Welche Fragen eine Korrespondentin in Kairo auslöst
Die erste Frage, die mir als deutsche Auslandskorrespondentin für die arabischen Länder gestellt wird, lautet oft: "Erzähl, wie arbeitest du als alleinstehende Frau da unten? Das muss doch sehr anstrengend sein. Geht das überhaupt?" Oft kommt diese Frage von den Hierarchen der öffentlich-rechtlichen Sender selbst. Oft ist sie auch wie eine Feststellung formuliert, dass "das nicht geht".
von Golineh Atai
Als ich zum ersten Mal im Frühjahr 2004 im ARD-Studio Kairo als Vertreterin des Korrespondenten arbeitete, stellte ich mir alle möglichen Fragen – nur eben nicht diese. Ich wusste, dass die Frauen in meiner elterlichen Familie im Iran alle arbeiten oder lange gearbeitet haben. Meine Großmutter ist mit ihren 73 Jahren immer noch im Sekretariat einer Schule beschäftigt, weil sie, wie sie sagt, den Kontakt zur Gesellschaft nicht verlieren möchte. Einige Cousinen im Iran sind Bauingenieurinnen, Softwareprogrammiererinnen und Filmschaffende geworden, unter den schwierigsten Umständen. Die Islamische Republik hätte nämlich am liebsten gar keine Frauen im öffentlichen Raum gesehen.
Als ich meine Arbeit in Kairo aufnahm, arbeitete das ARD-Studio mit vier arabischstämmigen Frauen, die als Producerinnen und Dolmetscherinnen dem Korrespondenten beiseite standen. Sie machten ihren Job sehr selbstbewusst. Das ist nichts besonderes. Während in Politik und Justiz Frauen immer noch auffällige Ausnahmen sind (hier und da gibt es sie sehr wohl), haben sie sich in den arabischen Medien breit etabliert: als Kriegsreporterin, Moderatorin oder freie Dokumentarfilmerin. Jeder arabische TV-Nachrichtensender – selbst das Propagandafernsehen der Hisbollah im Libanon – beschäftigt Frauen. Im saudischen Staatsfernsehen machen sie mit einem schwarzen Umhang und schwarzen Kopftuch ihren "Aufsager". Im privaten Nachrichtenfernsehen Al Arabiya sind die Moderatorinnen betont attraktiv, ohne Kopftuch, und bis in die Fingerspitzen gestylt. Journalistinnen im Kostüm drängen erzkonservative Politiker mit klugen und wagemutigen Fragen in die Enge. Sie kommen aus Syrien, aus Jordanien, aus Algerien oder Ägypten.
Auch die angloamerikanischen Weltnachrichten-Sender und neuerdings auch "Al Jazeera" International schicken wie selbstverständlich Frauen in Krisen- und Kriegsgebiete. Das merkte ich besonders bei meinen Drehreisen im Libanon-Krieg 2006 oder in der sudanesischen Krisenregion Darfur. Im Süd-Libanon, unmittelbar nach dem Krieg, bestand das ARD-Team öfters aus zwei Männern (Kameramann, Tonassistent) und einer Frau als Producerin. Der libanesische Kameramann sagte mir einmal, dass das eine gute Kombination sei: "Zwei kleinwüchsige Frauen schaffen immer Vertrauen beim Gespräch, man merkt wirklich, dass die Leute sich euch gegenüber schneller öffnen." Diese Erfahrung machte ich auch in Kairo – es herrscht die Vorstellung, dass Frauen "nicht angriffslustig" und "schützenswert" sind.
Als ich mich auf die Stelle des Auslandskorrespondenten in Kairo bewarb, war ich die einzige Frau. Ich erklärte mir das so: Es arbeiten ohnehin wenige Frauen in Auslandsredaktionen. Sie haben Berührungsängste vor einem Orient, den die Massenmedien pauschal als "Terrorland" stilisieren. Und sie glauben an Klischeevorstellungen von "entmündigten Frauen im Orient".
