Die unerwarteten Erfolge eines Entwicklungsprojekts aus dem Kalten Krieg
Die TAZARA-Eisenbahnstrecke verbindet Tansania mit Sambia und galt in den 1970er Jahren als chinesisches Vorzeigeprojekt für gelungene Entwicklungshilfe. Ursprünglich war die Strecke für den Transport von Kupfer aus Sambia zum Hafen von Dar es Salaam gedacht und symbolisierte in der chinesichen Propaganda die Solidarität mit Afrika. Derweil hat sich an der Bahnstrecke ein blühender Kleinhandel entwickelt.
von Jamie Monson
Kaum dass die Ortszüge in den Bahnhof von Makambako in Tansania einfahren, eilen schon Scharen von Trägern herbei, laden die schweren Maissäcke auf, die auf dem Bahnsteig gestapelt sind, und Körbe voller Gemüse. Der Lärm schwillt an. Die Händler schreien und streiten sich um Platz in den Gepäckwagen, stets überfüllt, genau wie die Personenwagen. In all dem Trubel auf den Bahnsteigen und an den kleinen Haltestellen entlang der Strecke der TAZARA (der Tanzania-Zambia-Railway) zwischen Dar es Salaam und Mbeya sehen sich die Eisenbahnbehörden gezwungen, für Ordnung zu sorgen. Passagiere feilschen mit Händlern durch die Fenster des Zuges um Preise, kaufen Säcke mit Kartoffeln, Zwiebeln und Kohlköpfen aus dem Hochland. Übervolle Jutesäcke werden hochgehievt und durch Fenster gezwängt, und Bargeld wird rasch von Hand zu Hand gereicht. Die Händler beeilen sich, ihre Waren abzuladen, bevor der Zug den Bahnhof wieder verlässt. Kinder laufen den Bahnsteig auf und ab, verkaufen geröstete Erdnüsse, bieten Imbisse feil und Körbe voll süßer Bananen.
Diese Szene wiederholt sich: Die Ankunft des Zuges verwandelt jeden Bahnsteig entlang der Strecke in einen turbulenten Marktplatz. Damit hatten die Planer der TAZARA allerdings nicht gerechnet, als sie Ende der sechziger Jahre das Vorhaben anschoben. Sie dachten an eine große staatliche Eisenbahn, die für umfassende regionale Transporte von Kupfer und anderen Waren aus Sambia genutzt würde ein Projekt, das mit dem Assuan-Staudamm konkurrieren sollte, der kurz zuvor vollendet und von den Sowjets finanziert worden war. Das Leben der Erzeuger auf dem Lande zu verbessern, in dem man örtliche Märkte verband, und die ländliche Entwicklung zu fördern, war ursprünglich gar nicht das Ziel der Planer. Genau dies aber erreichte die TAZARA.
Das vergisst man leicht. Denn üblicherweise wird auf groß angelegte, überregionale und internationale Auswirkungen Wert gelegt und dem alltäglichen Verkehr von Waren und Menschen wenig Bedeutung beigemessen. Doch örtliche Händler, Bauern und Arbeitnehmer nutzen die Eisenbahn auf vielerlei Weise für ihre Zwecke. Die Bahn war eine entscheidende Triebkraft dafür, dass sich eine blühende Wirtschaft entlang der Route von Kilsoa nach Mbeya im südlichen Tansania entwickelte. Ihre Erfolge, wenn auch unbeabsichtigt, unerwartet und nicht genau zu messen, könnten Wirtschaftsplanern anderswo einige wichtige Erkenntnisse vermitteln zumal, wenn man auf die Anfänge zurückblickt.
An einem Augustnachmittag im Jahre 1969 lief der chinesische Ozeandampfer Yao Ha in den tansanischen Hafen Dar es Salaam ein. Während zur Begrüßung chinesische Militärmusik aus Lautsprechern ertönte, kamen rund 1000 chinesische Eisenbahntechniker die Gangway herunter, alle in den gleichen grauen Baumwollanzügen und mit kleinen blauen Koffern auf den Schultern. Mengen von Schaulustigen versammelten sich; einige meinten, die Fremden seien Soldaten oder zur Zwangsarbeit verurteilte Gefangene. Nachdem die Arbeiter eine Nacht in einem Lager im Hafen von Kurasini verbracht hatten, wurden sie in große Lastwagen gezwängt und nach Süden ins Landesinnere von Tansania verfrachtet. Dort begann die Arbeit: der Bau von Chinas größtem Entwicklungsprojekt in Afrika.
