populistisches Vehikel. Präsident Gbagbo, die Militärhierarchie auf Regierungs- wie Rebellenseite, sowie führende Oppositionspolitiker konnten jeweils “ihre” Jugendlichen instrumentalisieren. Darüber hinaus kommt im Engagement der Jugendlichen aber auch eine andere Spaltung zum Ausdruck, die generationsbedingt ist.
Das radikale und gewaltsame Aufbegehren der Jugend in Côte d'Ivoire gegen das Establishment ist ein Ausdruck für umfassendere Veränderungen in den moralischen Fundamenten und der Akkumulation von Macht, die auf dem ganzen Kontinent zu beobachten sind. Die folgenden Faktoren spielen eine Rolle: das Scheitern der Demokratisierungsprozesse Anfang der neunziger Jahre, deren größte Impulse von Jugend- und Studentenbewegungen kamen, die Krise des Staates und seine zunehmende Kriminalisierung, der Zusammenbruch des Bildungssystems, das Versagen der traditionellen Netzwerke und Strategien der sozialen Mobilität sowie die im Zuge der Globalisierung beschleunigte Flut von Bildern und Worten. All das hat zu Veränderungen in den Kategorien und Vorstellungen von Macht und Ansehen geführt. Hauptopfer dieser Veränderungen ist die jüngere Generation, die Mehrheit der Bevölkerung.
Viele der Jugendlichen wenden sich heute gewaltsamen und räuberischen kriminellen Praktiken zu. Nach den Worten des kamerunischen Politikwissenschaftlers Achille Mbembe bilden diese die “Hefe einer neuartigen Kultur der Freiheit als Herrschaftsform. Frei zu sein bedeutet, die anderen beherrschen zu können”. Eine der schlimmsten Folgen der Krise in Côte d'Ivoire war, dass heute bei den Generationen, die das Land in der Zukunft anführen sollten, physische und ideologische Gewalt etwas völlig Normales ist.
Ein Bürgerkrieg ist immer ein Bruderkrieg, doch zwischen den Anhängern der Rebellion und dem Lager von Präsident Gbagbo spielt sich ein echtes Familiendrama ab. Der Konflikt geht auf einen immer gewaltsamer ausgetragenen Kampf um die Vorstellung von Staatsbürgerschaft und nationaler Identität zurück. Etwa ein Drittel der Bevölkerung sind Immigranten oder deren Abkömmlinge. Fast die Hälfte von ihnen wurde im Land geboren, und ein bedeutender Teil der Bevölkerung von Côte d'Ivoire ist gemischter Herkunft. Als sich in den letzten Jahren der Regierung von Präsident Henry Konan Bédié (1993-1999) die Wirtschaftskrise verschärfte, ging dieser zu einer autoritären Regierungsführung über und propagierte die Ivoirité. Diese unterscheidet die Einwohner des Landes nach ihrer Herkunft. Das wurde zur wichtigsten politischen Scheidelinie im Lande und führte zu einer zunehmend ethnisch begründeten Spaltung von einander bekämpfenden politischen Lagern.
In diesem ideologischen Krieg stehen sich zwei unversöhnliche Lager gegenüber: Auf der einen Seite eine zunehmend ultra-nationalistische und fremdenfeindliche Jugend, die weitgehend aus den südlichen Landesteilen stammt und treu zu Präsident Gbagbos Regierungspartei FPI (Front Populaire Ivoirien) hält, aber auch ein Teil der seit 50 Jahren bestehenden früheren Regierungspartei PDCI (Parti Démocratique de la Côte d'Ivoire); auf der anderen Seite Jugendliche, die überwiegend aus dem Norden stammen und die behaupten, sie wollten die Vision des früheren Präsidenten Felix Houphouët-Boigny von einem ivorischen Schmelztiegel verwirklichen und die “Schicksalsgemeinschaft” wieder zum Leben erwecken, die historisch den Norden mit dem Süden verband.
