Mit den Augen der Liebe
Du bist der Schönste unter den Menschenkindern, voller Huld sind deine Lippen; wahrlich, Gott hat dich gesegnet für ewig. Psalm 45,3
von Margot Käßmann
Die Illustrierte titelt: “Das Drama einer schönen Frau”, und ein Foto darf natürlich auch nicht fehlen. Was ist an dieser Frau schön?, frage ich mich. Das ist doch nullachtfünfzehn, alles glattgebügelt, Norm, aber keine Individualität. Oder ist das purer Neid, wenn frau mit 46 Jahren, nicht zu leugnenden Falten, ersten grauen Haaren und nicht mehr als 160 Zentimetern auf das Bild einer faltenlosen blonden Mittzwanzigerin mit langen Beinen blickt? Gibt es Humor in Sachen Schönheit? Oder nur Konkurrenz und Maßeinheiten? Wer definiert Schönheit? Wenn ein Mensch heute Antworten auf solche Fragen sucht, geht die Recherche spontan ins Internet. Unter dem Begriff “Schönheit” findet die elektronische Suchmaschine 992.000 Treffer in 0,21 Sekunden. Schon auf der ersten der zahllosen Seiten ist alles von Anti-Aging über Plastische Chirurgie bis zu Ästhetischer Chirurgie zu finden.
Aber es soll ja um Schönheit in der Bibel gehen in dieser Meditation. Da zeigt das Internet immerhin noch 41.500 Treffer in 0,23 Sekunden an. Dort geht es dann allerdings um schöne Bibel-Ausgaben oder um die Schönheit der Psalmen. Und wer das Stichwort “Schönheit in der Bibel” eingibt, landet beispielsweise bei “Nikodemus.net” und wird gleich mit Hesekiel 28, 17 gemahnt: “Die Schönheit ist dir zu Kopf gestiegen.”
Ja, Demut wird in der Bibel gepriesen und Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall. Wir sollen ja nicht äußeren Werten nachjagen, sondern uns um die Seele, das Heil, den Lebenssinn bemühen. Das ist wieder einmal gut protestantische Miesepetrigkeit, die jede Form von Lebenslust und Lebensfreude herunter zieht. Wie sehr wird Schönheit in der Bibel doch auch gepriesen, ja geliebt! Denken wir allein an die Schöpfung. “Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut!” (1. Mose 1, 31) Es war sehr gut, ja es war sehr schön. Noch im 21. Jahrhundert kann der Mensch dies unmittelbar empfinden am Meer, bei einem Waldspaziergang, bei einem Sonnenaufgang: Die Schöpfung ist wunderbar! Wir können sie preisen wie in den Psalmen, wir erfahren Schönheit und können dann sagen, dass es auch schön ist, Gott in der Schöpfung zu lieben (Psalm 147, 1). Oder wir sehen, dass die Frucht des Landes herrlich und schön ist (Jesaja 4, 2). Und es gibt auch in der Bibel einen Blick für die Schönheit junger Menschen, denken wir an Rahel, die von schöner Gestalt war (1. Mose 29, 17). Oder eben auch Josef, der war schön an Gestalt (1. Mose 39, 6).
Was aber ist Schönheit? Weder Rahel noch Josef waren geliftet, Silikon-gefüttert oder Botox-gespritzt. Wann empfinden wir einen Menschen als schön? Das Sprichwort sagt: “Schönheit liegt im Auge des Betrachters.” Da kommen wir der Sache vielleicht schon näher. Die Liebe macht den anderen schön, lässt die andere schön sein in meinen Augen. Das können wir zuallererst in den berühmten Liebesliedern nachlesen, das Hohelied Salomos, das schon so manche trockene Konfirmandenstunde spannend gemacht hat. “Siehe, meine Freundin, du bist schön! Siehe, schön bist du. Deine Augen sind wie Taubenaugen hinter deinem Schleier. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Silead” (2,1ff) - obwohl: Ziegenhaar?, da fing das Gekicher schon an. Wer findet wann was schön? Aber wunderbar doch: “Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen, die unter den Lilien weiden.” (4,5) - da bleibt schlicht das Wunder, dass dieser Text in der Bibel bleiben durfte. “Du bist wunderschön meine Freundin und kein Makel ist an dir.” (4,7)
Mir gefällt, dass die Bibel Schönheit und Liebe begeistert feiert. Wie oft ist das in der Kirchengeschichte ignoriert und niedergemacht worden. Nicht Begeisterung, sondern Sündenbewusstsein, nicht Liebe als Geschenk Gottes, sondern Keuschheit als Lebenshaltung wurden stattdessen gepredigt. Ach, wie viel Lebensfreude und Lebenslust wurden so zerstört. Auffallend ist: Schönheit wird eher im hebräischen Teil der Bibel geliebt und gepriesen, im griechischen Teil dagegen finden wir vielmehr die Warnung vor ihrer Vergänglichkeit, etwa im Jakobusbrief: “Die Blume fällt ab und ihre schöne Gestalt verdirbt; so wird auch der Reiche dahinwelken in dem, was er unternimmt.” (1,11) Und doch konnte auch Jesus “Wellness” genießen, sich salben lassen, feiern, das Schöne im Leben schätzen. Er hat Menschen keineswegs verurteilt, die sich an der Schönheit freuen. Gerade die Kinder hat er geachtet mit ihrer inneren Schönheit, die sie ausstrahlen als Geschöpfe Gottes ohne jede Berechnung.
