Der Streit ums Trinkwasser steckt in einer Sackgasse
Wasser ist Grundlage allen Lebens und der Schlüssel für Entwicklung. Doch während die Vereinten Nationen vor einer globalen Wasserkrise warnen, führen nicht-staatliche Organisationen und Weltbank einen unproduktiven Streit um das Für und Wider der Privatisierung der Wasserversorgung. Die Investoren ziehen derweil eigene Schlüsse aus ihren Erfahrungen in der Dritten Welt und zeigen weit weniger Interesse als die Privatisierungsbefürworter hoffen und deren Gegner befürchten.
von Ralf Südhoff
Es kommt nicht häufig vor auf der Berliner Politik-Bühne der salbungsvollen Statements und der vorgestanzten Sprechzettel, dass ein geladener Redner genervt zu Protokoll gibt, wie absurd er die ganze Debatte findet. Schon gar nicht, wenn der Gast ein international renommierter Experte in Schlips und Kragen ist, doch auf dem jüngsten »Entwicklungspolitischen Forum« von Heinrich-Böll-Stiftung und »Brot für die Welt« in Berlin ließ der Mexikaner Asit Biswas Etikette irgendwann Etikette sein. Lange hatte er schweigend auf dem Podium gesessen, dann brach es aus ihm heraus: »This is a dialogue of the deaf!« Dies ist ein Dialog der Tauben!
Mit einer zweitägigen Wasserkonferenz hatten die beiden Veranstalter die derzeit wohl brisanteste Frage der Debatten um Entwicklung aufgegriffen: 6000 Kinder sterben täglich in Entwicklungsländern, nur weil sie Wasser getrunken haben, das krank macht. Millionen Menschen erkranken jedes Jahr an Infektionskranken, weil sie kein einwandfreies Trinkwasser haben. Wassermangel ist eine der wichtigsten Blockaden in vielen Ländern für die überfällige Modernisierung der Landwirtschaft oder eine nachhaltige Industrialisierung. Würde die Wasserfrage gelöst, könnte selbst Afrika bei der »wirtschaftlichen Entwicklung und der Verringerung von Armut geradezu astronomische Fortschritte machen«, so die United Nations Economic Commission for Africa (ECA).
Gerade weil der mehrfach ausgezeichnete Experte Biswas um diese Bedeutung der Wasserfrage weiß, polterte das drahtige Energiebündel vom Podium nur so auf die rund 250 Zuhörer herunter. Und einmal in Fahrt gekommen, arbeitete sich Biswas nicht weiter an dem Berliner Podium ab, sondern nahm gleich die Wasserdebatte rund um den Globus aufs Korn. Diesen »Dialog der Tauben« beschrieb Biswas wie folgt: Alle streiten sich nur um das Thema Privatisierung, keiner hört dabei dem Anderen zu und am Ende löst keiner das Problem.
Um diese Klage zu verstehen, muss man zunächst zurück blicken. Bis in die 1980er Jahre hinein galt Wasserversorgung fast überall als öffentliche Aufgabe. Das war Ausnahmen wie der Wasserversorgung in Frankreich zum Trotz fast ein Naturgesetz. Anfang der 90er Jahre breitet sich jedoch im Wassersektor eine Privatisierungseuphorie aus. Diese erklärt sich aus teils desaströsen Leistungen öffentlicher Wasserversorger, aus einer Investitionslücke in der Wasserversorgung von je nach Schätzung zwischen 15 und 100 Milliarden US-Dollar im Jahr sowie dem Vormarsch marktorientierter Politikansätze. Sie wird von Akteuren wie Weltbank und IWF sowie den französischen Wasser-Konzernen vorangetrieben, von der breiteren Öffentlichkeit aber ignoriert.
Ende der 90er Jahre werden dann die ersten Erfahrungen mit Privatsektorbeteiligungen bekannt, darunter spektakuläre Fehlschläge. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Öffentlichkeit greifen das Thema auf, das politisch bald eine neue Dimension gewinnt: Im Rahmen der laufenden »Welthandelsrunde« der WTO schlägt die Europäische Union (EU) eine Liberalisierung der Wassermärkte in Entwicklungsländern vor.