In den neunziger Jahren stand die militante Jugend ungeachtet ihrer ethnischen, regionalen oder religiösen Zugehörigkeit der sozialistischen Ideologie der FPI näher. Das traf insbesondere auf die Anführer der FESCI zu. FESCI hatte sich der Front Républicain angeschlossen, die die FPI und die Partei Rassemblement des Républicains (RDR) des Oppositionellen Alassane Ouattara im Kampf gegen Bédié miteinander verband. Dabei spielte die FESCI unter Soro (Vorsitzender 1995-98) und Blé Goudé (1998-2001) eine entscheidende Rolle bei der Mobilisierung des Volkes. Das brachte beiden Gefangenschaft und das Verbot ihrer Organisation bis zum gewaltlosen Putsch von 1999 ein. Unter der Militärjunta brach die Front Républicain jedoch auseinander, und die FPI machte sich die gleichen exklusiven Thesen zur Wählbarkeit für das Präsidentenamt und zur nationalen Identität zu eigen, wie sie im Begriff Ivoirité enthalten sind.
So wurde die liberale RDR für viele ehemalige Anhänger der FPI zum Zufluchtsort, vor allem für aus dem Norden stammende Personen oder solche mit “gemischten” Vorfahren, die sich durch deren nationalistische Wandlung verraten fühlten. Viele der Anführer des Putsches, alle Unteroffiziere, insbesondere Sergeant Ibrahim Coulibaly (bekannt als IB), wurden vom Juntachef General Robert GuéV als der RDR nahestehend betrachtet, und kurz vor den Wahlen ließ GuéV eine Reihe von ihnen verhaften und foltern, während viele andere ins Exil nach Burkina Faso flüchteten, darunter auch IB.
In den beiden Jahren der Regierung Gbagbo hat sich die Spaltung zwischen den Anhängern der FPI und denen der RDR in den Schulen, den Universitäten, auf dem Land und in den Streitkräften weiter vertieft. Der latente Nationalismus der FPI ist zur staatlichen Politik geworden, was in zunehmend fremdenfeindlichen und radikalen Tönen der FPI-Anhänger in den Jugend- und Studentenbewegungen in Abidjan zum Ausdruck kommt. Angehörige der Streitkräfte, die man der Sympathie für die RDR verdächtigte, wurden degradiert. Nach einer Hexenjagd im Gefolge eines Putschversuches im Januar 2001 schlossen sich viele Unteroffiziere IB im burkinischen Exil in Ouagadougou an.
Die Tendenz, Menschen aus dem Norden und Immigranten in einen Topf zu werfen, verstärkte sich: “Man unterscheidet nicht mehr, sondern es heißt: Ihr seid aus dem Norden, ihr seid Malis, das ist das Gleiche; wenn du eine große Tunika trägst, dann bist du aus dem Norden. Sie greifen alle an.” An der Universität übte die FESCI, die jetzt für die FPI eintritt, mit Drohungen und Macheten die Herrschaft aus, griff politische Gegner und Lehrkräfte an, kontrollierte die Zimmerzuteilung und erpresste die örtlichen Händler.
In den ländlichen Gebieten des kaffee- und kakaoreichen Südwestens hatte es zwar bereits zuvor Spannungen zwischen einheimischen Völkern und den zahlreichen Zuwanderern gegeben, doch nun ist ein Generationenkonflikt hinzugekommen zwischen einheimischen Landbesitzern und ihren Söhnen, die in die ländlichen Gebiete zurückkehrten und feststellen mussten, dass ihre Väter ungenutztes Land an Migranten - insbesondere aus Burkina Faso und Mali - verkauft hatten. Die Fremdenfeindlichkeit der einheimischen Jugendlichen nahm zu, vor allem im Südwesten, wo die Hochburg der FPI ist.
