"Wie viele Operationen? Das weiß ich beim besten Willen nicht mehr"
In Venezuela sind Schönheitswettbewerbe Ereignisse von nationaler Bedeutung. Dabei repräsentieren die Kandidatinnen jedoch nicht das Gesicht dieses Vielvölkerstaates, sondern sie werden an den vermeintlichen “internationalen Standards” gemessen. Auf dem Laufsteg ist nicht nur eine möglichst helle Hautfarbe, sondern auch der Kontakt zum dem richtigen Schönheitszar entscheidend für den Erfolg. Wegweisend nicht nur für das Leben der jungen Frauen, sondern auch für den politischen Machtkampf im Land.
von Karl-Ludolf Hübener
"Das darf doch nicht wahr sein!” Verzweifelt zappte der venezolanische Abgeordnete in seinem Hotelzimmer in Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, durch das Fernsehprogramm. Doch kein venezolanischer Kanal war programmiert. Enttäuscht musste er auf die Übertragung, die er suchte, verzichten. Gesendet werden sollte nicht etwa ein Fußballspiel, sondern die Wahl der Miss Venezuela 2004. Ein Ereignis, das Millionen Venezolaner gebannt vor den Bildschirmen verfolgen - wie es in anderen Ländern nur der Fall ist, wenn ein Spiel mit dem runden Leder übertragen wird.
Auf den offiziellen Internetseiten des Staates Venezuela “Profil Venezuelas” ist in der Rubrik “Herausragende Daten” neben dem höchsten Wasserfall der Welt, dem Salto Angel, und dem drittlängsten Fluss, dem Orinoko, ein weiterer Rekord verzeichnet: In den vergangenen 18 Jahren hat Venezuela mehr internationale Schönheitswettbewerbe gewonnen als jedes andere Land auf diesem Planeten. Vier Mal wurden Venezolanerinnen zur Miss Universum gekürt, fünf Mal zur Miss World und drei Mal zur Miss International. Und in der Hauptstadt Caracas wurden sie wie Staatsbesucher empfangen.
Auf Initiative von Panamerican Airlines ging das Glamourspektakel erstmals im Jahr 1952 in Caracas über den Laufsteg. Die Fluggesellschaft transportierte die Schönheitskönigin anschließend nach Long Beach in Kalifornien, wo im selben Jahr die erste Miss Universum gewählt wurde. Es sollte allerdings noch bis 1979 dauern, ehe die venezolanischen Miss-Fans jubeln konnten und Maritza Sayalero mit der Miss Universum-Titel-Schärpe in Caracas landete. Da waren die meisten Kandidatinnen für die venezolanische Miss-Krone längst auf europäische Idealmaße 90-60-90 getrimmt. Früher fanden sich unter den Thronanwärterinnen auch kleinere und dunkelhäutigere Schönheiten, geizten nicht mit breiteren Hüften und kräftigeren Rundungen.
Das kam der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchaus näher. Die über 20 Millionen Venezolaner sind ein Vielvölkergemisch, mit einer Vielfalt von Hautschattierungen. Die dunkleren Tönungen überwiegen. Mehr als zwei Drittel sind Mischlinge, Mestizen und Mulatten, zumeist identisch mit der ärmeren Bevölkerung. Das wird nicht gern erwähnt, erst recht nicht in besseren Kreisen, wo man auf europäische Abstammung pocht. Da war es mehr als ein Schnitzer, als Präsident Hugo Chávez öffentlich bekannte, in seinen Adern flösse sowohl weißes, als auch indianisches und schwarzes Blut. Einen mono oder macaco, einen Affen, schmähten ihn Oppositionelle, die zumeist aus den gehobenen Vierteln im Osten der Hauptstadt stammen. Rassismus, wenngleich verdeckt, ist nicht neu in dem südamerikanischen Land, erst recht nicht im Geschäft mit dem Körperkult. “Es gibt bei uns eine Menge Rassismus”, bekannte die Direktorin einer Model-Agentur. Ende der achtziger Jahre bewarb sich Miss Amazonas, eine bildhübsche, dunkelhäutige Mischung aus indianischen und schwarzen Vorfahren, um den nationalen Titel. Sie war chancenlos. In der gesamten Miss-Geschichte Venezuelas hat nur ein einziges Mal eine Frau mit dunklerer Haut gewonnen. Im Lande gebe es eben “keine schönen Schwarzen”, behauptete Osmel Sousa, als “Zar der venezolanischen Schönheit” verehrt. Der gebürtige Kubaner ist Präsident der Organisation Miss Venezuela, die ein Vielfaches der auf zehn Millionen US-Dollar geschätzten Kosten für die alljährliche Show als Gewinn kassiert.
