Wenig Hilfe zur Selbsthilfe
Die tansanische lutherische Kirche erhält seit langem im Vergleich zu anderen Kirchen Afrikas überdurchschnittlich viel Hilfe aus dem Ausland. Doch die hat weniger die Selbsthilfe gefördert als zu einer andauernden Abhängigkeit von Finanziers im Norden geführt. Die Gründe erläutert Eberhard Hitzler, der Geschäftsführer der Kammer für Umwelt und Entwicklung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
von Eberhard Hitzler
Die Fragen stellten Jürgen Duenbostel und Bernd Ludermann
Herr Hitzler, welche persönliche Beziehung haben Sie zu Tansania?
Das ist so etwas wie eine Liebesbeziehung. Ich habe 1976 ein Jahr lang an der theologischen Hochschule von Makumira studiert; das hat meine Beziehung zu Tansania begründet. Danach habe ich von 1984 bis 1991 in Tansania als Missionar in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Tansanias (ELCT) in Mto wa Mbu in der Arusha Diozöse der ELCT gearbeitet. Nach meiner Rückkehr war ich in der Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) mit einem großen Sonderprojekt befasst, mit dem versucht wurde, einen gemeinsamen Ansatz zur Reform des Gesundheits- und Erziehungswesens zu erarbeiten. Beteiligt waren auf deutscher wie auf tansanischer Seite katholische, evangelische und staatliche Organisationen.
Die ersten Jahre nach der Unabhängigkeit waren eine Zeit, in der große Hoffnung auf Tansania gesetzt wurde. Kann man sagen, dass hiesige Sehnsüchte nach dem Dritten Weg auf Tansania projiziert wurden?
Bei mir persönlich war es ein bisschen anders. Ich bin relativ unpolitisch nach Tansania gegangen. Erst Tansania hat mich zum überzeugten Sozialisten gemacht, denn ich fand es sehr spannend, was dort an Aufbruchstimmung herrschte. Bei meinen Reisen in den Semesterferien durch tansanische Dörfer und danach durch Kenia fand ich im letzten tansanischen Dorf eine frisch gebaute Schule, sehr engagierte Lehrer und kleine Krankenstationen. In Kenia dagegen gab es zwar eine luxuriöse Großstadt, aber auf dem Land haben allenfalls ein paar katholische Missionare versucht, etwas zu machen. Die gesamte Politik in Kenia war im Gegensatz zu Tansania nicht auf die Entwicklung der ländlichen Regionen ausgerichtet.
Hatten Sie den Eindruck, dass diese sozialistischen Ideale nicht nur vom Staat propagiert, sondern von den Menschen in den Dörfern auch geteilt wurden?
Ich glaube ja - zumindest unter meinen Mitstudenten und vielen anderen wurden sie weitgehend geteilt. Auch ich wurde erst skeptisch, als im Frühjahr vor gut 25 Jahren meine ganz private Revolution gescheitert ist. Ich habe in Tansania nicht nur den Aufbruch miterlebt, sondern für mich ganz persönlich auch schon das Scheitern. Folgendes ist passiert: Obwohl fast alle Bereiche der Wirtschaft verstaatlicht waren, gab es auch noch kleine Privatunternehmer, zum Beispiel kleine Transportunternehmer, die mit Kleinbussen zwischen Arusha und Moshi Personen beförderten. Allerdings gab es staatlich festgesetzte Fahrpreise dafür. Mit der Zeit hat dieser Preis nicht mehr die Ausgaben der Unternehmers gedeckt. Das führte erstens dazu, dass diese ihre Wagen ziemlich herunterkommen ließen, und zweitens dazu, dass sie heimlich und verbotenerweise höhere Fahrpreise von den Passagieren verlangten. Richtig eng wurde es dann im Frühjahr 1977, als die Polizei wegen gravierender Mängel über die Hälfte dieser Busse stillgelegt hatte. Daraufhin stiegen die Fahrpreise auf dem Schwarzmarkt auf das Fünffache. Ein tansanischer Freund und ich hielten dies für antisozialistisch. Wir haben uns bei einer Fahrt geweigert, den geforderten fünffachen Preis zu bezahlen, und versucht, die Mitfahrer - fast alles Frauen, die zum Markt fuhren - zu agitieren, dass dies gegen Nyerere und Ujamaa und eine anständige sozialistische Politik sei. Aber da haben alle nur die Köpfe eingezogen, und unsere Revolution ist leider gescheitert. Wir wussten zwei Tage später auch, warum. Denn es hatte sich sehr schnell bei allen Busunternehmern herumgesprochen, dass man diesen Weißen und den Afrikaner mit Jimi Hendrix-Frisur am besten gar nicht mitnimmt. Dieses Risiko wollten und konnten die Marktfrauen natürlich nicht eingehen, die auf die Busse angewiesen waren, um auf den Markt zu kommen.