In der im Südosten gelegenen Stadt Bonoua war es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen der Abouré-Ethnie und den zugewanderten Bevölkerungsgruppen aus dem Norden gekommen. Danach hielt eine Gruppe von jungen Abourés am 22. Januar 2001 eine Zusammenkunft ab, bei der ein Papier verfasst und den kommunalen Behörden und traditionellen Räten vorgelegt wurde. In dem Papier wurde unter anderem gefordert: Alle Zugewanderten müssen sich mit einem Foto registrieren lassen; Zugewanderte dürfen keine Geschäfte, Stände oder sonstige Räumlichkeiten für kommerzielle Aktivitäten benutzen; Zugewanderte dürfen keine Transportgeschäfte betreiben; zwei männliche Zugewanderte dürfen nicht gemeinsam das gleiche Zimmer bewohnen; strenges Verbot von Mischehen zwischen Abouré und Zugewanderten; Verbot des Baus von Moscheen; Zugewanderte müssen die Straßen und Abwässerkanäle reinigen und dem Gericht eine jährliche Kopfsteuer von 5000 F CFA zahlen.
Auf dem Forum für nationale Versöhnung, das von Oktober bis Dezember 2001 stattfand, sagte der neue Vorsitzende von FESCI, Jean-Yves Dibopieu: “Die FESCI fordert die Ausländer auf, sich von der ivorischen Politik fernzuhalten, nachdem sie bereits dabei sind, unsere Volkswirtschaft in Besitz zu nehmen. ... Man will uns einschläfern, um uns zu erobern. Zur jetzigen Zeit muss man sich sogar zur Fremdenfeindlichkeit bekennen, denn sie ist normal und ein natürliches Gefühl. Ja ivorische Brüder, seid fremdenfeindlich, das ist gut so.”
Die Rebellion wurde begonnen von in Ouagadougou im Exil lebenden ivorischen Soldaten; ihnen schlossen sich rund 700 junge Soldaten an, die unter der Junta rekrutiert worden waren und vor der Demobilisierung standen. Auch Tausende von Jugendlichen aus dem Norden schlossen sich der Rebellion an. Ebenso waren Mädchen unter den neuen Rekruten. In der lokalen Presse wurde in einer Mischung aus Faszination und Schrecken von mehreren AK-47 Waffen schwenkenden Rebellinnen berichtet. Wie unter der Militärjunta wurden die Truppen in Kompanien mit exotischen Namen wie Leopard, Anaconda, Cobra Force organisiert. In gestohlenen Pickups mit Vierradantrieb und aufgepflanzten RPG-7-Raketenwerfern wild durch die Stadt Bouaké rasend, die sie in ihrer Gewalt hatten, verkörperten sie jugendliche Helden im Wildweststil, gesetz- und bindungslos, von ihren jugendlichen Anhängern bewundert und zunehmend nachgeahmt.
Trotz ihres wilden Images war die Disziplin der MPCI-Truppen bis Dezember 2002 relativ gut. Ab Januar jedoch wurden die jungen Kommandeure und insbesondere ihre neuen Rekruten, viele noch Teenager, zunehmend ungeduldig und fingen an zu plündern und zu erpressen - zunehmend systematisch. Gegen Ende 2003 benahmen sich örtliche Kommandeure immer mehr wie autonome Warlords, und die Disziplinlosigkeit in den von ihnen kontrollierten Gebieten verstärkte sich. Es wurde über zahlreiche Vergewaltigungen berichtet. Örtliche Kommandeure lösten das Problem renitenter Jugendlicher häufig durch Erschießungen. Im Westen des Landes, wo im November 2002 zwei neue Rebellengruppen aufgetaucht waren (MPIGO und MJP), hat die starke Präsenz von Kämpfern aus Liberia und Sierra Leone - viele von ihnen Kindersoldaten, alle unter Drogeneinfluss und blutgierig - der einheimischen ivorischen Bevölkerung Tod und Zerstörung gebracht. Die Volksgruppe der Guéré war besonders betroffen. Das hat die einheimischen Jugendlichen noch weiter radikalisiert und sie - unter dem Einfluss von FPI-Baronen, örtlichen Politikern und Offizieren der Streitkräfte - dazu veranlasst, Stammesmilizen zu gründen.
