"Wir wollten nicht konkurrieren"
Ohne Devisen und auf offizielle Dienstwege verpflichtet war es für die evangelischen Kirchen in der DDR schwierig, Partnerschaften mit tansanischen Kirchen zu pflegen. Aber gerade weil es nicht so sehr ums Geld ging, konnte man offener miteinander reden, sagt der für die Tansania-Patenschaften in der Kirchenprovinz Sachsen zuständige frühere Oberkonsistorialrat Dr. Matthias Sens, heute Propst im Propstsprengel Magdeburg-Halberstadt.
von Matthias Sens
Die Fragen stellte Jürgen Duenbostel
Herr Sens, wie sind zu Zeiten der DDR die engen Verbindungen der evangelischen Kirchen dort mit Kirchen in Tansania zustande gekommen?
Die Ursprünge solcher Partnerschaften liegen in der Vergangenheit der Missionsarbeit lange vor Gründung der DDR. Die Lutherische Kirche in Tansania ist ja Ende des 19. Jahrhunderts durch die Berliner Mission im Süden von Tansania und durch die Leipziger Mission im Norden von Tansania entstanden. Daraus hatte sich ein ständiger Kontakt ergeben, der auch nach Gründung der DDR nie ganz abgerissen ist. In den siebziger Jahren wurden die Kontakte und Patenschaften bewusst wieder aufgenommen. Zuvor hatte es einen Grundsatzbeschluss der Evangelischen Kirche der Union gegeben, die Partnerschaft mit der Lutherischen Kirche im Süden Tansanias besonders der Kirchenprovinz Sachsen zuzuordnen. Wir haben eng mit dem Ökumenisch-Missionarischen Zentrum/Berliner Missionsgesellschaft in Ost-Berlin zusammengearbeitet. Die lutherischen Kirchen in der DDR haben etwa zur gleichen Zeit Partnerschaften zu lutherischen Diözesen im Norden Tansanias entwickelt, in Zusammenarbeit mit der Leipziger Mission.
Was war Ihre persönliche Rolle bei den Tansania-Kontakten?
Als Provinzbeauftragter für Ökumene und Mission bin ich von 1981 an verantwortlich gewesen für die Entwicklung der Partnerschaften zu unseren Partnerdiözesen im Süden Tansanias. Ich entsinne mich noch sehr gut an die erste Gruppe aus Tansania, die im Sommer 1981 unsere Kirche besucht hat. Wir sind mit dieser Delegation durch die verschiedenen Kirchenkreise gefahren und haben Kontakte zu den Gemeinden geknüpft. 1982 ist dann eine für unsere Verhältnisse große Delegation der Kirchenprovinz Sachsen - nämlich vier Personen - in Tansania zu Besuch gewesen.
Wer durfte denn damals überhaupt aus der DDR nach Tansania reisen?
In den achtziger Jahren war die einzige Möglichkeit, direkte Kontakte zu knüpfen, offizielle Einladungen an die Partnerkirchen in Tansania zu schicken, und die schickten dann wiederum offizielle Einladungen an uns. Dann konnten wir einen offiziellen Dienstreise-Antrag an die Behörden der DDR stellen. Alle unsere ökumenischen Kontakte mussten über diese Schiene laufen. Im Prinzip war in jedem Jahr eine Gruppe aus Tansania hier oder eine Gruppe von uns dort.
Wie haben sich die Delegationen aus der DDR bei solchen Besuchen gefühlt, wo doch die westdeutschen Kirchenpartner mit viel größeren Geschenken kommen konnten?
Wir hatten natürlich nicht die Möglichkeit, mit konvertierbarer Währung groüe Projekte zu finanzieren oder die Kirchen zu unterstützen. Aber eine Konkurrenz zu den westdeutschen Kirchen hat es eigentlich nicht gegeben. Uns war von vornherein klar, dass wir finanziell überhaupt nicht mit den Freunden in der Bundesrepublik Deutschland mithalten konnten und wir wollten das auch gar nicht. Wir hatten ja auch nur jeweils eine Besuchergruppe für die gesamte Kirchenprovinz. Über die geringeren finanziellen Möglichkeiten waren wir aber gar nicht so böse, weil wir festgestellt haben, dass es mit uns in Tansania oft zu intensiveren und offeneren Gesprächen gekommen ist, als das mit den Vertretern aus Westdeutschland der Fall war, gerade weil es bei uns nicht ums Geld ging, sondern die Partner mit uns einfach über ihr Leben als Gemeinde sprechen konnten. Wir haben so auf Gemeindeebene viele Partnerschaften knüpfen können. Da sind sehr viele Briefe hin und her gegangen. Und es hat bei uns in der Kirchenprovinz einen Sprachkurs für Swahili gegeben. Wir haben am Sonntag Rogate Fürbitten füreinander ausgetauscht, und dafür sind in die Gemeinden Arbeitsmaterialien geschickt worden.
