Schnulzen heilen Schmerzen
Film und Fernsehen in Indonesien wagen allmählich mehr Meinungsfreiheit und greifen ein Thema auf, das bisher tabu war: die lange Geschichte der Diskriminierung der im Lande ansässigen Chinesen.
von Margot Cohen
Eine festliche Torte zum Hochzeitstag steht unberührt da, während ein Paar auf den Fernsehbildschirm starrt. Es ist im Mai 1998. Aufruhr verwüstet Glodok, das chinesische Stadtviertel in Djakarta. Wir haben es nie geschafft, aus der Geschichte zu lernen , seufzt der Mann und ergreift dabei die Hand seiner Frau. Sie ist Chinesin, ihre Familie stammt aus Indonesien. Er ist Pribumi, ein einheimischer Indonesier und gehört zur größten Ethnie im Lande, den Malaien.
Ethnische Spannungen sind in Indonesien bittere Wirklichkeit, das Paar hingegen ist eine Erfindung zwei Personen in einem Fernseh-Sechsteiler. Die Serie heißt Cinta Terhalang Tembok ( Liebe mit Hindernissen ) und wurde Anfang des Jahres im indonesischen Fernsehen ausgestrahlt. Sie gehört zu einer Reihe von vergleichbaren Fernsehsendungen, die ebenso wie ein Kinofilm in letzter Zeit das Tabu brechen, mit dem seit der Ära des Ex-Präsidenten Suharto Diskussionen über ethnische Unterschiede belegt waren. Jede dieser Sendungen beleuchtet etwa am Beispiel eines Paares aus verschiedenen Ethnien, wie Chinesen soziale und rechtliche Diskriminierung erlitten.
Die Sendungen sind durchaus nicht perfekt. Einige Kritiker beanstandeten sie als belehrend, oberflächlich und historisch fehlerhaft. Und sie haben nicht unbedingt die erwünschten Quoten erreicht. Mit Ausnahme der Sendung Jangan Panggil Aku Cina ( Nenne mich nicht Chinesin ), die von 40 Prozent der Fernsehzuschauer gesehen wurde, haben andere Angebote nur geringe Einschaltquoten erreicht, wie der Fernsehsachverständige A. C. Nielsen feststellte.
Dennoch halten viele Indonesier diese Sendungen für den möglichen Beginn einer willkommenen Entwicklung, soziales Bewusstsein zu fördern. Je mehr das Thema in den Medien erscheint, desto besser ist es , sagt Kristoforus Sindhunatha, ehemaliger Vorsitzender eines staatlichen Gremiums, das mit der Aufsicht über die kulturelle Anpassung von Minderheiten beauftragt war. Es sollte nichts mehr vertuscht werden.
Unter der Regierung Mohamed Suharto (1965 bis 1998) haben Filme und Fernsehsendungen lieber die fröhliche Fiktion nationaler Einheit aufrechterhalten. Hierbei blieb die Volksgruppe der Chinesen zum großen Teil unbeachtet. Sie stellt zwar nur vier Prozent der Bevölkerung, hält jedoch einen überproportionalen Anteil am Reichtum des Landes in den Händen. Wenn chinesischstämmige Indonesier gezeigt wurden, so war dies selten schmeichelhaft. Sofern die indonesischen Chinesen überhaupt in Filmen auftauchten, dann üblicherweise in untergeordneten Rollen, die negativen Klischeevorstellungen entsprechen: also als gierige Geldverleiher, Zuhälter, Betrüger oder zur Abwechslung als Vorzeigesoldaten, stellt der Anthropologe Karl Heider fest.
Das Tabu ist nun aufgeweicht. Darin spiegelt sich eine größere Bereitschaft in den Jahren nach Suhartos Sturz wider, eine freiere Entfaltung der chinesischen Kultur zuzulassen. Aber während solch ästhetisches Aufblühen nur wenig Diskussionen ausgelöst hat, haben sich die neueren Fernsehprogramme und -filme als weitaus kontroverser erwiesen nicht zuletzt bei einigen Chinesen des Landes.
