Rückkehr zur Entwicklung
Seit 1991 gilt Mali als die Vorzeigedemokratie in Westafrika. Nach dreißig Jahren Diktatur werden jetzt Menschenrechte geachtet, die Presse ist frei und die Opposition aktiv. Doch die Wirtschaft konnte mit den politischen Erfolgen nicht Schritt halten. Mali gehört weiterhin zu den zehn ärmsten Ländern der Erde. Die Einführung der Marktwirtschaft hat nicht den erhofften Wohlstand gebracht. Die Hoffnung auf ein besseres Leben lässt viele Malier auswandern. Zwei Rückkehrerprogramme sollen das ändern.
von Eva-Maria Eberle
Zwischen 1,5 und 2 Millionen Malier leben als Migranten in anderen Staaten Westafrikas, in den USA und in Frankreich. Viele von ihnen sind auf der Suche nach Arbeit in benachbarte Staaten ausgewandert, etwa 1 Million halten sich in der Côte d'Ivoire auf. In Frankreich leben zwischen 60.000 und 80.000 malische Einwanderer, von denen die meisten aus der Provinz Kayes stammen. Zwar zieht Frankreich auch Studenten an, aber überwiegend sind es ungelernte Arbeiter, die illegal einreisen und auf ein besseres Leben hoffen.
Die Region Kayes im Westen Malis an der Grenze zu Senegal und Mauretanien ist eine arme Provinz. Die Goldvorkommen, die dort von einem südafrikanisch-kanadischen Konsortium abgebaut werden, haben die Lebensbedingungen nicht verbessert. Die Landwirtschaft bestimmt weiterhin das Leben der 1,5 Millionen Menschen. Sie bauen Mais, Hirse und Erdnüsse an und halten Vieh. Etwa 150.000 Personen sind aus Kayes ausgewandert und unterstützen mit ihren Rücküberweisungen ihre Verwandten. Mit diesem Geld gelang es, den Lebensstandard der daheimgebliebenen Familienmitglieder etwas anzuheben. Neue Schulen und Krankenstationen konnten errichtet werden. Läden oder kleine Unternehmen wurden aber nicht eröffnet. Die Familien in Kayes bleiben so weiterhin von der Hilfe ihrer Verwandten im Ausland abhängig. Allein aus der Côte d'Ivoire erhält Mali dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge jährlich etwa 100 Millionen Euro, aus Frankreich kommen 50 Millionen Euro.
Die malische Regierung ist neuen Initiativen gegenüber sehr aufgeschlossen, die aus der wirtschaftlichen Misere heraushelfen sollen. Unter der Präsidentschaft von Alpha Oumar Konaré (1992-April 2002) wurden zwei erfolgversprechende Programme ins Leben gerufen, die sich um die Rückkehr von Auswanderern bemühen. In Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen (UN) sollen gut ausgebildete emigrierte Malier aus dem Bildungswesen motiviert werden, wenigstens vorübergehend in ihre Heimat zurückzukehren, um mit ihrem Wissen dem Land auf die Beine zu helfen. Zum zweiten hilft ein französisch-malisches Abkommen illegal in Frankreich lebenden, meist schlecht oder gar nicht ausgebildeten Maliern, nach Hause zurückzukehren und eine neue Existenz zu gründen.
Unter Präsident Konaré wurde Bildung zur Chefsache erklärt: In Zusammenarbeit mit den UN wurden insbesondere Universitätsprofessoren aufgefordert nach Mali zurückzukehren. So will man die Bildungsmisere in den Griff bekommen. Neben einer geringen Einschulungs-und damit auch einer entsprechend hohen Analphabetenrate bestehen strukturelle Probleme. So liegt die staatliche monatliche Unterstützung für Universitätsstudenten über dem Mindestlohnniveau. Deshalb, aber auch weil der Universitätsbetrieb nicht immer reibungslos abläuft - 2000/2001 konnten keine Examen abgenommen werden -, bleiben viele Studenten länger als nötig an der Universität oder verlassen das Land, um im Ausland - meist in Frankreich - zu studieren. Damit sich das Studieren auch in Mali lohnt und die Zahl der gebildeten Auswanderer abnimmt, übernimmt das Entwicklungsprogramm der UN (UNDP) für 133 malische Professoren die Kosten für die Rückkehr. Es zahlt auch ihr Gehalt für die Arbeit in Forschung und Lehre an der 1996 eröffneten Universität.
