Diplomatische Funkstille
So undiplomatisch wie Kuba seinen größten Geber, die Europäische Union (EU), verprellt, so widersprüchlich verhält sich die EU gegenüber der karibischen Insel. Die EU-Mitgliedstaaten können sich nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise gegenüber Kuba einigen. Je nach internationaler Wirtschaftslage, der politischen Stimmung in den USA und kubanischer Innenpolitik eiert die EU zwischen langsamem Wandel und Sanktionspolitik.
von Susanne Gratius
Um mit dem 2003 inhaftierten kubanischen Journalisten Raúl Rivero zu sprechen: “Dieses Land ist ein Laboratorium, das gleichermaßen Journalisten, Schriftsteller, Akademiker und Neugierige, Naive und Masochisten anzieht.” Für die Europäische Union (EU) hat Kuba eine äußerst geringe Bedeutung - wirtschaftlich wie politisch -, und es wäre, wie es der Lateinamerika- und EU-Fachmann Joaquin Roy ausdrückt, allenfalls eine Fußnote in der europäischen Politik wert. Dennoch ist die Positionierung gegenüber Kuba bis heute ein politischer Gradmesser für die Beziehungen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zu den USA.
Seit der Wiederaufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen 1988 wird das Verhältnis zwischen der EU und Kuba geprägt von einem Rhythmus aus Entspannungs- und Konfliktperioden im Abstand von zwei bis drei Jahren. Das Wechselbad aus Annäherung und Distanz wird von drei Faktoren bestimmt: der internationalen Konjunktur, der Politik der USA und der innenpolitischen Situation in Kuba. Das Ergebnis des Zusammenspiels dieser Komponenten war eine vorwiegend reaktive Politik der EU gegenüber Kuba im Spannungsverhältnis der Beziehungen zu den USA.
Während des Kalten Krieges unterhielt die EU zwar keine diplomatischen Beziehungen zum sozialistischen Inselstaat, verurteilte aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit das US-Embargo gegen Kuba. Bis heute stimmt die EU in der alljährlichen Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) gegen die Sanktionspolitik der USA, in der UN-Menschenrechtskommission hingegen meist für eine Verurteilung des Castro-Regimes.
Seit den neunziger Jahren haben alle EU-Mitgliedsstaaten diplomatische Beziehungen zu Kuba aufgenommen und sind zum wichtigsten Wirtschafts- und Kooperationspartner des Landes aufgestiegen. Allein die Europäische Kommission vergab seit 1993 Entwicklungshilfe in Höhe von 145 Millionen Euro an Kuba. Durch ihr Engagement in Kuba sichert die EU dem Inselstaat das wirtschaftliche Überleben seit dem Zusammenbruch des sozialistischen Blocks und unterläuft gleichzeitig das in den neunziger Jahren durch die Toricelli- und Helms-Burton-Gesetze verschärfte amerikanische Embargo.
Ebenso wie die USA verfolgt die Politik der EU in Kuba als oberstes Ziel eine demokratische Öffnung und der Einführung der Marktwirtschaft. Allerdings gab es zwischen Washington und Brüssel bislang weder einen Konsens über den Weg dorthin noch über das anzustrebende Ergebnis einer künftigen Transition im “fidel-sozialistischen” Karibikstaat: Förderten die USA durch ihre Politik der Isolierung und des Drucks einen Regimesturz um jeden Preis, unterstützte die EU durch konstruktives Engagement einen friedlichen und graduellen demokratischen Wandel in Kuba.
Diese traditionell unterschiedliche politische Fokussierung der beiden wichtigsten externen Akteure der Karibikinsel gilt inzwischen allerdings nur noch bedingt. Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nach den Anschlägen am 11. September 2001 auf das World Trade Centre und die Repressionswelle in Kuba im Frühjahr 2003 bewirkten in der EU einen Kurswechsel von der Strategie der Demokratieförderung durch Wandel zu einer Politik des diplomatischen Drucks. In den USA hingegen wird das Embargo zugunsten einer wirtschaftlichen Kooperation mit Kuba immer weiter ausgehöhlt.