Im gesamten ländlichen Süden wurden Jugendliche durch die Gbagbo-Regierung bestärkt, “patriotische Straßensperren” zu errichten und den Streitkräften von Côte d'Ivoire (FANCI) zu helfen, die “Rebellen” auszuräuchern. Das gesamte Straßennetz des Südens war monatelang durch Tausende von Straßensperren paralysiert, die von überreizten jungen Dorfbewohnern mit den Jagdgewehren und Macheten ihrer Väter bemannt waren. Passanten wurden regelmäßig gedemütigt und erpresst, und Personen “verdächtiger” (sprich nördlicher) Herkunft häufig verprügelt und gelegentlich auch getötet.
Die ältere Generation schien in der Regel unfähig oder nicht willens zu sein, die Jugendlichen im Zaum zu halten und so die schlimmsten Exzesse zu verhüten. Aus dem Norden stammende Menschen und Immigranten, von denen viele seit zwei oder drei Generationen in den Dorfgemeinschaften lebten, blieben auf ihren Feldern, vermieden Städte und mögliche Konfrontationen mit den örtlichen Jugendlichen. Mehrmals betätigten sich örtliche Jugendliche als Denunzianten und machten loyalistische Gruppen auf “feindliche” Personen aufmerksam, von denen anschließend viele getötet wurden. Angestachelt vom ehemaligen Verteidigungsminister Bertin Kadet, einem Verwandten von Gbagbo, griffen im Dezember 2003 Jugendliche in der Region Gagnoa im Südwesten des Landes zugewanderte Pflanzer an, stahlen ihre Kakaoernte und vertrieben sie von ihren Plantagen.
Seit der ersten Massendemonstration in Abidjan gegen die Rebellion am 2. Oktober wurde die Mobilisierung der “Straße” zum Monopol der verschiedenen Pro-FPI-Jugendorganisationen. Diese “Allianz” veranstaltete öffentliche Märsche und Demonstrationen gegen Frankreich, Burkina Faso, Ausländer und Immigranten. Schwer bewacht von Angehörigen der Streitkräfte, organisierte sie Massenkundgebungen gegen die Rebellion, zu denen ihre Anführer in lärmenden Konvois von teuren Fahrzeugen mit Vierradantrieb heranrasten und wo sie vor überreizten Jugendlichen bombastische Reden schwangen. Die Allianz wurde vom Präsidialamt gut strukturiert und äußerst gut finanziert; ihre Anführer hatten dort leichteren Zugang als Minister der Regierung. Die Allianz organisierte und unternahm Angriffe gegen die französische Militärbasis und französische Gebäude nach Unterzeichnung der Friedensabkommen von Marcoussis im Januar 2003, terrorisierte die Opposition und denunzierte “Vaterlandsverräter”.
Zahlreiche westliche Aufklärungsberichte melden, dass die Allianz in aktiver Zusammenarbeit mit dem ivorischen Militärnachrichtendienst “schwarze Listen” von potenziellen Feinden aufgestellt hat. Angehörige der Allianz und ihre Anhänger haben “verdächtige” Aktivitäten auf speziellen Hotlines gemeldet und waren für die Festnahme und Haft von Hunderten von Unschuldigen verantwortlich. Inwieweit sie mit dem Verschwinden und der Ermordung von zahlreichen Personen in den ersten Monaten der Krise in Abidjan zu tun hatten, ist unbekannt; jedenfalls haben die “jungen Patrioten” den Terror nachhaltig geschürt.
Das Klima der Angst und die zahlreichen Festnahmen und Razzien in Wohngebieten von aus dem Norden stammenden Personen hielt Jugendliche aus dem Norden davon ab, ihre Unterstützung für die Rebellion zu bekunden. Aber bei der Beerdigung des Schauspielers Camera Erhoffe “H”, der im Februar 2003 von Sicherheitskräften getötet worden war, trugen die für die Sicherheit verantwortlichen Jugendlichen T-Shirts mit dem Bildnis des Toten und der Aufschrift “Lieber einen schrecklichen Tod als ein schreckliches Leben”. In der vielköpfigen Menge waren Kinder und Teenager zu sehen, die die Akronyme MPCI und MPIGO auf ihre Stirne gemalt hatten und einen Slogan riefen, den sie nach politischen Kundgebungen der RDR im Jahre 2002 gehört hatten: “Tötet uns, wir sind viele, tötet uns, wir sind viele!”
