Tagebau im indischen Bundesstaat Jharkhand
Die stark wachsende indische Wirtschaft hat einen großen Energiebedarf. Deshalb wird in Jhakharta verstärkt Kohle abgebaut. Den Preis für die ehrgeizigen Entwicklungspläne zahlen die dort lebenden Adivasi. Ihre Lebensweise wird nicht respektiert, sie sind allenfalls als billige Arbeitskräfte gefragt. Ebensowenig wird auf Umweltschutz geachtet.
von Michael Briefs und Christoph Burgmer
Windböen wirbeln grauschwarzen Sand hoch. Die bewaldeten Berge sind hinter dichten Staubwolken verborgen. Es ist kühl an diesem 26. Januar, dem Tag der Republik in Indien. Die Fahrt geht mitten durch den ostindischen Bundesstaat Jharkhand. Wir passieren zahllose menschenleere Ortschaften mit ihren in Erdfarben kunstvoll verzierten Lehmhütten. Die Bewohner sind vor dem Kohletagebau in die Städte geflüchtet. Viele Dörfer haben einfach aufgehört zu existieren, während die indischen Städte ins Unermessliche wachsen.
Ramgarh ist so eine Flüchtlingsstadt. Sie liegt an der Straße von Jharkhands Hauptstadt Ranchi in Richtung Hazaribagh im Norden. Sie ist das regionale Zentrum für die Kohleminen der Umgebung geworden. Die Stadt quillt über vor Menschen. Täglich kommen sie an. Viele aus dem Norden, dem Bundesstaat Bihar, einem der ärmsten Indiens. Schon tagsüber bevölkern Arbeitslose, Spieler und Glückssucher die abgewrackten Kneipen und Bordelle der Stadt, in denen sich junge Frauen der Volksgruppe Adivasi für wenig Geld anbieten. Die schwere und perspektivlose Arbeit fern der Heimat hat viele Arbeiter in die Alkohol- und Drogensucht getrieben. Eine unsichere Stadt. Wir durchqueren Ramgarh schnell.
Auch Mandu, eine weitere Kohlestadt auf dem Weg zu unserem Ziel, der Parej Kohlenmine, ist von hektischer Betriebsamkeit geprägt. Überall stiefeln Männer mit Schaufeln zielstrebig auf der einzigen großen Straße entlang. Aber Frauen sind hier kaum zu sehen. Vor einer Ruine, an der ein Schild in Englisch darauf hinweist, dass hier das staatliche Minen-Informationzentrum sein soll, warten private, mit Kohle handelnde Kleinunternehmer vor ihren LKW auf zahlungskräftige Kunden. Wer hier lebt, weiß, wie das mit der Kohle läuft. Wer von außerhalb kommt und Informationen sucht, ist auf die Hilfe von Einheimischen angewiesen.
Justin Imam dient uns hier quasi als Fremdenführer. Der Adivasi vom Stamm der Oraon ist in dieser Gegend geboren. Er ist politisch aktiv und setzt sich für die Rechte der Adivasi ein. Ein Viertel der 27 Millionen Einwohner in Jharkhand ist Adivasi. Dieses Volk hatte lange unbeeinflusst von der dominanten Hindukultur Indiens an seinen alten Religionen und Sprachen festgehalten. Doch die Traditionen verlieren an Bedeutung. Die rasante Kapitalisierung der Industrie produziert Verelendung.
Unser Begleiter arbeitet für die nichtstaatliche Organisation BIRSA, das Bindrai Institute for Research Study and Action. Das ist ein 1994 gegründeter Zusammenschluss verschiedener Adivasigruppen. »BIRSA ist eine unabhängige NGO und klärt die Ureinwohner über die Folgen der Industrialisierung auf. Wir sind eng mit der Geschichte Jharkhands und dem Kampf der Adivasi um ihr Land und ihre kulturelle Identität verbunden. Es geht nicht um die Kohle, sondern um unser Land.« Justin Imam ist 29 Jahre alt, ein feingliedriger Mann mit fester Stimme. Er weiß, dass es im globalisierten Kapitalismus keine Unabhängigkeit gibt. Er will aber nicht akzeptieren, dass die traditionelle Lebensweise der Adivasi Profitinteressen geopfert wird so wie es bei anderen Völkern im Süden schon geschehen ist. Die Adivasi nämlich, siedeln wie andere Minderheiten in der Welt in Regionen, die reich an Bodenschätzen sind.
