"UNITA tötet, MPLA stiehlt". Die Menschen Angolas haben sich über die kriegführenden Parteien ihres Landes keine Illusionen gemacht. Nach dem Tod des Anführers der Rebellenbewegung UNITA, Jonas Savimbi, im Februar 2002, war der Krieg bald zu Ende. Nach mehr als vier Jahrzehnten gewalttätiger Auseinandersetzungen kommt der Wiederaufbau jedoch nur schleppend voran. Journalisten, die das Land besucht haben, berichten, dass keiner der beiden ehemaligen Kriegsgegner daran so recht interessiert ist. Die Führer der UNITA warten darauf, am Tisch der staatlichen Pfründenwirtschaft Platz nehmen zu können, die Regierung interessiert sich kaum mehr für das Volk als bisher. Es soll in absehbarer Zeit Wahlen geben, verspricht die Regierung, will sie aber wohl erst abhalten, wenn frisches Geld in der Kasse ist. Damit will sie die UNITA, die bei den letzten Wahlen im September 1992 immerhin 40,1 Prozent (Präsidentschaft) beziehungsweise 34 Prozent (Parlament) der Stimmen erhalten hatte, auch im Frieden an die Wand drängen.
Die Angolaner werden es also weiter mit einer diebischen Regierung zu tun haben. Was und wie diese stiehlt, beschäftigt seit einigen Jahren auch ausländische Institutionen: den Internationalen Währungsfonds, der sich seit einiger Zeit bemüht, Transparenz über die Einnahmen des angolanischen Staates herzustellen, die Finanziers der humanitären Hilfe, die sich fragen, warum sie Geld für etwas zur Verfügung stellen sollen, was Angola selbst bezahlen könnte, und nichtstaatliche Organisationen (NGOs) wie Human Rights Watch und Global Witness, die Menschenrechtsverletzungen dokumentieren beziehungsweise kriminellen Geschäften auf der Spur sind.
Die armen Angolaner leben in einem reichen Land. Es verfügt über Öl, viel Öl: Die Förderung soll sich bereits in den nächsten Jahren von 900 000 Fass pro Tag (2002) auf 2 Millionen mehr als verdoppeln. Zu Angola gehören die reichsten Tiefseeölfelder der Region, die Reserven sollen größer sein als die Kuwaits. Mehr als 40 Prozent der derzeitigen Förderung werden an die USA verkauft. Die weiteren Aussichten sind günstig, nicht nur, weil Öl ohnehin der Schmierstoff der Weltwirtschaft ist, sondern auch, weil die USA den Anteil Afrikas an ihren Ölimporten deutlich steigern wollen.
Über Konzessionen und Steuern fließt so Geld in die Staatskasse; auch zukünftige Lieferungen hat sich die Regierung immer wieder vorab bezahlen lassen. Insgesamt also keine schlechte finanzielle Ausgangslage für die herrschende MPLA. Ihre Kriegsanstrengungen, also den Machterhalt, hat sie davon gut bezahlen können, und ihre führenden Vertreter mussten auch nicht darben. Für die Versorgung der Bevölkerung war in den Zeiten des Krieges ihrer Meinung nach ohnehin überwiegend die internationale Gemeinschaft zuständig. Darüber hat sich, unter anderem, der UN-Sonderberichterstatter für Binnenflüchtlinge, Francis Deng, heftig beklagt.
Doch mit Entscheidungen über die im Budget sichtbaren Beträge wollten sich die Damen und Herren im Futungo de Belas, dem Präsidentensitz, und seiner Umgebung nicht zufrieden geben. Es wurde zusätzlich eine Menge Geld an der Nationalbank und am Finanzministerium vorbeigeleitet. Nach Angaben von Human Rights Watch* vom Januar dieses Jahres sind zwischen 1997 und 2002 insgesamt 4,22 Milliarden US-Dollar an staatlichen Öleinnahmen verschwunden. Der nicht auffindbare Betrag entspricht praktisch den gesamten Ausgaben für soziale Aufgaben im gleichen Zeitraum, einschließlich den von der internationalen Gemeinschaft finanzierten. Mit anderen Worten: Was Angola unter Hinweis auf die Not im Lande vom Ausland verlangt, könnte es locker selbst bezahlen. Und: Es ist auffällig, dass im ausgesprochen armen Angola einige Leute sehr reich sind. Nach Recherchen der Economist Intelligence Unit gibt es 39 Individuen, die mindestens 50 Millionen US-Dollar besitzen, und weitere 20 mit mehr als 100 Millionen. Sechs der sieben reichsten Personen sind Vertreter des Staates, der siebte ist ein ehemaliger Staatsdiener.
