Kunst in der Heilung der Gemeinschaft - Eine Konferenz in Südafrika
Kriege und Gewaltregime haben in Afrika tiefe seelische Wunden hinterlassen. Zu den schwierigen Versuchen, sie zu heilen, kann künstlerisches Gestalten beitragen: Es eröffnet Wege, unaussprechliche Erinnerungen auszudrücken. Eine vom EED unterstützte Konferenz in Südafrika hat Erfahrungen damit zusammengetragen.
von Dorothea Giesche
Afrika ist ein Kontinent vielfacher individueller und gesellschaftlicher Traumatisierungen. Deren Ursprünge reichen zum Teil bis in die Tage der Sklaverei und des Kolonialismus zurück. In Südafrika hat das Apartheidsystem mit seinen unterschiedlichen Formen institutionalisierter Gewalt über Jahrzehnte das gesellschaftliche Gefüge zerrissen und schwere seelische Verletzungen und Demütigungen hinterlassen. Viele Menschen sind dort mehrfach traumatisiert worden, beispielsweise als Angehörige der unterdrückten schwarzen Mehrheit und als missbrauchte Frauen. Und noch immer treffen traumatische Erfahrungen - zum Beispiel Vergewaltigung oder Raub - ganze Gruppen in Südafrika.
Johannesburg war deshalb ein passender Ort für die Konferenz Creative Art for Healing, auf der sich Ende November 2001 Kunsttherapeuten, Künstler und Künstlerinnen, traditionelle Heilerinnen, Psychologen und Psychologinnen sowie Engagierte austauschen konnten. Im Mittelpunkt stand, ob und wie kollektive und individuelle Traumata mit Kunst geheilt werden können. Die meisten der rund 180 Teilnehmenden kamen aus Afrika, einige wenige aus Europa, Australien und den USA. Der EED hat sich an der Vorbereitung der Konferenz beteiligt; seit mehreren Jahren unterstützt er Initiativen, die gesellschaftliche Heilungsprozesse fördern, beispielsweise in Sierra Leone, Mosambik und Simbabwe.
Warum sind Kunst und Kunsttherapie für die Bearbeitung von Traumata wichtig? Ein Trauma beschneidet die Fähigkeit, die Welt zu verstehen und Vertrauen zu haben. Und es kann sich der Aufarbeitung mit Worten entziehen, denn es sitzt, wie neurobiologische Studien festgestellt haben, an einer anderen Stelle des Gehirns als andere Erinnerungen - es ist abgeschnitten von der normalen Fähigkeit, Erinnerungen in Worte zu fassen. Das heißt ein Trauma lässt Menschen in einem Stadium unaussprechlichen Terrors. Das kann bedeuten, dass sie ihre Fähigkeit verlieren, Beziehungen aufzubauen. Sie fühlen sich allein gelassen; damit wird die Hürde zur sprachlichen Bearbeitung des Traumas noch ein Stück höher. Die bildenden Künste bieten da einen Form entspannter Annäherung, die zudem Spaß machen kann.
Im Umgang mit Traumata setzen aber die meisten Therapeuten bisher vorwiegend auf Worte. Gerade in Afrika, wo die Sprache sich von westlicher Praxis unterscheidet, sind nonverbale Zugänge jedoch von besonderer Bedeutung. Die Kunsttherapie ist ein Prozess des Bildens, des Bilder Machens. Sie bietet einen sicheren Raum, innere Prozesse zu erkunden und in einer eigenen Sprache sinnbildlich zu machen, wenn die Worte verloren gegangen sind. Diese nonverbale Kommunikation kann auch kulturelle Hemmnisse und Grenzen überwinden.
Ein Beispiel ist das Projekt Vuka S'hambe ("Junge Häftlinge erwachen"), das auf dem Kongress im November vorgestellt wurde. In diesem Präventivprogramm mit inhaftierten Jugendlichen versuchen Therapeutinnen vom Center for the Study of Violence and Reconciliation (CSVR) in Johannesburg, mit Malen, Maskenbau oder Tonarbeiten Verletzungen und Leiden aus der Kindheit der Häftlinge aufzudecken.
Das Programm verbindet sehr erfolgreich kunsttherapeutische Methoden mit sprachlicher Reflexion. Jugendliche malen oder gestalten zum Beispiel einen Zug und erklären ihren Mithäftlingen danach, wo sie selbst auf dem Bild sind, wer bei ihnen ist und wohin der Zug fährt. Dabei wird ihnen im Gespräch oft schmerzlich bewusst, dass sie nicht in der Führerkabine sitzen, dass sie keine Kontrolle über ihr eigenes Leben haben und dass der Zug bei manchen sogar unaufhaltsam in den Abgrund zu rasen scheint. Die Trauer und der Schmerz, der diese Erkenntnis begleitet, wird mit den Therapeutinnen in der Gruppe aufgefangen und bearbeitet.
Die allermeisten südafrikanischen Kunst- und Theatertherapeuten sind freilich in Europa und den USA ausgebildete Weiße. Ihre Patientinnen und Patienten sind überwiegend weiß und kommen etwa wegen Schlaf- oder Essstörungen. Diese Art der Individualtherapie steht in geradezu absurdem Missverhältnis zum enormen Bedarf an Trauma-Arbeit mit vielen Millionen Schwarzen, die bis heute unter den Folgen der Apartheid leiden und für die Jahrzehnte der politischen Gewalt heute von sexueller und krimineller Gewalt gefolgt werden. Hier bietet die Kunsttherapie eine große Bandbreite an Möglichkeiten, ganze Gruppen und Gemeinschaften in die Trauma-Arbeit einzubeziehen.Die Konferenz in Johannesburg sollte dazu beitragen, das wenig genutzte Potenzial von Kunst und Kunsttherapie für den Heilungs- und Versöhnungsprozess der südafrikanischen Gesellschaft und der gesamten von Kriegen traumatisierten Region zu nutzen. In der Trauma-Arbeit Tätige - etwa aus Ministerien, Lehrer- und Elternvereinigungen oder Basisprojekten - konnten sich über die Bedeutung von Kunsttherapie informieren. Personen, die mit unterschiedlichen Formen und Ansätzen der Kunsttherapie arbeiten wie Malerei, Tanz, Theater und Musik, konnten sich austauschen. Und die Möglichkeiten und Grenzen der Behandlung von Traumata mit den Mitteln der Kunst wurden ausgelotet.