Dieses kleine Beispiel wie auch die wachsende Korruption und der zunehmende Schwarzmarkt in einer Mängelwirtschaft haben mir gezeigt, dass das Wirtschaftsmodell Nyereres und die weitgehende Verstaatlichung der Wirtschaft letztlich nicht funktionieren. Wirtschaftliche Eigeninitiative als Motor für wirtschaftliches Wachstum wurde damit systematisch kaputtgemacht. Das habe ich allerdings erst später richtig verstanden. In den siebziger Jahren war ich von Julius Nyereres Modell eines eigenständigen afrikanischen Sozialismus ebenso überzeugt wie von seiner Person. Seine Integrität und Lebensleistung, aus Tansania eine Nation zu bilden, bewundere ich bis heute. Nicht umsonst hatte Tansania damals die geringste Analphabetenrate und eines der umfassendsten Gesundheitssysteme in ganz Afrika. Nur leider war dieses System wirtschaftlich nicht tragbar.
Sondern nur mit Hilfe von außen. Auch die tansanischen Kirchen - insbesondere die lutherische - haben von deutschen Kirchen und deren Werken überdurchschnittlich viel Hilfe erhalten. Warum?
Ich denke, der erste Grund liegt in der Kolonialgeschichte. Tansanias lutherische Kirche ist nun einmal die größte auf dem afrikanischen Kontinent, und sie ist aus deutscher Missionsarbeit hervorgegangen. Dadurch war die Verbindung nach Deutschland schon immer sehr eng. Inzwischen tragen die deutschen Missionswerke weitaus mehr zur Finanzierung dieser Kirchen bei als zum Beispiel die gesamte lutherische Kirche der USA.
Ist die starke Konzentration auf Tansania in den deutschen Kirchen umstritten oder wird das gar nicht hinterfragt?
Es gab schon in den siebziger Jahren im Kirchlichen Entwicklungsdienst und in den Synoden immer wieder Anfragen: Im Prinzip dürfe es nicht sein, dass Tansania vor Südafrika oder Äthiopien und im Verhältnis zu anderen Kirchen auf der Welt überproportional Hilfe erhält, nämlich fast zehn Prozent der Mittel des Kirchlichen Entwicklungsdienstes, während andere kirchliche Partner wesentlich weniger bekommen. Dieses Ungleichgewicht wurde immer wieder hinterfragt. Interessanterweise hat das nie zu Konsequenzen geführt. Tansania ist bis heute eines der am meisten geförderten Länder - sowohl für den kirchlichen Entwicklungsdienst als auch und insbesondere für viele Missionswerke.
Schlägt sich die Missionstradition in der heutigen Art der Hilfe noch nieder?
Sie schlägt sich zum Beispiel dadurch nieder, dass die ersten Missionare kirchliche Hospitäler errichtet und Schulen gegründet haben. Damit hat die tansanische Kirche, insbesondere die lutherische, ein sehr zwiespältiges Erbe. Auf der einen Seite tragen die Kirchen insgesamt - also nicht nur die lutherischen - durch ihre Einrichtungen mit fast 50 Prozent zum Erziehungswesen und zu einen Großteil zum Gesundheitswesen bei. Auf der anderen Seite sind mit Krankenhäusern und Schulen erhebliche laufende Kosten verbunden, die die tansanischen Kirchen aus eigener Kraft bei weitem nicht decken können. So müssen sowohl laufende Kosten als auch Renovierungs- und Reparaturarbeiten immer wieder aus Entwicklungshilfemitteln bezahlt werden. Das ist für die Entwicklungswerke keine befriedigende Situation, weil diese nach dem heutigen Entwicklungsverständnis nur sehr ungern immer wieder neu in Institutionen und Gebäude, in Ziegel und Zement investieren und laufende Kosten tragen (vgl. Steffen Flessa im Forum in diesem Heft).
