Schönheitsoperationen - der radikale Weg
Alle Menschen - ob jung oder alt, aus welchem Teil der Welt sie auch immer kommen, - empfinden eine ganz bestimmte Gesichtsform als schön. Das jedenfalls behauptet der amerikanische Chirurg und Wissenschaftler Dr. Stephan Marquardt. Er hat diese Gesichtsform sogar berechnet und meint, mit einigen chirurgischen Korrekturen könne jeder - und vor allem jede - dieser Vorstellung vom perfekten Gesicht näherkommen. Scheinbar so unterschiedliche Gesichter wie die von Nofretete, Marylin Monroe und dem Filmschauspieler Pierce Brosnan passen in diese Form. Als schön gelten eine hohe Stirn, große Augen und vor allem bei Frauen ein kleines Kinn.
von Renate Giesler
Was genau ein schönes Gesicht auszeichnet, interessierte auch die Psychologen Duncan A. Rowland und David I. Perrett von der schottischen Universität St. Andrews. Gemeinsam mit einem japanischen Forscherteam legten sie einer Jury Bilder von computertechnisch hergestellten Gesichtern vor, in denen viele unterschiedliche Gesichtszüge zusammengemischt wurden. Die Mitglieder der Jury - Männer und Frauen - sollten ihr Urteil abgeben. Das Ergebnis: Eine leichte Abweichung vom Durchschnittsgesicht gilt als schön. Zu einem attraktiven Gesicht gehören also eine Spur größere Augen, ein Hauch höhere Wangenknochen, eine geringere Distanz zwischen Nase und Kinn.
Warum aber wollen die Menschen ein solches Einheitsgesicht haben? Warum streben sie nach einer Form, die Programmierer kreiert haben? Der Autor Martin Franz Hanko ist der Frage nachgegangen, ob Werbung und Medien Auslöser für diesen Trend sind. Er beschäftigt sich damit, dass Frauen sich mit den Schönheitsidealen vergleichen, die in den Medien und besonders in der Werbung zu sehen sind. Dieser Vergleich mit hochattraktiven Models aus der Werbelandschaft kann damit enden, dass Frauen sich selbst negativ wahrnehmen, dass sie ihr Äußeres vergleichsweise unattraktiv finden und sie unzufrieden mit dem eigenen Körper werden. In Anzeigen oder Filmen, die weltweit zu sehen sind, überwiegen die jungen schmalen Gesichter mit den ausdrucksstarken Augen. Der Wunsch nach ewiger Jugend ist nicht der einzige Grund, künstliche Veränderungen am Körper vornehmen zu lassen. Das Bedürfnis nach Normalität und Akzeptanz spielt ebenfalls eine Rolle. Mit Hilfe der Plastischen Chirurgie lassen sich beispielsweise angeborene Auffälligkeiten wie Hasenscharten und Segelohren korrigieren.
Wirtschaftliche und soziale Gründe als ausschlaggebend für eine Schönheitsoperation führen Patienten in Asien an: Junge Chinesinnen lassen sich die Augenlider korrigieren, um “westlicher” zu wirken und damit bessere Chancen auf dem Arbeits- und Heiratsmarkt zu haben. Rund fünf Prozent aller Chinesen planen, mittelfristig Eingriffe an Gesicht und Körper vornehmen zu lassen (vergl. Artikel von Jutta Lietsch in diesem Heft). Auch in Japan ist es durchaus keine Ausnahme, dass sich der Geschäftsmann, der international tätig ist, die Lidfalten verkleinern lässt, um dem westlichen Gegenüber ähnlicher zu werden. Von diesem veränderten Aussehen erhoffen sich Geschäftsleute erfolgreichere Handelsbeziehungen mit Europäern und Amerikanern. Lidoperationen sind auch in Vietnam und Südkorea stark gefragt.
Die natürliche Gesichtsform junger Brasilianerinnen passt wohl eher in das Raster eines globalen Gesichts. Manche aber, aufgewachsen in armen Stadtvierteln, träumen von einer Karriere als Model oder Schönheitskönigin. Dementsprechend lassen die jungen Frauen ihre Nase korrigieren und ihren Körper modellieren. Die “spitze europäische Hochnase” sei zu einer Art Leitnase geworden, sagt Nelson Heller, einer der bekanntesten Plastischen Chirurgen Brasiliens. Fettabsaugen steht an erster Stelle, gefolgt von Brustveränderungen. Neuerdings lassen sich Töchter aus Mittelklassefamilien die Brüste verkleinern, um sich abzugrenzen von den - oft dunkelhäutigen - Frauen der Unterschicht.