Beim Einsatz von Kunst in der Trauma-Arbeit mit Gruppen wie missbrauchten Jugendlichen oder Strafgefangenen haben sich einzelne Projekte bereits bewährt. Manche suchen dabei jeweils angemessene "afrikanische" Therapien: Sie beziehen Reinigungs- und Heilungsrituale mit Sangomas ein, also traditionellen Heilern oder Heilerinnen. Bei traditionellen Reinigungsritualen gehören Formen gelebter "Kunst" wie Tanzen und Trommeln, Gesang und Spiritualität selbstverständlich zum Heilungsprozess. Die westliche Therapie muss sich dieser ganzheitlichen und gemeinschaftlichen Art der Heilung und Therapie erst wieder annähern.
Auch das Geschichtenerzählen ist ein afrikanisches Mittel der Trauma-Bearbeitung, das im Zusammenwirken mit westlichen Therapieformen eindrucksvolle Erfolge erzielen kann. In landesweiten Rundfunk-Übertragungen den Lebensgeschichten anderer zuzuhören, sie mitzuleben und mit zu erleiden, war zum Beispiel eine der besonderen Qualitäten in der Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika. Und die preisgekrönte südafrikanische Autorin, Schauspielerin und Geschichtenerzählerin Gcina Mhlope durchlebt mit dem Publikum zusammen das Leiden am Verlust von Menschen. Auf einer Vortragsreise gedachte sie etwa eines befreundeten Musikers mit einer gesungenen Hommage und spielte sich dabei ihren Schmerz über dessen Tod von der Seele. Sie hat die afrikanische Tradition des Geschichtenerzählens, bei dem der Schmerz zum gemeinschaftlichen, kathartisch heilenden Ritual werden kann, auch in Projekten eingesetzt - beispielsweise mit missbrauchten Jugendlichen in Alexandra, einem "schwarzen" Wohngebiet in Johannesburg.
Zugleich ist in der Kunsttherapie Heilung auch ein Gruppenprozess. Heilung einer Person ist, so glauben beispielsweise die San in Botswana, losgelöst von der Gemeinschaft unmöglich; ihre Gesundung ist immer ein Teil des Heilungsprozesses der Gemeinschaft. Und Heilung, Gesundung oder Gesundheit ist kein "Endprodukt" wie in einer westlichen Therapie, sondern muss immer wieder in Tänzen und Ritualen erarbeitet werden. Dieser dynamische Prozess endet nie und bezieht die gesamte Gemeinschaft ein.
Darauf wies vor der Konferenz in Johannesburg der Verfassungsrichter Professor Albie Sachs hin, der mit einer Paketbombe fast ermordet worden wäre. In einem sehr persönlich gehaltenen Vortrag erklärte er, wie wichtig es für ihn, den belesenen intellektuellen Studenten und Professor im Exil, war, tanzen und singen zu lernen. Und die Berührungen der Krankenschwestern, die nach dem Bombenanschlag seine Wunden pflegten, halfen auch seiner Seele zu heilen. Südafrika sei wohl das einzige Land, sagte er, "wo Gewerkschafter bei ihren Märschen singend und tanzend ihren Protest und Widerstand zeigen".
Gleichzeitig waren Tanz und Gesang für ihn intensive Erlebnisse von Gemeinschaft zwischen schwarzen und weißen, alten und jungen, akademisch gebildeten und im Untergrund trainierten Soldaten. Sie versöhnten unterschiedliche Sozialisationen miteinander und machten einen Augenblick lang die Vision des neuen Südafrika greifbar, auf das alle hinarbeiteten.
Die Konferenz war auch ein Ort des Spielens und Ausprobierens. In rund dreißig Workshops wurden Personen und Projekte, die in ihrer therapeutischen Arbeit künstlerische Mittel einsetzen, vorgestellt. Auch die kulturelle Vielfalt der südafrikanische Gesellschaft spiegelte sich hier: Rituale, die in der schwarzen Gesellschaft die Ahnen in Heilungszeremonien einbeziehen und für viele gelebter Alltag sind, aber auch Rituale esoterischer Herkunft, zusammengesammelt aus buddhistischen, christlichen und afrikanischen Traditionen, die mit westlichen Seminartechniken verknüpft werden. Solche Seminare treffen den Bedarf der weißen südafrikanischen Mittelklasse auf der Suche nach einer neuen Identität, denn sie hat viele christlichen Rituale hinter sich gelassen. Deutlich wurde, dass unterschiedliche Therapieansätze ihre Bedeutung aus dem Kontext erhalten und nicht einfach übertragen werden können.
Die Konferenz war ein voller Erfolg. Sie traf das große Bedürfnis nach einem ersten Austausch der "Profis", fand großen Anklang bei neugierigen Neulingen im Bereich der Kunsttherapie und unterstrich eindrucksvoll, welche Anforderungen Trauma-Arbeit stellt und wie gut Kunst für eine Therapie geeignet sein kann.
aus: der überblick 01/2002, Seite 112
AUTOR(EN):
Dorothea Giesche:
Dorothea Giesche ist Politikwissenschaftlerin und freie Beraterin in Südafrika.