Gab es auch Projekte der Entwicklungszusammenarbeit?
Die Entwicklungszusammenarbeit ist relativ gering gewesen, weil die Regierung der DDR sehr darauf geachtet hat, dass dies ein eindeutig staatlicher Sektor ist und bleibt. Aber Tansania war für die DDR ja kein Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit, das waren eher Mosambik, Angola und Äthiopienauch aus ökonomischen Gründen. Tansania hatte kaum etwas, was für die Wirtschaft und die Versorgung der Bevölkerung in der DDR von großer Bedeutung gewesen wäre. Interessant waren für uns die Beobachtungen zum Ujamaa-Konzept, dem tansanischen Sozialismus. Das hat uns beeindruckt, aber wir haben auch Kritik daran besonders gut nachvollziehen können, etwa an Entscheidungen über die Menschen hinweg, an der lähmenden Staatsbürokratie, an der fehlenden wirtschaftlichen Dynamik.
Die Kirchen in der DDR haben doch aber Entwicklungshilfe geleistet?
Wir haben als Kirche durchaus einen Entwicklungsbeitrag zu leisten versucht. Wir durften ja nicht größere Geldsummen nach Tansania schicken, weil die Mark der DDR nicht konvertierbar war. Aber wir haben von Anfang an versucht, mit einigen exemplarischen Projekten zum einen der Kirche in Tansania zu helfen, zum anderen dadurch auch in unseren Gemeinden das Bewusstsein zu wecken über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die Fragen der Entwicklung. Das hat Ende der siebziger Jahre angefangen mit einem Projekt "Fahrräder für Tansania". Dabei hat es auch entwicklungspolitische Lernprozesse gegeben, weil die hier gekauften Fahrräder dort zum großen Teil nach einem Jahr kaputt gewesen sind und mangels Ersatzteilen nicht repariert werden konnten.
Sie haben daraus gelernt und konnten es später besser machen?
Ja, bei einem anderen schönen Projekt ist das besser verlaufen: In den frühen achtziger Jahren haben wir gebrauchte Nähmaschinen hier in den Gemeinden gesammelt, reparieren lassen und mit Ersatzteilen versehen nach Tansania gebracht. Das waren etwa 500 Nähmaschinen. In Tansania ist das ja ein bekanntes Bild, wie Leute vor den Häusern an Nähmaschinen arbeiten, und zwar an Nähmaschinen von der Art, die wir dann auch dorthin geschickt haben. Es gibt in Tansania auch ein weites Netz von Mechanikern, die solche Maschinen reparieren können. Das war eine besser angepasste Technologie als viele Dinge, die sonst als Entwicklungshilfe gegeben worden sind. Für die Frauengruppen in den tansanischen Gemeinden war das eine gute Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen, und teilweise konnten die Gemeinden solche Maschinen auch gut verkaufen. In unseren Gemeinden wiederum hat die Aktion ein großes Echo gefunden. Wir haben dabei mit dem Slogan "Nahtstellen unserer Partnerschaft" unseren Gemeinden auch etwas von der Lebenssituation und den wirtschaftlichen Möglichkeiten in Tansania vermitteln können. Ähnlich war es bei einem mehrjährigen Jugendprojekt, durch das Handwerkszeug, an eine Ausbildungsstätte in Tansania geschickt wurde.
Wie hat sich die Wende auf Partnerschaften der Kirchen in der einstigen DDR ausgewirkt?