Dass Kinder und junge Menschen besonders schön sind - daran stimmt einerseits vieles. Die vollkommene Schönheit eines schlafenden Säuglings - sie kann atemlos staunen machen. Ein junges, rankes Mädchen, faltenlos - doch, das hat eine besondere Anmut und Schönheit. Ein junger Mann, strotzend vor Energie - ja, das ist schön. Andererseits ist nicht nur die Jugend schön, auch das Leben kann schön machen. Alter schließt Schönheit beileibe nicht aus. Vor vielen Jahren auf einer Reise nach Ungarn habe ich ein Altenheim besucht. Dort traf ich auf eine sehr alte Frau voller Falten. Und ich empfand sie als schön. Schön, weil sie gelebt hat, weil sie harmonisch und im Einklang mit dem Leben schien.
Schönsein, das ist gerade nicht billig, ganz und gar konform, eben kein Abziehbild von Tausenden von anderen nach den Maßen 90-60-90. Schönheit heißt: besonders sein, du bist von Gott geliebt, du bist gemeint. Ich kann ein Mädchen mit Down-Syndrom als schön empfinden, weil sie von innen her strahlt und etwas spüren lässt von der Liebe zum Leben, vom Glücklichsein. Schön ist ein Tag, an dem ich etwas geben konnte, an dem ich für jemanden wichtig war, ein Tag, an den ich gern zurückdenke. Schön ein Moment. Stille am Meer. Einklang mit der Natur. Das Empfinden für Schönheit wandelt sich. Denken wir nur an Rubens und seine Frauengestalten am Anfang des 17. Jahrhunderts. Üppige Rundungen an Bauch, Hüften und Busen, runde Gesichter, das war Verkörperung von Schönheit. Die Magermodels von heute wären mit Grausen als hässlich gewertet worden. Wer dick und blass war, konnte sich Müßiggang und Schatten leisten. Die mageren Gebräunten mussten halt schuften, low-class sozusagen...
Was die Bibel von Schönheit weiß, ist nicht so billig und käuflich wie die Schönheit, die heute angepriesen wird mit Tausenden von Produkten und Angeboten auf Internetseiten: Bodylifting, Brustoperation, Facelifting, Fettabsaugen, Po-Lifting, Ohrkorrektur. Grausam, wie Schönheit zur Ware wird. Die Verkäuferin Anna Scott Smith etwa heiratete einen 60 Jahre älteren Millionär, wird als Witwe bald Millionärin, nimmt 40 Kilo zu, dann 40 Kilo ab. Und ist schlicht und ergreifend kaputt, als Mensch zerstört im Wahn, mit großem Busen und schmaler Taille eine Sensation zu sein. In den Vereinigten Staaten von Amerika gibt es nicht nur die meisten Dicken, sondern auch die meisten Diätprogramme. Inzwischen haben die so genannten religiösen Rechten in den USA sogar das Gewicht als Missionsprogramm entdeckt. Sie werben mit Aktionen wie: “Dieting for Jesus” (Abspecken für Jesus) und bieten Materialien für Diäten mit Titeln wie “Hilfe Herr - der Teufel will mich mästen” ebenso wie “Bete dein Gewicht weg” oder etwa auch Slim for Him (Nehme ab für Ihn).
