Unter Druck von allen Seiten
Aus Pakistan berichten zahlreiche westliche Korrespondenten über den Afghanistan-Krieg. Viele ihrer Informationen stammen von pakistanischen Journalisten, die unter schwierigen Bedingungen arbeiten müssen. Der Krieg im Nachbarland, die Militärdiktatur, das feudale Erbe auf dem Land setzen ihrer Arbeit Grenzen.
von Christoph Burgmer
Hameed Haroun ist ein übergewichtiger Mann. Schwer und massig sitzt er hinter seinem Schreibtisch. Auf seinem weißen Hemd bilden sich kleine Schweißflecken. Es ist über 40 Grad im Schatten in Karachi. Aus den sieben Telefonen, die links auf einem Beistelltisch neben dem Schreibtisch stehen, sind die Kabel herausgezogen. Weder seine englische Sekretärin noch seine zwei persönlichen Referenten oder anderen Mitarbeiter dürfen das Büro betreten. Auch jedes Telefonklingeln, jedes Geräusch ist unterbunden. Nur das rote Telefon, dessen Kabel noch angeschlossen ist, darf noch klingeln. "Wahrscheinlich ist es der direkte Draht zum Militärdiktator", kommentiert der 45-Jährige laut - dabei gerät sein ganzer Körper in Bewegung -, "oder sollte man Pervez Musharraf besser Präsident nennen, er hat sich schließlich selbst dazu ernannt."
Haroun liebt Witze über die politische Elite des Landes. Die ist nicht nur in den Augen der Verleger, sondern auch für viele Journalisten verantwortlich für die ökonomische und soziale Misere, in die Pakistan nach hoffnungsvollem Neubeginn Mitte der achtziger Jahre hineingeschlittert ist. Harouns Meinung hat Gewicht: Er ist der gewählte Präsident des pakistanischen Zeitungsverlegerverbandes und Vorstandsvorsitzender der Herold Publication, zu der urdu- und englischsprachige Tageszeitungen wie die älteste pakistanische Tageszeitung Dawn, aber auch Wochen- und Monatszeitschriften zur Politik, zu neuen Technologien und zum Lebensstil gehören. Und nach Harouns Meinung ist nicht viel geblieben vom demokratischen Aufbruch, der nach dem gewaltsamen - bis heute ungeklärten - Tod des damaligen Militärdiktators Zia ul Haqq bei einem Flugzeugabsturz begann.
Die gewählten Premierminister Benazir Bhutto und Nawaz Sharif, die sich die Macht über Jahre teilten, sind wegen Korruptionsvorwürfen und drohenden Gefängnisstrafen nach England bzw. Saudi Arabien geflohen. Die Wirtschaft des Landes ist ruiniert, nicht erst seit dem Krieg der Amerikaner mit dem Nachbarland Afghanistan. Die Privatisierungspolitik - in Pakistan gleichermaßen euphorisch betrieben wie im Westen - ist nach den anfänglichen Erfolgen Anfang der neunziger Jahre inzwischen gescheitert. Pakistan verhandelt seit kurzem mit dem Pariser Club, dem Zusammenschluss der Gläubigerländer, in der Hoffnung auf eine Schuldenstreckung und einen Schuldenerlass. Und das Militär hat wieder einmal die Macht im "Land der Reinen" erobert. "Musharraf", so Haroun, "hat die vier Provinzparlamente in Belutschistan, Sindh, Punjab und der Nordwestprovinz geschlossen und die gewählten Abgeordneten nach Hause geschickt. Busdepots und Sportstätten im ganzen Land wurden zu innerstädtischen Kasernen umfunktioniert. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center hat das Militär jeden Freiraum eingeschränkt." Die in der Verfassung garantierten demokratischen Rechte sind außer Kraft gesetzt, niemand kontrolliert die herrschenden Militärs. Aber auch das Experiment einer repräsentativen Demokratie nach westlichem Vorbild, sagt Haroun emotionslos, ist gescheitert und die Euphorie, die ihn damals ergriffen hatte und nach seinem Studium in London und Harvard nach Pakistan zurückkehren ließ, ist verschwunden.