Das Wechselspiel von Abgrenzen und damit Angleichen, zu zeigen, dass man sich einer bestimmten Gruppe zugehörig fühlt - dies scheint seit eh und je der Hintergrund zu sein, warum Menschen Schönheitsoperationen vornehmen lassen. Und da ist das Gesicht das Aushängeschild. Vor allem die Nase prägt ein Gesicht und zieht die Blicke auf sich. In Teilen Europas setzten im 19. Jahrhundert die von Wissenschaftlern entworfenen Theorien einen rassenideologischen und antijüdischen Akzent. Menschen, deren Nasen nicht der gängigen Norm der “arischen” Nase entsprachen, wurden diskriminiert. In seinem Buch Making the body beautiful präzisiert Sander L. Gilman, Professor für Medizin an der Universität von Chicago, dass nicht nur Juden zu “Objekten der rassischen Physiognomie” wurden. In den Vereinigten Staaten von Amerika waren es im 19. und 20. Jahrhundert die Neueinwanderer aus Irland, deren “zu kleine” Nasen als Zeichen ihrer Minderwertigkeit galten. In den Jahren zwischen 1940 und 1950 ließen sich viele Afro-Amerikanerinnen die ihrer Ansicht nach zu breite Nase operieren.
In Mexiko werden noch heute Veränderungen an der Nase vorgenommen, um indianische Einflüsse optisch zu tilgen. Und in Israel, dem Zentrum für Schönheitschirurgie im Mittleren Osten, lassen vor allem junge Frauen ihre Nase verkürzen, um weniger “jüdisch” auszusehen. Chinesen wiederum, die internationale Kontakte pflegen, empfinden ihre Nasen als zu flach und zu wenig spitz im Vergleich zum europäischen Durchschnitt. Bei aller Weltläufigkeit: Das globale Gesicht trägt immer noch stark westliche Züge.
Die heutigen Praktiken der Schönheitschirurgie beruhen auf den Techniken der traditionellen Plastischen Chirurgie, und insbesondere Korrekturen an der Nase haben eine lange Tradition. Überliefert sind die Aufzeichnungen “Sushurta-Samita”, denen zufolge man bereits im 7. Jahrhundert vor Christus in Indien eine Nase rekonstruierte. Die Ethnologin Angelica Ensel beschreibt in ihrem 1996 erschienenen Buch “Nach seinem Bilde - Schönheitschirurgie und Schöpfungsphantasien” die Art und Weise, wie Sushurta vorgegangen ist: Ein Hautlappen (Stiellappen in der heutigen Fachsprache) wurde aus der Stirn des Verletzten zur Nase heruntergeklappt und dort zu einer Nasenspitze geformt. Von Indien über Persien gelangte die Kunst, eine Nase zu ersetzen, in die arabischen Länder und von dort im 15. Jahrhundert nach Europa. Zu der Zeit war Syphilis weit verbreitet. Schon von weitem waren die Kranken an ihren “syphilitisch” eingefallenen Nasen zu erkennen, und so war es einfach, sie gesellschaftlich auszugrenzen.
Zwei Entwicklungen in der Medizin Ende des 19. Jahrhunderts - Anästhesie und Wundbehandlung mittels chemischer Mittel wie Antiseptika - machten die Schmerzen des Eingriffs erträglicher und verringerten die Risiken der Operation. Der Berliner Arzt Jacques Joseph entwickelte zu dieser Zeit eine neuartige Operationsmethode zur Verkleinerung der Nase. Es wurde von innen operiert, so dass äußerlich keine Narben blieben. Dieser “unsichtbare” Eingriff gilt als eine der ersten modernen ästhetischen Operationen.
Vor neue Aufgaben sah sich die Plastische Chirurgie während der beiden Weltkriege gestellt: Bei Kriegsverletzten mussten Körperteile rekonstruiert und Haut transplantiert werden. Aus der Wiederherstellungschirurgie mit medizinischer Indikation entwickelte sich die “ästhetische Chirurgie”. Entscheidend für ihre Verbreitung war die Entwicklung neuer Techniken, insbesondere in der Mikrochirurgie. Sie erlaubt es, Blutgefäße und Nerven präzise miteinander zu verbinden und feinste Nähte zu machen.
Heutzutage Nummer eins auf der Rangliste der Anzahl der Schönheitsoperationen weltweit sind die USA mit 8,7 Millionen Eingriffen im Jahr 2003. Das sind 32 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Der Anteil der Frauen, die sich unters Messer begeben haben, liegt bei 82 Prozent. Dies sind Angaben der American Society of Plastic Surgeons (ASPS), der Amerikanischen Gesellschaft Plastischer Chirurgen. An erster Stelle stehen Umgestaltungen der Nase - für das Jahr 2003 nennt die ASPS eine Größenordnung von 360.000 - gefolgt von Fettabsaugen, Brustvergrößerungen, Augenlidkorrektur und Facelifting. Die US-Armee übernimmt sogar die Kosten, wenn bei Soldaten und Soldatinnen sowie deren Angehörigen Nasenkorrekturen vorgenommen, Gesichter gestrafft oder Fett abgesaugt werden, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken und sie in der Öffentlichkeit attraktiv erscheinen zu lassen. Für Deutschland nennt die Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgie (VDÄPC) die Zahl von 800.000 Schönheitsoperationen für das Jahr 2003 - viermal so viel wie vor zehn Jahren. Da der Begriff “Schönheitsoperation” medizinisch nicht definiert ist, viele Eingriffe in Privatkliniken durchgeführt werden und es keine Meldepflicht gibt, lassen sich die Statistiken nur von der Zahl derjenigen Patienten ableiten, die von einem ausgebildeten Plastischen Chirurgen behandelt wurden. Zahlenangaben sind also mit großen Unsicherheiten behaftet, geben aber zumindest eine Größenordnung an.