Damit werden die Kirchen zum Lückenbüßer für soziale Aufgaben, die der Staat nicht erfüllt.
Davor haben wir auch immer gewarnt. Es gab Zeiten, in denen der Staat noch Unterstützung für die kirchlichen Krankenhäuser und Schulen gezahlt hat, doch die ist immer geringer geworden. Aber man muss auch sehen, dass letztlich Staat und Kirchen in der gleichen Abhängigkeit sind. Weder schafft es der Staat, mit seinen Steuereinnahmen einigermaßen das Erziehungs- und Gesundheitswesen aufrecht zu erhalten, noch schaffen das die Kirchen. Das Problem haben wir ja in vielen anderen Ländern auch.
Wie hat die Hilfe, die die lutherischen Kirchen in Tansania über Jahre bekommen haben, diese Kirchen verändert?
Die Kirchen sind in vielen Bereichen nach dem Vorbild der westlichen Kirchen aufgebaut, mit ähnlichen Strukturen und Kirchenämtern. Vor allem diese - aus meiner Sicht notwendige - Struktur über den Gemeinden lässt sich aber nur aus externen Mitteln finanzieren. Die Gemeinden selbst sind dazu nicht im ausreichenden Maß in der Lage. Diese Verwaltungen brauchen Geld für ihre übergemeindlichen Aufgaben, Finanzmittel wiederum brauchen eine ordentliche Verwaltung. Das war bereits in den siebziger Jahren so, als ich die Kirchen in Tansania kennen gelernt habe. Deshalb kann ich nicht sagen, wie die Kirchen in Tansania ohne die externe Hilfe und ohne die Abhängigkeit von ihr ausschauen würden.
Was mich allerdings wundert: In den siebziger Jahren gab es in Tansania heftige Diskussionen über die Frage der Abhängigkeit von außen. Das hing natürlich auch mit der Staatsphilosophie von Unabhängigkeit und kujitegemea (auf die eigenen Kräfte setzen) zusammen. Aus der äthiopischen Mekane Yesus Kirche gab es damals sogar die Forderung nach einem Moratorium: Es sollten für eine gewisse Zeit keine Missionare geschickt und vielleicht auch keine finanzielle Unterstützung gegeben werden. Diskutiert wurde das heftig und auch befürwortet unter den Studenten am Makumira Theological College in Tansania, an dem ich damals studiert habe. Aber Konsequenzen gab es keine, und die tansanischen Kirchen haben sich in dieser Moratoriumsdiskussion zurückgehalten. Es ist schon bemerkenswert, dass bis heute, also 25 Jahren später, weder die Höhe der Finanzzuschüsse noch die Zahl der Missionare ernsthaft reduziert worden sind. Die Abhängigkeit ist geblieben und man hat sich - vielleicht mangels besserer Alternativen - mit ihr abgefunden und in ihr eingerichtet.
Wären gemeindeübergreifende kirchliche Institutionen in Tansania ohne die Außenfinanzierung überhaupt lebensfähig?
Vermutlich nicht.
Sollten die hiesigen Kirchen - wie inzwischen bei der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit üblich - mehr direkte Budgethilfe geben, statt einzelne Projekte finanzieren?
