Alle äthiopischen Religionsgemeinschaften gehen inzwischen offensiv mit dem Problem Aids um, berichtet Dr. Richard Preißler. Er ist Organisationsberater und arbeitet seit 2003 im Auftrag des EED in Addis Abeba bei der Aidshilfe-Organisation OSSA (Organization for Social Services for Aids).
Gespräch mit Richard Preißler
Sie arbeiten für die größte in der Aids-Arbeit tätige Organisation in Äthiopien. Was tut die genau?
OSSA hat zwei Schwerpunkte: Die Prävention das heißt durch Aufklärung Verhaltensänderungen herbeizuführen und so neue Infektionen zu verhindern sowie die Unterstützung von Aids-Waisen, Aids-Kranken und HIV-Infizierten. Hierzu hat OSSA insgesamt 15 Arbeitsstationen im Land und arbeitet mit rund 300 Freiwilligen zusammen. Sie sind Ansprechpartner bei allen möglichen Problemen, zum Beispiel bei der Medikation oder ob Kranke weiter zu Hause gepflegt werden können. Die Freiwilligen schulen auch Familienmitglieder und Nachbarn im Umgang mit Kranken. An vier Stellen hat OSSA inzwischen professionelle Krankenschwestern und -pfleger, die Freiwillige speziell ausbilden.
Haben viele Aids-Kranke in Äthiopien Zugang zu anti-retroviralen Medikamenten?
Das ist noch in den Anfängen. Rund 20.000 Äthiopier bekommen solche Medikamente. Das Problem ist weniger deren Verfügbarkeit sie sind im Prinzip da , sondern eher der aufwändige und teure medizinische Apparat, der zur Begleitung nötig ist. Wer diese Medikamente nimmt, muss zum Beispiel regelmäßig Blutuntersuchungen machen lassen. OSSA selbst behandelt in Zusammenarbeit mit den äthiopischen Gesundheitsbehörden bisher nur etwa 100 Menschen mit anti-retroviralen Medikamenten.
Wer sind die Träger von OSSA in Äthiopien?
OSSA ist insofern einmalig, als sie von allen wichtigen religiösen Gemeinschaften in Äthiopien gegründet wurde. Dazu gehören erstens die äthiopische orthodoxe Kirche, zu der sich etwa die Hälfte der Bevölkerung bekennt, zweitens der Rat der Muslime etwa 35 bis 40 Prozent der Bevölkerung sind Muslime , drittens zwei große evangelische Kirchen und viertens die katholische Kirche. Auch das Gesundheitsministerium und zwei internationale nichtstaatliche Organisationen (NGOs) sind Gründungsmitglieder von OSSA. Finanziert wird OSSA überwiegend von evangelischen und auch katholischen Hilfswerken, etwa aus Norwegen, Dänemark und den USA. Der EED ist der größte Geber für das zentrale Büro von OSSA und fördert die Organisation seit langem.
Wie wichtig nehmen die Kirchen in Äthiopien das Thema Aids, wie offen gehen sie es an?
Mittlerweile sehen alle großen Kirchen Aids als ein vordringliches Problem an. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass alle eigene Aids-Programme haben. Auch der Rat der Muslime hat einen Aids-Beauftragten. Vor zwei Jahren hat die orthodoxe Kirche Aids sogar zum Hauptthema des Mesqel-Festes gemacht. Der Patriarch und alle Redner haben sich darauf konzentriert, und es wurden Flugblätter zu Aids verteilt. Bei der Feier, die an die Wiederauffindung des Kreuzes Christi erinnert, versammeln sich immer im September eine Million Leute in Addis Abeba.
Äthiopien ist keins der besonders von Aids betroffenen Länder, oder?
Offiziell sind 4,4 Prozent der Bevölkerung HIV-infiziert auf dem Land 2,6 Prozent, in den Städten über 12 Prozent. NGOs schätzen die Rate etwas höher, über 6 Prozent landesweit. Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern ist das nicht hoch, aber da Äthiopien eins der bevölkerungsreichsten Länder Afrikas ist, kommt man auf hohe absolute Zahlen: 2,3 Millionen Menschen sind nach offiziellen Statistiken infiziert.
Sie sind als Organisationsberater für OSSA tätig. Welche Hauptprobleme sollen Sie lösen helfen?
