Anwalt der Schwachen
Der südafrikanische Pastor, Theologe und Apartheid-Gegner Wolfram Kistner ist am 19. Februar dieses Jahres 80 Jahre alt geworden.
von Volker Faigle
Kistner, der heute mit seiner Ehefrau in Johannesburg lebt, hat viele Jahre die Abteilung für Gerechtigkeit und Versöhnung im Südafrikanischen Kirchenrat (SACC) geleitet. Er war einer der prominentesten Theologen, die sich für das Ende des politischen Systems der Rassentrennung in Südafrika einsetzten.
Wolfram Kistner wurde als Sohn eines aus Deutschland stammenden Missionarsehepaares am 19. Februar 1923 in Hermannsburg in der südafrikanischen Provinz Natal geboren. Er studierte Erziehungswissenschaften und Evangelische Theologie in Südafrika, den Niederlanden und Deutschland. An verschiedenen Orten Deutschlands war er Vikar und Pfarrer. Viele Jahre unterrichtete er an der deutschsprachigen Schule in Hermannsburg, deren Leiter er von 1965 bis 1969 war.
Zu einem Wendepunkt in seinem Leben kam es, als er im Jahre 1979 seinen erst kurz davor erhaltenen Lehrauftrag zur Ausbildung lutherischer Pastoren an der Universität in Pietermaritzburg in Natal aufgab, um in den Dienst des Südafrikanischen Kirchenrates einzutreten. Dazu hatte ihn die tiefe Überzeugung getrieben, dass der Kampf gegen die Rassendiskriminierung in Südafrika für ihn unbedingt Vorrang vor allen anderen Aufgaben haben müsse. Viele seiner Freunde und Kollegen in den aus der deutschen Auswanderer- und Missionstradition hervorgegangenen lutherischen Kirche im südlichen Afrika konnten diesen Schritt nicht fassen und erst recht nicht billigen. Kistner folgte aber dem Ruf seines Gewissens, und dies wurde für viele zum Segen.
Einer der dramatischsten Tage, den Kistner erlebt hat, war der 27. Juni 1986, der Tag, an dem er nach der Schlusssitzung der Nationalkonferenz des Südafrikanischen Kirchenrates verhaftet wurde. Diese willkürliche Verhaftung ging auf seine klaren Stellungnahmen zurück, die aus tiefem theologischen Nachdenken kamen: Kistner hatte sich unzweideutig für die Anerkennung der Würde und des Lebensrechtes der schwarzen Menschen in Südafrika eingesetzt. Schon im Mai 1983 hatte er der staatlichen Eloff-Kommission, die die Möglichkeit für ein Verbot des Südafrikanischen Kirchenrats prüfen sollte, in einer mehrtägigen Befragung öffentlich Rede und Antwort über sein Denken und Handeln und seine christliche Überzeugung gestanden.
Zwei Jahre später, am 25. Oktober 1988, wurde Wolfram Kistner vom Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Südafrika das Bundesverdienstkreuz verliehen. In seiner Dankesrede würdigte er die Unterstützung aus Deutschland für den Widerstand gegen die Apartheid, beklagte aber auch, dass Deutsche am Unrecht in Südafrika beteiligt waren. Der Lebensweg des unerschrockenen lutherischen Geistlichen ist von der Überzeugung geprägt, der Christ müsse seinen Glauben im tätigen Einsatz für das Recht von diskriminierten Mitmenschen bewähren; darin sieht er den Prüfstein für die eigene Integrität sowohl im Verhältnis gegenüber Gott als auch gegenüber den Menschen.
Durch die besonnene und zugleich entschiedene Art seines Redens hat Wolfram Kistner auch in Deutschland viele tief beeindruckt. Mit der ihm eigenen Überzeugungskraft hat er immer wieder daran erinnert, was die Kirche Jesu Christi und jeder Einzelne den Ausgestoßenen und Entrechteten schuldig sind. Dafür stand er selbst ein - bis hin zu seiner einwöchigen Haft 1986. Er nahm auch in Kauf, dass er damit für manchen seiner früheren Weggenossen - lange Zeit auch für seine eigene südafrikanische lutherische Kirche - zum Außenseiter wurde. In den dunkelsten Tagen Südafrikas hat er durch sein Verhalten bezeugt, dass wir in den Krisen unserer Zeit auf den Gott hoffen dürfen, dessen Kraft in den Schwachen mächtig ist. Dieses Vertrauen hat ihm die Kraft gegeben, seinen unbequemen Weg zu gehen. Dass Kistner seine "Hoffnung in der Krise" nie aufgab, hat uns in Deutschland in unseren sehr kontrovers geführten Diskussionen immer wieder aufs Neue ermutigt.
Auch nach dem Ende des Apartheidsystems in Südafrika ist ihm der Blick für die Schwachen nicht verloren gegangen. Noch im Ruhestand aktiv, weist er weiter mit klarer theologischer Fundierung auf die Wurzeln der Probleme der Armut in Südafrika hin und benennt die Gefahren einer fehlgeleiteten Globalisierung der Wirtschaft. Nach wie hält Kistner ein unabhängiges Wächteramt der Kirchen gegenüber der Regierung, auch der derzeitigen, für nötig. Auf Grund seines Ruhestandes äußert er sich dazu aber nicht mehr öffentlich. Und er widmet sich nicht nur den großen öffentlichen Themen. So sind zum Beispiel seine regelmäßigen Besuche im Pflegeheim bei seinem erkrankten langjährigen Mitstreiter und Freund, dem reformierten Theologen Dr. Beyers Naudé, eine Selbstverständlichkeit für ihn. Genauso wie der gemeinsame Austausch mit Besuchern aus dem In- und Ausland, für die er sich nach wie vor viel Zeit nimmt.
Wer Wolfram Kistner begegnet ist, hat ihn als einen in seinen persönlichen Ansprüchen bescheidenen, doch tiefgläubigen Christ kennen gelernt. Ihm verdanken die Menschen im Land des Kaps der guten Hoffnung und weit darüber hinaus viel seelsorgerliche Ermutigung und theologische Einsicht. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock, hat den lutherischen Geistlichen in seinem Glückwunschschreiben zu seinem achtzigsten Geburtstag als einen "großen Zeugen der Versöhnung und unermüdlichen Kämpfer für Gerechtigkeit in Südafrika" gewürdigt. Die EKD und die große Schar seiner Freunde hier in Deutschland freuen sich auf viele weitere Jahre des Austauschs mit Wolfram Kistner.
aus: der überblick 01/2003, Seite 120
AUTOR(EN):
Volker Faigle:
Oberkirchenrat Dr. h.c. Volker Faigle ist Afrikareferent im Kirchenamt der EKD in Hannover.