Kritik am Knast zum Hit gemacht
"Tansanische Gefängnisse sind ein Alptraum", heißt ein Lied des populären Rappers Ndanda Kossovo Kichaa auf seiner Platte Wajelajela (Gefangene). Seine emotionalen Texte haben alle Rekorde in den Hit-Listen gebrochen und sind im Radio des ostafrikanischen Landes ständig zu hören: "Ein Gefängnis in Tansania ist ein Ort des Elends, ein Ort großen Leidens."
von Alfred Mbogora
Kichaa dürfte es wissen. Der im Kongo geborene Sänger war zweimal im Gefängnis, weil er ohne eine gültige Arbeitsgenehmigung in Tansania gearbeitet hatte. Nach dem zweiten Mal erhielt er eine reguläre Arbeitsgenehmigung - und schrieb das Lied, das die Schrecken des Lebens im Gefängnis beschreibt. Wajelajela findet viel Anklang bei der Jugend und scheint auch früheren Häftlingen aus der Seele zu sprechen. Sie erklären, die Gefängnisse in Tansania seien ein Alptraum von Folter, sexuellen Übergriffen und Schmutz. "Tansanische Gefängnisse sind wie die Hölle oder noch schlimmer", meint der 28 Jahre alte Sudi Ramadhani, der vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen worden ist. Er musste wegen eines Warendiebstahls im Werte von 50.000 Tansanischen Schillingen (etwa 56 US-Dollar) zehn Jahre im Gefängnis verbringen.
Ramadhani, der in sechs verschiedenen Gefängnissen war, beschreibt die Zustände so: "Insassen erhalten eine einzige Mahlzeit pro Tag - in der Regel einen ungenießbaren Mischmasch aus Mais und Bohnen, häufig verdorben. Nachts steht ihnen als Toilette nur ein Eimer zur Verfügung, was zu häufigen Ausbrüchen von Krankheiten wie Durchfall, Cholera und Ruhr führt. Auch schlechte Belüftung schafft eine Brutstätte für ansteckende Krankheiten. Tätlichkeiten - vor allem gegen Neuankömmlinge - sind weit verbreitet. Schwache Insassen werden ungestraft sexuell missbraucht. Stärkere Insassen, die sich gegen den Missbrauch wehren, werden bewusstlos geschlagen und manchmal kollektiv vergewaltigt."
Mahimbo Kaoneka, ein ehemaliger Gefängnisbeamter, der heute die nichtstaatliche Menschenrechtsorganisation Tanzania Human Rights Education Trust leitet, sieht in Haftanstalten Menschenrechte missachtet. Gefängnisinsassen würden geschlagen und zu landwirtschaftlichen und anderen Tätigkeiten gezwungen, unter anderem dazu, Häuser für Gefängniswärter zu bauen. Vergewaltigung, Schläge und Zwangsarbeit seien Menschenrechtsverletzungen, und die Überfüllung der Gefängnisse verschärfe die Probleme noch.
Tansanische Gefängnisse sind ausgelegt, um insgesamt 21.000 Personen aufzunehmen, doch zurzeit befänden sich 45.000 Menschen in Haft, erklärt der Gefängnishauptkommissar Onel Malisa. Die Hälfte der Insassen sind Untersuchungsgefangene, die auf ihren Prozess warten - manche seit zehn Jahren. Die ständige Überfüllung habe schlimme Konsequenzen, sagt Malisa. Im Gefängnis "Ruanda" in der Region Mbeya in Südtansania starben 1998 innerhalb von zwei Monaten 67 Insassen an Krankheiten und Unterernährung. Das Gefängnis hatte seinerzeit 700 Gefangene aufgenommen, obwohl es nur für 400 Insassen ausgelegt war.
Die Parlamentsabgeordnete Elizabeth Batenga meint, die Behandlung der Gefangenen mache Tansanias Behauptung unglaubwürdig, dass das Land die Menschenrechte achte. Sie tritt für die Menschenrechte von Gefangenen ein, darunter für ihr Recht, in menschenwürdigen Zuständen zu leben. Heute brauche ein Gefangener, so Batenga, viel Glück, um nach Verbüßung seiner Strafe das Gefängnis in gutem Gesundheitszustand zu verlassen. Die meisten Häftlinge seien bei ihrer Freilassung krank, schwach, voller Krätze, geistig desorientiert und könnten allgemein nicht mehr in die Gesellschaft integriert werden. "Gefängnisse sollten Orte der Besserung sein und nicht Folterlager", sagt sie.
In Batengas Äußerungen kommt eine zunehmende Veränderung der politischen Einstellungen zum Ausdruck. Vor drei Jahren wurde der stellvertretende Innenminister Emmanuel Mwambulukutu, der seinerzeit auch für Gefängnisse zuständig war, im Parlament ausgebuht, nachdem er sich über Abgeordnete lustig gemacht hatte, die die Zustände in Gefängnissen verbessern wollten. "Wenn Sie wollen, dass Gefängnisse zu einem weiteren Sheraton-Hotel werden, dann können Sie lange warten. Strafgefangene sind keine Touristen", hatte Mwambulukutu gesagt. Präsident Benjamin Mkapa versetzte den unpopulären Politiker daraufhin ins Außenministerium.
Selbst Mkapa räumt heute ein, dass das Gefängniswesen Mängel hat. Im April letzten Jahres sagte er, es sei in einem schlechten Zustand, und machte dafür das veraltete Justizsystem verantwortlich, das der Regierung zu viele Häftlinge und damit zu viele Kosten aufbürde. Ein Tansanier musste, weil er ein Huhn im Wert von 2,25 US-Dollar gestohlen hatte, sechs Monate ins Gefängnis, erläuterte Mkapa. Ihn während dieser Zeit zu ernähren, kostete den Staat 730 Tansanische Schillinge (0,83 US-Dollar) pro Tag, also 131.400 Tansanische Schillinge (148 US-Dollar) über die gesamte Haftzeit. "Wer wird in diesem Fall bestraft - die Regierung oder der Hühnerdieb?", fragte Mkapa.
Gefängnisbeamte vertreten die Auffassung, dass die Regierung, um gegen die Überfüllung in Gefängnissen anzugehen, das Gesetz über Haftentlassung auf Bewährung in Bezug auf Kleinkriminelle überprüfen sollte. Laut Innenminister Muhammed Seif Khatibu soll das nun geschehen, um die Voraussetzungen für eine Entlassung auf Bewährung zu erleichtern. Dabei sollen auch alternative Strafen in Betracht gezogen werden wie gemeinnützige Tätigkeiten im Falle minderjähriger Straftäter.
Inzwischen verspotten die Jugendlichen weiter die Regierung, indem sie häufig um das Abspielen von Wajelajela im Rundfunk bitten. Die Platte war Mitte 2001 schon drei Monate unter den ersten zehn auf der Hit-Liste.
aus: der überblick 02/2002, Seite 38
AUTOR(EN):
Alfred Mbogora:
Alfred Mbogora ist stellvertretender Chefredakteur von "Sauti Ya Demokrasia" (Stimme der Demokratie), einer von der Universität Dar es Salaam herausgegebenen Monatszeitschrift. Wir übernehmen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung dem Gemini News Service vom 13-20. 7. 2001.