Die Wende hat uns die Möglichkeit gebracht, dass nun auch aus den Gemeinden unmittelbar Gruppen nach Tansania reisen und Gruppen aus Tansania direkt in die hiesigen Gemeinden eingeladen werden konnten. Das ist auch in einem großen Umfang geschehen. Es läuft inzwischen nicht mehr wesentlich anders als in den Kirchenkreis-Partnerschaften in Westdeutschland. Bei uns sind allerdings eher einzelne Gemeinden oder Gemeindegruppen die Partner. Es gibt beispielsweise mehrere Initiativen von Eltern, die Schulgeld für Kinder tansanischer Familien aufgebracht haben, und zwar bewusst über Partner in Tansania vermittelt, damit die wirklich Bedürftigen solche Unterstützung erfahren. Noch zu DDR-Zeiten begonnen wurde die Entsendung von diakonischen Mitarbeitern nach Tansania. Wir haben nun seit 1990 ständig zwei bis drei Mitarbeiter aus der Kirchenprovinz Sachsen in Tansania.
Gab es, seit die ostdeutschen Kirchen über konvertierbare Währung verfügen konnten, dann auch besondere Wünsche seitens der tansanischen Kirchen?
Natürlich gab es dort sofort nach der Wende die Erwartung, dass wir auch in der Projektförderung mitarbeiten und bei den Zuschüssen zur allgemeinen Unterstützung der Kirchen. Das hatten wir allerdings auch schon zu Zeiten der DDR auf besondere Weise getan. Es hat da eine Art Verrechnungsverabredung über die Evangelische Kirche der Union gegeben: Für bestimmte Mittel, die unsere Kirchen hier in der DDR aufgebracht hatten, wurde ein bestimmtes Äquivalent an die Kirche in Tansania in D-Mark-Beträgen gezahlt. Das wurde verrechnet mit Unterstützungen, die wir als Kirchen der DDR von den westdeutschen Kirchen bekommen haben. Nach der Wende konnten die Summen dann direkt gezahlt und etwas ausgeweitet werden.
Also musste nach der Wende auch mehr über Geld gesprochen werden. Konnte dann noch so offen geredet werden wie früher zu Zeiten der DDR?
Ja, das ist schon etwas anders geworden. Es sind verstärkt Anfragen nach finanzieller Unterstützung gekommen, und die Beziehungen sind davon jetzt auch mehr bestimmt. Aber es ist dann auch bald deutlich geworden, dass die großen finanziellen Möglichkeiten nach wie vor nicht bei uns liegen, sondern eher von den Landeskirchen in Westdeutschland zu erwarten sind.
Kann man sagen, dass die ostdeutschen Kirchen eher echte Partnerschaften statt Patenschaften haben, gerade weil es keine Abhängigkeit von ihrem Geld gegeben hat?
Das könnte man vermuten. Wir haben uns in den achtziger Jahren auch bemüht, das so zu entwickeln. Aber man muss dabei nüchtern sagen: Wenn wir im Rahmen eines Austauschprogramms Mitarbeiter aus Tansania für einen bestimmten Zeitraum in unserer Kirche hier gehabt haben, dann ist das auch damals von uns finanziert worden. Das sind mehr graduelle Unterschiede gewesen. Und nach der Wende wurde gemeinsam mit den Missionswerken in der Zusammenarbeit mit der Kirche in Tansania darauf geachtet, wie dort die Eigenständigkeit entwickelt werden kann. Man muss aber natürlich sehen, dass die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Tansania außerordentlich gering sind. Deshalb ist für die Entwicklungszusammenarbeit auch die Entschuldungskampagne so wichtig. An der haben wir uns auch beteiligt. Schließlich ist Tansania eines der Länder, die unter der Verschuldung ganz besonders zu leiden haben. Man kann ja in den Kontakten mit den Partnerkirchen unmittelbar erleben, welche dramatischen Folgen die Auflagen vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank etwa im Schul- und Gesundheitswesen haben, dass etwa Schulgeld bis hin in die Grundschulen gezahlt werden musste, was früher nicht der Fall gewesen ist.
aus: der überblick 02/2002, Seite 54
AUTOR(EN):
Matthias Sens:
Dr. Matthias Sens war zu DDR-Zeiten als Oberkonsistorialrat in der Kirchenprovinz Sachsen für die Tansania-Patenschaften zuständig. Heute ist er Propst im Propstsprengel Magdeburg-Halberstadt.