Nun schlägt das Pendel zurück: Eine Protestwelle gegen die »Kommerzialisierung« von Wasser schwappt von den Metropolen des Südens bis in den Norden hinauf, wo ebenfalls manche Städte (u.a. Berlin) ihre Wasserwerke teilprivatisieren. NGOs wie Attac und »Brot für die Welt« starten Kampagnen für das »Menschenrecht Wasser«, ein Buch über »Das Blaue Gold«, in dem die Autoren gegen den »Raubzug der Konzerne« wettern, wird zum internationalen Bestseller und zur »neuen Bibel der Globalisierungskritiker« (Die ZEIT). Die Wasser-Diskussion wird zur Stellvertreter-Debatte über die Globalisierung an sich.
Die NGOs erwerben sich in dieser Zeit große Verdienste: Sie tragen entscheidend dazu bei, dass die Wasser-Debatte ansatzweise die Beachtung gewinnt, die das Schlüsselthema verdient. Die internationale Staatengemeinschaft will etwas dagegen tun, dass über eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und es 2,6 Milliarden Menschen an einfachsten sanitären Einrichtungen mangelt, und verspricht im Rahmen der Millenium Development Goals, beide Zahlen bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Die Vereinten Nationen wollen das Thema in einer »Wasser-Dekade« (Beginn: März 2005) weltweit ins Bewusstsein der Menschen rücken. Und in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit steht Wasser ebenfalls oben auf der Agenda. Die Öffentlichkeit ist alarmiert.
Doch es gibt bisher nur wenig Fortschritte und vieles spricht dafür, dass dies auch in der Art und Weise der Wasserdebatte selbst begründet ist. Nicht nur für Praktiker wie Asit Biswas hat sie sich zu einem bloßen Stellvertreter-Streit von Liberalisierungsbefürwortern einerseits und Globalisierungsgegnern andererseits entwickelt. In diesem »Privatisierungs-Diskurs« werden die Erfolge durch Privatsektorbeteiligungen im Wassersektor nicht analysiert, sondern entweder geleugnet oder maßlos überschätzt. Die entscheidenden Fragen gehen so in der rhetorischen Wasserschlacht unter.
Wer die Wasser-Debatte der Privatisierungskritiker verfolgt, kann den Eindruck gewinnen: Cochabamba ist überall. Der Fall der bolivianischen Stadt, aus der sich der Investor Bechtel nach massiven Preiserhöhungen und ebenso massiven Protesten im Jahr 2000 zurückziehen musste, war Wasser auf die Mühlen der Globalisierungskritiker. Das Symbol Cochabamba dominiert seitdem die Wasserdebatte. Das hat zur Folge, dass nicht nur die positiven Beispiele einer Privatsektorbeteiligung fast vollständig negiert werden, sondern auch auf der Straße »Siege« errungen werden, welche die Wasserversorgung gefährden, wie das gerade in der bolivianischen Hauptstadt La Paz der Fall ist (siehe Kasten). Dabei stellen solche Gegenbeispiele viele Mythen in frage, von denen der Privatisierungsdiskurs seit Jahren lebt.
Erster Mythos: Eine private Wasserversorgung geht stets zu Lasten der Armen. Im Kern geht es hier um die Angst vor dem Trade-off zwischen Efficiency und Equity im Zuge von Liberalisierungen: Eine an betriebswirtschaftlichen Effizienz-Kriterien ausgerichtete Reform gehe unweigerlich auf Kosten der Gleichheit des Wasserzugangs für mittellose, anders ausgedrückt: nicht oder nur wenig profitable Kunden. Dies ist in dieser Grundsätzlichkeit eine unsinnige Behauptung, weil die Überwindung eines schlecht arbeitenden öffentlichen Wasserversorger an sich schon gewaltige Effizienzgewinne verspricht: Werden die zum Teil erheblichen Wasserverluste durch Lecks vermindert oder aufgeblähte Belegschaften reduziert, kann ohne Änderung der sozialen Kriterien eine weit rentablere Versorgung aufgebaut werden, wie die Fälle Cartagena (Kolumbien) oder Kampala (Uganda) beweisen. Die entscheidende Frage ist, ob es gelingt, diese Effizienz-Gewinne in Equity-Gewinne (Investitionen in Neuanschlüsse, Sozialtarife) umzuwandeln die Kernfrage der Regulierung.