Anfang 2003 sah es so aus, als werde Kuba seine Beziehungen zu Europa endlich normalisieren, indem es nach drei gescheiterten Versuchen dem Cotonou-Abkommen beitreten könnte. Für diesen Pakt für wirtschaftliche Vorzugsbehandlung seitens der EU gegenüber den 77 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Staaten), zu denen Kuba seit dem Jahr 2000 gehört, stellte die kubanische Regierung im Februar 2003 erneut einen Aufnahmeantrag, und die “Europäische Kommission” eröffnete ein Delegationsbüro in Havanna. Kurz danach aber ließ Fidel Castro 75 Dissidenten verhaften und drei Kubaner hinrichten. Seitdem herrscht diplomatische Funkstille zwischen Europa und Kuba. Um eine Ablehnung des Beitrittsgesuchs im Rat der EU zu vermeiden, zog es Kuba Ende März wieder zurück.
Durch die Repressionswelle und die Wiederanwendung der Todesstrafe im Frühjahr 2003 lieferte Castro den europäischen Gegnern einer Normalisierung der Beziehungen neue Argumente. Zu letzterem gehören vor allem die nordischen “Menschenrechtsfundamentalisten” und der treue amerikanische Bündnispartner Großbritannien. Spanien unter der Regierung von José María Aznar hat sich zwar ebenso wie das von Silvio Berlusconi regierte Italien als vehementer Castro-Kritiker profiliert, muss aber als wichtigster Partner Kubas auch eigene Wirtschaftsinteressen verteidigen. Die deutsche Kuba-Politik zeichnete sich gleichermaßen durch eine vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) forcierte entwicklungspolitische Annäherung und eine vom Auswärtigen Amt favorisierte politische Distanz aus. Im Zuge der Repressionswelle in Kuba gewannen in der EU jetzt die Blockierer der Normalisierung der Beziehungen zu Kuba gegenüber den Befürwortern (Belgien, Frankreich, Griechenland, Portugal) die Oberhand.
Im Juni 2003 verhängte der Rat der EU erstmals diplomatische Sanktionen gegen Kuba, wie die Einschränkung der kulturellen Zusammenarbeit und der Besuche auf Regierungsebene, bei gleichzeitig engeren Kontakten zu kubanischen Dissidenten. Zusammen mit Großbritannien hatten Italien und Spanien dabei die Federführung übernommen. Kurze Zeit später entschied sich der Rat der EU zwar für eine Aufrechterhaltung des politischen Dialogs mit Kuba, knüpfte aber die Vergabe von Entwicklungshilfe der EU-Staaten an eine wirtschaftliche Öffnung im Land und/oder ihren direkten Nutzen für die Bevölkerung. Daraufhin ließ Fidel Castro Massenproteste vor den Botschaften Italiens und Spaniens organisieren und kündigte an, in Zukunft auf die ohnehin magere Entwicklungshilfe aus Europa verzichten zu wollen.
Das Ergebnis der Eskalation zwischen Havanna und Brüssel ist die Einfrierung nahezu aller entwicklungspolitischen Projekte zwischen beiden Seiten. Da die europäischen Botschaften jetzt auch Dissidenten zu ihren Feierlichkeiten einladen, haben kubanische Regierungsvertreter jeden Kontakt mit der EU abgebrochen und auf Wunsch Fidel Castros die gesamte staatliche Entwicklungszusammenarbeit mit seinem wichtigsten Geber suspendiert. Lediglich nichtstaatliche Organisationen (NGOs) und politische Stiftungen können auch weiterhin in Kuba aktiv sein. Das ein Jahr zuvor eröffnete Büro der Delegation der Europäischen Kommission in Havanna ist politisch isoliert und kann seinen entwicklungspolitischen Auftrag nicht erfüllen. Im Dezember wurden selbst die üblichen Weihnachtspräsente europäischer Diplomaten von kubanischer Seite zurückgewiesen, denn dies sei, nach Ansicht des kubanischen Außenministers Felipe Pérez Roque, in einem “Moment der Spannungen und Irritationen” nicht angemessen.