In den darauffolgenden fünf Jahren kamen 20.000 bis 30.000 weitere chinesische Eisenbahntechniker in Dar es Salaam an. Sie verbrachten Monate in entfernten Gebieten im Landesinneren, nahmen Sprengungen für Tunnel vor, bauten Brücken und legten die Schienen, die sich von Südtansania bis an den sambischen Kupfergürtel erstreckten. Die Unterstützung der Chinesen war für den Bau unerlässlich. Zu den chinesischen Beratern und Ingenieuren kamen schließlich über 40.000 tansanische und sambische Arbeiter hinzu, die zugleich zu künftigen Technikern der TAZARA ausgebildet wurden. Ohne die Bahn hätte es diese Möglichkeit für die Menschen überhaupt nicht gegeben.
In den sechziger Jahren hatte China aktiv die afrikanischen Befreiungsbewegungen unterstützt und behauptet, die einzige Weltmacht zu sein, die wahrhaft mit all denen in der Dritten Welt solidarisch sei, die gegen den Kolonialismus kämpften. Als die Linie 1975 fertiggestellt war, sparte die nordchinesische Nachrichtenagentur in einer Rundfundsendung nicht mit Kritik: Sie geißelte die Sowjetunion, weil diese behauptete, sozialistisch und revolutionär zu sein, während sie in Wirklichkeit imperialistisch und europäisch sei. Die Vereinigten Staaten von Amerika prangerte sie an, »weil sie die falsche Auffassung verbreiteten, es sei zu kostspielig und lohne sich nicht, in Afrika Eisenbahnen zu bauen«, und »Afrikaner seien zu rückständig, um eine solche Technologie zu beherrschen«. Voll Pathos hieß es in der Sendung: »Doch diese Lügen, Verleumdungen und Manöver des Feindes wurden von den afrikanischen Völkern durch Taten widerlegt.« Die TAZARA sollte das Ansehen Chinas bei der afrikanischen Bevölkerung verbessern und der Erfolg des Projekts die Anerkennung als Supermacht bringen. Und: Die Politiker wollten Tansania dafür belohnen, dass es China in seiner Führungsrolle in der Bewegung der Blockfreien bei internationalen Angelegenheiten unterstützte, insbesondere bei den Vereinten Nationen.
Schon 1969 hatte China die Signale auf »grün« gestellt und sich bereit erklärt, das fast 500 Millionen US-Dollar teure Projekt mit einem 30 Jahre laufenden zinslosen Darlehen zu finanzieren. Damit begannen Vermessung und Bau. Mit dem Abschluss des Großvorhabens 1975, zwei Jahre vor dem geplanten Termin, feierten die chinesischen, tansanischen und sambischen Führungskräfte die TAZARA als Beispiel dafür, was sich durch internationale Solidarität und harte Arbeit erreichen ließ. Weniger begeisterte Beobachter verspotteten die TAZARA als etwas, was man nicht als »Eisenbahn der Freiheit« bezeichnen könne, sondern als »Bambuseisenbahn« belächeln, eher also ein Billigprodukt »made in China« oder eine Spielzeugeisenbahn jedenfalls nichts Dauerhaftes, Haltbares. Straßen und nicht Eisenbahnen seien der Schlüssel zur Transportinfrastruktur und zur ländlichen wirtschaftlichen Entwicklung des nachkolonialen Afrika, meinten Volkswirtschafter des Westens. Das TAZARA-Projekt werde rasch belanglos werden.
In den ersten zehn Jahren erlitt die Eisenbahn eine Reihe von Rückschlägen, viele aufgrund technischer Mängel. So machten anfangs Erdrutsche und Unterspülungen der Gleise die Strecke immer wieder unbefahrbar, vor allem nach der heftigen Regensaison des Jahres 1979. Mit chinesischer Hilfe wurde dies verhältnismäßig schnell repariert. Für die enormen Steigungen mit schwer beladenen Waggons, die es auf dem Gebiet zu bewältigen gilt, entpuppten sich die Dieselmotoren der aus China gelieferten Loks als viel zu schwach. Diese Probleme waren zumindest teilweise auf die Politik des Großprojekts zurückzuführen: In dem eiligen Bestreben, die Eisenbahn vorzeitig fertig zu stellen und der Welt zu zeigen, was sie vollbringen konnten, gelang es den Chinesen nicht, genügend afrikanische Techniker auszubilden und in der Anlernphase zu beaufsichtigen, die das Management nach ihrer Abreise hätten übernehmen können. Noch heute ist die Eisenbahnbehörde auf ein Team von chinesischen Fachleuten angewiesen.