Ich hielte das auf der einen Seite für einen richtigen Schritt vorwärts. Stutzig macht auf der anderen Seite, dass in einigen tansanischen Kirchen immer noch Mängel bei der Transparenz und Verwaltung ihrer Budgets bestehen, wenngleich es wohl immer noch besser läuft als in der staatlichen Zusammenarbeit. Auch in den Kirchen gibt es immer wieder Fälle, in denen Gelder nicht zweckbestimmt verwendet werden - das resultiert auch aus dem finanziellen Übergewicht, das Entwicklungsprojekte in Gesamtbudgets von Kirchen haben - , sondern mit Projektgeldern Lücken im Budget der Kirche gefüllt werden. Eine externe Budgetmitfinanzierung, die alle kirchlichen Aufgaben abdeckt, wäre für alle Beteiligten leichter. Aber für unsere Entwicklungswerke wäre dies derzeit nicht machbar, da sie ein relativ enges entwicklungspolitisches Mandat haben und - insbesondere wenn sie mit Staatsmitteln arbeiten - auf eine klare entwicklungsbezogene Zweckbindung achten müssen. Sie können also keine Budgetfinanzierungen fördern für Kirchenbudgets, aus denen auch missionarische Aufgaben, Pfarrergehälter und Ähnliches gezahlt werden.
Führt die große Zahl der Hilfegeber - etwa auch aus Skandinavien - zu einer Konkurrenz der Geber untereinander?
Es gibt ein Koordinierungsgremium, in dem zuerst die tansanischen Kirchen ihre Priorität untereinander absprechen und beschließen, was gefördert werden soll. Diese Anträge werden den Missionsgesellschaften aus den verschiedenen Ländern an einem runden Tisch vorgelegt. Die wiederum sprechen sich über ihre Förderungen ab. Insofern gibt es keine direkte Geberkonkurrenz. Aber daneben gibt es dann immer noch verschiedene Seitenwege der Finanzierung. Auch werden die Absprachen nicht immer hundertprozentig eingehalten. Die Vielzahl der Geberorganisationen führt natürlich - ähnlich wie beim Staat - auch zu unterschiedlichen Abrechnungsmodalitäten für verschiedene Geber, zu sehr vielen Rechenschaftsberichten und hohen Anforderungen an die Verwaltungen der Kirchen. Und solange Geberorganisationen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und Motiven bereit sind, Aktivitäten der tansanischen Kirchen zu fördern, kann man die Geber auch manchmal gegeneinander ausspielen.
Tragen die zahlreichen direkten Partnerschaften zwischen einzelnen Kirchengemeinden auch dazu bei?
Das bewundernswerte Engagement der Partnerschaftsgemeinden auf beiden Seiten hat leider auch seine Schattenseiten, insbesondere im Hinblick auf die finanzielle Hilfe in solchen Partnerschaften. In einer Studie wurde festgestellt, dass allein über die deutschen Partnerschaften rund 10 Millionen Mark jährlich an Gemeinden der ELCT gehen. Das ist nicht nur ein großartiger Beweis für die Hilfsbereitschaft deutscher Gemeinden. So viel Geld führt auch zu Spannungen und Neid innerhalb der tansanischen Kirchen. Wenn etwa eine Gemeinde oder ein Dekanat eine Partnerschaft mit einem Dekanat in Deutschland hat und dadurch über Geldquellen verfügt, von denen nicht einmal die Kirchenleitung etwas weiß, führt das früher oder später zu Konflikten. Spannungen in den Gemeinden und zwischen den Gemeinden treten auch auf, wenn in einer Gemeinde durch diese Hilfe Projekte durchgeführt werden, die nur dieser Gemeinde oder gar nur einzelnen in dieser Gemeinde zugute kommen, während die Nachbargemeinde ohne Partnerschaft solche Möglichkeiten nicht hat.
Wie verkraften die muslimischen Gemeinden, dass die christlichen über soviel mehr Geld verfügen?
Dass die Christen sehr stark in das Schul- und Gesundheitswesen investiert haben, wird natürlich von der muslimischen Seite immer wieder mit Argwohn gesehen. Es führt dazu, dass sehr viele Christen besser ausgebildet sind und dass Muslime nicht wissen, ob sie christlich missioniert werden, wenn sie ins Krankenhaus müssen. Es gab allerdings in den vergangenen gut zehn Jahren auch große Investitionen auf muslimischer Seite - aber fast ausschließlich in Moscheen. Auch die Investitionen waren nur dank externer Hilfe aus arabischen Staaten möglich.