Wir haben Glück, dass uns Justin Imam auf der Fahrt durchs Kohlerevier begleitet. Denn Fremde sieht man hier nicht gern. Die Lage ist gespannt. In der Vergangenheit hatte es Straßenblockaden und Demonstrationen gegeben, Demonstranten wurden erschossen, Adivasiführer verhaftet. Militante maoistische Widerstandsgruppen verüben regelmäßig Anschläge auf Kohletransporte. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre hat der politische Widerstand zugenommen. Justin Iman weiß gut Bescheid: »In den zehn Jahren meiner Arbeit habe ich gute Kontakte zu fast allen Dörfern der verschiedenen Adivasistämme meiner Region Hazaribagh aufgebaut. 2003 richtete BIRSA in Ranchi für sie ein eigenes Informationsbüro für Minenfragen ein.«
Wir durchqueren die Kohlestädte Kuju und Charhi. Überall das gleiche Bild: Menschen graben mit Schaufeln nach Kohle. Egal wo, mitten im Ort, am Straßenrand und sogar in den nahe gelegenen Geröllbergen. »Kohle zum verkoken«, erklärt Justin Imam. »Man muss Brennstoff für den Hausbrand gewinnen.« Es gibt Hunderte, ja Tausende von Menschen, die sich so den Brennstoff für ein Feuer und damit für eine warme Mahlzeit verschaffen. »Nach Einbruch der Nacht, wenn es kalt wird und man den Rauch nicht mehr sehen kann, schichten sie große Haufen auf und entfachen den Schwelbrand. Am nächsten Morgen ist aus der Steinkohle Koks geworden.« Dabei entsteht extrem giftiges Kohlenmonoxid; aber das scheint niemanden zu beunruhigen.
Endlich erreichen wir die Parej Kohlenmine. Die Region gleicht einem Schlachtfeld. Abgeschlagene Baumstümpfe und zerfetzte Äste erinnern daran, dass hier einmal Urwald war. Die gigantischen Kohlebagger haben das Waldstück erst vor kurzem geräumt. Sie verschaffen sich selbst den nötigen Platz, um den Kohletagebau fortzusetzen.
Am alten Minenrand dahinter liegt das Siedlungsgebiet des Agariastammes. Mit der neuerlichen Erweiterung des Tagebaus sind ihre Dörfer nun vollständig von Minen umzingelt. Im Süden gräbt die Gesellschaft TISCO die zum Tata-Konzern, einem indischen Global Player gehört, nach dem Brennstoff. Mit 220.000 Mitarbeitern betreibt dieses größte private indische Unternehmen neben Rohstoffminen auch Versicherungsgesellschaften und ist gleichzeitig Indiens größter Autohersteller. Tata bedeutet für Indien soviel wie Siemens und DaimlerChrysler für Deutschland.
Im Westen grenzen die Agaria Dörfer an die Minen von Central Coalfields Limited (CCL), die auch die Parej Kohlenmine betreibt. Der Konzern veröffentlicht die Betriebsergebnisse der Minenaktivitäten regelmäßig im Internet. Stolz publiziert man Wachstumsraten; so lag etwa die Produktion von gewaschener Kohle für Haushalte in den Monaten März und April 2005 um 12 Prozent über der Menge der entsprechenden Vorjahresperiode.
Von Adivasi ist keine Rede. Auch nicht von Agariadörfern, die neben den gewaltigen Minen wie Spielzeugsiedlungen wirken. Die publizierten Bilanzen sollen kapitalkräftige nationale und internationale Investoren anlocken. Minenaktivitäten im schwer zugänglichen Hügelland Jharkhands erfordern hohe Investitionen, vor allem in Logistik und Maschinen. Zwar heißt es im jüngsten Jahresbericht von CCL: »Das Unternehmen führt verschiedene Maßnahmen aus, um die Erhaltung einer saubereren Umwelt zu verbessern, indem es
Verschmutzungskontrollmaßnahmen und großflächige Wiederaufforstung einführt.« Davon ist aber wenig zu sehen: Nach dem Abbau der Kohle bleibt eine Mondlandschaft zurück. Die Parej Kohlenmine ist ein Graben von der Ausdehnung mehrerer Fußballfelder und hat sich so tief in den Boden gefressen, dass uns schwindelig wird. »Die Verhältnisse für die Menschen gleichen eher denen des 19. Jahrhunderts«, hilft Justin Imam uns bei der Einordnung auf die Sprünge. Arbeiter sind in der Tiefe schemenhaft sichtbar. Ein paar Gummistiefel, eine dünne Montur und eine Schutzmaske aus Plastik, das ist alles, was die Arbeiter zu ihrem Schutz von der Unternehmensleitung erhalten.