Zweiter Mythos: Eine armutsorientierte Regulierung des Wassersektors ist nicht möglich. Investoren seien stets in der stärkeren Position, da sie als Wasserversorger ein »natürliches Monopol« besitzen, so die These. Hier wird zweierlei oft übersehen: Zum einen hat die Starrheit des Wassermarktes auch für die öffentliche Seite Vorteile. Wasserversorgung ist kein mobiles Gut, das wie etwa Strom quasi überall hergestellt und geliefert werden kann; Wasser-Investoren erwerben auch keinen Zugriff auf das öffentliche Gut an sich (ein ebenfalls gern gepflegter Mythos), sondern eine Lizenz, es zu vertreiben. Ein privater Wasserversorger hat daher im Kern nur ein maximales Druckmittel: Er kann das Geschäft aufgeben, was mit erheblichen Kosten und juristischen Auseinandersetzungen verbunden wäre. Zum anderen litten viele Fälle einer unbefriedigenden Regulierung von Investoren weniger an per se mangelnden Spielräumen für die Regulierer als an deren falschen Prioritäten (siehe Kasten zur Regulierung).
Dritter Mythos: Eine armutsorientierte und eine kostendeckende Wasserversorgung sind unvereinbar. Gerade ein Privatunternehmen, das eine Rendite erwartet, werde unweigerlich inakzeptable Wasserpreise erheben, so die These. Hier stellt sich erstens die Frage nach dem Maßstab: Privatsektorbeteiligungen gehen vielfach tatsächlich mit Preiserhöhungen einher. Gerade in Entwicklungsländern mit schlechter Versorgung war Wasser zuvor fast umsonst allerdings nur für die Mittel- und Oberschicht, die öffentliche Versorger oft allein bedienen. Für sozial Schwache, die durch private Neuanschlüsse nicht mehr auf fliegende Händler angewiesen sind, wird Wasser dagegen vielfach dramatisch günstiger. Wer privat erhobene Wasserpreise beurteilt, sollte deshalb etwaige soziale Staffelungen der Preise berücksichtigen und überdies verallgemeinerbare Maßstäbe anlegen. Hier können Prinzipien weiterhelfen wie der Grundsatz, niemand solle mehr als zwei Prozent seines Einkommens für Wasser bezahlen müssen.
Gerade aus ökologischen Gründen ist zugleich unbestreitbar: Wasser muss ein Menschenrecht sein, aber eines, das einen Preis hat. Und die Forderung nach dem Menschenrecht »Wasser« beantwortet noch nicht die Frage, welcher Versorger das Recht am besten durchsetzen kann.
Die Mythenbildung in der Wasserdebatte hat auf der anderen Seite auch mächtige internationale Organisationen wie Weltbank und Internationalen Währungsfonds (IWF) erfasst. So wurde der Privatsektor grotesk überschätzt. Die Finanzierungslücke im Wassersektor von bis zu 100 Milliarden US-Dollar sollte mit seiner Hilfe geschlossen werden tatsächlich beliefen sich die privaten Wasser-Investitionen in Entwicklungsländern zuletzt auf rund 700 Millionen US-Dollar im Jahr.
Weil die nötigen politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vielfach fehlen, machen die Konzerne die zudem teils drastische anderweitige Finanzprobleme haben heute einen großen Bogen um die Entwicklungsländer insbesondere Afrikas und Asiens. Damit können zugleich alle Raubzug-Szenarien der Kritiker von der Jagd nach dem »Blauen Gold« relativiert werden, wie Wasserexperte Asit Biswas bestätigt: »Selbst weit reichende Szenarien gehen maximal von einer Steigerung des privaten Anteils an der weltweiten Wasserversorgung auf 15 Prozent bis zum Jahr 2015 aus«. Heute liegt der Anteil je nach Berechnung zwischen fünf und zehn Prozent.
Die Überschätzung des privaten Potenzials im Wassersektor hatte schwer wiegende Folgen: Weltbank und Währungsfonds haben Privatsektorbeteiligungen vielfach zum Dogma und zur Bedingung ihrer Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern erhoben und die Frage nach den jeweiligen Voraussetzungen so vernachlässigt, dass beide Institutionen nicht von einer Mitschuld an Fehlschlägen freizusprechen sind. Die zuständige Vizepräsidentin der Weltbank, Nemat Shafik, räumte 2003 den fundamentalen Irrtum ein: »Wir haben jetzt verstanden, dass es nicht ausreicht, sich auf den Privatsektor zu verlassen.«
So haben Weltbank und Währungsfonds das ihre zum »Dialog der Tauben« beigetragen, und sie tun es teils noch heute. Noch mag die Weltbank nicht von manch anderem Mythos lassen, etwa dem einer grundsätzlichen Kostendeckung. Was für Metropolen ein vernünftiges Ziel sein kann, ist in ländlichen Programmen vielfach Illusion. Selbst in Deutschland, wo mit die höchsten Wassertarife in Europa verlangt werden, ist es nicht möglich, die Kosten des Netzes überall zu refinanzieren.
