Zwischen Migrantenexport und Sklavenimport
Für die einen sind sie skrupellose Kriminelle, die von der Not anderer Menschen profitieren, andere schätzen sie als Revolutionäre auf leisen Sohlen, die subversiv an den Grundfesten der staatlichen Macht sägen. Differenzierungen sind oft nicht gefragt, wenn von so genannten Schleppern die Rede ist, die Grenzübertritte jenseits der Schlagbäume geschäftsmäßig organisieren.
von Ruben Eberlein
400.000 Menschen sollen nach Schätzungen des International Centre for Migration Development Policy in Europa jährlich über staatliche Grenzen geschmuggelt werden. Die International Organization for Migration (IOM) schätzt ihre Anzahl weltweit auf vier Millionen. Die Einnahmen aus diesem Geschäft betrügen 7 Milliarden US-Dollar, so die IOM. Regierungen der Industrieländer nehmen den Aufschwung des Migrantenschmuggels vor allem als Sicherheitsproblem wahr und reihen ihn ein in die Ausbreitung des durch "die Globalisierung" forcierten transnationalen Verbrechens.
David Kyle und John Dale benennen und bewerten das Phänomen anders. Sie führen die Ausbreitung des Schmuggels von Einwanderern während des letzten Jahrzehnts auf die Handlungen und politischen Entscheidungen von staatlichen Akteuren zurück, sowohl in Empfänger-als auch in Entsendeländern. Deshalb wollen sie "den Staat wieder zurückschmuggeln", so der programmatische Titel ihrer Analyse.
Es gilt, so die Autoren, die extreme Vielfalt der Schmuggleraktivitäten und den jeweiligen sozialen Zusammenhang, in den sie eingebettet sind, wahrzunehmen. Kyle und Dale führen das an zwei Idealtypen vor. Das Netzwerk, das die Auswanderung von Bewohnern der ecuadorianischen Provinz Azuay nach New York organisiert, bezeichnen sie als Migrant Exporting Scheme. Der Handel mit jungen Mädchen, die zum Beispiel von Burma nach Thailand verbracht werden, wird als Slave Importing Operation beschrieben. Beiden Formen des Menschenschmuggels ist gemein, dass sie außerhalb des juristisch Erlaubten stattfinden. Allerdings unterscheiden sie sich in rechtlicher, politischer, moralischer und soziologischer Hinsicht.
Im Rahmen der Auswanderung aus dem südlichen Ecuador in die Vereinigten Staaten in den 1980er Jahren entstanden regional betriebene Migrantenexport-Unternehmen, in denen Anwerber, Vermittler (tramitadores), lokale Bankiers, Beamte, professionelle Dokumentenfälscher und Grenzführer ihren Platz haben. Begleitet wird der Schmuggel von kurzfristiger und aus der Situation heraus entstehender Kriminalität. Die Bestechung von Staatsangestellten kann erforderlich sein, muss es aber nicht, da der Entsendestaat in der Regel nicht daran interessiert oder nicht in der Lage ist, den Arbeitskraftexport zu unterbinden. Die Migranten wenden sich freiwillig an die Schmuggelringe, die in Größe und Kapazität erheblich variieren. Die Geschäftsbeziehung zwischen den Schmugglern und den Auswanderern endet, wenn der Migrant im Einwanderungsland angekommen ist und den vorab vereinbarten Preis entrichtet hat.
Slave Importing Operations haben dagegen zum Ziel, schwache und kontrollierbare Arbeitskräfte zu importieren. Die Opfer wähnen sich in einer ähnlichen Situation wie die Auswanderer aus Ecuador. Doch für sie führt ein relativ harmloses Vergehen wie der illegale Grenzübertritt direkt in die Abhängigkeit. Als undokumentierte Einwanderer haben sie keinerlei Rechte und müssen oft durch Zwangsarbeit ihnen willkürlich aufgeladene Schuldenberge abtragen. Für 20.000 Kinder - überwiegend Mädchen -, die jährlich aus Burma nach Thailand geschmuggelt werden, führt der Weg direkt in die Bordelle Bangkoks und anderer Städte. Dort machen sie zehn Prozent aller Prostituierten aus und werden nicht selten den Bordellgängern als Jungfrauen angeboten (vgl. "der überblick" 1/02).
Thailändische Beamte sollen entlang der Grenze zum Nachbarland burmesische Flüchtlinge unter Androhung der Ausweisung gezwungen haben, als Anwerber für den organisierten Menschenhandel tätig zu werden. Den Flüchtlingen kommt die Aufgabe zu, die Menschen in den Dörfern zu überreden, ihre Töchter gegen eine gewisse materielle Entschädigung ziehen zu lassen. In Thailand werden die Kinder dann an Bordellbesitzer verkauft. Den Preis schreiben sie ihnen sogleich als Schulden an.
Das Geschäft ist zwar verboten, aber auf beiden Seiten der Grenze verdienen korrupte Staatsbeamte an diesem Handel. Entweder sind sie selbst Teil eines Schmuggel-Netzwerkes oder ermöglichen den reibungslosen Transport der "Ware". Auch der Nutzen, den sowohl der thailändische als auch der burmesische Staat durch Tourismus und Geldüberweisungen aus dem Geschäft ziehen, ist nicht zu unterschätzen.
In beiden dieser Fälle von Menschenschmuggel spielt das "organisierte Verbrechen" keine herausragende Rolle. Es handelt sich eher um Kriminalität, die organisiert wird, als um organisierte Kriminalität. In den Augen vieler Menschen ist die Migration ohne Papiere keineswegs ein Gesetzesverstoß, sondern eine Art Freihandel. So sind Verwandte, Freunde und Nachbarn auswanderungswilligen Ecuadorianern gern dabei behilflich, nach New York zu gelangen.
Die Privatwirtschaft der USA wirkt dabei genauso als Magnet für Migranten wie die Europas oder Japans. Unternehmer in Landwirtschaft und arbeitsintensiver Industrie profitieren erheblich von der Arbeitskraft von Einwanderern ohne gültige Papiere. Die Verhältnisse in Sweatshops sind in den krassesten Fällen von den Bedingungen der Sklavenarbeit nur schwer zu unterscheiden (vgl. "der überblick" 1/2002).
Die sich verschärfende soziale Polarisierung innerhalb und zwischen verschiedenen Regionen der Welt und die restriktive Einwanderungspolitik der Industriestaaten haben während der letzten zwölf Jahre den Aufschwung von sehr unterschiedlichen Schmuggelpraktiken nach sich gezogen. Kyle und Dale fordern deshalb eine Politik, die unterscheidet "zwischen der Vielzahl der Schmuggleraktivitäten, von denen einige den Menschen helfen, Bedingungen hinter sich zu lassen, unter denen sie politischer Verfolgung und wirtschaftlicher Hoffnungslosigkeit ausgesetzt sind, und anderen, die sie eben diesen Situationen ausliefern."
Literatur
Kyle, David; Dale, John: In: Kyle, David; Koslowski, Rey. Global Human Smuggling. Comparative Perspectives. Baltimore, London: The Johns Hopkins University Press 2001.
aus: der überblick 03/2002, Seite 32
AUTOR(EN):
Ruben Eberlein:
Ruben Eberlein hat Journalistik und Afrikanistik studiert und arbeitet als freier Journalist in Berlin.