Ende der siebziger Jahre sah die Zukunft der Eisenbahn düster aus. Für jährlich 2,5 Millionen Tonnen Ladung in jede Richtung war die Bahn geplant worden, doch gerademal 865.000 Tonnen pro Jahr kamen auf die Schiene. Die Hälfte der vorhandenen Loks stand in der Werkstatt herum oder war gleich ganz aus dem Verkehr gezogen. Statt der angepeilten 17 Züge täglich, ratterten lediglich zwei am Tag. Waren ursprünglich sechs Personenzüge pro Woche geplant, wurden jetzt nur zwei eingesetzt. Während der Saat- und der Erntezeit kam es zu drastischen Engpässen auf der gesamten Strecke, wenn große Mengen an Dünger beziehungsweise Mais zu befördern waren. Dann aber, Mitte der Achtziger, änderte sich dies zumindest zeitweise. Der Grund waren zwei entscheidende politische Weichenstellungen: Zum einen der Beschluss der tansanischen Regierung, die Wirtschaft zu liberalisieren. Dies führte zur ersten Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds im Jahre 1986. Zum anderen 1985 eine Zusammenkunft von internationalen Gebern im tansanischen Arusha, auf der ein von sieben europäischen Ländern finanziertes Hilfspaket für die Aufrechterhaltung der TAZARA angenommen wurde. China unterstützte Tansania damals ebenfalls mit zusätzlicher Hilfe.
Die ansehnliche Summe von rund 150 Millionen US-Dollar stand zwischen 1987 und 1993 aus dem Topf der TAZARA-Hilfe für die Instandsetzung bereit, von Schienen bis zum Wagenpark. Der Personenverkehr stieg in den neunziger Jahren stetig an. Nutzten Anfang der achtziger Jahre noch weniger als 500.000 Menschen die Bahn, kletterte die Zahl auf 988.000 im Jahre 1990. Der örtliche Güterverkehr in Tansania nahm zwischen 1985 und 1988 ebenfalls um fast 50 Prozent zu, jedenfalls steht dies in den Berichten der Betreiber.
Im Zusammenspiel mit dem verbesserten Service durch die Bahn regte die veränderte Wirtschaftspolitik im Land Neues an: Ländliche Siedlungen sprossen aus dem Boden, und neue Formen des Austauschs zwischen diesen wurden möglich. Als die Eisenbahn Mitte der siebziger Jahre anfing zu rollen, wurden die ländlichen Einwohner des TAZARA-Korridors (wie anderswo in Tansania) in zentralisierten Ujamaa-Dörfern angesiedelt. Den Vertrieb von Agrargütern organisierten hier Dorfgenossenschaften, später staatlich kontrollierte Vertriebsstellen. Diese Beschränkung war mit der Liberalisierung, die die Landwirtschaft etwa 1991 erreichte, zu Ende. Getreide und andere Erzeugnisse konnten die Menschen jetzt frei auf den Märkten handeln. Um zu diesen örtlichen und regionalen Handelsplätzen zu gelangen und ihre Waren auszutauschen, nutzten die Kleinhändler die Bahnlinie. Doch gleichzeitig gingen Beschäftigung und Löhne in anderen Teilen der tansanischen Volkswirtschaft zurück. In der Folge waren immer mehr Menschen auf den informellen Handel angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch sie benutzten die TAZARA, um selbst mobil zu sein und ihre Güter zu transportieren.
In den Maisanbaugebieten im Hochland in der Nähe des TAZARA-Korridors wirkte sich die Liberalisierung anders auf den Lebensunterhalt der Landbevölkerung aus. Grund und Boden waren knapp in Iringa und Njombe. Viele Familien mußten bereits auf Bauernhöfen wirtschaften, die nur wenig abwarfen. Als steigende Preise Düngemittel und andere Güter für sie unerschwinglich machten, gaben diese Bauern die Maiswirtschaft des Hochlands auf und nutzten die TAZARA, um in den Eisenbahnkorridor zu ziehen. Auf den fruchtbaren Böden des Kilombero-Tales konnten sie ohne bedeutende Kapitalinvestitionen nicht nur Mais anbauen, sondern auch Reis und andere Nahrungsmittel. Stefano Ponte hat die Agrar-Handelsketten in Tansania erforscht und aufgezeigt, dass sich Landwirte in ganz Tansania in der Zeit nach der Liberalisierung von solchen Getreidesorten, die langsam wuchsen und hohe Investitionen erforderten, auf »schnelle« Getreidearten verlegten, die sich rasch vom Feld auf den Markt bringen lassen. Das geschah entlang der TAZARA, wo die Landwirte von Mais und anderen Getreidesorten mit niedrigen Preisen und für sie geringen Erlösen und hohem Einsatz auf Marktgemüse und Sorten mit niedrigen Investitionen wie Reis umstiegen.