Weltbank oder auch die EU haben erste Konsequenzen gezogen. So legt der bereits 2003 verabschiedete neue »Infrastrukturplan« der Weltbank, dem kritische interne Berichte vorausgingen, eine krasse Kurskorrektur u.a. der Wasserpolitik fest, die sich auch an einzelnen Vorhaben festmachen lässt; die EU wird die im Rahmen ihrer Water Initiative bereit gestellten Mittel (eine Milliarde Euro) keineswegs nur für Privatsektorbeteiligungen verwenden, wie von vielen NGOs angeprangert; und inoffiziell geht kaum ein Beobachter noch davon aus, dass die EU ihre Liberalisierungsforderungen im Rahmen der WTO-Verhandlungen noch durchdrücken wird. Richtig ist gleichwohl: Die genannten Akteure halten an Privatsektorbeteiligungen als einer Option fest.
Die NGOs aber führen ihre »Privatisierungsdebatte« unbeirrt weiter. Wer trotz aller genannten Gründe weiter daran festhält, dass jede Privatisierung schädlich oder gar unmenschlich ist, verhält sich jedoch nicht weniger dogmatisch, wie er es seinem Gegenüber lange mit Recht vorwarf. So kommt beispielsweise das »Wasser-Netzwerk« der deutschen NGOs noch auf seinem jüngsten Treffen im Januar dieses Jahres zu folgendem uneingeschränkten Konsens: »Alle Beteiligten waren sich darin einig, dass sowohl in Deutschland und in der EU wie auch im globalen Kontext eine weitere Privatisierung der Wasserversorgung gestoppt werden müsse.«
Solcher Dogmatismus hat Folgen: Beim Thema »Wasser« sind wie bei allen Themen politische Ressourcen und öffentliche Aufmerksamkeit begrenzt. Es macht einen Unterschied, ob sich die Beteiligten weiter auf dem Privatisierungs-Schlachtfeld tummeln oder eine Debatte über den richtigen Optionenmix beginnen. Wird die Wasser-Frage als abstrakte Grundsatzdebatte abgehandelt, lassen sich quasi alle genannten Argumente gegen die »Privatisierer« postwendend gegen die »Etatisten« ins Feld führen und umgekehrt. Weit ertragreicher wäre es, ein paar entscheidende Fragen zu klären, auf die kaum ein Akteur bislang durchdachte Antworten zu geben weiß.
NGOs fordern vielfach, in der Wasserversorgung auf partizipative Modelle wie Kooperativen und Genossenschaften zu setzen; doch wann trägt ein solcher Ansatz wie weit? Städte mit entsprechender Vorgeschichte wie das brasilianische Porto Alegre bieten die nötigen Voraussetzungen, wann aber droht eine emanzipatorische Überfrachtung, die das eigentliche Ziel »Wasserversorgung« eher gefährdet?
»Kulturell angepasste, kleinteilige Lösungen« seien technisch aufwändigen Projekten (Großnetz, Klärwerke etc.) vielfach vorzuziehen, fordert etwa die Inderin Vandana Shiva, insbesondere in ländlichen Gebieten. In welcher Form und inwieweit sind solch kleinteilige Lösungen aber anwendbar in den Metropolen und Wirtschaftszentren der Länder?