Das zweite Programm, die Rückkehr nach Mali attraktiver zu machen, ist größer angelegt und betrifft eher ungelernte und wenig ausgebildete Migranten. Illegal in Frankreich lebende Malier sollen freiwillig zurückkommen mit einer finanziellen Unterstützung für eine Unternehmensgründung. So sieht es ein eigens dafür abgeschlossenes Abkommen zwischen Frankreich und Mali vor. Bei dem Projekt spielt die Koordinierung von Migrations-und Entwicklungspolitik eine große Rolle. Denn Rücküberweisungen sind für Mali eine große Einnahmequelle. Die Rücküberweisungen aus Frankreich entsprechen mit insgesamt mindestens 50 Millionen Euro jährlich den Entwicklungshilfemitteln, die Frankreich Mali zur Verfügung stellt. Auch mit Marokko, Senegal und den Komoren arbeitet Frankreich an einem Programm, wie Rücküberweisungen sinnvoll einzusetzen sind, und wie (und ob) der Strom von Migranten und ihre Rückkehr zu steuern sind.
Seit 1997 vergibt Frankreich mehr Visa an Malier, die als Urlauber, Studenten und Geschäftsreisende, aber auch im Zusammenhang mit einer Familienzusammenführung kommen. Damit soll der den Zuzug illegaler Einwanderer gesenkt werden. Im Gegenzug soll Mali die Korruption bei der Vergabe von Visa und den Handel mit Einreisepapieren für Frankreich bekämpfen. Im Oktober 2001 wurde der ehemalige Sportminister wegen Visa-Handels zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Während Frankreich 1997 nur 7000 Maliern die Einreise erlaubte, waren es 2001 bereits 25.000.
Seit Dezember 2000 arbeiten Frankreich und Mali in Bezug auf Migration noch enger zusammen. Drei Bereiche werden mindestens einmal im Jahr auf Ministerebene besprochen: die Integration von Maliern, die in Frankreich bleiben wollen; die Zusammenarbeit bei der Steuerung von Migrationsströmen; und eine Art gesteuertes Pendlerprojekt: Menschen aus der "Dritten Welt" sollen die Möglichkeit erhalten, zwischen ihrem Heimatland und Industrieländern hin-und herzuwandern.
In den Bereich der Regulierung von Migrationsströmen gehört auch der Aspekt der Rückkehrförderung. Für beide Länder ist es von Nutzen, wenn statt einer erzwungenen Ausweisung eine freiwillige Rückkehr erreicht wird. Mitte der neunziger Jahre war es zu lautstarken Protesten gekommen, als sich Malier in Frankreich, um sich vor der Ausweisung zu schützen, in Kirchen versteckten, aber trotzdem abgeschoben wurden. Als Reaktion darauf wurde ein Rückkehrprogramm erstellt, das illegal in Frankreich lebende Malier nicht einfach ausweist, sondern ihnen die Möglichkeit gibt, freiwillig zurückzukehren.
Den freiwilligen Rückkehrern wird eine Starthilfe von 3.600 Euro mitgegeben, mit der sie sich in Mali eine neue Existenz aufbauen, ein kleines Unternehmen gründen sollen. Der Betrag entspricht etwa den Kosten, die Frankreich entstehen (3.500 Euro), wenn es einen Einwanderer von zwei Beamten der Einwanderungsbehörde abschieben lässt. Anstatt die Polizeibeamte zu bezahlen, sollen die Rückkehrer das Geld als Starthilfe für ihr Leben in Mali erhalten. Im Rahmen des Programms werden sie ein Jahr lang einmal wöchentlich von malischen Programmkoordinatoren besucht und unterstützt.
