EZE-Arbeitsbericht 1998/99
von Jürgen Schübelin
Als nach dem Ende des Krieges um das Kosovo Untersuchungsergebnisse der Bundeswehr-Universität durchsickerten, nach denen sich die Kosten für die Kampfhandlungen auf Seiten Jugoslawiens und der NATO auf zusammen 45 Milliarden Mark belaufen und nun für den Wiederaufbau mindestens weitere 57 Milliarden Mark benötigt würden, war eine Frage plötzlich en vogue: Wäre es für die internationale Staatengemeinschaft nicht ungleich verantwortsbewußter, beizeiten in präventive Maßnahmen zu investieren?
Die Evangelische Zentralstelle für Entwicklungspolitik (EZE) hat dieses Thema in ihrem Arbeitsbericht 1998/99 aufgegriffen und stellt sich der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen für die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit auf dem Gebiet der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung. Konflikte werden als konstituierender Bestandteil von gesellschaftlichen Beziehungen verstanden. Entscheidend ist jedoch, daß die aus unterschiedlichen Wahrnehmungen und Interessen enstehenden Spannungen und Gegensätze sich nicht in bewaffneten Auseinandersetzungen und Kriegen entladen.
Kirchliche Entwicklungszusammenarbeit, so die EZE-Autoren, kann also nicht darauf ausgerichtet sein, Konflikte zu verhindern vielmehr muß es gelingen, das Gewaltniveau bei der Konfliktaustragung zu senken, bzw. einen Beitrag zur Konfliktaustragung ohne Gewalt zu leisten. Unter Verweis auf die von der EZE und dem Kirchlichen Entwicklungsdienst (KED) mitfinanzierte vergleichende Studie über die Wechselwirkungen zwischen Hilfs- und Entwicklungsprojekten und der Konflitkdynamik (Mary B. Anderson: Do no Harm. How Aid can support Peace or War. Boulder, Colorado 1998) wird daran erinnert, daß es in allen Konfliktsituationen einzelne Menschen, Gruppen und Organisationen gibt, die sich dafür engagieren, die Gewaltdynamik zu zerbrechen und der Eskalationsspirale Einhalt zu gebieten.
Mit eindrucksvollen Berichten über den Versuch im nordindischen Bundesstaat Manipur, interethnische Konflikte gewaltfrei zu bewältigen, und über kommunale Friedensinitiativen in Kolumbien wird deutlich, wie spezifische Chancen der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit bei der Konfliktentschärfung genutzt werden können. Im Fall des in Kolumbien entwickelten Konzeptes der "Friedensgemeinden" sind es Kleinbauern in ländlichen Regionen, die diese Form des organisierten Widerstandes gegen Paramilitärs und die Repression durch Polizei und Heereseinheiten mit Unterstützung der lokalen Kirche und christlichen Basisgemeinden entwickelt haben.
Nachdrücklich bemühen sich die Autoren, Idealisierungen und Romantisierung im Zusammenhang mit der Frage nach "Frieden durch Entwicklungsprojekte" entgegen zu steuern. Die Möglichkeiten der "Barfuß-Diplomaten" stoßen nach den Erfahrungen von EZE-Partnerorganisationen dort auf ihre Grenzen, wo es an gutem Willen der verfeindeten Gruppen fehlt. Dennoch sind in vielen eskalierenden Konfliktsituationen kirchliche Institutionen und engagierte Einzelpersonen mit einem kirchlichen Hintergrund in einem unschätzbaren Vorteil: Sie verfügen vielfach auch dann noch über Legitimität und gewisse Handlungsspielräume, wenn staatliche Akteure, Parteien und sonstige politische Interessengruppen längst jeden Kredit verspielt haben.
Eines der entscheidenden Probleme dabei wird jedoch bei der Präsentation des EZE-Finanzberichtes 1998/99 augenfällig. Den Institutionen, die auf dem Gebiet der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, fehlt es mehr denn je an einer angemessenen finanziellen und personellen Ausstattung, um tatsächlich wirksam sein zu können. Zwischen den Erwartungen der Partner in Übersee und der finanziellen Ausstattung von kompetenten Fachorganisationen wie der EZE klafft eine immer schmerzhaftere Lücke.
Nüchtern schildern die Autoren des Arbeitsberichtes, welche Auswirkungen die Mittelkürzungen bei der staatlichen Entwicklungshilfe auf die EZE-Projekte und Programme haben. Das Werk verlor in den vier Jahren zwischen 1995 (Bewilligungsvolumen 198,6 Millionen DM) und 1998 (165,5 Millionen DM) fast ein Fünftel der Gelder - die Inflationsrate nicht einmal eingerechnet. EZE-Geschäftsführer Hartmut Bauer beschreibt die Folgen: "Es mußten Fördermaßnahmen der Partner gekürzt, vorzeitig beendet und bestehende Planungen revidiert werden. Zahlreiche Hoffnungen und Vorhaben der Zielgruppen konnten nicht realisiert werden."
Große Illusionen, diesen Trend in absehbarer Zeit umkehren zu können, macht man sich bei der EZE nicht. Hartmut Bauer erinnert daran, daß im Zusammenhang mit dem Sparpaket von Finanzminister Hans Eichel im Bundeshaushalt 2000 der Etat des BMZ mit am stärksten gekürzt wurde (übrigens ohne daß es dazu in der Öffentlichkeit vernehmliche heftige Reaktionen gegeben hätte). Die Tatsache, daß der Anteil für Entwicklungshilfe am Gesamtetat des Bundes unter der Verantwortung der rot-grünen Bundesregierung auf 1,5 Prozent, dem niedrigsten Stand seit vielen Jahren, gedrückt wurde, steht aus der Sicht der EZE im eklatanten Widerspruch zur Rhetorik etwa des Zukunftprogramms der Bundesregierung "Deutschland erneuern", in dem unter anderem versichert wurde: "Die Bundesregierung stellt sich den Herausforderungen einer internationalen Friedenspolitik. Sie steht in diesem Zusammenhang zu ihren internationalen und bilateralen Verpflichtungen."
Die EZE fordert angesichts dieser Glaubwürdigkeitslücke, die Verhältnismäßigkeit der Politikbereiche zueinander zu überprüfen und endlich der These eine Chance zu geben, daß Prävention allemal billiger ist als Krieg! Wie weit es bis zu dieser Einsicht allerdings noch ist, macht der Arbeitsbericht gleich in einem der nächsten Absätze deutlich. Dort ist wieder einmal nachzulesen, daß mittlerweile allen öffentlichen Entwicklungshilfegeldern sämtlicher OECD-Staaten in Höhe von 50 Milliarden Dollar jährliche Rüstungsausgaben in der Größenordnung von weltweit 780 Milliarden Dollar gegenüberstehen.
Der Arbeitsbericht 1998/99 ist erhältlich bei der Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Mittelstraße 37, 53175 Bonn, Fax: 0228-8101120
aus: der überblick 04/1999, Seite 120