Frieden mit Waffen schaffen?
Auf dem Weg zum Flughafen Yamoussoukro als Avantgarde der Opération Licorne, erklärte am 23. September 2002 der Oberst Charles de Kersabiec, Kommandant des 43. Bataillons der Marineinfanterie: “Wir vertreten nach wie vor das Prinzip 'weder Einmischung noch Gleichgültigkeit'.” Er betonte, dass es den französischen Militärs nicht darum gehe, sich in eine Krise einzumischen, die “zu 100 Prozent eine Angelegenheit der Ivorer” sei - trotz der Behauptungen der ivorischen Regierung, sie sei das Opfer einer Aggression aus dem Ausland.
von Philippe Leymarie
Eine Woche später allerdings, nachdem 2100 Ausländer (hauptsächlich Franzosen und Amerikaner) aus Bouaké, der zweitgrößten Stadt des Landes, die sich in der Hand meuternder Soldaten befand, evakuiert worden waren, stand das französische Militärkontingent, das sich nicht zurückgezogen hatte und die Kontrolle über die Landeshauptstadt Yamoussoukro und ihre Umgebung behielt, “zwischen zwei Fronten” in diesem “Wespennest”, wie es viele Beobachter ausdrückten, die in den alten Jargon zurückfielen.
Aus einen “Putsch ohne Gesicht” - und zur gleichen Zeit einer klassischen humanitären Intervention, um die “Weißen” aus dem üblichen “afrikanischen Hexenkessel” zu befreien - war so ganz unauffällig eine recht typische Militärintervention geworden: Denn die Fallschirmspringer, Luftlandetruppen und Legionäre aus Frankreich - 1000 im Jahr 2002, 4000 im Jahr darauf - wurden, nachdem sie mehrmals Verstärkung bekommen hatten, sowohl von den “Patrioten” aus Abidjan als auch von den Meuterern aus Bouaké beschimpft.
Es war offensichtlich, dass sich der Auftrag des französischen Kontingents gewandelt hatte. Es handelte sich jetzt, da die übliche humanitäre Rechtfertigung obsolet geworden war, um den Aufbau einer militärischen Pufferzone. Offiziell ging es darum, eine Konfrontation zu vermeiden, bis die mit Schwierigkeiten kämpfende Westafrikanische Friedenstruppe einträfe, so wie es die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten ECOWAS geplant hatte. Aber es ging auch darum, Abidjan und die “nützliche” Süd- und Mittelregion des Landes zu schützen und die Rebellen von einem weiteren Vormarsch abzuschrecken, die Front so lange “einzufrieren”, bis die ivorische Armee sich wieder erholt hätte, die sich in offener Auflösung befand und eine Stadt nach der anderen verlor. Das Risiko, zumindest zeitweise eine faktische Teilung des Landes zu bewirken, wurde dabei in Kauf genommen.
Dieses Abweichen von den vorgeblichen Zielen der “Operation Einhorn” zeigt einmal mehr, dass die Grenze schwer zu ziehen ist zwischen einer “humanitären” Aktion, um den Staatsangehörigen Frankreichs und anderer Staaten zu Hilfe zu eilen und einem Engagement, um an Ort und Stelle einem der Gegner Rückendeckung zu geben. In diesem Fall zumindest hat Paris, zehn Tage nach dem Ausbruch des Konflikts und auf inständiges Bitten der Regierung in Abidjan, beschlossen, der regulären ivorischen Armee im Rahmen “normaler” Militärhilfe Unterstützung bei Transport und Versorgung zu leisten und das Risiko einzugehen, tiefer in den Konflikt hineingezogen zu werden. Man vermied allerdings, sich auf das traditionelle franko-ivorische Beistandsabkommen zu berufen, das nur in Kraft treten kann, wenn eine “ausländische Aggression” vorliegt. Hinzu kam, dass nach dem Abschluss eines ersten Waffenstillstands am 17.Oktober 2002 die französische Armee auf Antrag des ivorischen Präsidenten den Auftrag erhielt, zunächst die Einhaltung des Waffenstillstands zu überwachen. Damit wurde bestätigt, was immer bestritten worden war, sie trat zwischen die Regierungsarmee, die den Krieg weiterführen wollte und die Rebellen, die sich weigerten, die Waffen niederzulegen.
Diese, wenn auch zögernd begonnene Intervention, dürfte für die Konservativen, die in Paris wieder an die Macht gekommen waren, eine Gelegenheit gewesen sein, die neuen Regeln des franko-afrikanischen Spiels zu testen. Aus ihrer Sicht war das Eingreifen nötig geworden, weil die Gefahr bestand, dass das traditionelle “Schaufenster” der Frankophonie in Westafrika implodieren könnte. Zudem blieben die französischen Militärs im Visier von “GIs” amerikanischer Spezialtruppen, die zum ersten Mal in die Region geschickt worden waren, ein Zeichen, dass man es Frankreich nicht mehr zutraute, hundertprozentig für die Sicherheit in einer Gegend zu sorgen. Eine Rolle spielte auch, dass die nigerianische und sogar die angolanische Armee auf den Plan getreten war, dass sich überall Waffenhändler, Söldner und Geheimagenten herumtrieben, außerdem ehemalige Milizionäre aus den Bürgerkriegen in Liberia und Sierra Leone. Man wollte auch ein Zeichen setzen, um alle “befreundeten” Regierungen des Kontinents zu beruhigen, die sich wegen der “Afro-Indifferenz” ihres früheren Paten große Sorgen machten.
Das französische Kontingent hatte den Auftrag, eine 650 Kilometer lange und 50 Kilometer breite “Vertrauenszone” zu überwachen, wo nur “neutrale Kräfte” - französische “Einhorn”-Soldaten und westafrikanische MICECI-Truppen - sich frei bewegen und Waffen tragen dürfen. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrats vom 4. Februar 2003, verlängert Anfang August des gleichen Jahres, sicherte die Unterstützung der Weltorganisation für einen Prozess der Rückkehr zum Frieden, zu dessen politische Rahmenbedingungen ein Abkommen definiert, das am 24. Januar 2003 in Marcoussis, einem Vorort von Paris geschlossen wurde und die Entwaffnung beider Seiten, die Bildung einer gemeinsamen Regierung und neue gesetzliche Regelungen für die Staatsbürgerschaft und den Grundbesitz vorsah.
Zur gleichen Zeit hatten die 1350 MICECI-Soldaten, einer Truppe, die unter der Schirmherrschaft der ECOWAS aufgestellt worden war, nach und nach die “Einhorn”-Einheiten an der Waffenstillstandslinie abgelöst. In Anwendung des Recamp-Systems (siehe den Artikel von Philippe Leymarie auf S. 14) hatte die französische Armee die Bereitstellung dieser Einheiten aus Ghana, dem Senegal, Benin, Togo und Nigeria beim Transport und der Logistik unterstützt.
Nach der gefährlichen Lage im Jahr 2003 - wo es zwei Offensiven der “jungen Patrioten” aus Abidjan gegen die dort kasernierten Franzosen gab und ein Polizist den Korrespondenten von Radio France Internationale, Jean Hélène, ermordete - zeichnet sich der Beginn einer Normalisierung ab, nachdem die Einheitsregierung ihr Amt angetreten hat, die schweren Waffen eingesammelt und mehr als hundert Barrikaden abgebaut worden sind.
Den “neutralen Kräften” ist es mit Zustimmung der Kriegsparteien gelungen, zu einigen Städten des Nordens wie Korhogo vorzudringen, um die Transportwege zwischen Abidjan und den Grenzen zu Mali und Burkina Faso wieder zu öffnen. Mit der Umsetzung der nächsten Etappe des Programms DDR - Désarmement, Démobilisation, Réinsertion (Entwaffnung, Demobilisierung, Wiedereingliederung) - wurde, wie es das Abkommen von Marcoussis vorsieht, begonnen: mit internationalen Hilfsgeldern sollen 60.000 Menschen - ehemalige Soldaten der Rebellenarmee, Rekruten der regulären Armee und Zivilisten - identifiziert, umgruppiert und mit Geld versehen werden, um dann eine Berufsausbildung zu erhalten. Die Zukunft der Milizionäre kann jedoch noch Konfliktstoff bieten.
Die französischen Verantwortlichen halten die “Operation Einhorn” bereits für “einen militärischen und diplomatischen Erfolg” wie die Verteidigungsministerin MichPle Alliot-Marie bei einem Neujahrsbesuch in Côte d'Ivoire den Soldaten versicherte. Man sieht darin einen Beleg dafür, dass es nützlich ist, weiterhin Militäreinheiten in Afrika stationiert zu halten, auf der Basis bilateraler Abkommen mit dem Gastland. Dies ermöglicht rasche Truppenbewegungen und ein kontinuierliches Training der Eingreiftruppen unter tropischen oder Wüstenbedingungen.
Das Engagement der französischen Armee in der gegenwärtigen Krise in Côte d'Ivoire ist auch von Politikern kaum je kritisiert worden - was ein Novum darstellt. Man geht davon aus, dass die “Operation Einhorn” unter afrikanischer und internationaler Führung dazu beigetragen hat, für Côte d'Ivoire das Schlimmste zu vermeiden - was auch immer die wirtschaftlichen und geopolitischen Hintergedanken der Pariser Regierung gewesen sein mögen. Eine Ausbreitung des Brandes, eine endgültige Teilung des Landes und bewaffnete Konflikte mit dem einen oder anderen Nachbarland, sind vermieden worden.
aus: der überblick 01/2004, Seite 32
AUTOR(EN):
Philippe Leymarie:
Philippe Leymarie ist Journalist bei dem Hörfunksender "Radio France Internationale" (RFI). Er ist spezialisiert auf Afrika und den indischen Ozean.