Miss-bildung im Gesundheitswesen
Nicht nur in reichen Ländern lassen sich Menschen mit medizinischen Mitteln verschönern. Auch in armen Regionen hoffen manche, durch Schönheitsoperationen erfolgreicher zu sein. Und wer den Facharzt nicht bezahlen kann, geht zum Kurpfuscher. Professor Dudu Musway, berichtet aus der medizinischen Praxis in seinem Land, der Demokratische Republik Kongo.
Die Fragen stellten Deborah Odumuyiwa und Jürgen Duenbostel
Beim Stichwort Kongo denken wir hier in Deutschland an extreme Armut, Bürgerkriegsfolgen und Staatszerfall. Spielt das Streben nach Schönheit unter solchen Lebensumständen überhaupt eine Rolle?
Wollen Sie hässlich bleiben, nur weil die Zeiten hart sind? Natürlich wollen auch bei uns Leute Schönheitsoperationen vornehmen lassen, und es werden in jüngster Zeit sogar immer mehr. Trotz verbreiteter Armut gibt es eine Reihe von Menschen, die genug verdienen, um sich das leisten zu können.
Wir unterscheiden die Schönheitschirurgie nach zwei Aspekten: Die eine ist die legale und legitime Schönheitschirurgie, zum Beispiel für Menschen, die einen Unfall gehabt haben oder eine angeborene Missbildung, insbesondere im Gesicht. Dann haben wir als Ärzte die Erlaubnis, für die Schönheit zu tun, was wir können. Zum Beispiel, das Gesicht wiederherzustellen, Segelohren anzulegen oder bei Kindern, die mit einer Hasencharte geboren sind, eine Mundoperation vorzunehmen. Das ist erlaubt und gute Gesichtschirurgie. Ebenso dürfen wir eine Schönheitsoperation an der Brust durchführen, wenn wir zuvor einen Tumor entfernen mussten. Es gibt darüber hinaus Fachärzte, die orthopädische Eingriffe vornehmen dürfen, die zugleich zur Schönheit beitragen.
In jüngster Zeit aber beobachten wir zunehmend, dass es Ärzte gibt, die informell in Privatkliniken Schönheitsoperationen durchführen. Das ist seitens des Staates verboten, ebenso wie Abtreibungen. Viele Patienten, die nicht so viel Geld haben, gehen zu einem Kurpfuscher oder einem Arzt, der mit derartigen Operationen nicht genügend Erfahrung hat. Wir im öffentlichen Krankenhaus müssen das anschließend ausbaden. Die Patienten, bei denen solche Eingriffe misslungen sind, kommen hinterher zu uns in die Universitätsklinik und hoffen, dass wir noch etwas retten können.
Gibt es auch Männer, die sich einer Schönheitsoperation unterziehen wollen?
Schönheit ist bei uns eher ein Konzept für Frauen. Wir haben andere Ansichten bezüglich der Männer. Ein Mann kann aussehen, wie er will: dünn, dick, missgebildet, ohne Zähne. Aber wenn er viel Geld hat, ist er der schönste Mann der Welt. Nur ein paar Playboys - Dandys nennen wir die -, die in der Öffentlichkeit auffallen möchten oder im Fernsehen auftreten, wollen gut aussehen und manchmal eine Schönheitskorrektur vornehmen lassen. Aber die meisten Männer brauchen das nicht. Schönheitschirurgie ist bei uns vor allem eine Sache der Frauen.
Welche Art von Frauen will Schönheitsoperationen machen lassen?
Schönheitschirurgie wird bei uns insbesondere - Entschuldigung - von Prostituierten nachgefragt. Diese verdienen ganz gut Geld und wissen, jetzt wollen die Männer eine schmale Nase, jetzt wollen die Männer schlanke, sportliche Frauen, jetzt wollen die Männer nicht so große Brüste. Dann kommen sie und sagen: Bitte, bitte, ich habe Pech gehabt, können Sie meine Brüste nicht etwas verkleinern? Manche wollen auch aus Verantwortung für ihre Familie mehr als bisher verdienen, und sie glauben, mit ihrem Körper können sie besser verdienen. Sie investieren in ihren Körper wie in ein Geschäft. Er muss sehr schön sein - je nach dem aktuellen Geschmack.