Haroun gehört zu jenem städtischen Teil der pakistanischen Gesellschaft, die sich selbst als Verfechter eines demokratischen islamischen Staates in Nachfolge des Staatsgründers Mohammed Jinnah sieht. Während der Staatsgründung 1947 hatte Jinnah, der Qaid al Azam, "der große Führer", gesagt: "Die Geschichte Pakistans, seines Kampfes und seiner Siege, ist nichts anderes als die Geschichte großer menschlicher Ideale, die gegen alle Widerstände und Widrigkeiten des Schicksals ums Überleben kämpfen". Vielleicht bleibt Haroun nicht nur aufgrund seiner Familie - sein Großvater war mit Jinnah eng befreundet - in Karachi, sondern auch, weil heute neben den fast einflusslosen Menschrechtsgruppen lediglich die Journalisten der englisch- und urdusprachigen Zeitungen sich öffentlich gegen die totale Entrechtung wehren. Der Verlegerverband und Journalistenorganisationen kämpfen gemeinsam dafür, dass die Menschen- und Bürgerrechte wie Rede- und Versammlungsfreiheit durchgesetzt werden.
Haroun geht sogar noch weiter. Für ihn ist die Pressefreiheit nichts wert, solange Fragen der Machtverteilung und sozialen Gerechtigkeit nicht tatsächlich diskutiert werden. Die Presse muss sich in den Dienst der Aufklärung stellen, muss Sprachrohr der Unterdrückten sein. "Solange dies nicht der Fall ist, kann man, trotz aller Kritikfähigkeit, nicht wirklich von Pressefreiheit sprechen."
Wer in Pakistan mit Verlegern und Journalisten sprechen will, muss zunächst nach Karachi. Die Stadt in der Nähe des Indusdeltas ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Außerdem ist sie auch das Medienzentrum Pakistans. Alle großen Verlagshäuser wie die Dawn- oder die jang-Gruppe steuern von hier aus ihre Arbeit. Eine Tradition, die sich aus der Entstehungsgeschichte Pakistans erklären lässt: Karachi war vor Islamabad die erste Hauptstadt, hierhin wanderte die gebildete indisch-britisch geprägte Mittelschicht aus den großen Städten Nordindiens aus.
Dies mag auch der Grund dafür sein, dass sich Frauen in Karachi trotz aller Anfeindungen von Seiten radikaler islamistischer Gruppen mehr Freiheiten erkämpfen konnten als anderswo in Pakistan. Rehana Hakim ist ein Beispiel dafür. Sie ist Chefredakteurin der englischsprachigen Zeitschrift newsweek (Pakistan). Die Hälfte der Beschäftigten sind Frauen. Für Hakim ist der Kampf für Frauenrechte eng mit dem für die Pressefreiheit verbunden. Trotz einiger Erfolge seit Mitte der achtziger Jahre, der Etablierung journalistischer Organisationen und der Vernetzung mit Frauen- und Menschrechtsgruppen, ist ihr Resümee niederschmetternd: "In meiner Arbeit als Journalistin spüre ich sehr häufig die Frustration", sagt sie auf die Frage nach der Pressefreiheit in Pakistan. "Man ist immer kritisch, man entlarvt eine Vielzahl von Rechtsbrüchen, deckt zahlreiche Fälle von Korruption verschiedener demokratisch legitimierter Parteien auf. Aber nichts verändert sich dadurch. Daher kommt meine Enttäuschung." Dennoch betrachtet Hakim die Zeitungen - im Gegensatz zu den staatlich gesteuerten elektronischen Medien - als wichtigen Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklung. Hier wird kein schöngefärbtes Bild Pakistans gezeichnet. Weshalb es immer wieder zu Anschlägen auf Journalisten und Verlagshäuser kommt wie unlängst, als in der Redaktion der islamischen Tageszeitung ummat eine Bombe explodierte. Inzwischen wird die Redaktion von Militärs in Zivil bewacht.
Doch Hakim lässt das Einfamilienhaus, in dem Redaktion und Archiv ihres auf dem ganzen indischen Subkontinent bekannten kritischen Politmagazins newsweek untergebracht sind, weder von der Polizei noch vom Militär bewachen. Einen vollständigen Schutz vor Terroranschlägen, so die Chefredakteurin, könne es niemals geben - in keinem Land der Erde. Sie hat in dreißig Jahren journalistischer Tätigkeit gelernt, dass Anfeindungen gegen arbeitende Frauen in Pakistan von allen Seiten kommen können. Immer jedoch sind sie religiös begründet. Mit religiösen Begriffen werden rassistische und frauenfeindliche Ideologien formuliert, mit denen gesellschaftliche Gruppen gezielt gegeneinander aufgehetzt werden sollen. Aber niemand werde den Frauen ihre Freiheiten wieder wegnehmen, betont sie energisch. Die radikalen Islamisten, fügt sie hinzu, sind antisemitisch, frauenfeindlich und rassistisch.