Aus welchen Quellen?
Da wurde immer wieder gemunkelt, Saudi Arabien und der Irak hätten größere Unterstützung geleistet; missionarisches Personal kam teilweise aus dem Sudan. Interessant fand ich dabei, dass diese externe Finanzierung der tansanischen Muslime auf christlicher Seite als ein Affront und Problem angesehen wurde, während die eigene Abhängigkeit von Außenfinanzierung nicht mehr problematisiert wird, erst recht nicht unter dem Gesichtspunkt, wie sie auf Muslime wirkt.
Haben die Partnerschaften und die Außenfinanzierung die Unabhängigkeit der tansanischen Kirchen gegenüber dem Staat gestärkt?
Es ist gar nicht so einfach, festzustellen, was in Tansania Unabhängigkeit der Kirche vom Staat heißt. Gerade zu Nyereres Zeit herrschte ein relativ unpolitisches, eher patriarchalisches Denken in den tansanischen Kirchen. Man hat den Kurs von Nyerere unterstützt. Wenn es irgendwelche Probleme gab, führte das nicht zu einer demokratischen Opposition, sondern man ging zu Nyerere und sagte zum Beispiel: "Lieber Mwalimu Nyerere, Deine Baubehörde in Arusha hat uns illegal unser Grundstück weggenommen. So geht das nicht." Und dann hat Nyerere von oben eingegriffen und dafür gesorgt, dass die Verwaltung in Arusha die Kirchen wieder ordentlich behandelt hat. Erst in den letzten zehn Jahren ist so langsam ein Verständnis dafür entstanden, welche Rolle die Kirche in einer Demokratie, in einem Mehrparteiensystem hat. Ich glaube aber nicht, dass die Partnerschaften oder die Außenfinanzierung einen großen Einfluss auf dieses Verhältnis genommen haben.
Hat diese enge Beziehung der Kirchen zu Nyerere lange Zeit verhindert, dass außerhalb der Kirche eine Zivilgesellschaft entstehen konnte, also nichtstaatliche Organisationen (NGOs)?
Außer den Kirchen gab es bis Anfang der neunziger Jahre keine nennenswerte Zivilgesellschaft, es sei den man bezeichnet damit auch die verschiedenen Parteiorganisationen, wie beispielsweise den Frauenverband. Nahezu alle "zivilgesellschaftlichen" Organisationen waren letztendlich Zweigstellen der Einheitspartei. Die Kirchen waren zwar partei-unabhängig, aber in keiner Weise gesellschaftspolitisch oppositionell. NGOs sind in Tansania erst seit Ende der achtziger Jahre entstanden.
Arbeiten die Kirchen mit den neuen NGOs zusammen oder sehen sie die eher als Konkurrenz?
Es gibt mit einigen NGOs eine enge Kooperation. Andererseits befürchten manche Kirchen, dass die NGOs auch aus kirchlichen Mitteln aus Übersee gefördert werden und - da diese Mittel begrenzt sind - dies zu einer Reduzierung ihrer eigenen Förderung führen kann. Diese Befürchtung sind nicht unberechtigt, gerade im Blick auf "Brot für die Welt" oder den Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), die nicht immer ganz zufrieden waren mit dem Entwicklungsverständnis der Kirchen in Tansania und der Durchführung und Verwaltung kirchlicher Projekte. Insbesondere "Brot für die Welt" hat eine Zeit lang gehofft, über NGOs in Tansania wirksamer Entwicklung fördern zu können. Ob die NGOs allerdings wirklich besser sind, wage ich zu bezweifeln. Ein Konkurrenzverhältnis entsteht allerdings durchaus, und manchmal ist das ja auch nicht schlecht.
Trotz aller Krisen und Neuorientierungen im Land sind die Kirchenpartnerschaften erstaunlich stabil geblieben. Ist die Art der Zusammenarbeit je kritisch überdacht worden?