Es wollen doch sicher nicht nur Prostituierte schön sein?
Durchaus nicht. Es kommen auch Frauen von wichtigen Leuten, von Männern, die viel Geld haben. Die haben Angst, dass sich der Mann eine zweite Frau nimmt. Deshalb wollen sie schöner werden. Diese Frauen haben genug Geld und können wenigstens zu guten Ärzten gehen. Aber die ärmeren gehen zu einem Kurpfuscher. Deshalb haben wir an der Uniklinik überlegt: Sollen wir Schönheitsoperationen ganz ablehnen? Dann lassen es die Patienten illegal machen. Oder wir können uns fragen: Was wollen diese Frauen eigentlich wirklich? Und wie kann man in ethisch verantwortlicher Weise darauf eingehen? Wir haben deshalb eine “tradi-moderne” Abteilung für Schönheitswissenschaft an unserer Universitätsklinik eingerichtet. Viele Kundinnen und Kunden wollen eine hellere Haut und benutzen Hautaufheller - besondere Cremes oder Seifen -, die vielleicht Hautkrebs verursachen und die Haut fleckig und gar nicht schön machen. Die meisten Schönheitsmittel sind ja eher gesundheitsschädlich. In der Schönheitsabteilung unserer Klinik verwenden wir unschädliche natürliche, pflanzliche Mittel zur Hautaufhellung. Es muss nicht Chemie und Kosmetik aus Europa sein. Vor allem aber versuchen wir, die Frauen zu überzeugen, dass ihre natürliche, von Gott gegebene dunkle Haut, mit natürlichen Mitteln gepflegt, auch sehr schön sein kann. Wir geben Unterricht in Hautkosmetik, Medizin für Ästhetik und physische Kultur, das heißt, mit welcher Gymnastik Frauen schöner und sportlicher sein können. Wir raten davon ab, es gleich mit Schönheitschirurgie zu versuchen. Etwas ganz anderes sind Korrekturen von Missbildungen und Unfallschäden sowie Therapien oder Operationen, die nicht gesundheitsschädlich sind. So etwas machen wir im Rahmen der Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation und der staatlichen Gesundheitspolitik.
Wie kann man abgrenzen, was eine Missbildung ist, und was nur nicht so schön? Werden da nicht leicht zum Beispiel O-Beine zur Missbildung erklärt, zumal wenn es sich um einen zahlungskräftigen Patienten handelt?
Bei uns in der Universitätsklinik beraten wir in solchem Fall in einer Sitzung mit den Fachärzten, welche Operationen wir machen dürfen und welche nicht. Aber viele Ärzte haben eine unabhängige Privatklinik. Und solche Schönheitschirurgie findet meistens nachts in der Privatklinik statt, wo der Facharzt allein entscheidet. Wir in der Universitätsklinik sind zum Beispiel vorsichtig und korrigieren eine Hasencharte erst im Alter von drei bis fünf Jahren, weil wir die Narkose bei Kleinkindern für zu riskant halten. Aber, wenn die Eltern gut zahlen, operieren viele Ärzte auch Einjährige. Wir merken das daran, dass die Eltern schon mit Einjährigen zu uns kommen, wenn etwas schief gegangen ist.
Wäre es nicht sinnvoller, wenn der Staat auch die bisher verbotenen Schönheitsoperationen legalisierte? Dann könnte er diese wirkungsvoller kontrollieren.
Der Staat sollte neben den schon legalen Korrekturen von Missbildungen nur solche Schönheitsoperationen zulassen, die kein Risiko für die Gesundheit bedeuten. Bei den meisten Schönheitsoperationen ist aber ein Risiko nicht auszuschließen.
Aber bei legalisierten Schönheitsoperationen für zahlungskräftige Kunden könnten die Ärzte doch besser verdienen und dann auch den armen Menschen mit ernsthaften Krankheiten besser helfen.
Ja, das ist traurig, dass die Ärzte im Kongo sehr schlecht verdienen. Unsere ärztliche Ethik verlangt, dass wir Armen wie Reichen gleichermaßen so gut wie möglich helfen müssen. Leider ist das in der Praxis im Kongo selten der Fall, denn es gibt keine Krankenversicherung aber sehr viele Arme im Land, die es sich nicht leisten können, eine Behandlung angemessen zu bezahlen. Deshalb machen manche Ärzte gerne gut honorierte Schönheitsoperationen, auch wenn das verboten ist.
Wie viel verdient ein normaler Arzt im staatlichen Krankenhaus?
Ein Arzt, der mindestens zwei Jahre im Beruf tätig ist, bekommt umgerechnet 100 US-Dollar pro Monat vom Staat. Wenn er viele Operationen gemacht hat, erhält er zusätzlich noch einen privaten Zuschlag von den Patienten. Er kommt dann insgesamt auf 300 bis 400 Dollar. Die jungen Ärzte, die direkt von der Universität kommen, erhalten vom Staat sogar nur zwischen 50 und 70 Dollar. Ich habe vorhin gerade mit Kikwit telefoniert und kann Ihnen ein Geheimnis verraten: Ich habe eine Gehaltserhöhung bekommen. Als Rektor der Medizinischen Hochschule und Chef der Uniklinik erhalte ich jetzt 300 US-Dollar Gehalt vom Staat. Als Aufschlag für meine leitende Position bekomme ich noch einige geringe Prämien.
Glücklicherweise verdiene ich noch etwas in meiner Privatklinik hinzu, und meine Dienstreisen für die Weltgesundheitsorganisation werden von dieser bezahlt. Aber Sie verstehen jetzt vielleicht, dass Ärzte in finanzieller Not in Versuchung geraten, wenn ein gut zahlender Patient eine schmalere Nase haben will, selbst wenn eine solche Operation nicht erlaubt ist. Aber unser Staat hat keine große Macht mehr über die Ärzte und alle Beamten, weil er sie so schlecht bezahlt. Deshalb haben so gut wie alle staatlichen Ärzte noch nebenher eine Privatklinik. Ich auch, aber ich kann als Leiter der Uniklinik in meiner Privatklinik solche Schönheitsoperationen nicht machen, weil ich Vorbild sein muss. Sonst sagen die Studenten: Oh, das widerspricht unserer beruflichen Ethik; und was macht unser ärztlicher Direktor: Er macht auch, was verboten ist.
Wir haben bislang über moderne westliche Schönheitskonzepte gesprochen. Früher, vor der Ankunft von Europäern, hat es doch sicher auch schon eine Art von Schönheitsoperationen gegeben?
Traditionell hat es besonders im westlichen Teil des Kongos, in Bandundu, ein besonderes Schönheitskonzept gegeben. Das galt jeweils nur für bestimmte Volksstämme, etwa Babunda oder Yanzi, die ihre Zähne angespitzt und ihre Haut mit Narben markiert haben. Die Frauen haben Löcher in die Ohren gebohrt für Ohrringe. Das war aber nur selten und nicht so eine verbreitete Mode wie heute. Ein Zeichen von Schönheit ist es auch, einen oberen Schneidezahn zu entfernen, damit man beim Lachen ein Loch sieht. Traditionelle Schönheitsoperationen werden häufig von Scharlatanen vorgenommen, die etwa beim Entfernen eines Schneidezahns die Zahnwurzel beschädigen und Entzündungen verursachen. Wir hatten in unserem Krankenhaus sogar den Fall eines weißen ehemaligen Priesters, der seinen Orden verlassen und eine kongolesische Frau geheiratet hat. Dieser hatte sich ebenfalls einen Schneidezahn entfernen lassen und war dann mit einer solchen Entzündung zu uns gekommen. Die meisten Scharlatane beachten nicht die erforderlichen Sterilisierungsmaßnahmen, und dann gibt es selbst bei einfachen Eingriffen wie Löchern für Ohrringe Infektionen.
Welche Verschönerungen werden sonst noch nachgefragt?
Wir haben Probleme, wenn etwa Frauen zu uns kommen und ein breites Becken haben wollen.
Warum wollen sie denn ein breites Becken haben? Hierzulande wollen die Frauen schlank sein!
Ja, Schönheit ist ein relatives Konzept. Westliche und junge Frauen wollen heute dünn sein. Dicke Frauen haben ja später öfter unter Rheumatismus und Bluthochdruck zu leiden, was auch ein Gesundheitsproblem ist. Aber in der Generation meiner Mutter und auch noch in meiner Generation wollen viele Frauen dicker werden - wir nennen das “Mama von Lomé”. Das sind die Frauen aus Togo, die in den Kongo gekommen und erfolgreiche Marktfrauen geworden sind. Die haben ein breites Becken. Und dann wollten auch die Frauen im Kongo ein breites Becken haben. Das hat etwas mit dem Geschmack der Männer zu tun und vielleicht damit, dass die Lomé-Frauen reich sind und Wohlstand repräsentieren.
Was machen die Frauen im Kongo, damit sie dicker werden?
In der Illegalität bekommen diese Frauen Medikamente, die für Tuberkulosekranke oder Zuckerkranke gedacht sind. In der Hauptstadt Kinshasa gibt es eine Klinik, in der Tuberkulosekranke legal auch Hormone bekommen, damit sie wieder dicker werden. Aber die Frauen kaufen illegal solche Medikamente, um schöner zu werden.
Warum wollen auch heute noch Frauen dicker werden, wenn das westliche moderne Schönheitsbild eher die schlanke Frau ist?
Es gibt auch junge Frauen, die dicker werden möchten, weil sie zum Beispiel von HIV/Aids infiziert sind und das nicht zeigen wollen, oder auch Frauen, die von Natur aus mager sind und nicht als HIV-Infizierte verdächtigt werden wollen. Die nehmen solche Medikamente.
Gibt es auch Patienten, die traditionelle Schönheitsmerkmale rückgängig machen lassen wollen, weil sie sich jetzt an modernen westlichen Schönheitskonzepten orientieren?
Das ist eine Tendenz der schon etwas jüngeren Generation, die das alte Schönheitskonzept verwerfen und beispielsweise bereits angespitzte Zähne wieder in ihrer ursprünglichen Form unversehrt haben wollen. Dafür ist es natürlich zu spät. Aber in solchen Fällen ziehen wir die Zähne und machen eine Prothese. Das kostet aber viel Geld, nicht unter 500 US-Dollar. Bei den Menschen aus Ghana gibt es traditionelle Narben-Markierungen - wie auch in meinem eigenen Volksstamm, den Yanzi von Kikwit. Aber die jüngeren Generationen sagen dazu nein, sie wollen westliche Schönheit und eine hellere Haut haben...
...und wenn die hell genug ist, vielleicht Tätowierungen?
Ja, vielleicht. Schönheit ist, wie gesagt, relativ.
Prof. Dudu Musway hat 1997 an der Universität Hamburg in Tropenmedizin promoviert. 1998 begann er als Associated Professor an der Universität von Kikwit in der Demokratischen Republik Kongo und arbeitete daneben bis 2001 als Visiting Professor an der Universität von Natal in Durban, Südafrika. Seit 2002 ist er Rektor der Medizinischen Hochschule (ISSS-CR) und Direktor der Universitätsklinik (“Science et Vie”) in Kikwit sowie Präsident des Roten Kreuzes von Bandundu-Kikwit. |
aus: der überblick 04/2004, Seite 70