Wo auf eine gewisse Good-Governance-Kultur zurückgegriffen werden kann, können sowohl öffentlich als auch privatwirtschaftlich orientierte Reformen erfolgsversprechend sein. Dies ist aber gerade in den Problemregionen nicht der Fall, weshalb man mit entsprechenden Kriterien jeden Einzelfall untersuchen muss: Welcher institutionellen Voraussetzungen bedarf es, um einen Staatsversorger mit ökonomischen Anreizen in Bewegung zu setzen? Wann ist es erfolgsversprechender, mit einer Regulierungsbehörde eine neue Institution zu etablieren? Wonach ist vorab einzuschätzen, inwieweit diese dauerhaft unabhängig von der Regierung als auch von Investoren agieren kann? In vielen Fällen werden Beratungsleistungen von außen erforderlich; damit stellt sich aber eine klassische Frage: Wie weit dürfen in diesem Fall die Konditionen bei Hilfezusagen gehen sei es im Blick auf einschneidende Maßnahmen öffentlicher Versorger, sei für die Einbeziehung privatwirtschaftlichen Know-hows?
Reformen wird von außen nur fördern können, wer substantielle Hilfen als Anreiz bietet; wie aber kann es gelingen, die Wasserfrage als entwicklungspolitische Schlüsselfrage so zu etablieren, dass öffentlich wie auch privat (in Form von Spenden oder seitens Sponsoren) deutlich mehr Mittel fließen?
Nicht nur mit Blick auf diese Frage zeigt sich: Antworten werden sich nur finden lassen, wenn die verschiedenen Akteure zugleich und vorzugsweise gemeinsam Antworten suchen, statt sich über vermeintliche Grundsatzfragen zu zerstreiten. Auch wenn dies gelingt, wird die weitere Wasserdebatte nicht das schwarze oder weiße Patentrezept hervorbringen, das viele Protagonisten bislang zu kennen glauben. Statt dessen würde die globale Wasserfrage eher nach und nach mit Hilfe eines kunterbunten »Flickenteppichs« beantwortet, in dem oft selbst die einzelnen Flicken eher aus vielen Farbmischungen bestehen werden. Mischungen, wie sie heute schon weitgehend unbeachtet existieren: aus öffentlichen Anbietern, die in Chile ihre Rechnungsabteilung lieber von Privaten managen lassen; aus Genossenschaften, die in Brasilien das Wasser weiterverteilen, das ein öffentlicher Versorger liefert; aus Kooperativen, die auf den Philippinen ihre schlauchartigen »Spaghetti-Leitungen« quer durchs Armenviertel vom Sammelpunkt aus verlegen, den ein Großinvestor beliefert; aus privatwirtschaftlich organisierten Versorgern im Staatsbesitz, aus privaten Wasserkiosken in Slums, aus staatlich regulierten Kleinhändlern.
WasserversorgungInnovative ReguliererRegulierung im Wassersektor ist eine komplexe Aufgabe, finanzielle und soziale Kriterien der Versorgung müssen gegeneinander abgewogen werden. Dies beginnt schon mit der Definition der Geschäftsgrundlage, unabhängig davon, ob es sich um einen privaten Investor handelt oder um Leistungskriterien für einen Versorger in öffentlicher Hand. Die ersten größeren Privatsektorbeteiligungen waren von vagen Ausschreibungen und wenig ausgefeilten Konzessionsverträgen gekennzeichnet, Misserfolge vielfach das Resultat. Mittlerweile gibt es eine Reihe von Erfahrungen, die Regulierern Werkzeuge an die Hand geben, um privaten Betreibern oder auch öffentlichen Versorgern sozial und finanziell nachhaltige Vorgaben zu den drei Kernfragen Versorgung, Preispolitik und Wettbewerb zu machen. Bei der Versorgung ist es von entscheidender Bedeutung, ihr bereits in Ausschreibung und Konzessionsvertrag Priorität zu geben. Frühere Ausschreibungen wie in Manila waren oft recht einfach und zu sehr auf das niedrigste Preisversprechen eines Bieters ausgerichtet. Setzt der Regulierer dagegen die Priorität auf eine möglichst weit gehende Versorgung bei einem festgeschriebenen, realistischen Preis, lassen sich soziale Vorgaben erfolgreicher durchsetzen. In Chile war man mit dem Prinzip einer Negativkonzession erfolgreich: Wer für die geforderte