"Jeder nimmt ein Stück vom Anderen an"
Edson Lugemeleza ist als Gastpfarrer aus Tansania ins Sauerland gekommen - vom Viktoriasee an die Oestertalsperre. Hier trägt er dazu bei, dass aus der früheren Mission von Nord nach Süd ein gegenseitiger Austausch wird. Und er bringt deutschen Christen die Verhältnisse in Tansania nahe.
von Bettina von Clausewitz
Die Uhr im Wohnzimmer tickt leise vor sich hin, rechts und links gerahmt von einem röhrenden Plastikhirsch samt Hirschkuh und Rehkitz in Eichenoptik. Solche Uhren sind beliebt hier im Sauerland, wo Urlauber aus dem benachbarten Ruhrgebiet gern das Wochenende verbringen, in kleinen Pensionen am Waldrand mit Blick über eine der vielen
Talsperren. Das Bemerkenswerte an dieser Uhr aber ist der knallbunte Wandschmuck neben ihr. "Jesu Ni Jibu Lako" steht darauf in Swahili, "Jesus ist Deine Antwort".
Dem Theologen Edson Lugemeleza aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT) ist seine Dachwohnung im sauerländischen Plettenberg in den letzten fünf Jahren zum gemütlichen Zuhause geworden. Er quittiert meinen Blick auf den Kulturenmix an der Wohnzimmerwand mit einem Lachen: "Das ist es doch gerade, was ich hier mache", erklärt er freundlich, "das bedeutet ganz praktisch voneinander zu lernen. Jeder nimmt ein Stück vom anderen an." Und so ist der Wandbehang aus Bukoba am Viktoriasee in die sauerländische Waldidylle an der Oestertalsperre gelangt - zusammen mit etlichen Trommeln.
Seit April 1997 ist Edson Lugemeleza als Austauschpfarrer im südlichen Westfalen im "Gemeindedienst für Mission und Ökumene", auf Einladung der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) in Wuppertal. Seitdem lebt und arbeitet der 37-Jährige dort mit seiner Frau Prisca, dem zweijährigen Sohn Elwin, der in Deutschland geboren wurde, und der sechsjährigen Elgin, die im Dorf zur Schule geht. "Ganz ohne Probleme", wie der Vater meint, der in dieser Region keine Ausländerfeindlichkeit erfahren haben will.
"Die Menschen haben uns mit offenen Armen aufgenommen, viele sprechen uns sogar an, beim Bäcker oder auf der Straße, und wollen mit uns reden. Es kommt ganz darauf an, wie offen man selber auftritt." So wird Lugemeleza auch schon mal in den örtlichen Schützenverein oder den Frauen-Abendkreis eingeladen, um über Afrika, Aids oder Jugendarbeit zu sprechen. Auch die Kirche hat als Treffpunkt und Impulsgeber in dieser ländlichen Gegend noch weit mehr Bedeutung als in den Ruhrgebietsstädten oder in Bielefeld, dem Sitz der Evangelischen Kirche von Westfalen. Für sie arbeitet Lugemeleza als ökumenischer Gastpfarrer in der Ortsgemeinde Plettenberg und in den vier Kirchenkreisen Wittgenstein, Siegen, Arnsberg und Lüdenscheid-Plettenberg. Ein Afrikaner im Sauerland, der sich ökumenisches Lernen zur Lebensaufgabe gemacht hat.
"Meine Erwartung war von Anfang an, dass wir durch dieses Austauschprogramm gemeinsam im Glauben ermutigt und gestärkt werden", betont Lugemeleza, der zu Hause in Bukavu eine Gemeinde mit 6000 Menschen geleitet hat. In der afrikanischen Tradition sei es eine große Ehre und Freude, wenn Eltern die von ihnen gesäten Früchte im Leben ihrer Kinder sehen könnten, fügt er hinzu. Im Klartext: Die christliche Kirche in Tansania ist mehr als 100 Jahre alt, und es ist an der Zeit, dass die "Kinder", die aus den deutschen "Mutterkirchen" erwachsen sind, nach Deutschland kommen, um hier ihre eigenen Erfahrungen einzubringen. Der alte missionarische One-Way-Traffic, die Einbahnstraße von Europa nach Afrika, ist heute zum Two-Way-Traffic geworden: Der Austausch findet in beide Richtungen statt.
Die VEM in Wuppertal hat dafür mit einer neuen Verfassung 1996 die Weichen gestellt: Seitdem sind alle ihre 33 Mitgliedskirchen in Deutschland, Afrika und Asien gleichberechtigt. "Mit dieser neuen Struktur, in der wir gegenseitig unsere Stärken einbringen können, ist ein solcher Austausch für mich erst attraktiv geworden", sagt Lugemeleza, ohne die alten paternalistischen Strukturen direkt zu kritisieren. "Jetzt sind wir nicht mehr Mutter- und Tochterkirchen, sondern Partner."
Der Gedanke mag befremdlich sein für manche deutschen Kirchenmitglieder, die traditionell aufgewachsen sind und im Kindergottesdienst seinerzeit brav ihren Groschen für die "Mission der Negerkinder" gegeben haben. Für die der Familie von Lugemeleza etwa, denn er gehört erst zur zweiten Generation von Christen in seiner Familie. Seine Großeltern, ebenso Bauern wie die Eltern, gehörten einer traditionellen Religion an, sie brachten Tieropfer und hielten bestimmte Rituale ein, um die Geister und Götter günstig zu stimmen - auch wenn sie nicht gegen das Christentum waren.