Jedoch: Der wirtschaftliche Erfolg und die gestiegenen Erträge der TAZARA waren nicht von Dauer. Im Jahre 2001 räumte der tansanische Minister für Kommunikation und Verkehr, Mark Mwandosya, ein, dass die Bahnlinie erneut unter unzureichendem Verkehrsaufkommen, prekären Finanzen und abnehmendem Vertrauen der Kundschaft litt. Dennoch war die Bahn Ende der neunziger Jahre unabdingbar geworden für Händler, Landwirte, Fischer und andere, die inzwischen im Eisenbahnkorridor lebten. Insbesondere der Teil der Strecke zwischen den Städten Mbeya und Kidatu wurde zu einem attraktiven Ziel für Migranten sowohl aus städtischen Gebieten als auch aus dem umgebenden Hochland, wo sich die ländlichen wirtschaftlichen Bedingungen erheblich verschlechtert hatten. Die TAZARA-Vertreter nennen diesen Teil, der durch das Kilombero-Tal führt, inzwischen den »Passagiergürtel«.
Die Eisenbahn hat es Händlern ermöglicht, zu anderen Erzeugnissen überzuwechseln, indem verschiedene Arten von Siedlungen, Märkten und Produktionszonen miteinander verbunden werden. Zwischen Kidatu und Makambako fährt der Zug durch höchst unterschiedliche Landschaften. So bauen die Menschen zum Beispiel in den niedrig gelegenen Überschwemmungsgebieten des Kilombero-Tales Reis an. Im Fluss Kilombero und in seinen zahlreichen Nebenflüssen betreiben sie Fischfang. Im Hochland im Westen hingegen wachsen vor allem Mais, Hirse (zum Brauen von örtlichem Bier geschätzt), Bohnen, die später getrocknet werden, Kartoffeln und eine Vielzahl von Gemüsesorten, die in kühlem Klima gedeihen, wie Zwiebeln und Kohl. Makambako im westlichen Hochland liefert Mais, Hirse, Bohnen und Gemüse an Stationen in niedriger gelegenen Gebieten. Viele der Güter gehen an die stark bevölkerten Überschwemmungsgebiete in Ifakara. Von dort wiederum werden Säcke mit Reis und getrocknetem Fisch nach Makambako zurückgesandt, und auch die leeren Körbe und Kisten, die zum Transport von Gemüse verwendet werden. Händler aus Ifakara transportieren große Mengen von Reis nach Dar es Salaam, dem wichtigsten städtischen Markt für die Reisernte des Tales. Die kleineren Siedlungen zwischen dem Hochland und der Ebene erzeugen ihre je eigenen besonderen Produkte. Mlimba, die letzte Station im Tal vor dem steilen Anstieg nach Westen hin, ist wegen ihrer süßen Orangen bekannt, die in den nahen Vorgebirgen von Masagati wachsen. Weiter Richtung Osten haben sich die Stationen zwischen Mngeta und Idete mit ihrem Angebot an hervorragenden Kochbananen einen Namen gemacht.
Höker verkaufen Dinge des alltäglichen Bedarfs wie Plastikeimer, gebrauchte Kleidungsstücke und Aluminiumkochtöpfe in den kleinsten Stationen und den zuvor abgeschiedensten Dörfern. Sie erwerben ihre Waren auf Kommission von Großhändlern in den größeren Städten und befördern sie dann mit dem Zug aufs Land. Dort hängen sie all ihre Schätze an ein Fahrrad und klappern eine Siedlung nach der anderen ab. Manchmal richten sie Behelfsstände ein oder breiten neben den Dorfmärkten Jutesäcke auf dem Boden aus, um ihr Angebot darauf zu präsentieren. Haben sie genug verkauft, bezahlen sie den Großhändler, behalten einiges für sich und nehmen schließlich den Zug zurück zur Stadt.