Sein Büro, ausgestattet mit goldbezogenen Sesseln, goldgerahmten Spiegeln und Vitrinen im Stil von Ludwig dem Vierzehnten, liegt im Osten der Stadt. Dort, wo sich vor dem malerischen Hintergrund der Kordilleren der weitläufige, exklusive Country-Club ausdehnt. In der Umgebung der Wohnanlagen, Straßenzug um Straßenzug, verwehren Gitter und hohe Mauern, Stacheldraht bewehrt, den Blick auf Villen. Die Anlagen sind umgeben von tropischem Grün, in der Auffahrt stehen sündhaft teure Automobile. In dieser Nobelgegend findet er die meisten seiner titelverdächtigen Frauen.
Osmel Sousa gibt im Geschäft mit der Schönheit den Ton an. Der ehemalige Zeichner, der sein Alter nicht verraten will, aber um die 60 Jahre alt sein dürfte, gilt als Meister des Miss-Stylings. Ohne ihn hätte es für Maritza Sayalero wohl kaum zur begehrten Schärpe gelangt. Er riet ihr, die Nase chirurgisch zu verfeinern, damit diese nicht weiter die “Leuchtkraft ihres schönen Gesichtes” beeinträchtige. Er lässt so lange an seinem Model basteln, bis er zufrieden ist: das kann bleiben, das nicht, da muss was weg, da muss zugesetzt werden, weniger Nase, mehr Silikon. Kein Detail entgeht ihm: Fällt ihr Haar weich genug? Wie ist die Gestik? Kommt der Augenaufschlag rüber? Perfektion ist sein Ziel, plastische Chirurgie für ihn wie “dauerhaftes Make-up”.
Von den 18- bis 21-jährigen caraqueñas, den Frauen aus Caracas, die bei vierstelligen Dollarbeträgen für die Operationskosten keine Sekunde zögern, lassen sich 60 Prozent plastisch verschönern: ob sie sich nun Fett aus den Hüften absaugen, Nasenknorpel kleiner meißeln, mit Transplantaten das Gesäß runden oder Fett in zu schlanke Waden spritzen lassen. “Wir Chirurgen”, betont Bruno Pacillo, Schönheitsoperateur mit jahrzehntelanger Erfahrung, “haben 30 Prozent Anteil am Erfolg”.
“Wie viele Operationen? Das weiß ich beim besten Willen nicht mehr”, antwortete Monica Spear, als sie nach der Zahl der chirurgischen Eingriffe gefragt wurde. Sie wog 55 Kilogramm, als sie in Osmels Hände geriet: “Osmel forderte mich auf, vier Kilo abzunehmen, aber dann war ich ihm zu schlank. Ich musste wieder zunehmen.”
Weniger Erfolg hatte der begehrte Miss-Gestalter mit seinem Geschöpf bei den Fragen der Juroren - trotz Rhetorik-Kurses, der den Anwärterinnen Kenntnisse und Sicherheit vermitteln soll. Bei der Bewerbung hatte die Schöne ein Studium der “dramaturgischen Künste” angegeben. Welchen venezolanischen Dramaturgen sie am meisten bewundere, wurde sie von den Juroren gefragt. Antwort: Gabriel García Márquez. Auf den peinlichen Patzer aufmerksam gemacht, entschuldigte sich Spear: Sie habe doch in den Vereinigten Staaten studiert. Dennoch wurde Monica Spear Miss Venezuela 2004. Es gebe zwar eine Jury, ging prompt die üble Nachrede, aber gewöhnlich gewinne die von Sousa bevorzugte Kandidatin.
Wer es bis zur Schönheitskönigin schaffen will, muss früh anfangen: In der Mannequin-Schule Garbo & Class trainieren bereits die vier- bis neun-Jährigen mit kräftigem Make-up und Hollywood-Lächeln für Auftritte auf dem Laufsteg. Dort trifft man Kinder, wie die fünfjährige Luchita, die mit Marylin Monroe-Sonnenbrille posiert und auf mächtigen Plateau-Absätzen balanciert. Auch die siebenjährige Aylin, die bereits hüftwiegend wie ein Topmodel daherkommt, übt schon fleißig. Beide sind blond und hellhäutig.