Dieses Programm erweist sich für die bisher 500 unterstützten Remigranten als Erfolg. Etwa 80 Prozent der Betriebe existieren noch. So kann das Programm nicht nur für die Zurückgekehrten und ihre Familien die Lebensgrundlage sichern, sondern auch Kleinunternehmen in einer wirtschaftlich schlecht entwickelten Region ansiedeln und weitere Unternehmen nachziehen.
Marena ist mit 16.000 Einwohnern eine typische kleine Stadt in der Provinz Kayes, 50 Kilometer von der Stadt Kayes entfernt. Die meisten Menschen leben von der Landwirtschaft (Mais, Hirse, Erdnüsse, Schafe und Kühe); die wenigsten haben Strom. Viele von ihnen waren schon einmal in Frankreich. Einige sind mit ihren Ersparnissen zurückgekommen, andere in Frankreich geblieben. Mit Hilfe von Rücküberweisungen konnte ein kleines medizinisches Versorgungszentrum aufgebaut werden. Die Ausgewanderten in Frankreich steuern dem Stadtbudget etwas bei und übernehmen auch die laufenden Kosten für die medizinische Versorgung. Dafür zahlen 53 ausgewanderte Familien in ein gemeinsames Versicherungssystem für Marena ein.
In Marena haben die meisten Rückkehrer das französische "Abschiebegeld" in die Landwirtschaft investiert. Andere Zurückgekehrte haben die 3.600 Euro in kleine Unternehmen gesteckt: einen Frisörladen mit fünf Beschäftigten und eine Schneiderei. Die Schneiderei bietet 14 bis 20 Arbeitsplätze. Die importierten Stoffe werden mit traditionellen malischen Motiven bedruckt und dann zu Gewändern und Kleidern verarbeitet, die hauptsächlich im Ausland an Malier verkauft werden. Einer der Rückkehrer pflegt die Kontakte zwischen Frankreich und Mali. Er kauft in Europa billige Gebrauchtwagen, lässt seine zwölf Mitarbeiter in Frankreich die Autos ausschlachten, verschifft die Einzelteile nach Mali und verkauft sie dort als Ersatzteile. Ein weiterer Rückkehrer hat in einen Bagger investiert. In einem Umkreis von 25 Kilometern versorgt er zusammen mit zwanzig bis dreißig Mitarbeitern die Umgebung mit Sand. Der Sand wird auf Boote verladen und in den umliegenden Gebieten zum Verkauf angeboten. Jetzt möchte der Kleinunternehmer gerne einen Kredit für den Kauf eines Lastwagens aufnehmen, um seine Firma zu vergrößern.
Es ist aber nicht so einfach, einen Kredit zu bekommen, wenn man lange im Ausland war und in der Heimat noch nicht wieder in die vorhandenen sozialen Netzwerke aufgenommen wurde. Den Rückkehrern fehlen die Bürgschaften und damit auch die Kredite, um weiter in ihr Unternehmen investieren zu können.
Deshalb gehört zu dem französisch-malischen Abkommen zur Zusammenarbeit in Fragen der Migration auch, mit einer malischen Bank einen Vertrag zu schließen, die Unternehmen Kleinkredite gewähren soll. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit stellt Frankreich zusätzlich für die Jahre 2002 bis 2004 einen Sonderfonds von 2,6 Millionen Euro zur Verfügung, der ausgebildete Malier zur Rückkehr nach Mali bewegen soll. Sie sollen besonders im Bildungswesen und in der Wirtschaft arbeiten. Dazu wird bei allen Maliern in Frankreich erhoben, welche Fähigkeiten und Berufe sie haben - quasi eine Arbeitsvermittlung für Mali in Frankreich. Auch die malische Diaspora in Frankreich hat sich bereit erklärt, in diesen Fonds einzuzahlen und so lokale Projekte zu unterstützen.
Obwohl Rücküberweisungen aus dem Ausland gerade für die Provinz Kayes nicht wegzudenken sind, verspricht auch die wirtschaftliche Initiative der Rückkehrer - wenn auch im viel kleineren Maße - eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation.
aus: der überblick 03/2002, Seite 18
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Eva-Maria Eberle:
Eva-Maria Eberle ist Redakteurin beim überblick.