So haarsträubend die Kluft zwischen Arm und Reich und das Missmanagement öffentlicher Gelder in Angola auch sind: Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Ölreichtum sich nicht in wirtschaftlichem und politischem Fortschritt niederschlägt. Das Vorhandensein von Öl scheint das, was man heute nachhaltige Entwicklung nennt, geradezu unmöglich zu machen.
Selbst im engeren wirtschaftlichen Sinn ist Ölreichtum problematisch. In Angola sind Staat (bis zu 90 Prozent der Einnahmen) und Wirtschaft (über 60 Prozent des Bruttosozialprodukts) vom Öl und damit auch von dessen Preisschwankungen abhängig. Zugleich verführt das schwarze Gold dazu, alle anderen Sektoren der Wirtschaft zu vernachlässigen. Die Ölförderung findet zudem in einer geographischen, wirtschaftlichen und sozialen Enklave statt; gerade mal 10.000 Angolaner sind in ihr beschäftigt.
Die Folgen dieser Wirtschaftsweise hat die Weltbank schon 1993 so beschrieben: "Angola hat den Reichtum zukünftiger Generationen verbraucht. Die verfolgte Politik hat den Missbrauch von Einnahmen aus nicht erneuerbaren Ressourcen (Öl und Diamanten) für nicht entwicklungsorientierte Aktivitäten begünstigt. Der überwiegende Teil der öffentlichen Einnahmen finanziert einen aufgeblähten öffentlichen Dienst, Konsum und Militärausgaben, statt in langfristiges Wachstum zu investieren."
Die Menschen Angolas haben von dem Ölreichtum nichts gehabt: Sie sind - auch verglichen mit anderen Entwicklungsländern - in jeder Hinsicht arm dran. Für den größten Ölproduzenten Afrikas, Nigeria, ist die Bilanz nicht besser: Die Nigerianer sind in 40 Jahren Ölförderung pro Kopf immer ärmer geworden. Natürlich gibt es jeweils spezifische Umstände und Ausnahmen, aber insgesamt lässt sich sagen, dass die stark vom Ölexport abhängigen Entwicklungsländer bei verschiedenen wirtschaftlichen Indikatoren hinter den nicht erdölexportierenden Staaten der Dritten Welt zurückgeblieben sind.
Dieses Paradox (Paradox of Plenty hat der amerikanische Professor Terry Lynn Karl diesen Effekt benannt) hat jedoch noch weitere Folgen: Die vom Ölexport abhängigen Entwicklungsländer haben sich häufig zu nicht nur wirtschaftlich problematischen, sondern auch zu autoritären oder gar von (bewaffneten) Konflikten geplagten Staaten entwickelt.
Warum auf natürlicher Ressourcenausstattung beruhender, also unverdienter Reichtum sowohl wirtschaftliche Entwicklung als auch politische Modernisierung behindert oder sich gar als Fluch erweist, beantwortet Fareed Zakaria in seinem viel beachteten Buch "The Future of Democracy"so: "Regierungen mit Schätzen in ihrem Boden haben es zu leicht ... Einkommen aus Mineralien- oder Ölverkäufen lassen sie fett werden, und sie müssen sich nicht der weitaus schwierigeren Aufgabe stellen, mit Gesetzen und Institutionen Rahmenbedingungen zu setzen, die nationalen Reichtum schaffen ... Das unverdiente Einkommen befreit die Regierung von der Notwendigkeit, ihr Volk zu besteuern - und ihm im Gegenzug etwas zu bieten wie Rechenschaftslegung, Transparenz und sogar Repräsentation."