Ist die gewaltsame Auseinandersetzung mit den Islamisten überhaupt noch zu vermeiden? Hakim weiß es nicht. Wie versteinert sitzt sie hinter ihrem Schreibtisch, auf dem sich Berge von Papier stapeln. "Sie glauben an Gott und andererseits doch nicht. Wer sind sie denn, dass sie darüber entscheiden können, wer ein wahrer Muslim ist und wer nicht." Aus ihrer klaren und scharfen Stimme spricht Wut, Enttäuschung, Ohnmacht gegenüber einer Gesellschaft, die den Atombombentest 1998 genauso gutgeheißen hat wie die Machtübernahme des Militärs. "Die Islamisten, das ist unsere populistische Rechte, das sind unsere Rechtsradikalen. Man muss sich nur wundern, dass sich viele Menschen in Pakistan davon nicht beeinflussen lassen. Vielleicht liegt es daran, dass fast 80 Prozent der Pakistani auf dem Land leben."
1994 gründete die einzige private Presseagentur Pakistans, Pakistan Press International, kurz PPI genannt, eine Stiftung, deren Ziel sein sollte, die Pressefreiheit in Pakistan zu fördern. Da 80 Prozent der Pakistanis auf dem Land oder in Kleinstädten leben, beschloss man, dass sich die Stiftung Pakistan Press Foundation (PPF) um die Fortbildung von Journalisten in ländlichen Regionen kümmern sollte. Seit 1995 fahren Trainer aus Karachi auf Anfrage des jeweiligen örtlichen Presseclubs aufs Land und veranstalten Kurse, zu denen alle Journalisten eingeladen werden, die im Besitz eines offiziellen Presseausweises sind. Sie verteilen kostenlos Broschüren, die auf die besonderen Anforderungen in ländlichen Regionen eingehen, führen Übungen durch, wie man Nachrichten korrekt verfasst, und informieren über die Rechtslage - etwa, was als üble Nachrede oder Missachtung des Gerichts gilt. Ferner diskutieren sie über Fragen der journalistischen Ethik und Unabhängigkeit und wie man durch solidarisches Handeln mehr Pressefreiheit durchsetzen kann. Zusätzlich werden Journalisten dafür sensibilisiert, dass sie den Bürgern gegenüber eine besondere Verantwortung haben und wichtige Themen wie Bevölkerungsexplosion, Gesundheitsvorsorge, Hygiene und Umweltschutz aufgreifen sollten, die bislang kaum von Bedeutung waren.
Drei wichtige Erfahrungen brachten die PPF dazu, sich auf solche Fortbildungen zu konzentrieren: Erstens die Feststellung, dass seit der Unabhängigkeit von den Kolonialmächten die Pressefreiheit in vielen asiatischen Ländern nicht durchgesetzt werden konnte. Zweitens, dass die Funktion der Presse in sogenannten Dritte-Welt-Ländern eine andere sein muss als in den Ländern des Westens, weil die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land zum Teil noch in feudaler Abhängigkeit lebt. Drittens schließlich, dass die wegen Ausbildungsmängeln schlechte, unprofessionelle Berichterstattung vieler Lokaljournalisten Konflikte häufig verschärft.
Fazal Qureshi gehört zu den Initiatoren der Journalistenfortbildung. Der 65-Jährige wirkt seriös und kampfeslustig. Als Chefredakteur der Agentur PPI ist er wegen seines Engagements und seiner Unbestechlichkeit einer der bekanntesten Journalisten Pakistans. Seit 40 Jahren arbeitet er für PPI. Er begann als Reporter und wurde danach Auslandskorrespondent im Nahen Osten und in England.
