Auf dem Weltgipfel in Johannesburg geht es darum, wie Entwicklung weltweit gerecht und umweltschonend gestaltet werden kann
Wie muss man politisch die Weichen stellen, damit weltweit die Armut beseitigt und gleichzeitig die Umwelt vor Zerstörung geschützt wird? Zehn Jahre nach der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro ist es an der Zeit, deren Programm in präzise Arbeitsaufträge umzusetzen. Das ist Aufgabe der Nachfolgekonferenz in Johannesburg Anfang September 2002.
von Barbara Unmüßig
Auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg soll Bilanz gezogen werden, welche Schritte in dieser Richtung seit der im Jahr 1992 in Rio de Janeiro verabschiedeten Agenda 21 getan worden sind und was noch zu tun bleibt. Mehr als 60.000 Gäste aus der Politik und internationalen Organisationen, Wirtschaft, Medien und einer Vielzahl zivilgesellschaftlicher Gruppen werden sich erneut der Frage stellen, wie die Welt mit der Jahrhundertaufgabe umgehen soll, weltweite Armut zu beseitigen und gleichzeitig die Biosphäre und Atmosphäre vor weiterer Zerstörung zu schützen. Rio hat seinerzeit der Erkenntnis zum Durchbruch verholfen, dass das nördliche Wohlstandsmodell nicht auf die gesamte Welt übertragbar ist, sondern sich gerade im Norden die Art zu wirtschaften und zu leben ändern muss.
Inzwischen hat sich gezeigt, dass der bisherige Agenda 21-Prozess und die ratifizierten oder noch in Verhandlung befindlichen Klimaschutz-, Biodiversitäts- und Wüstenschutz-Konventionen nicht ausreichen, um der von der neoliberalen Wirtschaftpolitik vorangetriebenen Globalisierung ökologische Grenzen zu setzen und einen sozialen Rahmen zu geben. Wird der Gipfel in Johannesburg neue Impulse für eine nachhaltige Entwicklung geben?
Allmählich zeigen sich die Konturen der Tagesordnung und Arbeitsweise für Johannesburg. Wichtige Themen wie die sozialen und ökologischen Folgen der Globalisierung oder nicht nachhaltige Produktions- und Konsummuster sollen besprochen werden. Auf der Agenda für Johannesburg werden auch einige Schlüsselsektoren wie Wasser und Energie stehen, die für eine nachhaltig die Umwelt schonende und gleichzeitig armutsüberwindende Politik von besonderer Bedeutung sind. Weil kurz vor der Konferenz noch so wenig konkret und verabschiedungsreif ist, ist aber zu befürchten, dass die bei vielen schon vorhandene UN-Gipfel-Müdigkeit noch zunimmt.
Zwar hat die internationale Staatenwelt insbesondere nach Rio auf die Gefährdung der Umwelt mit einer Vielzahl internationaler Verhandlungen reagiert, aber mit verengtem Blickwinkel. Sie werden nämlich äußerst selektiv und entlang der verschiedensten Macht- und Interessensbündnisse bearbeitet. Mit der Klima- und Biodiversitätskonvention (und weiteren weniger "durchverhandelten" Problemen wie Wasserkrise, Waldverlust und Bodendegradation) haben wir es längst mit Verhandlungen zu tun, deren wirtschafts- und gesellschaftspolitische Dimension mit der anderer sektorspezifischen Umweltabkommen (Naturschutz, Luftreinhaltungspolitik) nicht mehr zu vergleichen sind. In der internationalen Klima- und Biopolitik geht es um internationale Wettbewerbs- und Standortvorteile, um Investitionen und Geschäfte in Milliardenhöhe. Ob in internationalen Verhandlungsprozessen Erfolge oder Misserfolge, Stagnation oder Fortschritt zu verzeichnen sind, hängt von den jeweiligen Konstellationen in mächtigen innergesellschaftlichen und internationalen Verteilungskonflikten sowie von den Machtverhältnissen ab.
Darüber hinaus wird gerade in der Ökologiefrage deutlich wie weit die Positionen der Entwicklungsländer auseinander fallen, selbst wenn sie als Gruppe (G 77) verhandeln, der so unterschiedliche Länder wie Tschad und Singapur angehören. Interessenkonflikte verlaufen längst querbeet zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und zwischen und innerhalb der Entwicklungsländer. Die Interessenlagen zwischen den vom Klimawandel unmittelbar betroffenen Inselstaaten und den Schwellenländern (Emerging Market Economies) - von den OPEC-Ländern und ihrer Obstruktionspolitik bei den Klimaverhandlungen ganz zu schweigen - könnten nicht verschiedener sein.