Auf der gegenüberliegenden Seite, am Rand des Minenkraters nähern wir uns den Agariahäusern. Der Widerstand der Bewohner gegen die Parej Mine ist gebrochen. Ein paar windschiefe Zaunpfähle erinnern an den inzwischen überflüssigen Versuch des Unternehmens, die Mine vom Dorf abzusperren. Übrig geblieben sind einige nackte Betonpfähle. Verloren ragen sie aus der Buschlandschaft heraus. Direkt neben den Häusern haben die Kohletransporter einen steinigen Feldweg über ein leicht erhöhtes Plateau zu einer Straße ausgefahren. Sie gelangen nun ohne Hindernisse zu den Schaufelbaggern und dem endlos langen Kohleförderband.
Mütter wiegen ihre Babys auf dem Schoß und schauen den unaufhörlich passierenden Lastwagen wie geistesabwesend hinterher. Andere Frauen versuchen die Fußböden ihrer Häuser mit einem Besen vom feinen Kohlenstaub zu befreien, der unentwegt von der Mine in die Wohnhäuser geweht wird. Im Schatten kümmerlicher Baumreste spielen unterernährte kleine Kinder. Als sie unseren weißen Geländewagen sehen, stellen sie sich in Reih und Glied auf und schauen uns verängstigt aus rabenschwarzen Gesichtern an. Eine ältere Frau eilt eifrig schwatzend herbei und versucht uns zu erklären, warum die Kinder keine Schule besuchen. Es klingt resigniert und fast wie eine Entschuldigung: »Es gibt hier weder eine Schule noch irgendeine andere Ausbildung. Unsere Kinder müssen sich als Handlanger im Kohlendepot verdingen. Bevor die Mine kam, haben wir im Wald Früchte und Wurzeln gesammelt. Aber jetzt ist der Wald weg. Die Minen haben ihn gefressen. Wir müssen den ganzen Tag Feuerholz sammeln, denn die Kohle dürfen wir nicht anrühren. Wenn wir trotzdem Kohle sammeln, kommt die Polizei und nimmt sie uns weg.«
Vor einem einfachen Steingebäude liegt ein Haufen gestapelter Ziegel. Daneben stehen einige Blechbehälter, mit denen die Frauen aus Kilometer weit entfernten Brunnen Trinkwasser heranschleppen. Sauberes Wasser ist in dieser Minenwüste noch schwerer zu finden als Essbares, denn die Kohlengrube hat den Grundwasserspiegel abgesenkt. Die früher im Dorf vorhandenen Brunnen sind versiegt. Wir werfen einen Blick in die Bottiche. Der aufgewirbelte Kohlestaub hat sich mit dem Wasser zu einer dunklen Brühe vermischt. Die Lebenserwartung der Menschen in den Kohlebergbauregionen Jharkhands gehört zu den geringsten in ganz Indien.
Ein paar Frauen führen uns zu einem Mann, der auf einem Holzstuhl hinter einem Lehmhaus sitzt, welches mit einfachen Tierzeichnungen bemalt ist. Die Augen des Mannes sind glasig, seine Wangen eingefallen. Weiße Bartstoppeln umrahmen das tiefbraune, früh vergreiste Gesicht. Paykara Sundi ist 47 Jahre alt. Viele Jahre hat er in den Kohlenminen gearbeitet. Jetzt ist er krank. »Der Arzt sagt, ich hätte Tuberkulose. Früher habe ich wie die anderen als Tagelöhner mein Geld in den Kohleminen verdient. Heute bin ich auf Almosen angewiesen.« Wegen der vom Wetter abhängigen Beschaffenheit des Geländes können die Unternehmen nicht überall und immer Maschinen einsetzen. So graben Tagelöhner an manchen Tagen auch ohne Hilfe der Maschinen nach Kohle. Für einen Euro pro Tag. Eine Sozialversicherung existiert nicht. »Die Filter unserer Atemmasken werden häufig vom Kohlenstaub verstopft. Deshalb können wir nur dann unseren Soll erfüllen, wenn wir die Masken vom Gesicht abnehmen. Später schleppen wir die ausgehobene Kohle in Säcken auf dem Rücken aus der Mine. Manchmal benutzen wir auch Schubkarren. Der Aufstieg ist gefährlich und führt über roh gehauene Stufen den Grubenhang hinauf. Dabei verunglücken viele Arbeiter.«
Die Parej Kohlenmine erstreckt sich über mehr als einen Quadratkilometer. Sie ist nur eine von vielen hundert Kohlenminen in Jharkhand. Seit den neunziger Jahren wirbt die indische Zentralregierung intensiv um Investitionen transnationaler Unternehmen. Australische und kanadische Firmen wie White Industries und Met-Chem sind inzwischen in die Kohleförderung eingestiegen. Die Renditen sind hoch und die Investitionen sind mit Weltbankhilfe versichert, so dass das Risiko eines Scheiterns gering ist. Und es gibt keine effektive staatliche Kontrollen über die Einhaltung internationaler Richtlinien für Arbeitsplatzsicherheit, Sozialversicherung und Abfallentsorgung.
