Als Auslandskorrespondentin auf den Philippinen
"Ich bin über jeden Journalisten froh, der über mich schreibt. Das ist wie ein Schutzschild für mich. Je bekannter mein Fall wird, hier auf den Philippinen und im Ausland, desto weniger trauen sich meine Feinde an mich 'ran – jedenfalls hoffe ich das." Mit energischer Gestik untermalt Annie Geron ihre Worte. Die philippinische Gewerkschafterin hat etwas sehr Riskantes gewagt: Sie hat wiederholt ihre Chefs wegen Korruption und Amtsmissbrauch angezeigt. Seither schläft die Gewerkschafterin jede Nacht woanders, sicher fühlt sie sich aber nirgendwo. Auf ihren Ehemann wurde ein Anschlag verübt, den dieser glücklicherweise überlebte.
von Hilja Müller
Solche Geschichten kennt man in Deutschland nur aus schlechten Krimis oder vermutet sie im St.Pauli-Milieu. Auf den Philippinen sind sie an der Tagesordnung. Wer sich mit den Mächtigen anlegt und ihnen auf der Suche nach der Wahrheit zu nahe kommt, lebt gefährlich. Die Medien sind für Annie Geron daher wichtige Verbündete, "jedenfalls die, die nicht von meinem Chef bestochen worden sind. Aber Sie schreiben ja für ein ausländisches Blatt, Sie sind bestimmt sauber", beurteilt die Gewerkschafterin meine Rolle als Auslandskorrespondentin.
In der Tat: Wer die lokalen Zeitungen liest, ahnt rasch, dass neutrale Berichterstattung nicht auf den Philippinen erfunden wurde. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in dem südostasiatischen Inselstaat der Scheckbuch-Journalismus dominiert. Reporter, die monatlich nur 50 bis 100 US-Dollar verdienen, sind empfänglich für heimlich zugesteckte Geldscheine im Austausch für eine tendenziöse Meldung.
Doch auch für "saubere" Auslandskorrespondenten öffnen sich die Türen rasch. Da die philippinische Oberschicht einen ausgeprägten Hang zur Selbstdarstellung pflegt, bekommt man einen Termin mit einem einflussreichen Senator in Manila schneller als mit einem missgelaunten Amtsleiter im hessischen Hinterland. Das Gespräch mit dem Senator nimmt dann freilich einen völlig anderen Verlauf als es das mit dem deutschen Amtsleiter täte. Ein Interview oder Hintergrundgespräch ist auf den Philippinen nie nur ein dröges Frage-Antwort-Spiel. Vielmehr ist es eine Art soziales Happening mit großem Unterhaltungswert. Auf simple Fragen folgen blumige Wortkaskaden mit starker Tendenz, die eigene Person über den grünen Klee zu loben. Understatement ist ganz sicher keine Tugend der reichen und mächtigen Filipinos.
Bestes Beispiel dafür ist die ehemalige First Lady Imelda Marcos, die beim Pressetermin in ihrer teuer eingerichteten Wohnung in Manilas bestem Viertel den ihrem "Ferdinand zu Unrecht gestohlenen Millionen" Krokodilstränen hinterher heult. Auch der gerade wegen Korruption im Amt zu lebenslanger Haft verurteilte Ex-Präsident (und Ex-Schauspieler) Joseph Estrada weiß Emotionen gekonnt einzusetzen. Sind Journalisten anwesend, kann er vom gewaltigen Wutausbruch bis zum weinerlichen Zerfließen in Selbstmitleid ein gefühlsduseliges Theaterstück inszenieren.
Wer solche Szenen als ausländischer Journalist zum ersten Mal erlebt, fühlt sich wie ein Statist in einem abgeschmackten Drama. Als Neuling verirrt man sich auf der Suche nach knackigen Zitaten leicht im Dschungel des philippinischen Redeschwalls. Die Kunst besteht darin, sich nicht zum Zuhören verführen zu lassen. Mit westlicher Direktheit und erlernter asiatisch-höflicher Wortwahl muss man den Interviewpartner zügeln, um sich nicht unbewusst doch vor seinen Karren spannen zu lassen.