Doch ich bin davon überzeugt, dass Frauen gute Chancen als Berichterstatterinnen im islamischen Kulturraum haben: Wenn sie mit der islamisch-arabischen Kultur vertraut sind und sich wenn möglich auch mit der Sprache auskennen, wenn ihnen fachliche Seriosität wichtiger ist als Einschränkungen der westlichen Bekleidungsfreiheit, und wenn sie interkulturell geschult sind.
Seit einem Jahr habe ich in Kairo "Gesellschaft" bekommen: von der ARD-Hörfunkkorrespondentin Esther Saoub, die mit einem Syrer verheiratet ist und fließend arabisch spricht. Ich stelle oft fest, dass unsere Blickwinkel auf den Orient sich ähneln. Wir porträtieren gerne die oft vergessene Hälfte der Gesellschaft: die Frauen. Wir beobachten gespannt, wie Identität in islamischen Ländern sich subtil ändert, und diskutieren über die noch unmerklichen Zeichen der Veränderung. Wir versuchen, uns in die Opfer eines Konflikts oder Anschlags hineinzufühlen – neben den klassischen Korrespondententhemen Politik, Folklore/Kultur, Anschläge und Kriege.
Wir scheuen uns nicht vor Psychologie, wenn wir zum Beispiel veränderte weibliche Rollenbilder oder die unzähligen kulturellen Widersprüche in Arabien erklären wollen. Wir hinterfragen oft eigene Ansichten. Und wir regen uns manches Mal über die vielen Männer auf den Straßen auf, die uns völlig schamlos anstarren. Was mich persönlich jedoch nicht davon abhält, gerade diese Männer mit einem Mikrofon nach ihrer Meinung zu diesem oder jenem Thema zu fragen (dann ändert sich der Blick schlagartig). Oder weiterhin viel spazieren zu gehen, auch wenn ich mich dabei (im Sommer) konservativer als in Deutschland kleide.
Die Orient-Berichterstattung in Deutschland ist stets eine Männerdomäne gewesen. Dass nun erstmals auch junge Frauen in Kairo arbeiten, finde ich eine sehr wertvolle Bereicherung. Ich bin mir sicher, dass Frauen auch in Israel und Palästina, in der Türkei, im Iran oder in Afghanistan gut als Journalistinnen arbeiten können, wenn sie keine Ängste vor ihrem Berichtsgebiet haben, und ein emotionales und intellektuelles Verständnis mitbringen. Natürlich müssen sie wie die Männer auch lernen, mit den mehr oder minder groben Einschränkungen der Pressefreiheit umzugehen. Das ist für mich nach wie vor das Schwierigste in meiner Arbeit.
"der überblick" fragte mich, ob Privatleben und Arbeit sich vereinen lassen in unserem Job. Meine männlichen Kollegen hätten sich nämlich bisher dazu gar nicht geäußert. Sicherlich, wenn der Alltag stramm organisiert wird, ist auch ein Familienleben vorstellbar. Jeder Vater, jede Mutter muss mit sich selbst klären, ob es dann noch ratsam ist, länger in einer "akuten" Kriegsregion zu arbeiten. Als junge Mutter wäre mir die Entscheidung, mich wochenlang im kriegsgeschüttelten Libanon hin und her zu bewegen, bestimmt schwerer gefallen.
Schwangerschaft und Kinderplanung sind im Nahen Osten etwas Selbstverständlicheres und Spontaneres als in Deutschland. Viele Kinder wachsen größtenteils bei der Tagesmutter, in Ganztagsschulen und in der Großfamilie auf, ohne dass sich die arbeitenden Mütter deswegen ständig mit einem schlechten Gewissen quälen. Es herrscht die Einstellung, dass Kinder eben ganz selbstverständlich dazugehören, und von klein auf einiges aushalten müssen.
