Ein Kurs für Vikarinnen und Vikare
Was für ein Gesicht! Wie ein Relief. In Falten geworfen, von Furchen durchzogen. Furchen auf der Stirn, den Wangen, dem Kinn. Furchen auf der Nase. Furchen um den Mund. Millimetertief. Überall. "Terra"
heißt die Ausstellung mit Bildern des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado.
"Terra", das heißt Erde, Land.
"Begegnung mit einem anderen Kontext - ein brasilianischer
Gesprächs- und Kulturabend zum Thema Liturgie und Gewalt" ist Programmpunkt des Abends. Für vier Tage sind die zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Vikarsgruppe der Oldenburgischen Landeskirche zu einem
"Ökumene-Kurs" in die Missionsakademie nach Hamburg gekommen. Vier Tage setzen sie sich mit "Impulsen zum ökumenisch-missionarischen und entwicklungsbezogenen Lernen im Dialog mit Kirchen in Übersee" auseinander. "Mission und Ökumene ist eine Querschnittsaufgabe", sagt ihr Ausbilder Enno Konukiewitz, der die vier Frauen und sechs Männer auch in Hamburg begleitet.
von Karin Bräuer
Die Begriffe Partnerschaft, Ökumene, Mission mit Inhalt, mit Leben zu füllen, aber ist Aufgabe von Graciela Chamorro. In Paraguay geboren, kam sie über ein Stipendium im Alter von 17 Jahren nach Brasilien. Dort studierte sie Theologie und Geschichte, promovierte, lernte sie ihren Mann kennen, war sie als Gemeindepastorin und Universitätsdozentin tätig. Seit Herbst vergangenen Jahres arbeitet die 41-jährige als ökumenische Mitarbeiterin in Hamburg. Wie die beiden anderen Studienleiter der Missionsakademie leitet sie, unter anderem, Seminare für Pastoren und Vikare.
Mit Erfahrungen aus dem südamerikanischen Kontext, aus ihrer Wahlheimat Brasilien, gibt Graciela Chamorro der Diskussion der Seminararbeit Impulse. Ruhig, dabei konzentriert begleitet sie den Meinungsaustausch, koordiniert, moderiert, lässt
Pausen des Schweigens zu, gewährt so Freiraum, bringt sich ein. Partnerschaft, so sagt sie zum Beispiel, verstehe sie im Sinne von Bekehrung. Bekehrung wiederum heiße, den anderen kennen zu lernen, Vorurteile abzubauen – auch eigene. Impulse geben auch ihre Kollegen aus Indien und Kamerun, die Graciela Chamorro als Referenten eingeladen hat; das Gespräch mit Stipendiaten der Missionsakademie aus vielen Regionen der Welt; der Erfahrungsaustausch mit Hamburger Pastoren und Ökumene-Beauftragten; die gemeinsam gefeierten Morgenandachten; die zahlreichen Exkursionen zu Einrichtungen und Organisationen, deren Arbeitsalltag exemplarisch für ökumenisch-missionarisches Handeln ist.
Partnerschaft, Ökumene, Mission: "Ich war überrascht und berührt, wie stark ökumenische Arbeit mit Entwicklungshilfe verbunden ist", hatte eine Vikarin zu Beginn des Seminars gesagt. Nach einem Film über Geschichte und aktuelle Schwerpunkte des Ökumenischen Rats der Kirchen tauchen Fragen auf: "Was machen wir, was regen wir an in unseren Gemeinden?" "Haben wir wirklich die ganze Welt im Blick, Frieden, Gerechtigkeit, die Bewahrung der Schöpfung?" "Wächst uns alles über den Kopf? Zu viele Probleme. Zur selben Zeit. Auch bei uns?" "Müsste Kirche in Zeiten der Globalisierung nicht politischer sein?"
Landarbeiter und Kleinbauernfamilien, ihre Flucht vom Land in die Stadt, der Versuch, dort in den übervölkerten Elendsvierteln zu überleben, sind auf den Bildern Sebastião Salgados zu sehen. Sie holen Menschen auf die Bildfläche, für die ein Stück Land ein menschenwürdiges Leben bedeutet. "Terra" dokumentiert die Folgen der ungleichen Verteilung von Landbesitz in Brasilien. Einfach. Entschieden. Schwarz-Weiß.
aus: der überblick 02/2000, Seite 115