Auch Lohnarbeiter entlang der TAZARA-Route sind in den vergangenen Jahren in die Landwirtschaft übergewechselt, und zwar nicht erst nach Eintritt in den Ruhestand, sondern noch während ihres Erwerbslebens und nicht ganz freiwillig. Einer der größten Arbeitgeber des Eisenbahnkorridors ist die Kilombero Sugar Company. Ein Großunternehmen, in den sechziger Jahren gegründet, das über ausgedehnte Zuckerrohrplantagen verfügt, eine Reihe von Verträgen mit Pflanzern und eine große Verarbeitungsfabrik hat. Aufgekauft von südafrikanischen Investoren, entließ das Unternehmen rund 3000 der Beschäftigten nach einem erbitterten Arbeitskonflikt im Juni 2000. Nicht nur diejenigen, die ihren Job verloren hatten, wechselten in die Landwirtschaft, sondern ebenso Arbeitnehmer, die mit Veränderungen an ihrem Arbeitsplatz unzufrieden waren. Ihre Wohnungen in oder bei der Kilombero Sugar Company behielten sie und fahren seitdem mit der Eisenbahn in die ferner gelegenen Anbaugebiete. Viele Familien sind während der Pflanz- und Erntezeit getrennt: Einige Mitglieder bleiben in ihren Wohnungen in der Nähe der Fabrik, andere leben währenddessen in einiger Entfernung nahe ihren Feldern.
Kulturelle und sprachliche Gemeinschaften hat die TAZARA ebenfalls miteinander verbunden. Wenn neue Migranten in den Eisenbahnkorridor kommen, um sich dort niederzulassen, suchen sie sich Orte, an denen sie sich wie zu Hause fühlen Orte, wo sie ihre eigenen bevorzugten Nahrungsmittel in einem Gebiet anbauen können, das ihnen vertraut ist. Entstehen neue Siedlungen, entwickeln die Bewohner ihre eigenen sprachlichen und kulturellen Gemeinschaften, die wiederum weitere Migranten und zusätzlichen Handel anziehen. Nyakyusasprachige Familien aus dem Hochland von Mbeya zum Beispiel haben sich in großer Anzahl in Mngeta und Mbingu niedergelassen, wo sie Bananen und Mais in den Vorgebirgen anbauen und im Kihansi Fischfang betreiben.
In überschaubaren Gebieten hat die Eisenbahn die wirtschaftliche Vielfalt erheblich gefördert. Das zeigen die genannten Veränderungen. Ob diese Art von Vielfalt jedoch schließlich zu einer Stabilisierung der gesamten Volkswirtschaft führen kann der Tansanias oder anderer afrikanischer Nationen in der Region ist bislang nicht deutlich. Auch sind seit Ende der neunziger Jahre wieder einige dunkle Wolken aufgezogen. Spekulationen über die künftige Privatisierung reißen nicht ab, es gab Korruptionsvorwürfe, und ein Klima der Ungewissheit verdüstert die Zukunft der Eisenbahn. Die Menschen, die im TAZARAKorridor leben, sind angewiesen sowohl auf den Fernzug als auch auf den kleinen Pendelzug, kipisi in Anlehnung an piece genannt, der mehrmals in der Woche im Passagiergürtel auf einer Teilstrecke zwischen Makambako und Kidatu verkehrt. Sie leiden darunter, daß Angebot und Service wieder stark nachgelassen haben. Führungskräfte des Gemeinwesens haben sich bei Distriktvertretern und ihren Parlamentsabgeordneten beklagt. Gebracht hat das bisher nichts.
Sorge machen ebenso die Auswirkungen auf die Umwelt, die die sich ausweitenden Siedlungen im TAZARA-Korridor, haben. In den Gebieten der Region, die am dichtesten besiedelt sind, zwischen dem Nationalpark der Udzungwa-Berge und dem Wildpark Selous ist nur noch wenig Land für den Anbau vorhanden. Die ausufernden Siedungen zerfressen das Land. Die Zahl der Pflanzenarten ist in diesem Gebiet erheblich zurückgegangen, ein Ökotop von Weideland fast völlig verschwunden. Und wieder ist es die Bahn, die es den Bauern möglich macht, zu den wenigen, noch nicht erschöpften Landstrichen im Kilombero-Tal zu gelangen und auch diese zu erschließen. Soll die ländliche Entwicklung langfristig Wirkung zeigen, bedarf es einer sehr viel genaueren Planung. Die TAZARA-Eisenbahn mag als eine Erfolgsstory erscheinen. Ungewiss aber sind nicht nur ökologische Fragen, sondern auch, welche Zukunft die Linie hat.
aus: der überblick 04/2005, Seite 34
AUTOR(EN):
Jamie Monson
Jamie Monson ist »Associate Professor of History« mit dem Schwerpunkt afrikanische Geschichte am Carleton College in Northfield, Minnesota (USA) und Mitglied des Wissenschaftskollegs zu Berlin in den Jahren 2004 und 2005. Im Jahr 2001 war sie Carnegie-Stipendiatin. Eine längere Fassung dieses Artikels ist in der »Boston Review« in der Ausgabe Dezember 2004/Januar 2005 erschienen. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.