Doch traditionellerweise ist es eben auch im Westen so, dass eher Ehefrauen ihren Männern ins Ausland folgen als umgekehrt. Das gilt wahrscheinlich noch mehr für den Nahen und Mittleren Osten. Eine gute ägyptische Freundin ist übrigens vor einigen Wochen mit ihrer einjährigen Tochter nach Deutschland gezogen, um dort zu promovieren. Ihr Ehemann hatte keine Probleme damit, sie alleine reisen zu lassen und seltener zu sehen. Er ermunterte sie dazu, die akademische Karriere nicht aufzugeben.
Als ich meine Arbeit in Kairo aufnahm, stellten einige Medienjournalisten nicht nur fest, dass ich eine junge Frau bin, sondern auch noch "die einzige ARD-Auslandskorrespondentin mit Migrationshintergrund". Und zu den ganz wenigen "exotischen" Gesichtern der ARD gehöre. Dann setzte sich eine kleine Dynamik in Gang, soweit ich es aus dem Ausland beurteilen kann: Es gab immer mehr Stimmen, auch innerhalb der ARD, die mehr aus dem Ausland stammende Journalisten forderten und diese Entwicklung gezielt steuern wollen.
Das ist erfreulich, denn Migrantenkinder brauchen viel Mut und Zuspruch, um sich dazugehörig zu fühlen. Einige meiner Freunde mit Migrationshintergrund fragen sich noch heute, ob sie dazugehören. Für andere, für mich, hat sich diese Frage selten gestellt. Als ich (mit irrtümlich fünfeinhalb Jahren) in Deutschland eingeschult wurde (meine Eltern erzählen stets: "Wir kamen am Freitag an und am Montag warst du schon in der Schule"), kannte ich nur eine Handvoll deutscher Wörter, die ich im Kindergarten der deutschen Schule Teheran aufgeschnappt hatte. Kein Lehrer (ver-)zweifelte damals an meinen Kenntnissen. Noch in der zweiten Klasse verwechselte ich Artikel. Aufs Gymnasium durfte ich unter anderem, weil ich ein Jahr jünger war als meine Klassenkameraden. Ob die Schule bei Migrantenkindern, die zunächst des Deutschen nicht mächtig sind, heute noch so reibungslos verläuft?
Ich habe früh festgestellt, dass in Großbritannien und in den USA viel mehr Migranten und Migrantenkinder in den Medien Karriere machen als dies in Deutschland üblich ist. Meine Eltern verfolgten rege alle Informationen aus dem Iran, sie kritisierten zuweilen die deutsche Orient-Berichterstattung, sie wollten mehr Berichte aus der Welt und aus dem Mittleren Osten, als es das deutsche Auslandsfernsehen bot. Früh wurden daher die britische BBC und Voice of America, das US-Regierungssprachrohr, als Ergänzung zum deutschen Medienangebot eingeschaltet, und iranische Zeitungen gelesen.
Und dann wurden die Themen "West und Ost", "Wir und der Westen" und "Was bedeutet die iranische Revolution für den Iran und die Region?" stets bis zum Erschöpfen diskutiert. Im Studium beschäftigte ich mich weiter mit meiner Ursprungskultur. Mein Lieblingsthema war "das Fremde" und "das Eigene", und die psychologischen Folgen des Kolonialismus. Heute verfolgen mich alle diese Fragen weiter, ich diskutiere sie in meiner Arbeit. Ich habe religiöse Engstirnigkeit teilweise in meiner eigenen Familie kennengelernt. Bei anderen Familienmitgliedern erlebte ich das andere Extrem: das völlige Abstreifen der Herkunftskultur. Interessanterweise können bei ein und demselben Menschen diese Phänomene ineinander übergehen, beobachtete ich. Identität ist nie etwas Schicksalgegebenes, Starres – soweit meine Erfahrung.
Kinder, die so früh verschiedene Kulturen kennenlernen und mit ihnen aufwachsen, sind vielleicht prädestiniert für die Tätigkeit der Auslandsberichterstattung. Sie beobachten von beiden Seiten. Sie haben sich selbst als "fremd" erlebt. Vielleicht funktioniert gerade dadurch die journalistische Beobachtung besser. Sie können zwischen den Stühlen sitzen und trotzdem standfest sein. Sie müssen standfest sein, sie müssen eine eigene Identität pflegen und festigen. Sonst können sie nicht verantwortungsvoll informieren, sonst haben sie aus ihren einzigartigen Erfahrungen nicht das Beste gemacht.
