Eine internationale Bio-Kooperative geht neue Wege im Fairen Handel
Fair gehandelte Produkte treffen ebenso wie ökologisch erzeugte auf einen Wachstumsmarkt. Kleine Produzenten können dort aber nur bestehen, wenn sie sich zusammenschließen. Eine internationale Kooperative mit Mitgliedern aus Lateinamerika und Italien versucht, diese Chance zu nutzen und mehr verarbeitete Produkte abzusetzen.
von Bettina Lutterbeck
Das Verhältnis des fairen Handels zum Handel mit ökologischen Lebensmitteln ist in der Branche seit Jahren ein prominentes Thema. Dafür gibt es mehrere Gründe. Sowohl der Bio-Markt als auch der faire Handel bieten kleinbäuerlichen Erzeugern bessere Preise für ihre Produkte. Beides sind in Europa Wachstumsmärkte, und sie buhlen um ähnliche Käufergruppen: Viele gesundheitsbewusste Käufer von Bio-Ware haben ein offenes Ohr für ethische Kriterien im Handel, und Konsumenten von fair gehandelten Waren bevorzugen nachhaltig angebaute Produkte. Doch der Bio-Handel und der faire Handel verhalten sich seit Jahren wie ein Paar, das sich nicht zur Hochzeit entschließen kann. Bioverbände wie Naturland und Biohandelsfirmen wie Rapunzel bekennen sich vollmundig zum fairen Handel, die Fairhandelsorganisationen haben die ökologische Landwirtschaft an prominenter Stelle in ihren Zielkatalog aufgenommen. Verpflichten oder gar festlegen lassen wollen sich beide Seiten aus unterschiedlichen Gründen aber nicht: Die Biofirmen wollen keine überprüfbaren sozialen Mindeststandards für ihre Importe einführen, und der faire Handel will nicht ausschließlich Öko-Produkte ins Sortiment aufnehmen.
Die Cooperativa Sin Fronteras (Kooperative ohne Grenzen) ist da einen Schritt weiter. Zu ihr haben sich 18 Bio-Kooperativen aus acht Ländern zusammengeschlossen 14 aus Lateinamerika und 4 aus Italien. Sie arbeiten beim Anbau, der Verarbeitung und Vermarktung ihrer ökologisch erzeugten Produkte zusammen. Die Vermarktung folgt den Bedingungen des fairen Handels mit dem entsprechenden Siegel.
Entwicklungspolitisch ist das Konzept der Cooperativa Sin Fronteras fast so alt wie Methusalems Bart: Sie will helfen, lokalen Mehrwert zu schöpfen und die Stellung von Kleinproduzenten auf dem Markt zu stärken. Auch im fairen Handel und stärker noch im Bio-Markt gilt nach wie vor das klassische Handelsmuster, dass Produzenten aus dem Süden kaum verarbeitete Produkte exportieren. "Die lateinamerikanischen, afrikanischen oder asiatischen Produzenten liefern Rohstoffe, die in Europa, den USA und in Japan so weiterverarbeitet werden, wie sie von den dortigen Verbraucherinnen und Verbrauchern nachgefragt werden", bilanzieren die Gründungsmitglieder der "Kooperative ohne Grenzen" in ihrer ersten Vollversammlung 2003. Die Kooperative will dazu beitragen, dass das anders wird.
Der faire Handel ist mit dem Ziel angetreten, dem Verfall der Rohstoffpreise auf den Weltmärkten etwas entgegenzusetzen: Faire Preise sollten den kleinbäuerlichen Familienbetrieben das Existenzminimum sichern helfen und Spielraum schaffen, in eine nachhaltige Zukunft zu investieren. Das Engagement für gerechte Handelsbeziehungen sollte außerdem die Binnenwirtschaft im Süden stärken und langfristig ungerechte Weltwirtschaftsstrukturen verändern.
Zwar ist die Anzahl der Süd-Produzenten, die Fairhandelshäuser in Europa beliefern, tatsächlich stark gestiegen. Doch verarbeitete Nahrungsmittel von kleinbäuerlichen Kooperativen aus Afrika, Asien oder Lateinamerika sind in Europa, Japan oder den USA nach wie vor selten zu finden. Dies ist allerdings nicht dem fairen Handel anzulasten, sondern vor allem der Struktur des Marktes das heißt den Vorlieben der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie dem Handelssystem, insbesondere den im Norden noch immer hohen Schutzzöllen für verarbeitete Waren.