Aus der anfänglichen Cocktailkrise entstand eine ernsthafte Beziehungskrise, die nur schwer zu kitten ist. Die Auswirkungen des jüngsten Eklats sind vor allem für Kuba negativ: Betroffen vom Moratorium in der Entwicklungszusammenarbeit sind die Bevölkerung und hier insbesondere kubanische NGOs, Akademiker und andere Vertreter der Zivilgesellschaft, die auf Unterstützung aus Europa angewiesen sind. Langfristig dürfte die Krise auch Folgen für die europäisch-kubanischen Wirtschaftsbeziehungen haben. Da sie nicht länger auf den politischen Rückhalt ihrer Regierungen zählen können, werden europäische Unternehmerdelegationen ihre Besuche in Kuba einschränken und angesichts der angespannten Lage wohl kaum neue Investitionen tätigen. Im Bereich Außenhandel und Tourismus ist ein Rückgang ebenfalls wahrscheinlich. Für die ohnehin prekäre Versorgungslage Kubas wäre dies fatal, denn das Land wickelt 50 Prozent seines Außenhandels mit der EU ab, 46 Prozent der Touristen sind Europäer und über die Hälfte der Joint Ventures wurden mit europäischen Firmen gegründet. Obwohl sich Kuba im Rahmen einer neuen Allianz mit Argentinien und Brasilien aktiv um politische und wirtschaftliche Alternativen zur EU bemüht, dürfte diese Strategie allenfalls langfristige Erfolge zeitigen.
Angesichts der unverhältnismäßig größeren Konsequenzen der europäisch-kubanischen Beziehungskrise für den Inselstaat, sollte dem Machthaber in Havanna an einer Politik der Schadensbegrenzung gelegen sein, aber Castros Regierungsstil zeichnet sich weniger durch politischen Pragmatismus als durch einen gewissen Größenwahn und (unter dem Motto tener cojones - Schneid haben) einen überzogenen Nationalstolz aus. Ein Einlenken seitens Havanna ist deshalb in nächster Zeit ebenso wenig zu erwarten wie seitens der EU, für die Kuba keinerlei außenpolitische Priorität genießt. Dennoch könnten sich die Wogen mit der Zeit wieder glätten, denn weder die EU noch die kubanische Regierung haben ernsthaftes Interesse an einem Abbruch der Beziehungen. So betonte Außenminister Roque Mitte Dezember, wenn die EU offiziell keine Dissidenten mehr einladen würde, wäre Kuba seinerseits zu einer politischen Öffnung bereit.
Die kubanische Europa-Politik könnte als unvernünftig bezeichnet werden, da sie den Wirtschaftsinteressen des Landes schadet. Genauso könnte man aber die europäische Kuba-Politik als widersprüchlich bezeichnen. Letztere stellt einen Minimalkonsens dar, der sich aus den unterschiedlichen außenpolitischen Interessen und Schwerpunkten der EU-Mitgliedsstaaten ergibt. So spiegelt die Kuba-Politik der EU eine ständige Gratwanderung zwischen Konditionierung und Kooperation wider. Dabei spielt das Ziel einer Konfliktvermeidung mit den USA eine maßgebliche Rolle, für einige Mitgliedstaaten wie Schweden, Dänemark oder die Niederlande steht aber grundsätzlich die Menschenrechtskomponente im Vordergrund ihrer Außenpolitik.
Seit den neunziger Jahren kennzeichnen zwei Antagonismen die europäische Kuba- Politik: einerseits der Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Annäherung und politischer Distanz und andererseits das bilaterale Engagement der Mitgliedsstaaten und die demokratische Konditionalität auf supranationaler Ebene. Denn die meisten EU-Mitgliedsländer praktizieren gegenüber Kuba eine Politik des konstruktiven Engagements ohne politische Kriterien, die im Widerspruch zum “Gemeinsamen Standpunkts der EU zu Kuba” steht, der ein Kooperationsabkommen von demokratischen Fortschritten abhängig macht.
Der “Gemeinsame Standpunkt zu Kuba” ist die europäische Variante des Helms-Burton-Gesetzes und entstand nicht zufällig im selben Jahr. Im Gegensatz zu den USA geht es der EU nicht vorrangig um das Ziel einer liberalen Demokratie in Kuba, sondern darum einen Übergangsprozess unter der jetzigen Regierung zu fördern. Es wird weder ein politischer Umsturz angestrebt, noch werden bestimmte Bedingungen für die Anerkennung einer demokratischen Regierung (wie im Helms-Burton-Gesetz die Nichtbeteiligung Fidel Castros und seines Bruders Raúl) formuliert. Als Zugeständnis an die US-Politik werden aber die Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens und die Erhöhung der Entwicklungsgelder von sichtbaren demokratischen Fortschritten abhängig gemacht. Der Gemeinsame Standpunkt war im Dezember 1996 von Spanien angeregt worden und spiegelte den politischen Richtungswechsel der konservativen Regierung Aznar zugunsten der US-Linie wider. Damals vollzog die EU eine Kurskorrektur vom konstruktiven zum kritischen Engagement, der als Grundlage für eine nachfolgende Einigung mit den USA beim umstrittenen Helms-Burton-Gesetz diente. Die “doppelte Konditionalität” - Demokratieklausel im Cotonou-Abkommen und Gemeinsamer Standpunkt zu Kuba - verhinderte bislang die Vereinbarung eines Kooperationsabkommens mit Kuba, das seit seinem Beitritt zur Gruppe als AKP-Staat behandelt wird.