Nico Krisnanto beispielsweise, ein chinesischstämmiger Indonesier, der die legale Interessenvertretung Movement for Struggle Against Discrimination (Bewegung für den Kampf gegen Diskriminierung - GANDI) gegründet hat, betont, er habe sich die Filme nicht angesehen, weil er glaube, dass die persönlichen Beziehungen zwischen Chinesen und Pribumi im allgemeinen harmonisch seien. Wo es Zusammenstöße gebe, liege dies an politischen Machenschaften undurchschaubarer Kräfte, die aus der interethnischen Gewalt Profit schlagen wollten. Daher seien die Fernsehprogramme und -filme nicht relevant. Sie zeigen nur romantische Verwicklungen. Sie machen nicht deutlich, wie Machtpolitik funktioniert.
Anton Supit hingegen, GANDIs derzeitiger Vorsitzender, ist der Ansicht, dass solche Programme eine gewisse Rolle spielen könnten, um Toleranz in der Gesellschaft zu verbreiten. Wenn das aber alles ist, dann reicht das nicht. Es muss den politischen Willen geben, dass alle Indonesier dieselben Rechte erhalten.
Die Gesetzgebung ändert sich jedoch nur zermürbend langsam, und die Chinesen in Indonesien leiden noch immer unter rechtlicher Diskriminierung. Solche Widrigkeiten stehen im Zentrum des Fernsehdramas "Ing Tak Perlu Menangis" (Ing muss nicht weinen), in dem die Lebensgeschichte der tatsächlich existierenden und ihre Rolle selbst spielenden indonesischen Badmintonspielerin Ivana Lie aufgegriffen wird. In der Serie wird gezeigt, dass Ing keinen indonesischen Pass bekommen konnte, noch nicht einmal einen Personalausweis. Und dies, obwohl die junge chinesische Frau als Vertreterin Indonesiens auf dem Badminton-Platz große Erfolge feierte. Sie wollte den bürokratischen Hürdenlauf nicht auf sich nehmen - und das Filmskript lässt durchblicken, dass dies auch nicht richtig gewesen wäre. Zwischenzeitlich wird gezeigt, wie sie sich dem Rat widersetzt, sich mithilfe eines Namenswechsels schnell zu assimilieren. Die Sendung trägt auch zur Zerstörung des Mythos bei, alle Chinesen seien reich. Ings Vater ist nämlich ein einfacher Mann, der im Tempel den Boden fegt.
Die Armut der Chinesen wird auch in der Seifenoper "Nenne mich nicht Chinesin" deutlich, die in Westsumatra spielt und die Geschichte eines Pribumi-Arztes erzählt, der sich in ein armes chinesisches Mädchen verliebt. Es sieht so aus, als ob dessen Hoffnungen auf Liebe zum Scheitern verdammt seien, und zwar erstens aufgrund der matrilinearen Kultur Westsumatras, in der für einen lokalen Bräutigam ein stolzer Brautpreis verlangt wird, und außerdem aufgrund der Haltung der Mutter ihres Freundes: "Sei nicht blind, sie ist Chinesin!", schluchzt die ältere Frau. "Aber sie ist auch ein Mensch", antwortet ihr Sohn. Wegen der tiefen menschlichen Werte der Serie drückte Ranny Emilia, Leiterin des "Zentrums für Philosophie und Ethik" an der Universität Andalas in Padang ihre Anerkennung aus. Man versteht die Botschaft schnell, weil die Sprache sehr transparent, sehr klar und deutlich ist - "genau das, was zu Suhartos Zeiten verboten war", sagt sie. Andere Zuschauer könnten vielleicht die übertriebene Einfachheit, die einen großen Teil der Dialoge in dieser Serie wie auch in "Liebe mit Hindernissen" kennzeichnet, etwas zu simpel finden.
Im Gegensatz zu Armut und Not, die in Padang zu sehen sind, wird in dem Film Ca Bau Kann luxuriöser chinesischer Lifestyle herausgestellt. Der Filmtitel entstammt dem Wort für Frau im Hakka-Chinesischen, das inzwischen Prostituierte bedeutet. Ausgestattet mit einem Budget von umgerechnet 568.400 Euro für ihren ersten Film hat Regisseurin Nia DiNata - vergebens, wie einige lokale Kritiker sagen - daran gearbeitet, den chinesischen Pomp der Kolonialzeit widerzuspiegeln. Heftigere Diskussionen löste jedoch die Darstellung der chinesischen Protagonisten aus: Sie werden klischeehaft als skrupellose Geschäftsleute gezeigt, die gegen sämtliche Gesetze verstoßen.