Auch die Zusammenarbeit unter den Kooperativen des fairen Handels ist noch eher schwach. "Wenn das so ist, liegt das auch ein Stück weit in der Verantwortung der Südpartner", meint dazu Tina Gordon von der Koordinationsstelle Fairer Handel, die der EED und "Brot für die Welt" eingerichtet haben. "Die Kooperativen entscheiden selbst, wofür sie den Mehrpreis für ihre Produkte verwenden. Dass die Zusammenarbeit und Vernetzung von Partnern des fairen Handels im Süden sinnvoll ist, ist unbestritten. Aus diesem Grund ist die Fair Trade Labelling Organisation international, die ein internationales Siegel für fair gehandelte Produkte vergibt, gerade dabei, ihr Netz an lokalen Verbindungsbüros in Afrika, Asien und Lateinamerika auszubauen."
Auch die "Kooperative ohne Grenzen" hat erkannt, dass Zusammenarbeit und gegenseitige Qualifizierung das A und O für kleinbäuerliche Kooperativen sind. Sie sind nötig, um längerfristig Gewicht auf lokalen und internationalen Märkten zu gewinnen, um auf Schwankungen der Nachfrage reagieren zu können und letztlich die Lebensbedingungen der Bauernfamilien nachhaltig zu verbessern. "Der Trend geht nicht nur bei Bio, sondern auch im fairen Handel zu größeren Betriebseinheiten, die große Absatzmengen bei gleichbleibender Qualität liefern können. Da bleibt die kleinbäuerliche Landwirtschaft oft auf der Strecke", sagt Manuel Amador, der Vorstand der Kooperative.
Die will beweisen, dass kleinbäuerliche Kooperativen aus den Ländern des Südens gemeinsam mit ihren Kollegen im Norden Qualität produzieren können, die jenseits von kulturell geprägten Vorlieben in Lateinamerika, in Europa und den USA auch nachgefragt wird. Höhere Importzölle auf die Einfuhr von verarbeiteten Waren, so die Einschätzung, können bei einigen Produkten durch niedrigere Kosten der Verarbeitung im Herstellungsland kompensiert werden. Günstige Kredite der Banca Etica aus Rom oder nationaler Entwicklungsbanken, wie in Costa Rica, geben Spielraum für die Weiterentwicklung von Produktionsverfahren.
Dass darin eine Chance für ländliche Regionen liegt, haben zum Beispiel in Brasilien und Italien auch staatliche Institutionen erkannt. So hat die Regierung des brasilianischen Bundesstaates Rio Grande do Sul die letzte Vollversammlung der internationalen Kooperative gefördert, Vize- Landwirtschaftsminister Humberto Oliveira aus Brasilia sieht die Cooperativa sin Fronteras gar als "Modellprojekt für die Entwicklung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft" und möchte die Zusammenarbeit weiter ausbauen. Und eine Vertreterin der italienischen Region Emilia Romana möchte die internationale Kooperative auf der italienischen Biomesse Sana in Szene setzen.
Lateinamerika ist unter den Kontinenten des Südens der Bio-Kontinent. Rund 20 Prozent der weltweit 31 Millionen Hektar ökologisch bewirtschafteter Nutzfläche befinden sich in Lateinamerika, nur in Europa mit 21 Prozent und in Ozeanien mit über 30 Prozent sind es mehr. Alle 18 Mitgliedskooperativen der Cooperativa sin Fronteras produzieren Bio-Lebensmittel auch für den lokalen Markt, denn die überzeugten Biobauern und -bäuerinnen interpretieren das "Grundrecht auf Nahrung" als das Recht aller Verbraucher/ innen, gesunde und sozial und umweltverträglich produzierte Lebensmittel zu konsumieren überall auf der Welt. "Wir wollen die Erfahrungen aus dem Export für den lokalen Markt zu nutzen und umgekehrt", sagt Manuel Amador. "Denn die Trennung zwischen lokalem und internationalem Markt ist künstlich."