Gemeinsam sind wir von Karachi mit dem Schalimar-Zug das Indus-Tal herauf bis Sadiq Abad gefahren. Der Presseclub des Ortes hatte uns eingeladen, seine Journalisten fortzubilden. Endlich, nach acht Stunden Fahrt, erreichen wir Sadiq Abad. Es regnet, zum ersten Mal seit Wochen. Trotzdem sind 15 Journalisten auf dem Bahnsteig versammelt. Die Abordnung empfängt uns mit Spruchbändern, auf denen in roten Lettern "Willkommen Fazal Qureshi", "Wir begrüßen Fazal Qureshi zum Workshop" und "Der Presseclub grüßt Fazal Qureshi" geschrieben steht. Nach einer überschwänglichen Begrüßung werden wir in die auf dem staubigen Vorplatz wartenden Autos gestopft.
Im Konvoi geht es mit lautem Hupen über die ungeteerte Hauptstraße, vorbei an Obst- und Gemüsehändlern, Frisör- und Fahrradgeschäften zwischen fliegenden Händlern auf Eselskarren hindurch bis zum privaten Gästehaus des örtlichen Großgrundbesitzers, Syed Mir Fazal-e-Elahi Fazli. Der ist Schirmherr des örtlichen Presseclubs und möchte wohl auch immer über die Arbeit der Journalisten informiert sein. Er bietet uns Cola und alkoholfreies Bier an. Die Familie besitzt ausgedehnte Ländereien in und um Sadiq Abad. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Fazlis aus dem heutigen Nordindien hierhin ausgewandert, der Vater Syed Mirs war von Beginn an ein überzeugter Anhänger der Muslim League (vgl. "der überblick" 4/2000), die sich für eine Abspaltung von Indien und einen eigenen pakistanischen Staat einsetzte.
Erst vor einigen Wochen wurde in Ahadi Thar in der Provinz Sindh, einer Kleinstadt wie Sadiq Abad, der Korrespondent Soofi Mohammad Khan der urdusprachigen islamistischen Tageszeitung ummat erschossen. Khan hatte über Frauenhandel in der Region Thar recherchiert und dabei aufgedeckt, dass ein Frauenschmugglerring von den lokalen Feudalherren gedeckt wurde. Sein kurz nach dem Attentat gefasster Mörder gab bei seiner Vernehmung an, dass er das Attentat als Vergeltung für die veröffentlichten Artikel betrachte.
Spät am Abend treffen sich die Journalisten im Presseclub in Bahnhofsnähe. Der einzig fertig gestellte Raum ist nicht größer als ein Wohnzimmer. Hinter zwei zusammengerückten Schreibtischen sitzt Qureshi, dichtgedrängt vor ihm die Journalisten auf einfachen Holzstühlen. Endlich ist man unter sich und kann frei reden. "Natürlich ist die Arbeit von Journalisten in den ländlichen Gebieten nicht frei vom Einfluss der Korruption", sagt ein großgewachsener Journalist in Anzug und weißem Hemd, "Zeitungseigentümer verlangen häufig einige tausend Rupien, ohne einen Presseausweis zu geben oder ohne den Zahler als offiziellen Korrespondenten anzustellen." Qureshi flüstert mir zu, dass es in Sadiq Abad wie überall auf dem Land Armeen von Leuten gibt, die den gleichen Presseausweis von derselben Zeitung besitzen - wegen der Arbeitslosigkeit. "Wenn man die Zeitungsbesitzer dafür bezahlen muss, dass man als Korrespondent eingestellt wird, muss man natürlich irgendwie versuchen, das investierte Geld wieder zu verdienen. Das fördert die Korruption."
Qureshi versucht dem abzuhelfen. Er nennt einige Presseclubs, die er beraten hat. Dort habe man ein Komitee aus älteren Journalisten gebildet, die entschieden hätten, dass der Presseclub nur einen Korrespondenten pro Zeitung anerkennen dürfe. Dies hätten sie auch den lokalen Behörden mitgeteilt. Weitere Journalisten mit Presseausweis würden bei Schwierigkeiten mit den Behörden oder der Polizei nicht unterstützt.
Das Problem sei aber, antwortet ein dunkelhäutiger Gerichtsreporter, dass es keine Solidarität unter den Journalisten gebe. In manchen Städten existierten mehrere Presseclubs. Außerdem würden die Zeitungen erwarten, dass man sie mit allen Meldungen versorgt, ihnen Werbeanzeigen vermittelt und zudem noch ihre Zeitungen verkauft. Der Mittdreißiger wirkt ratlos. Ihm ist unklar, worauf er mehr achten soll: über die Probleme der Leute zu berichten, Anzeigen zu akquirieren oder Zeitungen zu verkaufen.
