Günter Linnenbrink hat die Zusammenarbeit von Katholiken und Protestanten entschlossen gefördert
Die Entwicklungshilfe der Industrienationen wird unglaubwürdig, wenn sie nicht vom Willen zur Verbesserung der gegenwärtigen Weltwirtschaft begleitet ist, die zwei Drittel der Menschheit permanent benachteiligt." Das ist ein Satz aus der Erklärung der Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland zur 3. Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD III) in Santiago de Chile unter dem Titel "Partner in der Weltwirtschaft". Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) haben diese Erklärung im März 1972 herausgegeben. Der Entwurf stammte von einer Expertengruppe der Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst und dem Katholischen Arbeitskreis Entwicklung und Frieden (KAEF), aus dem später die Deutsche Kommission Justitia et Pax wurde. Dr. Günter Linnenbrink, damals Geschäftsführer der Kammer der EKD und Vizepräsident des Landeskirchenamtes Hannover, war einer der Initiatoren, die diese wohl erste ökumenisch verantwortete Erklärung der Kirchen zur Weltwirtschaft auf den Weg gebracht haben.
von Leo Schwarz
Es hatte heiße Diskussion darüber gegeben, ob die Leitungsgremien der beiden Kirchen überhaupt eine solche Erklärung veröffentlichen und verantworten sollten. Linnenbrink und seine evangelischen und katholischen Mitstreiter fanden eine glückliche Lösung. Der offiziellen Erklärung wurde ein Papier der Expertengruppe mit sehr konkreten Vorschlägen und Anregungen beigegeben, das in der Verantwortung dieser Gruppe stand. Dieses Papier befaßt sich mit der Öffnung der Märkte, Strukturänderungen in den Industrieländern, der Förderung des Welthandels, der Reorganisation des Weltwährungssystems und Fragen der Entwicklungshilfe.
Wer diese Vorschläge von 1972 aus heutiger Sicht liest und die sie ergänzenden Fachbeiträge von Bruno Knall, Theodor Dams, Helmut Giesecke, Klaus Poser und Friedrich Kahnert, wird erstaunt sein, mit welcher Kontinuität die kirchlichen Gremien über die Jahre hinweg ihre Grundsätze zu entwicklungspolitischen Fragen vertraten und noch vertreten. Linnenbrink hat mit seiner Arbeit zu dieser Orientierung entscheidend beigetragen, aber vor allem auch deren theologische Fundierung vorangetrieben. Die Ziffer 3 aus der Erklärung "Partner in der Weltwirtschaft", die im Entwurf und in ihrem trinitarischen Ansatz aus seiner Feder stammt, zeigt dies beispielhaft: "Im Bekenntnis zur Welt als Schöpfung Gottes und zur Einheit der Menschen sprechen die Kirchen die Verantwortung für ein gerechtes und menschenwürdiges Leben für alle Menschen an.
Im Bekenntnis zu Jesus Christus, der sich für alle Menschen hingegeben hat, wissen sich die Christen zur Liebe und solidarischen Verbundenheit mit den Benachteiligten und Unterdrückten aufgerufen.
Der Glaube an die Erneuerung durch den Heiligen Geist und das zukommende Reich Gottes befähigt die Christen, sich nicht mit den bestehenden Verhältnissen abzufinden, sondern sie um der Menschen willen zu verändern."
Seit Anfang der siebziger Jahre gibt es regelmäßige gemeinsame Sitzungen der Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst und des Trägerkreises des Katholischen Arbeitskreises Entwicklung und Frieden (KAEF) - später Deutsche Kommission Justitia et Pax - , in dem auf katholischer Seite die Vertreter der kirchlichen Hilfswerke und der mit Entwicklungspolitik befaßten Stellen zusammenarbeiten. Aus der gegenseitigen Information und der Abstimmung - bereits zur Öffentlichen Anhörung des Deutschen Bundestages zur Entwicklungspolitik 1970 praktiziert - erwuchs der Wunsch zu stärkerer Zusammenarbeit. Die Kammer der EKD arbeitete mit Hochdruck an den Entwürfen für eine Denkschrift zum Entwicklungsdienst der Kirche. Das könnte eine von beiden Kirchen verantwortete ökumenische Aussage werden, meinte Linnenbrink und bot dem KAEF die Mitarbeit an. Auf katholischer Seite gelang es nicht, so schnell Tritt zu fassen. Die Wissenschaftliche Kommission des KAEF war gerade erst gegründet worden, und die evangelischen Entwürfe waren schon weit fortgeschritten. Eine gemeinsame Erklärung kam nicht zustande, aber in der Denkschrift "Der Entwicklungsdienst der Kirche - ein Beitrag für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt", die 1973 vom Rat der EKD herausgegeben wurde, stand dann ein Nachwort des KAEF, in dem dieser die Übereinstimmung der Auffassungen bestätigte und einige weiterführende Erläuterungen gab. "Ein bislang einmaliger ökumenischer Vorgang", bemerkte damals Bischof Hermann Kunst, Bevollmächtigter des Rates der EKD in Bonn. Linnenbrink hatte diese ökumenische Einmaligkeit durchgesetzt.