Zum Beispiel haben die fünf costa-ricanischen Mitgliedskooperativen 2004 die Vermarktungsfirma Oro Verde (grünes Gold) gegründet, um die Verarbeitung und lokale Vermarktung von Bio-Produkten zu professionalisieren, eigene Erfahrungen im Import und Export zu sammeln und die teuren Zwischenhändler zu umgehen. Erste Erfolge kann Oro Verde schon feiern: Die costa-ricanische Kooperative Alianza produziert Premium- Biokaffee, den sie fertig geröstet und verpackt auf dem Biomarkt in San José und an die US-amerikanische Biokette Whole Foods Market liefert. Der Kaffee made in Costa Rica ist so erfolgreich, dass die Alianza nicht mehr in der gewünschten Menge liefern kann. Daher haben die Costa-Ricaner nicaraguanische Kooperativenkollegen angesprochen, die ebenso wie sie Biokaffeeproduzenten und dem fairen Handel angeschlossen sind.
Gemeinsam, so hoffen sie, kriegen sie die gewünschte Liefermenge zusammen. Synergien zwischen lokalem und internationalem Markt sind der Grund, warum auch die italienische Bio-Kooperative CONAPI die Idee einer internationalen Kooperative aufgegriffen hat. "Auch CONAPI ist eine kleine Kooperative, die den Strukturwandel und die Konzentration auf dem Biomarkt nur mit viel Kreativität und durch Allianzen mit anderen überlebt", sagt Lucio Cavazzoni, der Präsident von CONAPI und Gründungsmitglied der "Kooperative ohne Grenzen". Die italienische Biokooperative importierte seit den Gründerjahren des fairen Handels Honig von Kooperativen aus Lateinamerika, den sie gemeinsam mit ihrem eigenen Honig über die Handelskette COOP in Italien vertrieb. Die Italiener bezahlten den Mehrpreis und verarbeiteten den lateinamerikanischen Honig nach eigenem Gusto. "Damit hatten wir entwicklungspolitisch ein reines Gewissen und sogar das Gefühl, etwas Gutes zu tun", sagt Lucio Cavazzoni.
Der Weg zu einer starken internationalen Partnerschaft ist freilich steinig, der Erfahrungsaustausch teuer. Der EED hat die Idee der "Kooperative ohne Grenzen" seit ihren Anfängen personell und finanziell unterstützt. Inzwischen haben mehrere europäische Hilfswerke die Idee der Vernetzung aufgegriffen: Die niederländische Hilfsorganisation HIVOS fördert die Organisationsentwicklung der Kooperative seit diesem Jahr mit einem größeren Betrag, und neuerdings zeigen Oxfam Belgien und das Fairhandelshaus "gepa" aus Wuppertal Interesse an einer Zusammenarbeit.
Nun ist die Idee der Vernetzung etwas leichter umzusetzen. Vor kurzem hat CONAPI nicaraguanische, argentinische, guatemaltekische und mexikanische Honigbauern in Produktionsverfahren für Cremehonig ausgebildet, der auch in deren Heimatländern gerne gegessen, aber bisher kaum hergestellt wird. CONAPI profitiert von den lateinamerikanischen Kooperativen, weil ihre auf Handel spezialisierte Firma Mediterrabio ihre Produktpalette im Biobereich erweitern kann und stabile Handelspartner für hochwertige Produkte mit längerfristigen Lieferverträgen gewonnen hat. Mediterrabio vermarktet auch Erzeugnisse ihrer Partnerkooperativen aus Lateinamerika. Kürzlich schloss das Unternehmen Lieferverträge mit Importeuren in Japan und Israel ab. Gleichzeitig eröffnen sich den Italienern Chancen auf dem lateinamerikanischen Markt: Das Kooperativenmitglied Oro Verde in Costa Rica verkauft dort italienische Bio-Pasta und Olivenöl.
In Deutschland wird die Cooperativa sin
Fronteras wohl vorerst nur Fruchtsaft absetzen.
In Italien beliefert sie aber bereits Fairhandelsinitiativen
und die Supermarktkette
COOP unter anderem mit Honig und Schokolade
und demnächst auch mit Ananas im Schokoladenmantel,
Kakaopulver und Rohrzucker
in Beuteln hergestellt und verpackt in Costa
Rica.
Die Fragen stellte Hugo Valdés
Warum beteiligt sich das Centro Ecológico am Aufbau der internationalen "Kooperative ohne Grenzen"?
Damit man nicht überall das Rad neu erfinden muss. Ich halte den Austausch zwischen Kooperativen und Produzentengruppen aus dem Süden und dem Norden für sehr wichtig. Gemeinsam gelingt es oft besser, neue Ideen und Produkte zu entwickeln und umzusetzen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Vor gut zwei Jahren besuchten brasilianische Bananen-Bauern ihre Kolleginnen und Kollegen der Kooperative APPTA in Costa Rica, um dort die Bananenproduktion in einem agro-forstwirtschaftlichen System kennen zu lernen. Letztes Jahr kamen die Costa-Ricaner zum Gegenbesuch und sahen neue Techniken bei der Weiterverarbeitung von Früchten. Beide Kooperativen arbeiten im tropischen Regenwald, und beide haben überwiegend indianische Mitglieder, die traditionell ökologisch anbauen, das heißt viele verschiedene Nahrungsmittel gleichzeitig. Was Organisationsmodelle von Kooperativen betrifft, können die Brasilianer viel von ihren Kollegen aus Mittelamerika lernen. Beide Gruppen wollen jetzt im Rahmen der "Kooperative ohne Grenzen" gemeinsam aromatische Fruchtsäfte entwickeln, denen in Europa und den lateinamerikanischen Hauptstädten bisher unbekannte, aber sehr aromatische Obstsorten beigemischt werden wie Arazá oder Açaí. Geplant ist, die Säfte lokal und mit Hilfe der italienischen Kooperative auch international zu vermarkten.
Steht die internationale Vermarktung von Ökoprodukten nicht im Widerspruch zum Nachhaltigkeitsgedanken?
Für unser alternatives Entwicklungsmodell ist uns der lokale Markt natürlich sehr wichtig. Doch auch wir können die Globalisierung nicht ignorieren. Es ist zwar mit der Nachhaltigkeitsidee nur schwer zu vereinbaren, wenn brasilianische Bio-Mangos in US-amerikanischen oder europäischen Supermärkten verkauft werden. Aber warum sollen ausgerechnet organisch anbauende kleinbäuerliche Betriebe, die oft an der Rentabilitätsschwelle arbeiten, auf die höheren Gewinnspannen und den schnelleren Geldfluss im Export verzichten? Wir sehen den lokalen Markt als wichtigstes Standbein, wollen uns dem Export natürlich unter fairen Bedingungen aber nicht ganz verschließen.
Ist der faire Handel für kleinbäuerliche Betriebe nicht eine Option, die bereits gut funktioniert?
Selbstverständlich! Ich sehe die "Kooperative ohne Grenzen" keinesfalls als Konkurrenz zum fairen Handel an. Im Gegenteil, der fairer Handel bietet sehr gute Konditionen, die wir nutzen wollen. Aber auch im fairen Handel gilt: Je besser die Kooperativen organisiert sind, desto erfolgreicher sind sie und desto gewinnbringender ist der faire Handel für ihre Mitglieder. Eine kleinbäuerliche Kooperative, die streng nach der Lehre viele verschiedene Früchte anbaut, kann eben nur eine verhältnismäßig kleine Menge jedes Produkts liefern. Je kleiner die exportierte Menge, desto höher die Transportkosten pro Einheit und desto unattraktiver die Zusammenarbeit, auch für Importeure aus dem fairen Handel. Deshalb ist uns die Kooperation unter ähnlichen Partnern so wichtig. In der Kooperative sind wir Partner, nicht Käufer und Verkäufer. Jeder weiß am besten, wie man seinen Markt und seine Konsumenten bedient, und den internationalen Markt erschließen wir gemeinsam. Durch die Vernetzung können wir außerdem gemeinsame Visionen entwickeln für Verbraucher und für die kleinbäuerliche Familienökonomie.
Hugo Valdés ist Agrarökonom und als entwicklungspolitischer Berater tätig. Er hat den Aufbau der Kooperative ohne Grenzen als Fachkraft des EED in Costa Rica begleitet.
aus: der überblick 02/2006, Seite 95
AUTOR(EN):
Bettina Lutterbeck
Bettina Lutterbeck ist Medienpädagogin und
freie Journalistin in Stuttgart mit Schwerpunkten
Kommunikation, Entwicklungspolitik und
Kulturbegegnung.