Zuletzt meldet sich der offizielle Korrespondent der Dawn zu Wort. Während die anderen in Urdu geredet haben, hält er fast eine Ansprache - in brüchigem Englisch. Er richtet sich wohl mehr an mich als an seine Berufskollegen, von denen viele kein Englisch verstehen. Vorsorglich ist der ältere Herr, der mit seinem weißen Strohhut wie ein weltgewandter Lebemann wirkt, aufgestanden. Journalisten, so unterstreicht er, leisteten einen Dienst an der Gemeinschaft, der Gesellschaft und der gesamten Nation. Sie arbeiteten vier bis fünf Stunden täglich in einem solch kleinen Ort wie Sadiq Abad, ohne dass sie eine regelmäßige Bezahlung bekämen. Aber alle, auch die Journalistengewerkschaften dächten, die geschilderten Probleme seien unwichtig. Das sei allerdings falsch und werde sich früher oder später rächen. Tatsächlich veröffentlichen Zeitungen nur Meldungen, in denen ein überregional bekannter Name vorkommt oder wenn eine Aufsehen erregende Straftat begangen wurde. Über das wichtigste Problem, die Willkür der Polizei und Behörden in den ländlichen Regionen Pakistans, wird selten berichtet.
Es scheint hier eine andere Welt zu sein als die, die seit dem 11. September über die Bildschirme in Europa flimmert. Auch eine andere, als ich zu Anfang meiner Reise kennen gelernt habe. Da hatte ich in dem hoffnungslos überfüllten Zug bis Peschawar gestanden. Dort, im Nordwesten Pakistans, wollte ich mich mit alten Freunden, Journalistenkollegen treffen, die ich während meiner Arbeit in Afghanistan vor drei Jahren kennen gelernt hatte. Ob sie Zeit hatten, wusste ich nicht, denn seit den Anschlägen auf das World Trade Center haben sich in Peschawar zahllose westliche Journalisten versammelt. Die meisten von ihnen gehören zu jener Art Kriegsberichterstatter, die von einem Kriegsschauplatz zum nächsten reisen. Sie kennen weder die Sprache noch Geschichte oder Kultur des Landes. Gängige Praxis ist es, seine Beiträge von einheimischen Journalisten recherchieren und teilweise sogar verfassen zu lassen. Die für kurze Zeit eingereisten setzen dann nur noch ihren Namen darunter. Die Kriegsberichterstatter bedienen damit einen weltweiten Apparat medialer Inszenierungen. Sie verdienen gut daran, werden berühmt und haben niemals Zweifel an der Bedeutung ihrer Arbeit.
In Peschawar bin ich mit Behroz Khan verabredet. Sein Büro ist kaum zehn Quadratmeter groß. Der Korrespondent der englischsprachigen The News, einer Tageszeitung der gang-Gruppe mit Sitz in Karachi, ist westlich gekleidet und extrem nervös. Die Ereignisse der vergangenen Wochen haben ihn zu einem der gefragtesten Informanten für Journalisten aus dem Westen gemacht. Ständig klingelt das Telefon Washington Post, New York Times, The Times, BBC oder CNN, alle wollen von Khan Insider-Informationen über die Situation in Afghanistan. Behroz Khan schaltet seinen PC ab und legt den Telefonhörer neben das Telefon. Er wirkt übernächtigt. Als gebürtiger Paschtune, also jener Volksgruppe zugehörig, die in Afghanistan und in der Nordwestprovinz Pakistans die Bevölkerungsmehrheit bildet, ist er der Einzige, der als Journalist im Auftrag einer überregionalen Tageszeitung berichtet: Schwerpunkt Afghanistan.
Vor zwei Jahren hatten wir letztmalig zusammengearbeitet, als der Herausgeber der englischsprachigen Tageszeitung Frontier Post, Rehmat Schah Afridi, wegen angeblichen Drogenschmuggels verhaftet worden war. Erst vor einigen Wochen ist er nach einem Indizienprozess zum Tode verurteilt worden. Aber dafür interessiere sich im Westen derzeit niemand, bemerkt Khan: "Heute ist Afghanistan wieder im Zentrum der Berichterstattung, und alle sprechen von Menschenrechten, Frauenrechten, Drogen, Terrorismus, religiösem Fanatismus und Armut."