Seit Januar 2003 berichten westliche Nachrichtendienste über die Anwerbung und Ausbildung von Jugendlichen, nicht nur für ihre Teilnahme an den fortdauernden Kämpfen im Westen des Landes, sondern auch für die Bildung von Stammesmilizen in Städten im ganzen Süden. Ein Bericht sprach von 500 Kindern im Alter von 13 bis 16 Jahren, die auf dem Marinestützpunkt von Mitgliedern der Elite-Bereitschaftspolizei, der Anti-Aufruhr-Brigade, in Aufruhrtechniken unterwiesen wurden. Bereits im Dezember hatte Präsident Gbagbo offiziell 3000 Jugendliche unter der inoffiziellen Aufsicht der “patriotischen” Führer in die Streitkräfte rekrutiert. 98 Prozent der neuen Rekruten stammten aus dem Süden. Weitere tausend wurden im Januar 2003 in die Streitkräfte eingegliedert. Viele wurden als Kanonenfutter im Konflikt im Westen des Landes verheizt, wo ihre Leistungen den Präsidenten anscheinend enttäuschten.
Die inoffizielle Rekrutierung von Jugendlichen der Guéré über Netzwerke von Guéré-Politikern und hochrangigen Offizieren wurde im Januar 2003 verstärkt. Jugendliche aus Abidjan und im Westen des Landes bildeten die Front de Libération de Grand Ouest (FLGO) und wurden direkt zur Ausbildung geschickt, die durch liberianische Pro-Gbagbo-Kämpfer erfolgte - häufig auf liberianischem Gebiet. Die Eingliederung dieser Jugendlichen in die Anti-Taylor-Bewegung, die MODEL, bewaffnet und finanziert von Gbagbo, vollzieht sich seit Frühjahr 2003.
Etliche von ihnen sind aber nach Abidjan zurückgekehrt. Dort bildeten sie im Dezember eine Protestgruppe und machten vor der Kathedrale von Abidjan einen Sitzstreik. Damit protestierten sie gegen die schrecklichen Bedingungen, unter denen sie zu kämpfen gezwungen wurden, und den Bruch der Zusagen, die ihnen die Regierung hinsichtlich Bezahlung und ihre Aufnahme in die Streitkräfte gemacht hatte.
Ein anderer ehemaliger FESCI-Leiter (1994-95), EugPne Djué, Blé Goudés Rivale, rief sich zu Beginn des Konflikts zum “Marschall” aus und schürte die patriotischen Gefühle durch Gewaltandrohungen in der Presse gegen die “Volksfeinde”; er schuf die “Patriotische Union für die völlige Befreiung von Côte d'Ivoire” und behauptete, Urheber der städtischen Stammesmilizen zu sein. Seit Februar waren in Youpougon, Port Bouët und Koumassi kahlgeschorene Gruppen von jeweils 500 bis 700 Jugendlichen zu sehen, die Polohemden mit aufgedruckten exotischen Namen trugen und offen für den Kampf trainierten. Djués Behauptung, er habe 55.000 ausgebildete und bewaffnete Jugendliche, die bereit seien, das Land zu befreien, ist zweifellos übertrieben, dennoch hat die Militarisierung und Radikalisierung vieler Jugendlicher aus dem Süden einen Punkt erreicht, von dem es keine Rückkehr mehr gibt.