Als Faustregel gilt, dass je einfacher und ärmer der Gesprächspartner, desto unverstellter die Antworten. Die ausladende Selbstherrlichkeit der Oberklasse steht in krassem Kontrast zu den leisen Tönen und kurzen Antworten jener, die kaum genug zum Essen haben. Im Gegenteil zu den an Westlern gewöhnten Politikern oder Geschäftsleuten ist es indes schwierig, hungernde Fischer oder zur Prostitution gezwungene Kindern die Scheu gegenüber der fremden, weißen Frau zu nehmen.
Vor allem wenn sich die Recherche außerhalb der Hauptstadt abspielt, braucht es Geduld und Einfühlungsvermögen, denn in der philippinischen Provinz sind ausländische Journalisten eine seltene Spezies. Der Redaktionsalltag bei einer deutschen Tageszeitung lehrte mich nicht, was zu tun ist, wenn die Kinder eines kleinen Küstenortes zusammenlaufen, weil sie noch nie einen Menschen mit blonden Haaren und blauen Augen gesehen haben. In solchen Momenten ist Improvisation gefragt: Bilder von den eigenen Kindern zeigen, einen Snack mit den Kleinen teilen, sich anfassen oder die Haare kämmen lassen. Nach fünfjähriger Tätigkeit als Auslandskorrespondentin weiß ich: In der Provinz zu recherchieren, ist schweißtreibend und anstrengend, aber oft befriedigender als in der Hauptstadt, weil die Menschen einem authentischer begegnen.
Als Auslandskorrespondentin kann man sich auf den Philippinen mit Ausnahme einiger Abu-Sayaf-Gebiete völlig frei bewegen. Als deutsche Journalistin hat man auch keinerlei Repressalien zu fürchten. Deutschland spielt im stark amerikanisierten Weltbild der Filipinos keine Rolle. Daher kann ich in meinen Artikeln die amtierende Regierung oder kirchliche Würdenträger kritisieren, ohne auf die schwarze Liste zu geraten oder Drohanrufe befürchten zu müssen.
Im Vergleich mit einheimischen Journalisten führen Korrespondenten auf den Philippinen ein sorgenfreies Leben. Während die Morde an einheimischen Journalisten seit der Amtsübernahme durch Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo im Jahr 2001 sprunghaft angestiegen sind und die Philippinen inzwischen hinter dem Irak als gefährlichstes Land für Journalisten rangieren, ist noch keinem ausländischen Reporter wegen seiner Arbeit ein Haar gekrümmt worden.
Mitunter frustriert es allerdings, dass man in einer Art Vakuum schreibt. Wenn Missstände aufgedeckt oder Mächtige schwarz auf weiß entthront werden, doch all die Wörter ohne jede Reaktion verpuffen, dann stellt sich irgendwann die Sinnfrage. Wenn dann allerdings unerschrockene Gerechtigkeitskämpfer wie Annie Geron einen als Schutzschild sehen oder der unermüdliche Kämpfer gegen Kinderprostitution die ausländische Journalistin als wichtige Verbündete im Kampf gegen die mächtige Sexindustrie lobt, dann macht das Schreiben wieder Sinn. Selbst wenn es bedeutet, für die nächste Story Imeldas Tränen zu trocknen.
aus: der überblick 04/2007, Seite 44
AUTOR(EN):
Hilja Müller
Hilja Müller berichtet seit fünf Jahren als freie Journalistin für deutsche Printmedien von den Philippinen. Sie ist Mitglied im Korrespondenten-Netzwerk "Weltreporter" und außerdem die Autorin des Marco-Polo-Reiseführers "Philippinen".