In den privaten Minen lohnt der Einsatz neuester Tagebaubagger und Kohletransporter. Sie werden von Technikern gewartet, die nicht aus Jharkhand kommen. Adivasi, von denen viele nicht lesen und schreiben können, werden dafür nicht ausgebildet. Allenfalls zum Ölen und Schmieren der Maschinen oder als Tagelöhner bekommen diese Arbeit in den Minen. Die meisten Einwohner der dem Tagebau im Weg liegenden Dörfer werden gegen vergleichsweise geringe Entschädigungen in andere Gebiete zwangsumgesiedelt.
Die Sozialarbeiterin Bina Stanis, die die Ereignisse an der Parej Mine seit sieben Jahren dokumentiert, hatte in Ranchi davon erzählt, welche Folgen eine solche Zwangsumsiedlung haben kann: »Ich möchte von einem Fall aus dem Jahr 1999 erzählen. Damals wurden 19 Familien zwangsweise nach Pindra, jener von der Weltbank finanzierten Vorzeigesiedlung, umgesiedelt. Unter ihnen befanden sich auch Balgovind und seine Frau Parvati mit ihren vier Kindern, wovon eines geistig behindert war. Parvati war schwanger. In der neuen Umgebung wurde sie rasch krank. Als das neue Dorf errichtet wurde, hatte man zwar auch eine Krankenstation gebaut, aber bis zum heutigen Tag haben dort niemals eine Krankenschwester oder ein Arzt gearbeitet. Parvati und ihr Mann waren bald felsenfest davon überzeugt, dass ihre Götter den neuen Ort ablehnten. Sie suchten keinen anderen Arzt auf, sondern machten teuflische Geister für Parvatis Krankheit verantwortlich. Als sie schließlich doch zum Arzt ging, war es zu spät. Das Kind war im Bauch der Mutter gestorben, hatte die Mutter vergiftet. Kurze Zeit später starb auch Parvati im Krankenhaus. Das wäre früher unmöglich gewesen. Die Dorfgemeinschaft hätte sie beraten. Heute sind viele Adivasi entwurzelt, ohne die vertraute Gemeinschaft, irgendwo in einer Siedlung zusammengepfercht. Die Zwangsumsiedlungen traumatisieren die Menschen.»
Allein zwischen 1981 und 1985 waren in Jharkhand über 30.000 Familien von Zwangsumsiedlungen betroffen. Neuere Zahlen werden erst gar nicht mehr regierungsamtlich veröffentlicht. Da infolge erhöhter Nachfrage nach Kohle die Zahl der Minen stark zugenommen hat, dürfte es auch mehr Zwangsumsiedlungen gegeben haben.
Etwa einen Kilometer vom Dorf entfernt passieren wir ein Umladedepot für Kohle. Justin Imam erklärt uns, dass die LKW wegen des schwierigen Geländes nicht von überall bis an die Förderbänder vorfahren können. So genannte dungels, Arbeitsgruppen von 10 bis 15 Männern, Frauen und Kindern, beladen deshalb im Auftrag eines Zwischenhändlers die LKW mit Kohle. Ein Dungel erhält für die 15 bis 20 Tonnen Kohle, mit der sie den LKW beladen, 1000 bis 1500 Rupien, umgerechnet 20 bis 30 Euro. Das reicht knapp eine Woche zum Leben. Es sind zumeist Familien, die so ein kleines Einkommen erhalten. Rechnet man sich aus, wie viel jedes einzelne Familienmitglied verdient, kommt man auf 38 Cent pro Tag.
