Die Erfahrungen wirken bis heute nach
Dreißig Jahre ist es her, dass Wieland Walther als Fachkraft in Tansania eingesetzt war: Von 1971 bis 1974 arbeitete er dort als Arzt, vermittelt von Dienste in Übersee. Doch diese drei Jahre wirken bis heute nach nicht zuletzt weil sie seine Berufsauffassung stark beeinflusst haben.
von Bernd Ludermann
Damals war die Rückkehr nach Deutschland insofern leichter, als man sich im Beruf "die Stellen aussuchen konnte", erzählt Walther. Er begann zunächst als junger Arzt in einem Krankenhaus und erlebte eine Art Kulturschock. Gleich am ersten Tag nahm ihn der Chef auf die Visite in der Privatstation mit. "Das war schier zum Davonlaufen", sagt Walther. "Der erste Patient beschwerte sich, dass die Brötchen nicht frisch waren, der zweite, dass der Salat schlecht gewürzt sei. Wir hatten in Tansania erlebt, dass die Leute nicht wussten, wovon sie sich ernähren sollten."
Nach einem Jahr ließ sich Walther als Hausarzt im Schwarzwald nieder. Seine Erfahrungen in Tansania veranlassten ihn, dort Manches anders zu machen als im deutschen Gesundheitswesen üblich. So stand bei ihm das Gespräch mit den Patientinnen und Patienten stärker im Mittelpunkt. Dafür verordnete er, wie er nach einiger Zeit feststellte, im Durchschnitt fast ein Drittel weniger Medikamente als seine Kollegen.
Der für ihn lehrreichste Unterschied zwischen dem deutschen und dem tansanischen Gesundheitswesen war jedoch der Umgang mit dem Tod. "Wenn jemand unheilbar krank ist und es ihm sehr schlecht geht, kommt er bei uns ins Krankenhaus", erklärt Walther. "In Tansania wird er dann nach Hause geholt. Man stirbt dort zu Hause."
Walther begann, so etwas seinen Patienten und ihren Familien vorzuschlagen. In Tansania hatte er gelernt, über das Sterben offen zu sprechen, sagt er. Die meisten Todkranken und auch ihre Familien in Deutschland waren dafür dankbar. "Allerdings kamen sicher die zu mir, die für diesen Umgang mit dem Sterben offener waren, denn ich war bald bekannt dafür", erklärt er. Und erleichtert wurde die Begleitung Sterbender dadurch, dass das Paul-Lechler-Krankenhaus, das zum Deutschen Institut für Ärztliche Mission gehört, schon früh eine gute ambulante Schmerztherapie für den Großraum Tübingen verfügbar machte.
Seine Kollegen nahmen Walthers Methoden unterschiedlich auf. Manche wurden dadurch zum Nachdenken angeregt. Den Aufenthalt in Afrika hielten aber die meisten für "verlorene Zeit" und interessierten sich wenig für Walthers Erlebnisse dort. Etwas mehr Interesse fand er auf öffentlichen Veranstaltungen, wo sich Walther in den ersten zehn Jahren nach seiner Rückkehr für die Öffentlichkeitsarbeit von Dienste in Übersee engagierte. "Afrika als exotischer Einstieg in eine Debatte über unsere Art Medizin wurde immer interessiert aufgenommen", erinnert er sich. Das Interesse an Berichten über ferne Länder war nach seiner Erfahrung größer als heute, da die Leute noch kaum selbst reisen konnten.
Heute ist Walther im Ruhestand. Auch den will er unkonventionell gestalten: Er und seine Frau arbeiten an einer Initiative von älteren Menschen mit, die gemeinsam oder nahe beeinander wohnen und sich gegenseitig unterstützen wollen. Auch politisch setzt sich Walther weiter für Fragen der Einen Welt ein etwa in der globalisierungskritischen Bewegung attac. Die Jahre in Tansania lassen ihn nicht los.
aus: der überblick 03/2004, Seite 118
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".