Ist Garbo & Class die Vorschule, dann ist die Agentur des Ex-Models Giselle Reyes, die in einem luxuriösen Chalet residiert, die Universität der Models. Ein Kurs bei ihr kostet bis zu umgerechnet 9000 Euro. Dafür stehen Ästhetik- und Ernährungsberater bereit, Fitness-Trainer, Schönheitsdoktoren und Zahnärzte, verantwortlich für das “Design des Lächelns”. Reyes ist neben Osmel Sousa die einflussreichste Persönlichkeit im Miss-Geschäft.
Als eines seiner großen “Kunstwerke” betrachtet der Perfektionist Sousa die Frau, die als Inkarnation der venezolanischen Barbie gilt: Irene Sáez. “Sie gefiel mir auf Anhieb mit ihrem Puppengesicht.” Als er sie entdeckte, war sie noch reichlich rundlich, aber “das kann man immer hinkriegen”. Ihre Wege kreuzten sich später erneut in einem Friseursalon. Da hatte sie abgenommen, “sie war perfekt, sie musste nicht einmal operiert werden”. Sein Drängen war zunächst von wenig Erfolg gekrönt. Die Familie war dagegen, dass sich die Tochter “in jener Welt bewegt”. Die streng katholisch erzogene Irene stellte schließlich ihre Bedingungen. Osmel Sousa verpflichtete sich, Irene nur dann im Badeanzug auftreten zu lassen, wenn es unumgänglich ist. Auf Empfehlung Osmels in Rosa gekleidet eroberte die Blondine im Jahr 1980 den Miss-Thron in Venezuela. Anschließend durfte sie sich mit dem Titel einer Miss Südamerika schmücken und im Jahr 1981 krönte sie als 19-Jährige ihre Laufbahn mit dem Miss Universum-Titel.
Doch ihr Höhenflug endete nicht auf dem Laufsteg: Während andere Schönheitsköniginnen im Fernsehen ein Angebot als Moderatorin erhielten, in Telenovelas und Shows die eine oder andere Rolle spielten, studierte sie Politische Wissenschaften und wurde zur Bürgermeisterin im Stadtteil Chacao gewählt. Ein Viertel der Reichen im Osten der Hauptstadt, bald “Irenelandia” genannt. Und sie gründete ihre eigene politische Bewegung “IRENE”.
Der Miss Universum-Titel und die damit verbundenen Reisen hätten ihr bei ihrer politischen Laufbahn sehr geholfen, bekannte sie. Sie habe auf diese Weise “äußerst wichtige Persönlichkeiten der internationalen Politik kennen gelernt: Ronald Reagan, Augusto Pinochet und Margaret Thatcher”. Vor allem die Eiserne Lady ist ihr großes Vorbild. Und es fehlte nicht viel, und die konservativ und neoliberal eingestellte Irene Sáez wäre in das höchste Amt Venezuelas gewählt worden. Doch Hugo Chávez durchkreuzte im Jahr 1998 ihre Pläne und entschied die Wahl des Präsidenten für sich. Sein politisches Programm, die “Bolivarianische Revolution”, richtete das Augenmerk vor allem auf die Ranchos, die Armenviertel, die sich an den bergigen Hängen in Caracas hochziehen. Deren Bewohner waren stets zu kurz gekommen, in diesem Land, dessen Reichtum durch die Förderung von Erdöl an ihnen vorbeiging.
Die geballte Miss-Macht bekam Chávez dann doch noch zu spüren. Irene Saez nahm mit zwei weiteren Weltschönheiten aus Venezuela an einer Demonstration gegen Chávez in Miami teil, unterstützt von Exilkubanern. Miami ist seit Jahren die heimliche Hauptstadt vieler reicher und neureicher Venezolaner. Auch der “Zar der venezolanischen Schönheit” ging gegen den mono auf die Straße. Osmel forderte wie viele andere aus den reichen Vierteln im Osten Rücktritt und Abwahl des “Diktators”. Wohl nicht nur aus politischen Gründen. “Zutiefst besorgt” zeigte sich Osmel, als sich im Mai 2003 ein Drama nationalen Ausmaßes anbahnte: Erstmals würde bei einem internationalen Miss-Wettbewerb keine Venezolanerin antreten. Das wäre fast wie eine Fußball-Weltmeisterschaft ohne Brasilien.