Auf der Hauptstraße Richtung Ranchi kommen wir nur langsam voran. Immer wieder müssen wir um Fahrradfahrer herumfahren, die vier bis fünf Zentner Koks geladen haben. Die Fahrradtransporteure sind Teil eines ausgeklügelten Verteilungssystems. Es ist eine der anstrengendsten Arbeiten in den Kohlegebieten und wird von Menschen verrichtet, die in den Minen keine Arbeit gefunden haben, umgesiedelt wurden oder deren Felder von den Minenunternehmen zerstört wurden. Unter äußerster körperlicher Belastung schaffen sie die Kohle weg, die ganze Familien und Dorfgemeinschaften im Wald tagsüber illegal abbauen und nachts verkoken. Am nächsten Morgen kommen die Arbeitslosen per Rad, um den Koks abzuholen, der dann mühselig bis in die nächste Ortschaft oder zu einem Zwischenhändler in ein Kohledepot geschafft wird. Auf diese Weise wird der Koks manchmal 50 Kilometer und noch weiter transportiert.
Auch die landesweit operierende Kohlenmafia ist im lukrativen Geschäft um die illegale Kohle engagiert. Meist aber stiehlt sie die Kohle direkt aus den Minen und Waschanlagen. Von bestochenen Mitarbeitern wird die Kohle in den Fluss geworfen und weiter flussabwärts angeschwemmt. Frauen und Kindern sammeln sie auf und bringen sie zu den bekannten Umladedepots für zerkleinerte und gewaschene Kohle. Diese Kohledepots befinden sich direkt an der Hauptstraße. Als wir unerwartet in einem dieser Depots auftauchen, beäugt man uns misstrauisch. Männer und Frauen mit Schaufeln in der Hand stehen auf Brettern die zu den Ladeflächen der LKWs hinaufführen und laden die Kohle auf. Einige sind nass geschwitzt. Überall erfüllt schwarzer Staub die Luft. Man tuschelt und dreht sich weg, als man uns sieht. Das System der Aufsicht scheint sehr differenziert und ausgeklügelt, damit möglichst jeder jeden kontrollieren kann. Nur wenige Minuten später kommt einer der Aufseher auf uns zu. Er hat unser Herumstöbern schon länger beobachtet. Schließlich stürmen auf sein Kommando einige der Männer heran. Mit unmissverständlichen Drohgebärden deuten sie an, dass wir verschwinden sollen.
Über solche illegalen Arbeitsverhältnisse berichtet immer wieder die Adivasi Menschenrechtsorganisation Jharkhandis' Organisation for Human Rights (JOHAR). Sie dokumentiert seit Jahren zunehmende Menschenrechtsverletzungen. Wer darüber spricht, riskiert allerdings Leib und Leben. Die Mitarbeiter, die uns die Hintergründe erklärten, wollten deshalb nicht genannt werden. Denn nicht nur die Mafia, auch die transnationalen Unternehmen versuchen auf vielfältige Weise, den lokalen Widerstand zu brechen: »Beginnen die Unternehmen eine Mine zu errichten«, erläutert uns ein JOHAR-Mitglied, »geben sie keine Informationen weiter, sondern versuchen im Gegenteil an möglichst viele Informationen über die Dörfer heranzukommen. Dies besorgt ein Mittelsmann, zumeist ein ortsansässiger Lehrer oder eine andere Person mit entsprechender Bildung. Die Unternehmen bezahlen gut dafür. Zusätzlich soll der Mittelsmann die Dorfbewohner überreden, Dokumente zu unterzeichnen, in denen festgehalten wird, dass es keine Einwände gegen die Errichtung der Mine gäbe. Da er mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut ist, finden sich immer einige, die unterschreiben. Wehren sich die Leute später, so legen die Unternehmen dem Gericht oder staatlichen Mitarbeitern diese Dokumente vor und sagen 'Schaut her, die Menschen haben doch selbst unterschrieben'.«