Was bedeutet diese negative Bilanz des Ölreichtums unterentwickelter Länder für den derzeitigen Aufstieg Afrikas im internationalen Ölgeschäft? Die US-amerikanische Hilfsorganisation Catholic Relief Services hat in Zusammenarbeit mit Terry Lynn Karl eine Studie** dazu veröffentlicht. Afrika werde in den nächsten Jahren viele Investitionen anziehen, die Regierungen der ölfördernden Länder könnten mit hohen Einnahmen rechnen. Dass diese keine oder eine negative Entwicklung auslösen, sei keineswegs unvermeidlich. Wenn das Management der Öleinnahmen auf Transparenz, Rechenschaft und Fairness gegründet werde, könnten Petrodollars den Menschen der ölexportierenden Länder durchaus Nutzen bringen.
Die größte Verantwortung dafür tragen die afrikanischen Staaten selbst, aber es gibt auch eine Reihe wichtiger und mächtiger anderer Akteure: die ausländischen Ölgesellschaften, die internationalen Finanzinstitutionen, die Regierungen der Länder, in denen die Konzerne residieren, und die NGOs in Afrika und im Norden. Selbst wenn sie alle sich dieser Aufgabe stellen - und daran gibt es bei Ölgesellschaften und manchen ölimportierenden Nationen berechtigte Zweifel -, ist ein Erfolg keineswegs sicher. Die Aufgabe ist wahrhaft riesig und mit jeder Menge Risiken verbunden. Das zeigt allein das Beispiel des Tschad, wo derzeit versucht wird - durchaus durchdacht und mit einem auf dem Papier überzeugenden Schlüssel für den Umgang mit den Öleinnahmen -, das schnelle Geld für so etwas wie Entwicklung zu nutzen. Das Zeitfenster dafür ist relativ kurz, und das Dilemma, dass sich Kapazitäten für "gute Regierungsführung" nicht so schnell aus dem Boden stampfen lassen wie Pipelines verlegt werden können, ist offensichtlich. Der Vertreter der Weltbank vor Ort, Jérôme Chevalier, hat der amerikanischen Journalistin Somini Sengupta anvertraut, dass er nachts schlecht schläft: "Alles kann schiefgehen".
Der neue Öl-Staat Tschad war gegenüber der Weltbank, die in dieses innovative, aber riskante Unterfangen viel investiert hat, in einer schwachen Position. Angola aber ist derzeit verdammt gut im Geschäft. Auch nur teilweise Transparenz herzustellen, ist da schwer. Die Regierung war bisher nur dann zu einem gewissen Entgegenkommen gegenüber dem IWF bereit, wenn sie gerade eine Krise zu bewältigen hatte; ob der Weltbank und ihren Reformvorstellungen mehr Erfolg beschieden sein wird, ist zweifelhaft.
An der - freiwilligen - Extractive Industries Transparency Initiative, die Tony Blair auf dem Weltgipfel in Johannesburg im September 2002 lanciert hat, will sich Angola erklärtermaßen nicht beteiligen. Auf die Ankündigung von BP, seine Zahlungen offenzulegen, hat Angola so heftig reagiert, dass alle anderen Firmen schnell erklärt haben, diesem Beispiel nicht folgen zu wollen. Die von NGOs getragene Publish what you Pay Campaign möchte deshalb börsennotierte Unternehmen, die Rohstoffe fördern, verpflichten, ihre Zahlungen an Regierungen zu veröffentlichen. Das würde es Angola erschweren, eine Firma gegen die andere auszuspielen.
Zum Jahreswechsel 2003/2004 hatte nur noch ein reicher Privatmann ein Eisen im angolanischen Feuer: George Soros und sein Open Society Institute. Im Oktober 2003 handelte er mit der angolanischen Regierung einen Vertrag für mehr Transparenz aus, dessen Unterzeichnung diese jedoch hinauszögert. Ob der Vertrag unterzeichnet wird, ist eine Sache, ob er dann auch eingehalten wird, eine andere. Die Anstrengungen aber müssen fortgesetzt werden, denn das Volk von Angola verdient eine Regierung, die nicht stiehlt.
**Some Transparency, No Accountability. The Use of Oil Revenue in Angola and its Impact on Human Rights, New York January 2004
**Bottom of the Barrel. Africa's Oil Boom and the Poor, Baltimore 2003
Renate Wilke-Launer ist Chrefredakteurin des überblick.