Aus den gemeinsamen Sitzungen der beiden kirchlichen Gremien entstand 1975 die Gemeinsame Konferenz der Kirchen für Entwicklungsfragen (GKKE), wie sie zunächst hieß, getragen nunmehr von der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst (AG KED) und dem Katholischen Arbeitskreis Entwicklung und Frieden (KAEF). Die Arbeit führte zu gemeinsamen Erklärungen und Stellungnahmen zur Entwicklungspolitik und Eingaben an die Regierung. Das erste Dialogprogramm zur Entwicklungspolitik 1976 bis 1979 und der abschließende Entwicklungspolitische Kongreß "Entwicklung - Gerechtigkeit - Frieden" in Bonn-Bad Godesberg 1979 mit rund tausend Fachleuten und Interessierten wurde zu einer Nagelprobe der ökumenischen Zusammenarbeit. Sie wurde von den ökumenischen Leitungsgremien und der ökumenisch geführten Geschäftsstelle glänzend bestanden. An diesem Dialog mit Parteien und gesellschaftlichen Gruppen war Linnenbrink intensiv beteiligt. Er machte beim Kongreß klar, daß für die Entwicklungspolitik entscheidend ist, die Partner aus Übersee einzubeziehen. Darüber hinaus setzte er sich dafür ein, einen Grundkonsens zur Entwicklungspolitik in unserer Gesellschaft zu erreichen. Das ist für ihn eine politische Demarkationslinie, hinter die man nicht mehr zurückgehen darf.
In den achtziger Jahren gehörte in der GKKE - die sich in "Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung" umbenannt hatte - die Ökumene bereits zum normalen Alltag. Gemeinsam sprach man mit den Parteien und Bundestagsabgeordneten, mit dem Bauernverband und der Pharmaindustrie, um entwicklungspolitische Vorstellungen der Kirchen einzubringen. Eine ganze Woche saß man mit dem Brasilianischen Kirchenrat (CONIC) zur Diskussion der internationalen Schuldenkrise zusammen: Ursachen, Auswirkungen und Lösungsansätze wurden erörtert. Linnenbrink war dabei, brachte sich ein, argumentierte aus ökumenischer Erfahrung, führte klug und mutig zugleich Gespräche über alle Klippen hinweg, gab Orientierung aus dem Selbstverständnis der Kirchen. Die Zusammenarbeit von AG KED und Justitia et Pax läuft seither vertrauensvoll und offen. Beide Partner wissen, daß sie eingebunden sind in ihr jeweiliges kirchliches Umfeld und daß sie sich gegenseitig nicht überfordern dürfen.
Zum Höhepunkt in der ökumenischen Zusammenarbeit der GKKE wurde das zweite Dialogprogramm zur Entwicklungspolitik 1992 bis 1996. Es ging darum, sich in der Entwicklungszusammenarbeit auf die Armut, die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den Frieden als Voraussetzung für Entwicklung zu konzentrieren. Und es ging darum, Nord-Süd-Politik als eine Querschnittsaufgabe für die gesamte Politik zu verdeutlichen. Gemeinsam standen Linnenbrink als AG KED-Vorsitzender und die Deutsche Kommission Justitia et Pax etliche Konsultationen durch, in denen das Programm Konturen gewann. Eine eigene ökumenisch besetzte Geschäftsstelle für das Dialogprogramm wurde in Bonn eingerichtet, den Vorsitz im Leitungskreis des Programms übernahmen Linnenbrink und Karl Osner, Stellvertretender Justitia et Pax-Vorsitzender. Dem Dialogprogramm gelangen Allianzen der Solidarität mit Gewerkschaftsvertretern und Umweltverbänden, mit anderen nichtstaatlichen Organisationen, mit Parlamentariern und vor allem mit den Partnern in Brasilien und Tansania, in El Salvador und in den Ländern am Horn von Afrika. Wiederum war Linnenbrink beim "Runden Tisch" mit unseren brasilianischen Partnern in Saõ Luis 1995 dabei, vermittelte unsere Intention, Entwicklung vorrangig unter dem Aspekt der menschlichen und sozialen und nicht der rein ökonomischen Zielsetzung voranzutreiben, wie es in der Carajas-Region in Nord-Ost-Brasilien leider geschieht. Vor allem aber wollte und will er den Partnern aus den vielen Basisverbänden Mut machen in ihrem Einsatz zur Stärkung der Zivilgesellschaft.
Bei den großen Tagungen des Dialogprogramms, aber auch bei vielen Gesprächen mit den Partnern und in unseren Sitzungen erfahren wir immer wieder, daß die ökumenische Zusammenarbeit bereichernd wirkt, auch und gerade, wenn evangelische und katholische Christen unterschiedliche Akzente setzen. So ist es für uns aus dem katholischen Bereich immer wieder eindrucksvoll zu erleben, wenn Linnenbrink präsidiert, wenn er Schriftwort und biblische Tageslosung an den Beginn der Beratungen setzt und von dort her zur konkreten Thematik überleitet.
Zur künftigen Struktur der entwicklungspolitischen Verantwortung der Kirchen betonte Linnenbrink bei der Fachtagung zur Auswertung des Dialogprogramms im März 1996: "Wo immer es möglich ist, sollten die christlichen Kirchen gemeinsam, also ökumenisch auftreten und handeln. Sowohl in Zielsetzung, Methode und Motivation gibt es soviel Übereinstimmung, daß es eigentlich einer besonderen Begründung bedürfte, wenn die Kirche und ihre Werke nicht ökumenisch handeln."
Die katholische Seite ist dankbar für diesen entschlossenen Einsatz für die Würde der Armen in der Welt und den Appell an die Kirchen, den Einsatz für weltweite Gerechtigkeit gemeinsam zu leisten.
aus: der überblick 04/1999, Seite 90
AUTOR(EN):
Leo Schwarz:
Leo Schwarz ist Weihbischof in der katholischen Diözese Aachen.