Netzausweitung zugunsten armer Haushalte die geringsten Subventionen verlangt, gewinnt die Ausschreibung. In La Paz mussten die Bewerber sich auf eine quantitative Ausweitung der Netzanschlüsse ohne Subventionen festlegen. Ob die vereinbarten Ziele erreicht worden sind, muss messbar sein. Hier haben sich absolute Vorgaben gegenüber prozentualen oder weichen Faktoren bewährt: Die absolute Anzahl der Neuanschlüsse in einem Viertel ist verhältnismäßig leicht zu überprüfen, ob dagegen mittlerweile 70 oder 80 Prozent der Bewohner Wasserzugang haben, ist in Gegenden ohne Meldepflicht und definierte Eigentumstitel schwierig abzuschätzen. Zu hohen Anschlusskosten kann zudem eine Quersubventionierung abhelfen, bei der die meist wohl habenden Altnutzer Neuanschlüsse mit einer regelmäßigen Gebühr subventionieren (wie in Gabun oder Kolumbien). Technisch sind beispielsweise die condominial systems geeignet, Anschlüsse bezahlbar zu machen. Das Prinzip wurde erstmals in Brasilien angewandt und setzt auf eine Kombination simplerer Standards wie dünnere, überirdisch verlegte Rohre sowie Eigenleistungen der Nutzer. Auch Mikrokreditprogramme haben Erfolge gebracht. In der Preispolitik haben sich Blocktarife für die Wasserverbraucher bewährt. Auch hier kommt es zur Quersubventionierung: Arme Privathaushalte zahlen weniger als den Selbstkostenpreis, wohlhabendere etwas darüber, kommerzielle Nutzer am meisten. Maßstab ist der Verbrauch. Für den typischen Verbrauch armer Haushalte (5 bis 10 Kubikmeter) gilt ein Billigtarif. Teils wird sogar ein Freibetrag für einen Mindestverbrauch gewährt, zum Beispiel in Südafrika. Allerdings erhält so auch ein Millionär seinen Grundverbrauch gratis. Eine Alternative ist die räumliche Subvention: In ärmlichen Vierteln liegt der Preis pauschal tiefer, in wohlhabenderen höher. In vielen städtischen Gebieten lassen sich solche Einteilungen relativ zielgenau vornehmen. Als First-best-practice gelten derweil direkte Beihilfen bei durchweg kostendeckenden Tarifen, wie sie in Chile und teils in Kolumbien mittellose Familien ausgezahlt bekommen. Dies setzt jedoch gewisse sozialstaatliche Strukturen voraus, die selten vorhanden sind. Zudem kann es sinnvoll sein, dass sich der Regulierer in die Verteilung der Quersubventionen einschaltet: In einem unter anderem in Gabun entwickelten Modell wird hierbei der Regulierer zum Verwalter eines so genannten Subventionsfonds, der sich aus zusätzlichen Gebühreneinnahmen von wohlhabenden Nutzern speist. Das Geld aus diesem Fonds fließt nur dann an den Betreiber, wenn er entsprechende Neuanschlüsse vorweisen kann. Der entscheidende Vorteil: So erhält der Betreiber einen ökonomischen Anreiz, mittellose Kunden zu gewinnen. In Wettbewerbsfragen galt früher ein striktes Monopol für einen Versorger als unabdingbar - heute weiß man, dass dies eine Verbesserung der Versorgung blockieren kann. Ein größeres Maß an Flexibilität eröffnet die Chance, gerade in noch unerschlossenen Gegenden Folge-Anbietern Geschäftschancen zu eröffnen. Ausgehend von zentral belieferten Sammelstellen können kleine Nachbarschaftsverbände, Händler oder Wasserkioske das Angebot - wie etwa in Manila - erweitern. Ärmere Bewohner erhalten so nicht unbedingt einen individuellen Anschluss, haben aber regelmäßig Zugang zu Trinkwasser. Die Beispiele zeigen: Wirtschaftliche Interessen eines Betreibers und soziale Ziele sind bei einer geschickten Regulierung nicht prinzipiell unvereinbar. Ralf Südhoff |