Die Kritik an der Art der Zusammenarbeit ist bisher sehr verhalten. Tansania ist ein sehr faszinierendes, schönes Land mit sehr freundlichen Menschen. Eine große Rolle dafür, dass die Kirchenpartnerschaften so lange gehalten haben und weiter tragen, spielen auch die Kirchengeschichte und die lange Verbindung über die Kolonialgeschichte. Auf der anderen Seite befriedigt Tansania auch unser Bedürfnis nach Exotik, nach einer relativ unkomplizierten Partnerschaft in einem Land, das politisch relativ stabil ist und wo man schnell und direkt helfen kann. Der Wunsch zu helfen spielt in den Partnerschaften nach wie vor eine große Rolle. Von daher bin ich immer etwas skeptisch bei dem Begriff Partnerschaft. Wenn Geld im Spiele ist - und das ist es auch bei den meisten Partnerschaftsgemeinden -, handelt es sich nach wie vor eher um eine Patenschaft als um eine Partnerschaft. Ein tansanisches Sprichwort sagt, "die Hand des Geber ist höher als die des Nehmers".
Wenn man zusammenfassend zurückblickt: Was waren die größten Korrekturen in der kirchlichen Zusammenarbeit? Aus welchen Fehlern hat man gelernt, welche Fehler hat man gar nicht analysiert?
Eine der wichtigsten Entwicklungen ist die Verschiebung der Inhalte der Partnerschaftsbeziehungen. Die waren lange ganz stark finanziell ausgerichtet aus dem Bedürfnis, direkt in Notlagen zu helfen. Inzwischen sind sie zumindest besser koordiniert. Unter anderem versuchen die Kirchenleitungen, diese Partnerschaften in ihre Gesamtstrategie einzubinden. Versäumt wurde aber, noch einmal über die Frage der Abhängigkeit der tansanischen Kirche von ausländischem Geld und ausländischem Personal nachzudenken.
Die tansanische Kirche hat sich sozusagen in der Abhängigkeit eingerichtet?
Es schaut so aus. Es gab eine Zeit lang Versuche, über Einkommen schaffende Projekte eine größere Unabhängigkeit zu erreichen. Aber diese sind, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, bisher gescheitert. Die Kirchen finanzieren sich aus den Beiträgen und Spenden ihrer Gemeindemitglieder und ansonsten aus ausländischer Hilfe. Bei einigen wenigen Kirchen bezieht sich die Hilfe nur auf ein paar Projekte für begrenzte Zeit. Bei manchen Kirchen in Tansania macht die externe Hilfe über 50 Prozent ihres Haushalts aus.
Könnte man drastisch sagen, das ist eine Abhängigkeit wie zwischen Junkie und Dealer?
Ich glaube ja, weil sich die gegenseitige Abhängigkeit verfestigt hat und es anscheinend keine Möglichkeiten des Ausstiegs gibt. Solange die Kirche in Tansania so strukturiert ist, wie sie ist, kann sie sich auf absehbare Zeit nicht aus eigenen Mitteln finanzieren, sie braucht Zuschüsse von außen. Auf der anderen Seite ist diese Abhängigkeit auch für uns bequem. Insbesondere für viele Missionswerke ist Tansania eines der wichtigsten Länder, mit denen sie ihre ökumenischen Beziehungen gestalten können. Zwar sind die Hilfszahlungen insgesamt rückläufig. Trotzdem tun wir uns auch auf deutscher Seite schwer, mit den tansanischen Kirchen eine Diskussion in Richtung auf größere Unabhängigkeit zu führen.
Das würde aber auch bedeuten, dass die Kirchen ihre Rolle in einem großen Teil des Sozialwesens aufgeben müssten, oder?
Das würde es unter anderem bedeuten. Das ist ein Dilemma, denn gleichzeitig sind wir ja alle der festen Überzeugung, dass die Kirche eine wichtige gesellschaftspolitische Rolle in Tansania hat und sie in Zukunft stärker wahrnehmen soll. Sie wird das aber nicht ohne entsprechende Geldzuflüsse von außen tun können.
aus: der überblick 02/2002, Seite 47
AUTOR(EN):
Eberhard Hitzler:
Eberhard Hitzler ist der Geschäftsführer der Kammer für Umwelt und Entwicklung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).