Lässt sich auch die Frage nach dem globalen Gesicht nicht eindeutig beantworten, so ist eines aber mit Sicherheit global: das Geschäft mit der Schönheit. Schönheitstourismus umspannt inzwischen den Erdball. In Thailand sind Schnitte für die Schönheit en vogue. Die führenden Privatkrankenhäuser des Landes operieren jedoch längst nicht mehr nur reiche Thais, sie verschönern auch Patienten, die vom Arabischen Golf und aus Europa einfliegen. Eine Entwicklung ganz im Sinne von Premierminister Thaksin Shinawatra. Er erklärte die Angebote für den Gesundheitstourismus zum erstklassigen und förderungswürdigen Wirtschaftsfaktor. Kliniken in Südafrika werben mit dem Slogan: “Preiswerter Eingriff im Urlaub”. In Europa profilieren sich vor allem Polen, Ungarn, Tschechien und Russland auf diesem neuen Markt. Oberlidkorrektur, Fettabsaugen oder Bruststraffung kosten dort oft nur die Hälfte von dem, was eine deutsche Privatklinik in Rechnung stellen würde.
Trägt möglicherweise dieses weltumspannende Geschäft dazu bei - die Behandlung der Patienten in Kliniken anderer Erdteile, die Ausbildung der Ärzte auf wiederum anderen Kontinenten, die Ausrichtung der Kunden auf international verflochtene Geschäftskontakte und ihre Wünsche für die Korrektur -, dass auf diese Weise bei den Operationen allmählich fast zwangsläufig ein globales Gesicht entsteht? “Durch das Näherrücken, auch auf dem Gebiet der Plastischen Chirurgie, befinden wir uns in der Tat auf dem Weg zu einem globalen Schönheitsideal. Es ist ein schleichender Prozess”, bestätigt die Medizinerin Marita Eisenmann-Klein, stellvertretende Generalsekretärin der International Confederation of Plastic Reconstructive and Aesthetic Surgery (IPRAS), des Weltverbandes der Plastischen Wiederherstellungs- und der Ästhetischen Chirurgie. Mit Sorge betrachte die Direktorin einer Regensburger Klinik, dass immer mehr junge Erwachsene die Ärzte bitten, sie schön zu machen. “Sie können nicht einmal sagen, was sie an ihrem Gesicht stört. Sie wollen einfach nur attraktiver aussehen, möglichst so, wie eines ihrer TV- oder Star-Idole.” Bei Patienten, die nicht durch Segelohren oder schiefe Nasen auffielen, weigern sich in Deutschland Plastische Chirurgen Veränderungen vorzunehmen. In Amerika allerdings, berichtet Eisenmann-Klein, werde der Druck auch auf die Mitglieder des Weltverbandes für Plastische Chirurgie immer größer, auf die Wünsche der Patienten einzugehen. Und eindringlich weist sie auf einen weiteren Gesichtspunkt hin: “Ganz abgesehen von den ethischen Fragen, müssen wir deutlich machen, dass jede Operation immer auch ein Risiko bedeutet und es zu Komplikationen kommen kann.”
Globales Gesicht als aktueller Trend, ja oder nein - körperliche Eingriffe, um einem Schönheitsideal näherzukommen, hat es zu allen Zeiten nahezu überall auf der Welt gegeben: kunstvolle Narbenmuster bei den Nuba-Mädchen im Sudan, durchstochene Ohren bei jungen Mädchen aus dem Nahen und Mittleren Osten, der Nagel in der Unterlippe der Frauen der Karo in Äthiopien oder die durch Ringe verlängerten Hälse bei den Padaung in Burma. “Im Gegensatz zu den traditionellen Übergangsritualen, die fortschreitende, reifere Stufen von einer Lebensphase in eine andere, und damit auch in Richtung eines höheren Lebensalters markieren, ist die Schönheitsoperation ein Übergangsritual in umgekehrter Richtung”, schreibt die Ethnologin Angelica Ensel in dem Buch “Moderne Körperlichkeit” aus dem Jahr 2001. Der große Unterschied ist allerdings, dass solche Rituale ganz bewusst Spuren am Körper hinterlassen sollen - sichtbar auch für andere als Zeichen der Zugehörigkeit. Spuren zu hinterlassen wäre aber nun bei modernen Schönheitsoperationen das Allerschlimmste, was man sich vorstellen kann. Spuren gerade darf niemand hinterlassen - nicht das Leben und die Operation schon gar nicht.
aus: der überblick 04/2004, Seite 68
AUTOR(EN):
Renate Giesler:
Renate Giesler ist Sozialwissenschaftlerin und arbeitet alsfreie Journalistin in Hamburg.