Chávez hatte nach einem Putschversuch gegen seine Regierung, Sabotage an den Erdölförderanlagen, sinkenden Dollarreserven und zunehmender Kapitalflucht ins Ausland eine Devisenbeschränkung verfügt. Die 80.000 US-Dollar, die für den Miss-Auftritt in Panama zu zahlen gewesen wären, überschritten bei weitem die erlaubte auszuführende Geldsumme. Die Präsidentin des gastgebenden Landes Mireya Moscoso, schaltete sich ein. Sie empfing schließlich Gustavo Cisneros, der nicht vergaß zu erwähnen, wie wichtig der Miss Universum-Wettbewerb für Venezuela sei. Wichtig sicherlich auch für seine Konten. Cisneros, ein erklärter Chávez-Feind, gehört nicht nur die Organisation Miss Venezuela, sondern er gebietet zugleich über ein Fernsehimperium, das über die venezolanischen Grenzen hinausreicht. Dazu zählt auch der Kanal Venevision, der die millionenschweren Miss-Wahlen überträgt. Großmütig erklärte er sich bereit, die Kosten zu tragen, damit die 1,76 Meter messende Kandidatin Mariangel Ruiz in Panama “einmal mehr zeigt, wie es um die Schönheit und Intelligenz der venezolanischen Frau” bestellt ist.
Chávez-Anhänger konterten im Internet: “Der Capo (eine Art Mafia-Boss, die Red.) Gustavo Cisneros, in seiner Gier nach der Macht in Venezuela, bereitet über die Wahlen der Miss Universum den Boden vor, damit das lange Dummerchen, das uns bei diesem großen fleischlichen Schlachtfest vertritt, gegen die Regierung wettert.” Doch Mariangel gewann nicht, das Donnerwetter blieb aus.
Trotz der Osmels, Sáez’ und Cisneros’ schalten auch die meisten Chavisten weiterhin den Fernseher ein, wenn Dummerchen über den Laufsteg paradieren. Miss-Wettbewerbe seien populär und fest in der venezolanischen Kultur verankert, meint Antonio Almeida, Soziologe und Dokumentarfilmer. Überall würden Miss-Wahlen veranstaltet - im kleinsten Verein und Club, im Kindergarten, im Slum, im höchsten Andendorf, sogar im Gefängnis. Sport- und Erdölkönigin, wie auch die Königin der Streitkräfte würden gekürt. Dagegen etwas zu unternehmen, “wäre genau so aussichtslos, wie den Venezolanern ihren Lieblingssport Baseball, der ja aus den USA stammt, austreiben zu wollen.”
Venezuela sei zudem - beschreibt es Almeida - ein Land, der unterschiedlichen Strömungen ohne innere Einheit: Auf der einen Seite der starke europäische Einfluss, vor allem von der katholischen Kirche mit ihrer rigiden, konservativen Sexualmoral getragen. Eine Moral, die durchaus zur Doppelmoral gerät. In Caracas gibt es Plastische Chirurgie der besonderen Art: Dort können sich betuchte junge Mädchen vor der Hochzeit in Weiß das verlorene Jungfernhäutchen ersetzen lassen.
Auf der anderen Seite afrovenezolanische Kultur und Religion: Dem Körper haftet keine Sünde an, er ist etwas Natürliches, das man herzeigen und bewundern darf. Deshalb auch eine Miss-Parade im Bikini. Oder tanzende Körper auf Fiestas. “Seht euch nur die Salsa an!” - für Almeida: pure Sinnlichkeit.
Wie tief die Spuren sind, die Miss-Kultur, -Geschäft und -Maße in der venezolanischen Gesellschaft hinterlassen haben, zeigt sich in den ärmeren Vierteln von Caracas und den Städten und Dörfern im Landesinneren. Auch dort wurden nicht wenige der über 100.000 extra angefertigten Irene Dolls, nach dem Vorbild der blonden “Barbie” aus Chacao, gekauft. Auch dort versuchen Mädchen und Frauen, ihre Haare heller zu färben, sich in enge Jeans zu zwängen und auf hochhackigen Schuhen zu stöckeln, um dem “langen Dummerchen” nachzueifern und zu ähneln. So gerne, wie mancher im Land ein einziges, neoliberales Wirtschaftsmodell durchsetzen würde, so liebend gern sähen die Zaren der Mode und des Schönheitsgeschäfts ein einzig gültiges Frauenmodell, das es global und medial zu verbreiten gilt.
aus: der überblick 04/2004, Seite 36
AUTOR(EN):
Karl-Ludolf Hübener :
Karl-Ludolf Hübener ist freier Lateinamerika-Korrespondent für Funk- und Printmedien. Er lebt in Montevideo, Uruguay.