Die Verhandlungsführer der Regierungen der Entwicklungsländer streben - ebenso wie ihre nördlichen Gegenüber - in den Umweltabkommen und im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) in der Regel nach Wettbewerbsvorteilen für ihre modernen, weltmarktfähigen Sektoren. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Armen, etwa durch gleiche Zugangsrechte zu Ressourcen oder Recht auf sauberes Trinkwasser, steht dabei nur selten im Vordergrund. Die nichtstaatliche indische Umweltorganisation Centre for Science and Environment (CSE), die seit Jahren die internationalen Verhandlungen im Rio-Folgeprozess beobachtet, stellt denn auch fest, dass die Verknüpfung zwischen den Problemen der lokalen Ebene und den globalen Interessen kaum noch gelingt. Sie werfen südlichen Regierungen außerdem vor, dass sie keinerlei Vision präsentiert hätten, wie denn die Probleme gelöst werden könnten. Am Verhandlungstisch haben die Entwicklungsländer zum Beispiel keinerlei Vorschläge für eine alternative Energiepolitik unterbreitet. Im Vorbereitungsprozess für Johannesburg haben sie bislang die Versuche der EU, die Diskussion um eine Globale Energiestrategie auf die Tagesordnung des UN-Gipfels zu setzen, gemeinsam mit der OPEC unterlaufen (vgl. "der überblick" 4/2001 und 2/2001).
Zwar folgen auch die internationalen Umweltverhandlungen dem traditionellen Ungleichgewicht der Macht, und zweifellos haben die Entwicklungsländer weder so viele qualifizierte Diplomaten noch eine Infrastruktur zur Vorbereitung von Verhandlungen wie der Norden. Aber die Bilanz zehn Jahre nach Rio kommt nicht daran vorbei, einzugestehen, dass die Zusammenarbeit zur Überwindung grenzüberschreitender ökologischer Probleme in vielen Fällen ein Wunschbild bleibt. Es gibt eben keinen Konsens darüber, was die verschiedensten Akteure unter dem vielzitierten und in den umweltpolitischen Diskursen hochgehaltene Leitbild der nachhaltigen Entwicklung verstehen und was sie damit erreichen wollen. "Nachhaltigkeit bezeichnet eher ein Konfliktterrain als ein klar definiertes Steuerungsziel", betonen folglich die Politikwissenschaftler Ulrich Brand und Christoph Görg.
Hoffnungen darauf, dass von Johannesburg klare Impulse ausgehen, der Globalisierung ökologische und soziale Grenzen zu setzen, dürften also enttäuscht werden. So wie es derzeit aussieht, wird angesichts der ökologischen und sozialen Fakten nicht nur die Bilanz der letzten zehn Jahre schlecht ausfallen. Es steht sogar zu befürchten, dass von Johannesburg keine Aufbruchstimmung ausgehen wird - vor allem nicht für eine ökologisch und sozial gerechte Gestaltung der Globalisierung. Hierzu fehlt in Nord, Süd, Ost und West eine in weiten Teilen der Gesellschaft geführte politische Auseinandersetzung, und bei der Mehrheit der politischen und wirtschaftlichen Eliten ist auch nicht der Wille vorhanden, zu konkreten Maßnahmen und Umsetzungsschritten zu kommen.
Ohne klare politische Rahmenbedingungen wird es jedoch keine ökologischen Lenkungswirkungen geben. Sichtbare Erfolge lassen sich nur erzielen, wenn erstens Energie und Wasser effizienter genutzt werden. Eine globale Energiestrategie müsste Rahmenbedingungen formulieren, damit die Energiepolitik weltweit nachhaltig ist, also den Klimaschutz berücksichtigt sowie das in zahlreichen UN-Resolutionen anerkannte "Recht auf Entwicklung". Daraus sind dann präzise Forderungen an die sich damit befassenden staatlichen und privatwirtschaftlichen Stellen sowie die multilateralen Finanzinstitutionen und Exportkreditagenturen abzuleiten. Eine solche Strategie wäre die überfällige Ergänzung zur Klimaschutzkonvention und zum Kyoto-Protokoll.