"Alle Männer waren so grausam", sagt Myra Sidharta, Psychologin aus Jakarta. "Sogar den Frauen gegenüber, die sie zu lieben behaupteten. Ich denke, das hat Stereotypen verstärkt." Jedoch beharren die Produzenten, dass sie die unverwüstliche Beziehung zwischen einem Pribumi-Mädchen hervorheben wollten, das gezwungen wurde, japanischen Soldaten als Prostituierte zu Diensten zu sein, und dem chinesischen Geschäftsmann aus Java, der sie heiß verehrt. Er setzt auch einen Teil seines Reichtums ein, um den Kampf gegen die Kolonialherren zu unterstützen. "Ich fand es überaus interessant, an diesem Film mitzuwirken, weil er eine Mission hat", sagte Hauptdarsteller Ferry Salim lokalen Reportern. "Auch wenn meine Rolle die eines Chinesen ist, so ist der Hauptdarsteller doch von seiner geistigen Haltung her nationalistisch eingestellt."
Dieser Geist ist ganz unverkennbar auch das Leitmotiv der Fernsehserie Liebe mit Hindernissen , in dem das Leben eines Gelehrten, eines Pribumi aus Nordsumatra geschildert wird. Die Geschichte beginnt während des Unabhängigkeitskampfes und setzt sich bis zu den Unruhen im Jahr 1998 fort. Zuerst sehen wir ihn als jungen Mann, wo er sich unter den niederländischen Besatzungssoldaten sehr im Zaum halten muss und ganz besonders einen chinesischen Soldaten hasst, der seinen Vater schlägt. Jedoch werden die beiden Männer später nach einer Schicksalswende enge Freunde. Der Chinese hilft seinem Freund, die Liebe einer Chinesin zu erringen und spendet sogar sein Blut, um seinen kranken Freund zu retten. Die Botschaft ist klar: One nation, one blood - In unseren Adern fließt dasselbe Blut.
Die Serie predigt vor allem Vergebung auf der Grundlage eines historischen und kulturellen Verständnisses. Der junge Mann lernt, dass viele Chinesen gezwungen waren, Partei für die Niederländer zu ergreifen, und dass sie von den Kolonialherren manipuliert wurden, um deren eigene Interessen zu befördern. Anstatt die Chinesen dafür zu verdammen, dass sie auch in Anwesenheit von Pribumi oft ihre eigene Sprache sprechen, begreift er, dass viele Chinesen sich einfach dafür schämten, dass sie die Staatssprache Bahasa Indonesia nur sehr unvollkommen sprachen. Und anstelle sich von den Behauptungen seiner Mitschüler mitreißen zu lassen, alle Chinesen seien verschlagen und opportunistisch , lobt er ihren Fleiß und ihre Mildtätigkeit.
Einige der Chinesen in der Serie tadeln ihrerseits ihre chinesischen Landsleute, weil diese ihre Verdächtigungen gegen die Pribumi weiter aufrechterhalten. "Wir leben in Indonesien, nicht in China", sagt der ehemalige Soldat. "Es ist jetzt Zeit, dass wir alle uns auch so verhalten, als lebten wir in Indonesien."
Was hier im Dialog etwas zu glatt klingt, gilt auch für den Ausgang der Geschichte, eine simple Assimilierung. Im Gegensatz zu Ing, der lebhaften Badmintonspielerin, ändert das chinesische Mädchen in "Liebe mit Hindernissen" freudig ihren Namen und konvertiert zum Islam, nachdem sie mit ihrem geliebten Gelehrten durchgebrannt ist. Dann folgt ein tränenreiches Wiedersehen mit den Eltern. Aber indem die Serie mit Szenen von den Unruhen im Jahr 1998 endet, wird klar, dass Indonesien noch einen ziemlich weiten Weg bis zum Happy End vor sich hat.
aus: der überblick 04/2002, Seite 94
AUTOR(EN):
Margot Cohen:
Margot Cohen ist Korrespondentin der "Far Economic Review" (FEER) in Hanoi. Ihr Artikel erschien zuerst in der FEER vom 19.9.2002. Wir drucken ihn mit freundlicher Genehmigung des Verlags nach.