Zusätzlich versorgt die örtliche Verwaltung die Unternehmen mit Informationen. Sie überlassen ihnen alle Dokumente und Papiere, in denen beispielsweise Eigentumsrechte geregelt sind. So geht der Informationsfluss nur in eine Richtung. Wenn sich Dorfgemeinschaften gegen Enteignung und Umsiedlung wehren, werden sie und ihre Führer gezielt kriminalisiert. »Die Manipulation ist einfach«, fährt unser Informant fort. »Zu Beginn stehen die Menschen zusammen. Also muss man sie irgendwie spalten. Dazu wählt man zunächst einige der weniger gebildeten, arbeitslosen jungen Adivasi aus, die in ihren Dörfern herumhängen. Ihnen verspricht man einen Job in der zukünftigen Mine, gibt ihnen für ihre Verhältnisse eine Menge Geld, schenkt ihnen ein Moped und versorgt sie gut mit Essen und Trinken. Diese drei, vier Jugendlichen müssen als Gegenleistung nun in aller Öffentlichkeit erklären, dass sie bereit sind, das Land an das Minenunternehmen zu übergeben, verkaufen oder zu leihen. Das spaltet die solidarische Gemeinschaft. Diese besteht in der Regel aus etwa 25 Dörfern, die von Dorfvorstehern, so genannten Majhis, selbst verwaltet werden. Diese Dörfer wiederum, sind zusammengeschlossen und wählen einen Pargana, einen Kreisvorsteher. Gibt es Konflikte, rufen die Majhis den Pargana an und es wird eine Gerichtsversammlung, die Panja, einberufen. Dies ist dann auch in dem Fall der Jugendlichen so. In der Regel verurteilt dieses Gericht die Jugendlichen zu einer Geldstrafe von einigen tausend Rupien, weil sie die Regeln der Gemeinschaft verletzt haben. Mit der Warnung, dass, wenn sie so weiter machten, weitere Konsequenzen folgen würden. Ihnen droht der Ausschluss aus der Dorfgemeinschaft. Die Jugendlichen bezahlen zwar die Strafe, aber beschweren sich dann beim Unternehmen. Dieses hat die Situation vorausgesehen und nur auf eine Gelegenheit gewartet. Die Jugendlichen werden zur Polizei gebracht, damit sie Anzeige wegen Nötigung zu erstatten. So werden die lokalen Adivasi-Autoritäten, die Majhis und der Pargana vor ein lokales staatliches Gericht gebracht.«
Justin Imam sagt, dass solche und ähnliche Strategien dazu geführt haben, dass die Adivasi beginnen, Jharkhand zu verlassen. Sie schließen sich dem endlosen Strom derjenigen an, die in den rasant wachsenden Megastädte Kalkutta, New Delhi oder Bombay ihr Glück suchen. Diejenigen, die bleiben, leisten jedoch gewaltlosen Widerstand oder hoffen einfach nur auf ihr Glück, einen Job in den Minen zu finden. »Die Menschen bewegt die konkrete Hoffnung auf Arbeit in der Mine,« sagt Justin Imam. »Aber genau das wird von Coal India ausgenutzt. In den Verhandlungen über das Land will man die Leute mit Jobs ködern, nach dem Motto 'Land für Jobs'. Auch die Unternehmen propagieren das. Dass ihnen viele Glauben schenken, zeigt, dass die Menschen nicht grundsätzlich gegen die Minen sind. Viele haben anderswo gesehen, dass diejenigen, die dort Arbeit fanden, sich zum Beispiel ein Motorrad kaufen konnten. Und ein solcher Lebensstil fasziniert. Sie hoffen darauf, sich das auch einmal leisten zu können, und bemerken gar nicht, dass es nur sehr wenige sind, die Arbeit bekommen. Außerdem begrüßen viele die Minenprojekte, weil sie dann selbst nach Kohle graben und diese, obwohl es verboten ist, im Umkreis verkaufen können. Ein erster Kontakt mit der Geldwirtschaft, der ihr Leben schon längst geändert hat. Auch ich glaube, dass es kein zurück mehr gibt. Aber die Minen sind auf unserem Land. Also sollten auch wir davon profitieren.«
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit fahren wir noch einmal zur Parej Mine zurück. Das Gelände scheint jetzt bewacht zu sein. Frauen und Kinder kauern am Rand des Schachtes. Unten in der Grube arbeiten einige Gestalten, mit Hämmern im Hosenbund und schwarz verschmierten Gesichtern. Brocken des schwarzen Gesteins rollen auf ein Laufband, vorbei an Männern, die Tee aus kleinen Plastikbechern schlürfen. In der Umgebung kann man einzelne kleine Kohlefeuer sehen. Stinkender und ätzender Rauch brennt uns in den Augen.
aus: der überblick 02/2005, Seite 59
AUTOR(EN):
Michael Briefs und Christoph Burgmer
Michael Briefs ist freier Journalist und Islamwissenschaftler.
Christoph Burgmer ist freier Journalist und Autor.