Auf Versammlungen, ist im Internet zu lesen, wird nun verkündet, dass Gott allen Fettbeladenen hilft und “Gerettete” bekennen: “Gott hat mich von Little-Debbie-Keksen erlöst”. Das ist nun wirklich die Verkehrung der Rechtfertigung allein aus Glauben, also der frohen Botschaft, dass Gott die Menschen ohne Voraussetzungen liebt, in allergrößte Absurdität. In Europa kann sowas wohl kaum jemand ernst nehmen. Sollte nun beruhigend sein, wie eine Studie der Purdue University in Indiana herausgefunden hat, dass Christen in den USA weit molliger sind als andere Amerikaner? Vielleicht nehmen sie den Diätwahn gelassener oder sie sind die größeren Genießer. Dass Mädchen sich jedoch als Konfirmationsgeschenk immer öfter das Geld für eine Brustvergrößerung oder eine Nasenkorrektur wünschen, muss zu denken geben. Ich wollte damals im Jahr 1972 einen Plattenspieler - obwohl: zu dick gefühlt habe ich mich auch, so neu ist das alles wohl gar nicht, nur extremer.
Bulimie und Anorexie sind heute in Deutschland weit verbreitet. Gerade Mädchen leiden zum Teil entsetzlich, wenn sie den Magermodels mit Kleidergröße 32 nicht entsprechen. Sie hungern und erbrechen und haben Angst vor jeder Kalorie. Auf der anderen Seite erobern Fastfood und Kalorienbomben den Markt. Der Film “Supersize me” hat drastisch gezeigt, was die Unkultur des Essens von McDonald’s, die von der Werbung als modern gepriesen wird, mit einem Körper machen kann. Um dem Körperideal zu entsprechen, legen sich auch in Deutschland immer mehr Menschen unters Messer. Schönheit ist inzwischen für Geld zu haben. Aber ist das Schönheit? Oder was ist bereits Wahn? Von einer Music-Queen wurde kürzlich berichtet, sie habe inzwischen nahezu sämtliche Körperzonen durch Schönheitsoperationen korrigieren lassen und finde nun ihre Knie fett. Die sollten als nächstes verschlankt werden. Das sind Wahnvorstellungen. Mit der biblischen Lust und Freude am Verschiedenen, am Schönen, mit dem Moment des Staunens und der Liebe hat das alles überhaupt nichts zu tun. Trauer steigt auf über den Druck zur Konformität und die ständige Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper.
Ein schöner Tag kann ein Tag sein, den man einfach gelebt hat. Ein schöner Mensch ist ein Mensch, der vielleicht auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft ist. Schön ist der Mensch, der etwas weiß und zeigt vom Leben in all seiner Tiefe. Schön ist eine Zeit, die intensiv war. Schön der Glanz Gottes, der aus Zion hervorbricht (Psalm 50, 2). Das ist Schönheit im Moment, das Spüren des Lebens, die Wahrnehmung der Natur, ein Lachen, das aus der Tiefe kommt. Ja, und da ist die Schönheit des Menschen. Aber sie ist nicht die Body-Mass-Index-Einheit. Sie ist die Eigenheit jedes Menschen, geschaffen von Gott. Alle verschieden. Der kleine behinderte Junge und das Model, der rundliche Mann und die alte Dame, die mit der krummen Nase und der mit den breiten Ohren. Warum nur müssen wir alle normieren, angleichen, anpassen, gleichmachen, klonen vielleicht sogar, damit sie einem Ideal entsprechen. Schönheit ist Individualität. Schönheit glänzt heraus aus dem Menschen, der Erfahrung mitbringt. Schönheit glänzt heraus aus der Frau, die Liebe gespürt hat und Liebe geben konnte.
In der Bibel sehe ich solche Schönheit, wenn Menschen angesehen werden durch Jesus mit den Augen der Liebe und auf diese Weise angesehene Menschen werden. Schönheit ist wunderschön. Ich wünschte, wir hätten die Freiheit, sie im Alltag zu entdecken. Dann wären wir wohl auch wieder offen für das Wunder des Lebens, das jeden Tag neu geschenkt wird.
aus: der überblick 04/2004, Seite 106
AUTOR(EN):
Margot Käßmann:
Dr. Margot Käßmann ist Landesbischöfin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche
Hannovers.