Edson Lugemeleza dagegen, dessen Eltern durch Bethel-Missionare Christen geworden waren, wurde schon als 13-Jähriger zum Jugendpresbyter seiner Gemeinde berufen, noch vor der Konfirmation. Er übernahm Küsterdienste, putzte die Kirche, schmückte den Altar und trommelte sonntags mit Begeisterung zum Gottesdienst, als Ersatz für die Kirchenglocken. Der alte Gemeindepfarrer und ein deutscher Missionar ermutigten den jungen Mann in den achtziger Jahren, ein fünfjähriges Theologiestudium in Arusha aufzunehmen. "Aber es gehörte einiges an Mut dazu, diesen Schritt zu tun", meint Lugemeleza rückblickend.
Der Missionar von damals ist ihm noch immer ein Vorbild. So wie ihm der deutsche Theologe in Tansania seinerzeit Impulse gegeben hat, so will er als Afrikaner heute in Deutschland Impulse geben. Selbstbewusst spricht er von den Stärken seiner eigenen Kirche gegenüber der deutschen und davon, dass er wichtige Erfahrungen und neue Ideen im Gepäck hat. Warum zum Beispiel sind die Kirchen in Deutschland so leer? Lugemeleza hat eine Antwort darauf. Für ihn ist es grundlegend, Menschen das Gefühl zu geben, dass sie wichtig und einzigartig sind. Für ebenso grundlegend hält er es, die Gemeinschaft untereinander zu stärken, auch zwischen Alten und Jungen. Die Tradition soll ihren Platz haben, die Erfahrungen der Älteren, aber auch die Lebendigkeit und der Ideenreichtum der Jugendlichen. "Für uns ist der Gottesdienst ein Fest, das alle mit gestalten", erzählt Lugemeleza, in dessen Heimatkirche rund 60 Prozent junge Leute sind. Auch im Sauerland, wo Lugemeleza Kinder- und Jugendarbeit als einen seiner Schwerpunkte sieht, habe er Offenheit für neue Ideen gefunden.
Das Eintrittstor zu den Herzen der Menschen ist für Edson Lugemeleza die Musik. Und die macht er selbst. Er trommelt und singt, er klatscht und tanzt, er spielt und erzählt gerne Geschichten. Viele tansanische Lieder und Erzählungen zum Beispiel hat er ins Deutsche übersetzt. Er informiert auch über Kultur und Tradition, über Politik und Gesellschaft, etwa die Auswirkungen der hohen Auslandsverschuldung in Tansania und die Bedeutung der internationalen Entschuldungsbewegung. Lieder und Texte werden jetzt in einem Buch unter dem Titel "Tansania mit allen Sinnen erleben" zusammengefasst und von der VEM voraussichtlich im Herbst herausgegeben.
"Als ich vor fünf Jahren nach Deutschland kam, hatte ich viele Ideen, von denen manche nicht geklappt haben", amüsiert sich Lugemeleza. Dass er jedoch einmal ein solches Buch veröffentlichen würde, habe er sich nicht träumen lassen. Das habe sich erst in Deutschland entwickelt, wegen der großen Nachfrage. "Bei den Workshops, die ich gemacht habe, waren die Leute begeistert. Deshalb habe ich alles aufgeschrieben und lasse es da", erzählt er und kommt wieder auf sein zentrales Thema: "Das ist doch das, weshalb ich hergekommen bin, damit wir voneinander lernen und uns im Glauben ermutigen." Dazu zählt auch, dass er über den Umgang mit der Bibel, die Fragen von Tod und Sterben oder die Existenz einer Kirche ohne Kirchensteuern spricht.
Nach sechs Jahren wird die Familie Lugemeleza zurückkehren. Dann beginnt der Austausch in die andere Richtung, und neben der altdeutschen Wohnzimmeruhr werden zahlreiche neue Ideen mit im Gepäck nach Tansania sein. Spontan zählt der lebhafte Theologe eine ganze Reihe auf: Kinderbibelwochen sind gut, Jugend- und Gemeindefreizeiten, der Einsatz von Bildern und Medien bei der Predigt, die evangelisch-katholische Ökumene vor Ort, die Einbeziehung der Kinder im Konfirmandenunterricht ohne frontale Lehrmethoden und die stärkere Position der Frau. "Wir müssen die Chancen der Frauen in Tansania verbessern, damit es mehr Partnerschaft gibt, auch in der Kirche", meint Lugemeleza, dessen Frau Prisca ebenfalls sehr aktiv in der Gemeinde ist.
Wenn die Lugemelezas sich im Frühjahr 2003 in Plettenberg verabschieden, dann wird das mit einem lachenden und einem weinenden Auge geschehen. "Aber es war immer klar für uns, dass wir nur sechs Jahre bleiben wollen." Anschließende Funkstille ist jedoch nicht zu befürchten, denn die langjährigen Partnerschaften zwischen den westfälischen Kirchenkreisen und der ELCT mit Besuchen hin und her bleiben bestehen. Zu Hause allerdings wird Edson Lugemeleza viel zu tun haben. Wenn die Gemeindearbeit ihm die Zeit dazu lässt, will er auch in Tansania ein Liederbuch herausgeben. Das ist eine Idee aus Deutschland und eine Arbeit, die er hier schon begonnen hat - mit dem Sammeln und Niederschreiben der heimischen Lieder. Denn in Tansania sind viele Melodien und Texte nur mündlich überliefert. Irgendwann werden sie nicht mehr gesungen und sterben mit den Alten, die sie kennen. Ganz anders als in der deutschen Kirche mit ihrem jahrhundertealten schriftlichen Liedgut. Das bleibt erhalten, auch wenn niemand die Lieder mehr singt und stattdessen hier und da ein tansanisches Lied im Gottesdienst auftaucht: lebendige Spuren der ökumenischen Begegnung.
aus: der überblick 02/2002, Seite 114
AUTOR(EN):
Bettina von Clausewitz:
Bettina von Clausewitz ist freie Journalistin und Buchautorin in Essen.