Ist das nicht auch eine Gratwanderung in Pakistan? Khan nickt: "Wenn man ständig mit Analphabeten und Menschen zu tun hat, die niemals eine Schule besucht haben, dann stellt man schnell fest, dass wir in einer religiös geprägten Gesellschaft arbeiten, und dass alles, was mit Fortschritt im modernen Sinne zu tun hat, nicht gewollt wird. Auch die pakistanischen Regierungen - egal ob demokratisch gewählt oder eine Militärdiktatur - haben die Journalisten, die sich für Veränderung einsetzten, verfolgt und bedroht."
Hinzu kommen die Besonderheiten der paschtunischen Gesellschaft. Die Menschen reagieren sensibel, wenn es um ihre Kultur, ihre Werte und Traditionen geht. Wenn sie sich verletzt fühlen, sind viele schnell gewaltbereit.
Khan will fort. An der Grenze zu Afghanistan ist es zu einer Schießerei gekommen. Es geht um Streitigkeiten zwischen paschtunischen Volksgruppen über die Verteilung der von den Amerikanern abgeworfenen Lebensmittel. Alltag in einer seit über zwanzig Jahren von Kriegen, lokalen, nationalen und internationalen Konflikten heimgesuchten Gesellschaft wie Pakistan.
Ich denke zurück an Hamed Haroun, jenen Herausgeber von Dawn aus Karachi, der darauf bestanden hatte, dass Journalisten trotz aller Widerstände in Pakistan der Kritik verpflichtet seien. Dass sie ihre Kritikfähigkeit erhalten müssten, weil sie sonst überflüssig würden und dass sie die Rhetorik, die die politische, militärische und religiöse Elite den Journalisten aufzwingen wolle, bekämpfen müssten. Eine hohe Anforderung an die einzige ernsthafte Opposition gegen Militärdiktatur und religiösen Fanatismus. Denn auch bei ihr wirken die zahllosen öffentlichen Scharmützel zwischen Politikern und Journalisten bis heute nach: die Bedrohungen, Verfolgungen und Attentate, die Indienstnahme des staatlichen Apparates für persönliche Interessen, das hemmungslose Wirtschaften ausschließlich zum eigenen Vorteil und die Instrumentalisierung des Justizapparates zum Zweck der Verfolgung unliebsamer Kritiker - auch während der längsten demokratischen Phase des Landes.
Die Erfahrungen erzeugen eine unbestimmte Angst vor jeder Utopie, nicht nur bei vielen pakistanischen Journalisten. Die pakistanische Gesellschaft selbst hat durch die zahllosen Fälle von Korruption, auch unter den Militärs, ihre Fähigkeit zum Widerstand verloren. Heute wirkt sie anfälliger denn je für islamistische Einflüsterer. Den Auswirkungen des beschleunigten Kapitalabflusses in den Westen ist sie hilflos ausgeliefert. Die Gesellschaft lebt von Spenden. Zu allem Überfluss hat sich die Regierung mit dem von vielen Pakistanis begrüßten Atombombentest noch zusätzlich ins politische Abseits manövriert. Damals, nicht heute, stand der Bürgerkrieg unmittelbar bevor, und nur der Militärputsch vor zweieinhalb Jahren hat ihn verhindert.
Heute stehen die Militärs zwar selbst unter Druck, eingekeilt zwischen amerikanischen Hegemonialansprüchen und islamisch legitimiertem Provinzialismus; eigentliches Opfer der veränderten politischen Lage ist jedoch die pakistanische Presse. Das hat ungleich weiter reichende Folgen als im reichen Westen. Ohne diese Presse aber hätten die sowieso schon von militärischer Bevormundung und islamistischer Propaganda stark beeinflusste Bevölkerung auch die letzte emanzipatorische Stimme verloren.
aus: der überblick 04/2001, Seite 65
AUTOR(EN):
Christoph Burgmer :
Christoph Burgmer ist Islamwissenschaftler und Iranist; er arbeitet als Journalist und Autor für die ARD.