Durch die jüngsten Maßnahmen hat die EU eine weitere Kurskorrektur vom kritischen zum eingeschränkten Engagement vollzogen und sich der Sanktions- und Isolierungspolitik der USA angenähert. Dabei dürften mehr als 40 Jahre erfolgloser amerikanischer Blockadepolitik gegenüber Kuba doch den Beweis erbracht haben, dass weder Sanktionen noch diplomatischer Druck autoritäre Regime zu einer demokratischen Öffnung bewegen.
Wie der Entwicklungsweg der ost- und mitteleuropäischen Länder verdeutlicht, haben positive Anreize, wie Finanzhilfen und die Aussicht auf eine Aufnahme in die EU, hingegen durchaus Erfolge gezeitigt. Auch in Kuba hat die Kooperation mit der EU in den neunziger Jahren zu einer, wenn auch begrenzten, wirtschaftlichen Öffnung beigetragen, die langfristig auch politische Veränderungen bewirkt. Druck und Sanktionen hingegen stärken autoritäre Führer und ihre Doktrin der “von außen bedrohten nationalen Einheit und Souveränität”, die wiederum als Argument für politische Einheit durch die Ausschaltung Andersdenkender im eigenen Land dient. Dieser Logik folgend, zählt Fidel Castro jetzt nicht nur die USA, sondern auch Europa zu den Feinden der Revolution.
Die neue Kuba-Politik der EU kommt einer deutlichen Niederlage für die Anhänger der These “Wandel durch Annäherung” gleich und dient weniger dem europäischen Ziel der Demokratieförderung als der Feindbildlogik Castros und der weiteren Abschottung des Landes. Während sich die EU der Sanktionspolitik annähert, setzt sich in den USA allmählich die Erkenntnis durch, durch wirtschaftliches Engagement eher eine Transition in Kuba zu fördern als durch die bisherige Blockadestrategie. Seit 2000 ist der Export von Medikamenten und Lebensmitteln nach Kuba wieder legal - mit einem Anteil von über 25 Prozent sind die USA inzwischen Kubas bedeutendster Lieferant von Lebensmitteln -, und die amerikanische Tourismusbranche fordert jetzt zwecks Erschließung neuer Märkte die Aufhebung der Reisebeschränkungen.
Auch vor diesem Hintergrund scheint es paradox, dass sich die EU ausgerechnet jetzt der Politik bedient, die in den USA aus vorwiegend innenpolitischen Gründen nur noch von der Regierung Bush und den radikalen Exilkubanern vehement verteidigt wird: Demokratieförderung durch Druck, Sanktionen und Isolierung. Gerade weil die EU Kubas bedeutendster Wirtschaftspartner ist, sollte Europa auch politischen Einfluss auf die weitere Entwicklung des Landes nehmen. Durch die faktische Einfrierung der diplomatischen Beziehungen wird dies indes kaum möglich sein. Eine Rückbesinnung auf die traditionelle europäische Politik des Wandels durch Annäherung wäre, gerade mit Blick auf das langfristige Ziel einer demokratischen Öffnung, in Kuba dringend geboten. Die derzeitige Politik der EU liefert allenfalls den Hardlinern in Havanna neue Argumente, dient aber nicht dem Ziel der Demokratieförderung. In einem erweiterten Kontext betrachtet, hat der erneute Kurswechsel in der europäischen Kuba-Politik deutlich gemacht, dass es nicht einmal gegenüber einem strategisch unwichtigen Partner wie Kuba eine kohärente, eigenständige und langfristig ausgerichtete gemeinsame Außenpolitik der EU gibt.
Literatur
Joaquín Roy: Cuba, the United States, and the Helms-Burton Doctrine. International Reactions. Gainesville (USA) 2000.
aus: der überblick 01/2004, Seite 115
AUTOR(EN):
Susanne Gratius:
Dr. Susanne Gratius ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin und dort zuständig für Lateinamerika.