Ich erinnere mich an meine Drehfahrten durch den Libanon. Jedesmal wenn ich orientalisch aussehende Kolleginnen entdeckte, die im Ausland aufgewachsen waren und nun im Dienste eines amerikanischen oder französischen Mediums über ihre Heimatregion berichteten, sprach ich unsere Producerin darauf an. Sie war eine libanesische Christin, die die arabische Kultur liebte, und ein akzentfreies Französisch sprach. "Ich arbeite nicht immer gerne mit denen", verriet sie mir. "Oft sind gerade diese Journalisten christlicher als der Papst und kehren ihre westliche Identität allzu sehr hervor, und das nervt mich."
In einem Interview habe ich einmal behauptet, dass mein "Migrationshintergrund" ein Fluch und ein Segen sei. Den Segen habe ich bereits erklärt. Mein Arbeitgeber hat mich auch aufgrund meiner Kenntnisse der Region und der Kultur nach Kairo geschickt. Manche deutsche Kollegen sprachen bei meiner Entsendung vom "Exotenbonus". Das mag sein. Es wäre allerdings schade, aus der Stärke des Migrationshintergrundes eine Schwäche zu machen, und festzulegen, dass Migranten eigentlich nur in die Auslandsberichterstattung und nicht ins Inland gehören. Das wäre so, als ob man "Exoten nur aus exotischen Ländern" berichten ließe. Als ob die Landesnachrichten eben "nicht so viel Exotik verkrafteten" – so erklärte es mir ein deutscher Kollege einmal, als ich mich fragte, ob ich irgendwann einmal auch die Landesnachrichten moderieren könnte.
Doch "Exotik" fängt in Deutschland im Jahre 2007 schon vor der eigenen Haustür an. Es ist normal geworden, dass unsere Kinder mit ausländischen Kindern in die gleiche Schulklasse gehen. Es ist leider noch nicht "normal", dass Migrantenkinder die deutsche Öffentlichkeit in Justizämtern, Verwaltungen und Medien mit prägen. Journalistische Seriosität, Fachkenntnis und eine gute Sprache sind aber wichtiger als das Aussehen und die Religion.
Manchmal sind die Ausschlussfaktoren subtil oder unterbewusst. Als Nachrichtenreporterin im Inland beobachtete ich oft, dass junge (deutsche) Frauen es zuweilen etwas schwerer hatten, politische Aufträge zu ergattern. Politische Themen gelten aber nun einmal als die wichtigste Nachrichtenkategorie, "mit der sich am ehesten Karriere machen lässt". Jüngst erzählte mir ein türkischer Kollege, dass er eine ganze Zeit immer wieder auf "Ausländerthemen" angesetzt wurde, bis er sich bei der Redaktionsleitung beschwerte, warum er denn keine "deutschen Themen" bekomme. Die Planer hätten erstaunt reagiert – sie hätten das gar nicht so wahrgenommen oder schlicht ignoriert.
Als Nachrichtenreporterin in Deutschland hatte ich übrigens oft die Aufgabe, über Weihnachtsgottesdienste zu berichten. Meistens arbeitete ich über Weihnachten. Niemand fiel es groß auf, glaube ich, dass eine "formelle Muslimin" über die Weihnachtspredigt sinnierte, oder den Bischof interviewte. Ich hoffe, dass die Medienjournalisten bald den exotischen Berichterstatter aus Berlin entdecken, der kenntnisreich die Reform des deutschen Gesundheitssystems erklären kann. Und irgendwann einmal gar nichts "Besonderes" mehr ist, das es zu "entdecken" gibt.
aus: der überblick 04/2007, Seite 30
AUTOR(EN):
Golineh Atai
Golineh Atai ist seit Mai 2006 für die ARD als Fernsehkorrespondentin in Kairo tätig.