Charles Groghuet, der Leiter der bekanntesten Miliz, der “Patriotischen Gruppierung für den Frieden” (GPP), wurde seines Postens enthoben, nachdem er etliche provozierende Erklärungen in der Presse abgegeben hatte. Groghuet meinte unverblümt: “Zur nationalen Versöhnung wird es mit diesen spaltenden Abkommen nicht kommen, dafür werde ich schon sorgen! … Wir werden Côte d'Ivoire befreien; wir wollen Côte d'Ivoire den Söhnen von Immigranten entreißen, die den Ivorern alles wegnehmen wollen… Wir kämpfen nicht für eine politische Partei, noch weniger für eine Einzelperson, selbst wenn es der Präsident des Landes wäre; wir kämpfen, um Côte d'Ivoire von den Söhnen der Immigranten und ihrem Sprecher Alassane Dramane Ouattara zu befreien.”
Haben die politischen Manipulanten ihre Jugendlichen wirklich unter Kontrolle? Schließlich hängt die künftige Stabilität des Landes von der Fähigkeit der älteren politischen und militärischen Führungskräfte ab, die jugendlichen Exzesse einzudämmen. Charles Blé Goudé ist für das, was er für Gbagbo getan hat, reich belohnt worden, auch wenn er das bestreitet. Das hat ihn jedoch nicht daran gehindert, vielfach Positionen zu vertreten, die denen des Präsidenten entgegengesetzt zu sein scheinen. Auf die Frage, ob Gbagbo die Patrioten wirklich unter Kontrolle habe, lautet die Antwort vermutlich “im Moment noch”.
Andere Anführer wie Djué sind bereit, den Positionen des Präsidenten offen zu trotzen, doch die Gefahr besteht nicht so sehr darin, dass die “Patrioten” weiterhin als populistische Vorhut dienen und Positionen vertreten, die Gbagbo vielleicht nicht öffentlich einnehmen will, doch insgeheim unterstützt, sondern eher in der Radikalisierung, zu der dies führt, und in den hohen Erwartungen von Belohnungen, die an die Unterstützung seiner Sache geknüpft werden.
Wenn die Friedensabkommen eingehalten werden sollen, muss Gbagbo von seinem hohen Ross heruntersteigen und ernsthafte Zugeständnisse machen. Der Weg dahin ist lang und steinig; 2005 sind Wahlen vorgesehen, und die Gefahr neuer Gewaltausbrüche ist bereits zu erkennen. Wenn Gbagbo eingesehen hat, dass er nur dann eine Chance auf eine Wiederwahl hat, wenn er den Friedensprozess nicht offen sabotiert, bleibt abzuwarten, ob die patriotische Jugend die Zugeständnisse einfach so hinnehmen wird. Es kann sein, dass patriotische Führungskräfte genug politischen Zynismus und Eigeninteresse besitzen, um ihrem Anführer zu folgen, nachdem der Krieg sie extrem reich gemacht hat, doch ihren treuesten Anhängern wird die Aussicht auf erneute Arbeitslosigkeit sicher nicht gefallen. Frustration und Groll werden sich ausbreiten und jeden Versuch lähmen, einen ausgehandelten Kompromiss zu erzielen. Das “Programm für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung” (DDR) dürfte nicht attraktiv genug sein und Mitglieder von Stammesmilizen auch nicht einschließen.
Der soziale Bruch unter den Jugendlichen scheint vollzogen zu sein. Selbst wenn es den Politikern in Abidjan gelingt, unter sich ein für alle Beteiligten zufriedenstellendes Arrangement zu finden, werden die Hunderttausende von radikalisierten Jugendlichen auf beiden Seiten nicht bereit sein, als Opferlämmer des ivorischen Versöhnungsprozesses zu dienen. Werden sie, nachdem sie den schweren Wein von Status, Macht und Bestimmung geschmeckt haben, die Rückkehr unter die Autorität ihrer Väter akzeptieren und - wie die Generationen vor ihnen - warten, bis ihre Zeit gekommen ist? Das ist stark zu bezweifeln.
aus: der überblick 01/2004, Seite 27
AUTOR(EN):
Ruth Marshall-Fratani:
Ruth Marshall-Fratani ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Afrika-Fachbereich der "School of Oriental and African Studies" der "University of London".