Zum einen hat die Organisation 1991 mit weniger als zehn Leuten angefangen und ist inzwischen stark gewachsen. Denn das Problem Aids ist größer geworden, es wird offiziell mehr zur Kenntnis genommen und es steht viel mehr Geld für Aids-Arbeit bereit. Vor fünf oder sechs Jahren hatte OSSA 120 bezahlte Mitarbeitende, jetzt etwa 250. Daher müssen Verwaltungsvorgänge formalisiert werden. Hinzu kommt die Koordination der 15 Arbeitsstellen in dem sehr großen Land. Das andere Organisationsproblem ist die Vielfalt der Geberorganisationen. OSSA hat mit 20 bis 25 Gebern zu tun. Einige fördern nur in bestimmten Landesteilen, andere nur in bestimmten Sektoren. Die Kommunikation mit allen und die verschiedenen Formate für Berichte und Abrechnungen sind eine hohe Anforderung an die Verwaltung.
Könnte man zugespitzt sagen, ein Geldgeber muss eine Fachkraft entsenden, weil sich die verschiedenen Geber nicht auf einheitliche Verfahren einigen können?
Das kann man so zuspitzen. Das Problem ist seit langem bekannt. Es gibt Bemühungen der Geber, zu einheitlichen Verfahren zu finden. OSSA muss seinerseits die Geber darauf hinweisen und auf Vereinfachungen drängen. Dies ist aber nur ein Aspekt der erwähnten Management-Aufgaben.
In welcher Hinsicht sind Sie als ausländische Fachkraft nützlich? Gibt es in Äthiopien keine Einheimischen mit der nötigen Qualifikation?
Die gibt es bestimmt. Aber äthiopische Fachleute mit fundierter Verwaltungsausbildung, die vielleicht auch schon international gearbeitet haben, gehen eher zu UN-Organisationen, zur Weltbank oder zu großen internationalen NGOs. Dort bekommen sie ganz andere Gehälter, als nationale NGOs wie OSSA zahlen können. Außerdem kann eine ausländische Fachkraft manches leichter ansprechen. Einheimische sind an soziale Normen gebunden und regeln die Dinge manchmal so, dass es nicht den Anforderungen internationaler Geber an Transparenz und Nachvollziehbarkeit entspricht. Wer den sozialen Normen der einheimischen Gesellschaft weniger unterworfen ist, hat gewissermaßen einen Sonderstatus.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich dränge zum Beispiel darauf, dass ein wöchentliches Management-Treffen, auch wenn ein Teil der Mitglieder im Außeneinsatz ist, regelmäßig stattfindet. Das stellt sicher, dass Entscheidungen nicht fallen, ohne dass wichtige Beteiligte gehört werden. Wenn es etwa um Projekte einer einzelnen Arbeitsstelle geht, sind ja nicht nur die dort Arbeitenden betroffen, sondern auch die Finanzabteilung, die das Budget bereitstellt, oder der Verwalter, der sich um die Personalangelegenheiten kümmert. Regelmäßige Treffen erleichtern es auch, das Vorgehen der verschiedenen Arbeitsstellen anzugleichen. Im Austausch untereinander fällt etwa auf, dass Patienten an einem Ort mehr Unterstützung bekommen als an einem anderen, und man fragt nach, warum das so ist. Erfahrungsgemäß dauern die Treffen immer länger als geplant, das heißt der Bedarf, sich auszutauschen, ist groß.
Hat Ihr Sonderstatus damit zu tun, dass in OSSA Menschen verschiedener Religions- und Volksgruppen vertreten sind und Sie als Außenstehender zu keiner Gruppe gehören, also neutral sind?
Das spielt eine Rolle. Man kann mich nicht als Vertreter einer bestimmten Region oder Volksgruppe abstempeln. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit hat den Ruf, besonders im Gebiet der Oromo zu fördern. Die Mitarbeitenden in OSSA haben aber gesehen, dass ich keinen solchen Vorlieben folge. OSSA entfaltet übrigens, weil sie in allen Teilen Äthiopiens außer der Somali-Region arbeitet, auch eine Integrationskraft zwischen den Volksgruppen.
Sie waren auch schon in anderen afrikanischen Ländern als Fachkraft eingesetzt. Gibt es etwas, was Ihnen in Äthiopien als Besonderheit auffällt?
Ja, die große Bedeutung der Religion und speziell der orthodoxen Kirche. Man merkt, wie lange sie schon im Land verankert ist und welchen Einfluss sie in der Bevölkerung hat. In Ruanda, wo ich lange gewesen bin, sind parallel zur Kirche Traditionen von Heilern viel lebendiger, weil die katholische Kirche viel jünger ist.
aus: der überblick 03/2006, Seite 102
AUTOR(EN):
Die Fragen stellte Bernd Ludermann.