Streit um die Wasserversorgung in La PazPyrrhussiegBolivien, das ärmste Land Südamerikas überließ im Juni 1997 einem privaten Unternehmen die Versorgung seiner Hauptstadt. Die öffentlichen Versorger hatten es trotz zahlreicher Reformbemühungen nicht geschafft, die Menschen in El Alto, der riesigen Satellitenstadt von La Paz, angemessen zu versorgen. Zwar lag die Quote der Trinkwasserversorgung mit rund 84 Prozent im Großraum La Paz vergleichsweise hoch, doch gerade die ärmsten Bewohner in El Alto wurden zu einem großen Teil nicht erreicht. 48 Prozent des Wassers versickerte in Lecks oder wurde nicht bezahlt. Beim Abwasser sah es noch schlechter aus: Zwei von drei Haushalten hatten keinen Anschluss, auch in La Paz selbst floss aus jedem dritten Haushalt das Abwasser ungereinigt in den Rio Seco und damit in den Titicacasee. Die Weltbank knüpfte daraufhin 1997 eine Verlängerung ihres Kredits für die Wasserversorgung von La Paz an eine Privatsektorbeteiligung: Nach einer Ausschreibung, die nicht den Wasserpreis, sondern die größte Zahl der Neuanschlüsse ins Zentrum stellt, erhielt das Firmenkonsortium Aguas del Illimani S.A (AISA) unter der Führung der französischen Suez-Gruppe den Zuschlag. Fünf Jahre später sind die Fortschritte teils erheblich. Durch AISA-Investitionen von insgesamt 53 Millionen US-Dollar ist die Zahl der Wasseranschlüsse bis Anfang 2002 von 154.000 auf 225.000 gestiegen, ein Plus von 45 Prozent. Ein Großteil der Anschlüsse (45.000) wird, wie vertraglich festgelegt, im ärmlichen El Alto verlegt. Der Anteil der dort an Abwasserkanäle angeschlossenen Haushalte steigt von 30 auf 54 Prozent (Vertragsvorgabe: 41 Prozent). In La Paz wird mittlerweile das Abwasser von rund 90 Prozent der Haushalte entsorgt (Vorgabe: 82 Prozent). Auch im direkten Vergleich mit dem Staatsunternehmen SAMAPA hat AISA die Nase vorn: In seinen ersten drei Jahren legte das Privatunternehmen rund 60 Prozent mehr neue Trinkwasser- und rund 180 Prozent mehr Abwasseranschlüsse als SAMAPA in seinen letzten drei Jahren. Der Anteil des versickernden und nicht bezahlten Wassers sank von 48 auf 40 Prozent. Die Wassertarife waren kurz vor der Ausschreibung Tarife im Schnitt um 38 Prozent erhöht und für die ersten fünf Jahre fixiert worden. Durch die Einführung eines Sozialtarifs für die ersten 30 Kubikmeter fiel er aber für ein Drittel der Kunden. Eine Kopplung der Preise an den US-Dollar führte bis heute zu einer jährlichen realen Steigerung der Tarife um rund 2 Prozent. Der Sozialtarif des einzigen privaten Betreibers in Bolivien ist damit der niedrigste in allen Großstädten des Landes. Dennoch kam es zum Konflikt bei den laut Konzessionsvertrag für 2002 vereinbarten Preisverhandlungen. Ein unabhängiger Gutachter hielt eine sozial gestaffelte Preiserhöhung von durchschnittlich 22 Prozent für angemessen. Die Regierung in La Paz lehnte jedoch jede Preiserhöhung ab, sie hielt diese für politisch zu brisant. Die Eindrücke vom »Wasserkrieg von Cochabamba« sowie später ein Streit um die Förderung der Gasvorkommen im Land hatten eine gegenüber Auslandsinvestoren feindliche Stimmung erzeugt, die zu landesweiten Unruhen führte. Die Regierung lehnte auch in den Folgejahren jede Tariferhöhung ab, woraufhin AISA mit geringeren Investitionen in den Netzausbau reagierte. Stattdessen verfügte die Regierung eine drastische Erhöhung der Anschlussgebühr für Wasser und Abwasser auf zusammen 450 US-Dollar, was in El Alto fast einem halben Jahresgehalt entspricht. Dies zeigte Folgen: Heute fehlt es wieder Zehntausenden Armen in El Alto an einem Wasseranschluss, selbst wenn neue Netzleitungen direkt vor dem Haus liegen. Als es im Januar dieses Jahres in Bolivien zu Protesten und Generalstreiks gegen neuerliche Preiserhöhungen der Regierung für Benzin und Gas kam, versuchte die Regierung die Protestierenden von El Alto mit einem Angebot zu besänftigen: Sie kündigte an, den Vertrag mit Wasserversorger AISA zu kündigen. Ralf Südhoff |
aus: der überblick 01/2005, Seite 76
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Ralf Südhoff:
Ralf Südhoff arbeitet als wissenschaftlicher Referent im Büro der Bundestagsabgeordneten und parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Uschi Eid.