Südsudanesische Kirchenführer suchen Kontakt zu europäischen Partnern
Dr. Wolfgang Heinrich (45) ist Leiter der 1997 gegründeten Arbeitsstelle Frieden und Konfliktbearbeitung (Afrika) in Bonn. Im März reiste er als Mitglied einer Delegation des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in den Südsudan, um mit den Kirchenführern dort darüber zu beraten, wie die Beziehungen zwischen den Kirchen im Südsudan und den deutschen evangelischen Kirchen ausgebaut werden können.
von Ein Gespräch mit Wolfgang Heinrich
Das Interview führte Uwe Kerkow
Mit wem sind sie in den Südsudan gereist und was war der Zweck der Reise?
Die Delegation bestand aus Herrn Oberkirchenrat Eberhard Hitzler vom Kirchenamt der EKD, der dort zuständig ist für die Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt, Frau Marina Peter, der Leiterin des Sudan Focal-Point Europe und mir. Der Sudan Focal Point ist ein Netzwerk von derzeit etwa 46 europäischen Hilfsorganisationen, die im Sudan Nothilfe leisten oder Entwicklungsarbeit machen. Der Zweck unsere Reise war es, mit den sudanesischen Kirchen zu beraten, wie die Beziehungen zwischen den deutschen evangelischen Kirchen und den Kirchen im Südsudan ausgebaut werden können, und zwar über die Kontakte der evangelischen Hilfswerke hinaus. Das Ganze geht zurück auf eine Reise des Vorsitzenden des Rates der EKD, Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt, im Jahre 1994. Er hat damals mit einer Delegation des Rates der EKD die Kirchen im Nord- und im Südsudan besucht. Schon in diesen Gesprächen äußerten die sudanesischen Bischöfe den Wunsch nach intensiveren zwischenkirchlichen Beziehungen, nach einem intensiveren theologischen Dialog.
Welche Inhalte sollen diesen Beziehungen zu Grunde liegen?
Das ist genau der Punkt, den wir jetzt mit den sudanesischen Kirchen diskutieren: Was erwarten sie genau? Wir haben den Eindruck gewonnen, dass es ihnen besonders darum geht, stärker in den Dialog über die Frage zu kommen: Was heißt es eigentlich, kirchenleitende Funktionen in einer Kriegssituation wahrzunehmen? Wie muss die Rolle der Kirche in einer solchen Konfliktsituation aussehen? Welche Rolle kann und sollte Kirche gegenüber den politischen Akteuren, gegenüber der Gesellschaft in diesem Spannungsfeld spielen? Wichtig waren ihnen jene Probleme, die über die Fragen praktischer Nothilfe oder entwicklungspolitischer Zusammenarbeit hinausgehen.
Es ging um die Fragen nach dem Grundverständnis der Kirchen in einer Gesellschaft, die sich im Grunde seit über 40 Jahren in einem permanenten Kriegszustand befindet. Dazu muss man wissen, dass die gegenwärtigen Kirchenführer im Südsudan ja nicht gezielt für ein solches Amt vorbereitet wurden.
Häufig haben sie nach einer theologischen Ausbildung als Gemeindepastoren gearbeitet und sind irgendwann in kirchenleitende Ämter gewählt worden. Nicht zuletzt auf Grund ihrer isolierten Situation im Sudan haben sie wenig Erfahrungen sammeln können, die ihnen in Führungspositionen weiterhelfen könnten. Und sie müssen ihr Amt unter extrem schwierigen Umständen ausüben. Die sehr komplexen Konflikte im Sudan reichen ja bis in die Kirchen hinein. Dieses hat zu dem Wunsch geführt, so etwas wie eine "seelsorgerliche Begleitung" zu bekommen, damit sie auch die theologischen Fragen, die sich in der täglichen Arbeit stellen, mit jemandem zusammen reflektieren können.
Liegen schon erste Ergebnisse vor?
Die ersten Ergebnisse ergeben sich aus Gesprächen, die wir in Nairobi führen konnten. Als wir in Nairobi ankamen, tagte dort gerade das Exekutivkomitee des südsudanesischen Kirchenrates, des New Sudan Council of Churches (NSCC). Unsere Absicht, Bischöfe im Südsudan in ihrem Arbeitsfeld zu besuchen, konnten wir nicht verwirklichen, weil wir gleich am ersten Tag unseres Aufenthaltes in einen Bombenangriff der sudanesischen Regierung hineingerieten. Daraufhin rieten uns unsere Partner aus Sicherheitsgründen, nach Nairobi zurückzukehren.
Wir haben den Eindruck gewonnen, dass sich die südsudanesichen Bischöfe von den europäischen Kirchen nicht nur seelsorgerliche und theologische Gespräche wünschen. Sie hoffen auch, dabei beraten zu werden, wie sie sich als kirchenleitende Persönlichkeiten in politischen Fragen positionieren sollten, sei es auf nationaler Ebene, sei es bei Problemen, die die Friedensprozesse im Süden des Sudan betreffen. Im Grunde geht es also um Aufgaben, die man als politische oder gesellschaftliche Diakonie bezeichnen könnte.
Was kann man sich darunter vorstellen?
In Deutschland führen die beiden Kirchen politische Dialoge mit gesellschaftlich relevanten Kräften unter anderem über die Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE). So etwas Ähnliches müssten die südsudanesischen Kirchenführer auch machen: Sie müssen sich zum Beispiel mit den verschiedenen kämpfenden Fraktionen auseinander setzen – einfach deshalb, weil sie mit ihnen konfrontiert sind. Sie müssen sich im tagtäglichen Leben mit diesen Kräften auseinander setzen, sie müssen aber auch zu der politischen Programmatik der Gruppen Stellung beziehen.
Und mit Blick auf die Zukunft der Region müssen sie versuchen, ihre eigene Vision zu formulieren und ihre Stimme zu Gehör zu bringen. Die zentrale Frage ist also: Wie können die südsudanesischen Kirchen dieses leisten, ohne in den Konflikten Partei zu werden oder parteilich vereinnahmt zu werden? Das sind Fragen, bei deren Beantwortung ihnen die kirchlichen Hilfswerke nicht alleine helfen können. Das sind Fragen, die auch auf theologischer Ebene reflektiert werden müssen. Besonders interessiert sind die Partner zum Beispiel an den Erfahrungen, die die deutschen Kirchen im geteilten Deutschland gemacht haben, denn sie selber leben ja in einem vom Krieg zerteilten Land.
Wird also ein neuer Konsultationsprozess beginnen?
Unsere Überlegungen laufen darauf hinaus, dieses Anliegen im ökumenischen Rahmen in die Tat umzusetzen. Wir möchten diesen Erfahrungsaustausch gemeinsam mit der katholischen Kirche in Deutschland, aber auch mit anderen europäischen Kirchen wie der anglikanischen Kirche in England durchführen. Diese pflegen natürlich auch sehr enge Beziehungen zu den Kirchen im Südsudan. Der norwegische Kirchenrat hat vor einigen Jahren ein pastorales Begegnungsprogramm aufgelegt. Ideal wäre nach meiner Vorstellung eine geistig-seelsorgerliche Begleitung der Kirchenführer im Südsudan, die gemeinsam wahrgenommen wird von afrikanischen und europäischen Kirchenführern. Die Mittel dafür können mobilisiert werden. Was wir suchen, sind erfahrene Theologen und kirchenleitende Persönlichkeiten, die sich eine solche Aufgabe zu Eigen machen würden.
aus: der überblick 02/2000, Seite 123