Zweitens sind konkrete Initiativen für eine sozial und ökologisch gerechte Gestaltung der Globalisierung überfällig. Die kontinuierliche Öffnung der Märkte, der Wegfall von zahlreichen Einfuhrbeschränkungen und Ausfuhrregeln haben den weltweiten Handel beschleunigt und damit trotz besseren Technologietransfers zu wachsendem Ressourcenverbrauch und mehr umweltschädlichen Emissionen geführt. Bei aller Innovationsfreudigkeit und allen Technologieverbesserungen gilt auch international, was wir national längst erkannt haben: Energie- und Materialeinsparungen durch Effizienzeffekte werden in vielen Fällen von den Wachstums- und Expansionseffekten wieder aufgezehrt. Wer ökologische und soziale Rahmenbedingungen für die Globalisierung schaffen will, muss die wichtigsten Grundlagen der wirtschaftlichen Globalisierung regeln: die internationalen Finanzmärkte sowie die Handels- und Investitionspolitik. Das heißt unter anderem: Vorrang von Umweltrecht vor Freihandelsrecht, Verankerung des Vorsorge- und Verursacherprinzips als wichtigste Elemente des Umweltrechts und eine internationale Investitionsordnung mit klaren, verbindlichen sozialen und ökologischen Standards für transnational agierende Unternehmen. Wenn der Anspruch ernst gemeint ist, ökologische und soziale Leitplanken für die Globalisierung zu setzen, dann müssen in Johannesburg präzise Arbeitsaufträge vor allem an die WTO, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die internationalen Finanzorganisationen und die zuständigen UN-Gremien formuliert werden.
Drittens sind neue Akzente und Impulse für die internationale Umwelt- und Entwicklungsfinanzierung gefordert. Die Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung im März in Monterrey hat die Diskussion um innovative Finanzierungsinstrumente für eine weltweit zukunftsfähige Entwicklung nicht wirklich beflügelt, geschweige denn konkrete Ergebnisse gebracht. Eine kluge Kombination aus ökologischer Umsteuerung im Norden und der Erschließung neuer Finanzmittel auch für den Finanztransfer in den Süden könnte ein Ausweg sein aus ritualisierten Verhandlungsprozessen ausschließlich um das Ziel, die staatliche Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des jeweiligen Sozialprodukts zu erhöhen. Bewegen müssen sich alle Seiten: Der Norden muss neue Wege in der globalen Umverteilung beschreiten, indem er die Tür zum Beispiel für internationale Abgaben, Steuern oder Nutzungsentgelte öffnet. Die Regierungen der Entwicklungsländer müssen endlich eingestehen, dass nachhaltige Entwicklung nur zu einem Teil aus externen Quellen zu erreichen ist. Selbst eine hinreichende Finanzierung garantiert nicht die Lösung der Probleme; politische Bereitschaft zum Umsteuern muss auch in den Entwicklungsländern verankert sein.
Wichtiges Element einer ökologischen Umsteuerung ist dabei die Internalisierung nationaler und globaler Umweltkosten, das heißt, der Verbrauch von natürlichen Ressourcen, die bislang nicht bezahlt werden, muss sich in Kosten und Preisen widerspiegeln. Dafür sind auch auf der globalen Ebene verschiedene Instrumente wie Abgaben, Zertifikate, aber auch Steuern (etwa eine CO2-Steuer auf Flugbenzin) denkbar und notwendig. Bei globalen Gemeinschaftsgütern wie dem internationalen Luftraum, der hohen See oder der Tiefsee bietet sich die Einführung von Entgelten für deren Nutzung an, wie sie unter anderem der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen der Bundesregierung vorschlägt. Die Entgelte sollten einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Nutzung der Gemeinschaftsgüter und den dadurch bedingten Umweltbeeinträchtigungen erkennen lassen. Gleichzeitig werden damit Finanzmittel aufgebracht, die ökologisch und sozial sinnvoll reinvestiert werden können.
Johannesburg wird nicht die Aufbruchstimmung wie vor zehn Jahren vermitteln können. Gewonnen wäre jedoch schon viel, wenn zu einigen globalen Zukunftsfragen der internationale Diskussionsprozess wieder belebt und konkrete Schritte in Gang gesetzt werden.
aus: der überblick 02/2002, Seite 90
AUTOR(EN):
Barbara Unmüßig :
Barbara Unmüßig ist gemeinsam mit Ralf Fücks Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin.