Chinas Interessen im Sudan
Einige der außenpolitischen Interessen und Strategien Chinas zeigen sich im Sudan sehr deutlich. Gleichzeitig ist bereits sichtbar, welche Folgen dieses Engagement für die internationalen Bemühungen um Konfliktbeilegung hat. China ist vor allen Dingen am sudanesischen Öl interessiert, 6,9 Prozent der Öleinfuhren der Volksrepublik kommen von dort, und das Land wird seine Lieferkapazitäten in den kommenden Jahren weiter ausbauen.
von Denis M. Tull
In Anbetracht der wachsenden Abhängigkeit Chinas von Ölimporten ist der Sudan für die chinesische Regierung daher von strategischer Bedeutung. Seit 1996 hat der chinesische Konzern China National Petroleum Corporation (CNPC) einige Milliarden US-Dollar in Erdölkonzessionen, den Bau von Pipelines, Hafenanlagen und Raffinerien investiert, so viel wie in keinem anderen Land. Dies verdeutlicht, dass China sich nicht mit der Rolle des Erdölimporteurs zufrieden gibt. Ziel ist vielmehr die langfristige Sicherung von Öleinfuhren durch eine möglichst umfassende Beteiligung an Gemeinschaftsunternehmen. Die staatseigenen Energiekonzerne werden von der chinesischen Regierung bei der Verfolgung dieser Strategien tatkräftig unterstützt.
China hat die Sicherung von Energieträgern 1998 in seine nationale Sicherheitsstrategie aufgenommen. Deshalb sind seine Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik zunehmend miteinander verzahnt. Mittels der Vergabe von Krediten und Waffenlieferungen an das Regime in Khartum hat Peking maßgeblich dazu beigetragen, dass die CNPC zum wichtigsten ausländischen Investor im Sudan werden konnte. Als hilfreich erwiesen sich dabei die Sanktionen, welche die USA 1997 gegen Khartum erlassen hatten, weil dieser terroristische Organisationen unterstützt haben soll. Auch der Rückzug westlicher Ölkonzerne aus dem Land erwies sich für China als Glücksfall. Diese hatten das Land verlassen, weil nichtstaatliche Organisationen (NGOs) gegen die Komplizenschaft von Khartum und Konzernen im Rahmen des sudanesischen Nord-Süd-Konflikts protestiert und insbesondere in den USA Druck ausgeübt hatten. Fortan konnte die CNPC die Abwesenheit westlicher Konkurrenten nutzen, um ihre Vormachtstellung im sudanesischen Erdölsektor ungehindert auszubauen.
Mit dem Ausbruch der Rebellion in der westsudanesischen Region Darfur im Jahr 2003 gerieten Chinas Ölinteressen in Gefahr. Die rücksichtslose Repression durch die Regierung in Khartum und die von ihr unterstützten Reitermilizen trieb 1,5 Millionen Menschen in die Flucht. Schätzungsweise 180.000 Menschen kamen ums Leben. Die USA forderten daraufhin ein scharfes Vorgehen gegen das Regime. China blockierte das jedoch. Durch sein Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) und seine eindeutigen Signale, notfalls von seinem Vetorecht Gebrauch zu machen, hat Peking UN-Sanktionen verhindert und damit das Fortdauern der humanitären Katastrophe in Darfur ermöglicht. UN-Sanktionen gegen Sudans Erdölindustrie, welche die Sicherheitsratsresolution 1564 vom 18. September 2004 angedroht hatte, hätten Chinas Investitionen und damit seine Erdölimporte aus Sudan erheblich beeinträchtigt und möglicherweise auf Jahre hinaus blockiert. Umgekehrt waren mit der Blockadehaltung im Sicherheitsrat und der Verteidigung Khartums für Peking nur Vorteile verbunden, hat doch die Abwehr von Sanktionen den für China günstigen Status quo zementiert. Chinesische Konzerne können ihre Aktivitäten nicht nur fortsetzen, sie tun dies nun auch ohne die amerikanische Konkurrenz, die im Sudan nicht investieren darf und deren wirtschaftliche und technologische Überlegenheit eine ernst zu nehmende Gefahr für Chinas Marktanteile im Sudan bedeuten würde. Bezeichnenderweise enthält der im Januar 2005 zwischen Khartum und der südsudanesischen Rebellengruppe Sudan People's Liberation Army (SPLA) abgeschlossene Friedensvertrag eine Bestandsgarantie für die während des Krieges von der Regierung vergebenen Ölkonzessionen. Damit hat die sudanesische Regierung Chinas diplomatische Unterstützung während der Darfur-Krise belohnt und sich gegen die SPLA durchgesetzt, die in Peking den Financier und Hauptverbündeten der sudanesischen Regierung in ihrem Krieg gegen den Süden sieht.
Wie andernorts auch hat China im Falle Sudans auf das Dogma der staatlichen Souveränität gepocht und die in Darfur stattfindenden Vertreibungen und Kriegsverbrechen als »innerstaatliches Problem« heruntergespielt, das eine externe Einmischung verbiete. Mit dieser Haltung hat Peking nicht nur seine unmittelbaren Rohstoffinteressen im Sudan geschützt. Mindestens ebenso bedeutsam dürfte der Demonstrationseffekt sein: Regime in der übrigen Welt wie Simbabwe oder Venezuela, die mitunter schwierige Beziehungen zur »werteimperialistischen westlichen Welt« unterhalten, werden Chinas Haltung im UN-Sicherheitsrat aufmerksam und wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. In der Tat dürfte das politische und wirtschaftliche Kapital nicht zu unterschätzen sein, das China daraus ziehen wird, selbst in einer schwierigen Situation westlichen Staaten die Stirn geboten und sich als zuverlässiger und loyaler Partner der Regierung eines befreundeten Entwicklungslandes bewiesen zu haben.
Dass dieses Manöver entgegen der Rhetorik keineswegs ideologisch begründet ist, sondern auf wohldefinierten Eigeninteressen beruht, spielt dabei für beide Seiten nur eine sekundäre Rolle. Chinas Verhalten im Sudan könnte man als exemplarischen Vorboten der sich entfaltenden chinesischen Afrikapolitik betrachten. Ein Anzeichen dafür ist auch seine Politik gegenüber der Regierung von Mugabe in Simbabwe. Als der UN-Sicherheitsrat im vergangenen Juli die Zwangsräumung von Armensiedlungen in Simbabwe debattierte, bezeichnete der chinesische Vertreter in dem Gremium diese als eine innerstaatliche Angelegenheit. Bei dem im gleichen Monat stattfindenden Besuch Mugabes in China wurde ein Abkommen geschlossen, in dem China Simbabwe Wirtschaftshilfe im Gegenzug von Handelsvergünstigungen gewährt. Peking wird, so ist zu befürchten, auch in künftigen Konfliktfällen entsprechend der eigenen wirtschafts- und machtpolitischen Interessen entscheiden. Indes musste auch Mugabe erfahren, dass China vor allem seine eigenen Interessen vertritt. Der Wert der von Simbabwe angebotenen Konzessionen war offenbar nicht weitreichend genug, um die chinesische Regierung dazu zu bewegen, dem wankenden Mugabe-Regime eine wirklich substantielle Finanzspritze zu gewähren.
Der Westen hat allerdings keinen Grund zu moralischer Überheblichkeit. Denn in der Darfur-Krise hat sich gezeigt, dass auch Frankreich seine Ölinteressen in Sudan oben anstellt. Im Juli 2004 hatte der französische Vertreter im UN-Sicherheitsrat eine US-amerikanische Initiative abgelehnt, die sudanesische Regierung für Übergriffe der Milizen in Darfur haftbar zu machen.
aus: der überblick 04/2005, Seite 26
AUTOR(EN):
Denis M. Tull
Dr. Denis M. Tull ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Mitglied der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika.