Totes Meer
Zu große Fischereiflotten mit Fangtechnik, der nichts entgeht, die Ausweitung und intensivere Nutzung der Fanggebiete sowie illegale Fischerei lassen die Bestände zurückgehen. Auf eine weitere Gefahr weist das Umweltprogramm der Vereinten Nationen hin: Es gibt inzwischen 150 "tote Zonen" in den Weltmeeren, wo das Leben infolge von Umweltverschmutzung erstickt ist. Wenn die Politik nicht handelt, sind die Ozeane bald ein totes Meer.
von Paul Brown
Die Fischfangindustrie befindet sich weltweit in der Krise. Trotz größerer Schiffe und Flotten mit besserer Technologie, die sich auf allen Teilen der Ozeane bewegen können, geht der Weltfischfang zurück. Bestände mit dem höchsten Nährwert, Hauptnahrungsmittel wie Thunfisch und Kabeljau, sind im Verschwinden begriffen. In manchen Gebieten sind sie bis zur Ausrottung gefischt worden.
Obwohl Regierungen seit 30 Jahren versuchen, die Situation unter Kontrolle zu bringen, jagen immer mehr Schiffe immer weniger Fischen nach. Früher war Fisch eine billige Proteinquelle für die Armen, doch die Preise sind steil angestiegen. Hunderttausende von Menschen, die traditionell von der Fischwirtschaft abhängen, suchen nach Arbeit. Dies gilt für Fischereigemeinschaften in der Europäischen Union (EU), die dafür bezahlt wurden, dass sie ihre Boote aufgaben und auf andere Tätigkeiten umstiegen, ebenso wie für die Bewohner der Küstendörfer in Afrika und Asien, die zusehen mussten, wie industrielle Fangschiffe ihre Küstengewässer leer fischten.
Die Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) schätzt in ihrem jüngsten Bericht (mit Daten aus dem Jahr 2001), dass heute nur noch ein Viertel der Fischbestände noch zusätzliche Fischerei verkraften könnte. Dagegen werden 47 Prozent der Bestände bis an die Grenze der Belastbarkeit befischt, weitere 18 Prozent sind überfischt und 10 Prozent der Bestände fast völlig weggefischt (wovon sich nur 1 Prozent langsam erholt).
Externe Beobachter halten diese Zahlen für optimistische Schätzungen - die Situation sei weit schlimmer. In fast allen Fischfanggebieten habe es eine Überfischung der größeren Arten gegeben. In einigen der produktivsten Fischregionen wie den Grand Banks an der Ostküste Kanadas, die früher die größten Fischfanggründe der Welt waren, gibt es keinen Kabeljau mehr. Trotz Warnungen der Wissenschaftler vor einer drohenden Katastrophe wurde der Fischfang in großem Ausmaß weiter betrieben. Die Ausbeute ging stark zurück und hat sich auch zehn Jahre später nicht erholt, wodurch tausende Menschen ihre Arbeit verloren haben.
Vor vier Jahren bezeichneten europäische Wissenschaftler die Fischerei in allen neun kommerziell genutzten Fischbeständen der Nordsee als "außerhalb sicherer biologischer Grenzen". 67 Prozent aller Bestände im Nordostatlantik waren weitgehend ausgeplündert oder durch Überfischung gefährdet. Da die Bestände größerer Fischarten stark zurückgingen, sind kleinere Arten wie Makrelen, Sardinen und Sardellen die neuen Fangziele geworden. Wissenschaftler hielten eine zeitweilige Einstellung des Fischfangs für erforderlich, um eine Erholung der Bestände zu ermöglichen. Doch die Politiker hörten lieber auf die Fischer, die behaupteten, dass es noch Fischbestände gab. Die Folge davon ist, dass die Bestände weiter geplündert wurden. Zwar wurden in einigen Gebieten Fischfangverbote erlassen, doch vermutlich noch nicht genug, um den dauerhaften Niedergang umzukehren.
Kleinere Fischarten werden überwiegend industriell gefischt. Diese Fische sind nicht direkt für den menschlichen Verzehr bestimmt, sondern werden zu Tierfutter verarbeitet. Viele halten das für eine Verschwendung einer wertvollen Nahrungsquelle. In neuerer Zeit werden diese Fische auch als Futter in der Fischzucht verwendet. Die FAO schätzt, dass in 20 Jahren doppelt so viel Fisch wie heute in Aquakultur erzeugt werden wird, damit werde dann die Hälfte des von Menschen verzehrten Fisches aus industrieller Fischzucht stammen.
Dabei wird allerdings nicht berücksichtigt, dass die Fischzucht so wie heute nicht auf Dauer betrieben werden kann. Lachse zum Beispiel benötigen im Futter einen hohen Prozentsatz an Fischöl, um gesund zu leben. Um ein Kilogramm Zuchtlachs zu erzeugen, müssen fünf Kilogramm wilden Fisches gefangen und zu Futter für die Zuchtlachse verarbeitet werden. Wenn das in diesem Tempo weitergeht, wird es bald keinen Fisch im Meer mehr geben, um die gezüchteten Fische zu ernähren. Deshalb werden dringend andere Futtermittelquellen für den Fischzuchtbetrieb benötigt.
In Entwicklungsländern werden Fische zwar noch auf traditionelle Weise gezüchtet. In China etwa, dem größten Fischzuchtland, dienten Süßwasserkarpfen seit Generationen als Nahrungsmittelquelle. Aber heute ist das einträglichste asiatische Geschäft die Zucht von Garnelen und Krabben in Aquakulturen. Dadurch soll die riesige Nachfrage in Asien, Nordamerika und Europa gedeckt werden, wo die Preise hoch sind. Diese Fischzuchtbetriebe werden häufig in Mangrovensümpfen angelegt, wo es geeignete Stätten in seichtem Wasser gibt. Wilde Fische der wärmeren Gewässer laichen in Mangroven (vergl. auch den Artikel von Eickhoff und Krumme in diesem Heft).
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt, dass 30 Millionen Fischer ihren Lebensunterhalt direkt aus dem Fischfang beziehen. Weitere 200 Millionen Beschäftigte sind indirekt in der Fischverarbeitung und -vermarktung oder in Zulieferbetrieben und Schiffbau vom Fischfang abhängig. Die OECD sieht eine starke Diskrepanz zwischen den Kapazitäten von Fangschiffen zum Fischfang und den vorhandenen Beständen. In Europa wird ernsthaft versucht, dieses Problem durch Verschrottung einer großen Anzahl von Schiffen zu lösen. Diese wurden jedoch durch neuere und größere Fabriktrawler mit verbesserter Radar- und Sonarausrüstung ersetzt, die jeden Fischschwarm bereits aus großer Entfernung orten können. Dadurch hat sich die Situation noch verschlimmert.
Der wohlhabende Verbraucher bemerkt kaum etwas davon. Die Preise sind zwar gestiegen, und Fisch ist inzwischen teurer als erstklassiges Fleisch. Aber es scheint keinen Mangel zu geben. Das liegt daran, dass große multinationale Unternehmen den Fischhandel kontrollieren und zwar in allen Industrieländern, wo Mittelschichten über große Kaufkraft verfügen. Wenn Fisch in der Nordsee knapp ist, können Vorräte aus Island oder sogar Neuseeland eingeflogen werden. Japan, der größte Verbraucher von Fisch, importiert aus der ganzen Welt.
Die Europäische Union hat lukrative Fischfangabkommen mit Ländern entlang der Westküste Afrikas abgeschlossen. Auf diese Weise kann sie Lieferungen sicherstellen, vor allem aber ihre übergroßen Flotten aus nordeuropäischen Gewässern heraushalten. Dies hat mindestens 14 Staaten in Afrika, Asien und Südamerika Millionen von Euro eingebracht.
Nun sind jedoch die Küstengewässer für große Fangschiffe zugänglich, die in einer einzigen Nacht so viel fangen können wie ein Kleinfischer in einem ganzen Jahr. Das Ergebnis war eine Katastrophe für Fischbestände und die armen Gemeinschaften an der Küste, denen Fisch seit jeher das wichtigste Protein liefert (siehe auch den Artikel von Fred Pearce in diesem Heft). Der industriell betriebene Fischfang nimmt den Einheimischen Nahrung und Arbeit weg. Die reichen Länder konkurrieren weltweit um schrumpfende Fischgründe und dezimieren dabei die einst gesunden Bestände. Kleine Boote von Einheimischen, wie man sie in malerischen Häfen sehen kann, gefährden nicht die Fischvorräte der Ozeane. Verantwortlich sind riesige schwimmende Tiefkühlfabriken, die mit den modernsten Radarsonden und Satellitentechnologien ausgerüstet sind. Für die Fische gibt es kein Entrinnen. Ganze Schwärme werden von Netzen eingekreist und zur Verarbeitung und Tiefkühlung angesogen. Als Folge bleibt nichts im Meer zurück, was sich vermehren und die Bestände wieder auffüllen kann.
Entwicklungsländer erhalten im Jahr rund 100 Millionen Euro, um 1300 europäischen Schiffen den Fischfang in ihren Hoheitsgewässern zu erlauben. Einen ähnlich großen Betrag erhalten Werften und Schiffseigner als Subvention für den Bau neuer Superschiffe. Diese Subvention wird damit begründet, dass dadurch die Arbeitsplätze von 20.000 Fischern und weiteren 50.000 im Schiffbau und in Fischverarbeitungsbetrieben in Europa tätigen Personen gesichert werden. Weltweit fangen immer größere Trawler rund um die Uhr Fisch und frieren ihn ein. Sie können weit entfernte Fischgründe nutzen. Dann legen sie im nächsten Hafen an, um ihren Fang zum Export in ferne Städte zu verkaufen. Auf Binnenmärkten werden exotische Arten eingeführt, um eine Nachfrage zu befriedigen, die nicht mehr aus leer gefischten einheimischen Gewässern gedeckt werden kann.
Das Problem verschlimmert sich noch aufgrund von Fischpiraterie. Von den Vereinten Nationen wird diese höflich als illegaler, nicht gemeldeter und unregulierter Fischfang bezeichnet. Fischpiraterie geschieht in der Regel durch Fangschiffe, deren Eigentümer sich in Industrieländern befinden, die jedoch unter so genannten Billigflaggen fahren. Diese sind Flaggen von Entwicklungsländern, in denen die Schifffahrt selten kontrolliert oder reguliert wird. Fangschiffe unter Billigflaggen fischen überall ohne Rücksicht auf Bestimmungen der Quoten, Art der Fangausrüstung oder geschützte Arten. Ihren Fang frieren sie gleich an Bord ein und fahren einen Hafen an, der wegsieht, wenn sie ihre Fracht löschen. Ein beliebter Löschhafen sind zur Zeit die Kanarischen Inseln, wo andere Schiffe den Fang übernehmen und zu einem zweiten Hafen befördern, so dass die Herkunft des Fisches verschleiert werden kann.
Auf einer im April 2004 von der OECD zu diesem Problem organisierten Konferenz in Südkorea wurde geschätzt, dass bis zu 30 Prozent des Weltfischfangs heute illegal gefangen wird. In einigen Fanggebieten betrugen die illegalen Fänge das dreifache Niveau des erlaubten Fischfangs. Die Konferenz kam zu dem Schluss, dass Fischpiraterie durch übermäßige Fangkapazitäten, staatliche Subventionen und starke Marktnachfrage nach bestimmten Fischarten und -erzeugnissen gefördert wird. Eine schwache innerstaatliche Fischereiverwaltung und ein schlechtes regionales Fischfangmanagement tragen weiter dazu bei. Auch Aufsicht, Kontrolle und Überwachung einschließlich der Schiffskontrolle sind ineffektiv.
Auf der Konferenz wurde gesagt, dass Schiffe häufig die Flagge wechseln, um Entdeckung und Strafverfolgung zu vermeiden. Der illegale Fischfang wurde als Gefährdung für die Fischbestände gewertet. Er bedroht auch die Märkte, den Handel und die Wettbewerbsfähigkeit der Erzeugnisse aus legalem Fischfang. Außerdem gefährdet er die Sicherheit auf See. Die Konferenz kam zu dem Schluss, dass sich Regierungen der Problematik durchaus bewusst sind, jedoch nicht den politischen Willen haben, um dagegen vorzugehen.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat ein weiteres Problem festgestellt, das den Fischfang bedroht: Es handelt sich um 150 unter Sauerstoffmangel leidende oder "tote Zonen" auf den Weltmeeren. Diese sind infolge eines Übermaßes an Nährstoffen - vor allem Stickstoff - entstanden, die von landwirtschaftlichen Düngemitteln, Fahrzeugen und Fabrikemissionen und -abfällen stammen und vor allem über Flüsse ins Meer gelangen. Niedriger Sauerstoffgehalt im Wasser macht es Fischen, Austern und anderen Meereslebewesen und wichtigen Habitaten wie Meeresgrasbetten schwer, zu überleben.
Fachleuten zufolge haben Anzahl und Größe der sauerstoffarmen Gebiete seit den siebziger Jahren ständig zugenommen. Sie warnen, dass diese Gebiete rasch zu großen Gefahren für Fischbestände und somit für die Menschen werden, deren Nahrungsmittelversorgung und Lebensunterhalt vom Fischfang abhängt. Klaus Töpfer, der Direktor des UNEP, sagte im März 2004 bei der Eröffnung des Weltumweltforums der Regierungsvertreter in Jeju, Südkorea: "Die Menschheit hat ein gigantisches globales Experiment in Gang gebracht." Ineffizienter und häufig übermäßiger Einsatz von Düngemitteln, die Einleitung ungeklärter Abwässer und die weiter steigenden Emissionen aus Straßenverkehr und Industrie versorgten marine pflanzlichen Organismen mit reichlich Stickstoff und Phosphor und förderten so ihr Wachstum. Die Verwesung der Organismen zehre wiederum den im Wasser gelösten Sauerstoff auf "mit alarmierenden und mitunter nicht reversiblen Effekten" - den sauerstoffarmen Gebieten. Dieses Problem werde rasch eskalieren, wenn nicht dringend etwas unternommen werde, um gegen seine Ursachen vorzugehen. Nahrung, Lebensunterhalt und ein erfülltes kulturelles Leben von Hunderten Millionen von Menschen hängen, so Töpfer, von der Meeresumwelt ab. Die Auswirkungen der Landwirtschaft, der menschlichen Abfälle und der Luftverschmutzung auf die Meere und Ozeane zu verringern, werde ein wichtiges Element sein, um die Millenniumsentwicklungsziele (vergl. "der überblick" 1/2004) und den Aktionsplan des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Bereichen wie dem Verlust von Fischbeständen und der Artenvielfalt bis hin zu Hygiene und Armut zu erreichen.
Die Verringerung des Sauerstoffgehalts des Meeres kann dramatische Auswirkungen haben. Fische entfliehen den "erstickenden Gewässern". Muscheln, Hummer, Austern, Schnecken und andere sich langsam bewegende und am Meeresboden lebende Geschöpfe sterben in großer Anzahl. Die ersten toten Zonen wurden in Chesapeake Bay in den Vereinigten Staaten, im Kattegat in der Ostsee, im Schwarzen Meer und im nördlichen Adriatischen Meer festgestellt. Auch in skandinavischen Fjorden gibt es sie. Das bekannteste Gebiet mit stark verringertem Sauerstoffgehalt ist im Golf von Mexiko zu finden, was direkt mit dem Zufluss von Nährstoffen oder Düngemitteln aus dem Mississippi zu tun hat. Andere sind vor den Küsten Südamerikas, Chinas, Japans, Südostaustraliens und Neuseelands entstanden. Es besteht die Sorge, dass noch mehr sauerstoffarme Gebiete in den Küstengewässern vor Teilen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas entstehen, wenn die Industrialisierung und noch intensivere Landwirtschaft die Emission von Nährstoffen verstärkt.
Doch trotz der weiterhin schlechten Nachrichten gibt es im Fischfanggewerbe nicht nur düstere Aussichten. Island, Norwegen und Neuseeland haben gezeigt, dass es möglich ist, Fischbestände zukunftssichernd zu verwalten, wenn der politische Wille vorhanden ist. Insbesondere Island hat seine Kabeljaubestände nach Jahren zunehmend scharfer Kontrolle stabilisiert. Auch hat man aus den Erfahrungen, die in den Anfängen der Fischzuchtbetriebe mit Krankheits- und Verschmutzungsproblemen gemacht wurden, gelernt. So kann man heute große Mengen Fisch in Gefangenschaft ohne Gefährdung von Beständen und Umwelt züchten. Versuche der Heilbutt-, Kabeljau- und Schellfischzucht waren erfolgreich. Kabeljau könnte die nächste Fischart werden, der in großem Ausmaß gezüchtet wird.
Die Probleme der Weltfischfangindustrie und der Fischbestände sind gut bekannt. Was noch fehlt, ist der politische Wille zu ihrer Lösung. In den letzten Monaten haben Regierungen anerkannt, dass mehr Kontrollen nötig sind, um Fischpiraterie zu stoppen, dass kommerzieller industrieller Fischfang nicht im Übermaß stattfinden darf. Die Fischbestände müssen sich erholen können. Wenn die Voraussetzungen für bestandserhaltende und umweltschonende Fischerei geschaffen worden sind, gilt es auch noch, die Ressourcen Fisch und Meeresfrüchte vernünftig zuzuteilen, und zwar so, dass die ärmsten Menschen ihren gerechten Anteil an der Fülle des Meeres zurückerhalten. Sie fischen schließlich schon seit Jahrhunderten im Einklang mit der Umwelt.
Fisch und ErnährungEntzugserscheinungenEin plattdeutsches Sprichwort lautet: "Wat de Buer nich kennt, dat fret hey nich" (Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht). Diese Erkenntnis gilt wohl weltweit. Wo Menschen mit ihrem Land und ihrer Kultur fest verwurzelt sind, ändern sie nur ungern ihre Essgewohnheiten. Entwicklungsberater können ein Lied davon singen, wenn sie Menschen dazu bewegen wollen, eine nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gesündere Ernährungsweise anzunehmen. In vielen Regionen der Welt, die in der Nähe von Gewässern liegen, ist aber gerade die althergebrachte Ernährungsweise sehr gesund, denn zum Speiseplan gehört viel Fisch, der reich an Eiweiß und ungesättigten Omega-3-Fettsäuren ist. In Europa galt Fisch jedoch als arme-Leute-Essen. Viele von denen, die sich kein Fleisch leisten konnten, mussten sich mit billigerem Fisch begnügen, sofern ihr Geld wenigstens dafür ausreichte. Mit der Wanderung von Arbeitskräften in die Städte im Zuge der Industrialisierung entstand so ein Massenmarkt für Hering und Kabeljau, und der Hochsee-Fischfang erlebte eine erste Blüte. Bevölkerungswachstum und vielerorts zumindest absolut steigende Einkommen führten dazu, dass weltweit immer größere Gruppen der Bevölkerung Fisch verbrauchten und pro Kopf auch mehr davon aßen. Produktivere Fangmethoden und größere Fangflotten sorgten dafür, dass die wachsende Nachfrage lange Zeit auch ohne größere Preissteigerungen gedeckt werden konnte. Mittlerweile sind aber viele der einst reichhaltigen Fanggründe leergefischt und die Preise für manche Fischarten so gestiegen, dass diese zum Luxusprodukt geworden sind, welches sich nur noch die besser Verdienenden leisten können. Wo der Fisch genug kostet, wird es plötzlich für die gut Betuchten zum symbolischen Akt, Wohlstand und Weltläufigkeit zu demonstrieren, wenn sie in Restaurants Fischarten verzehren, die sie vorher kaum kannten. Der Welterfolg der Sushi-Bar-Ketten ist dafür ein beredtes Zeichen. Was der Städter nicht kannte, das isst er jetzt gerade! Die Kaufkraft dieser weltweit wachsenden Mittelschichten eröffnet einen attraktiven Markt für den Fischexport aus Ländern der Dritten Welt. Dort aber müssen deshalb die ärmeren Bevölkerungsschichten zwangsläufig ihre Essgewohnheiten ändern, ihre besten Fischarten den Reicheren in der Welt überlassen und selbst mit billigerem Massenfisch vorlieb nehmen, etwa mit dem, was hierzulande als Gammelfisch bezeichnet und zu Fischmehl verarbeitet wurde, inzwischen aber zunehmend auf Märkten und in Supermärkten der Dritten Welt landet. Die Ausplünderung der Wildfischbestände macht allerdings die industrielle Fischzucht in Aquakulturen attraktiv. Und die ist am kostengünstigsten in Entwicklungsländern zu betreiben. Da nach Prognosen künftig der Großteil des Weltfischangebots aus Aquakulturen kommen wird, haben die Entwicklungsländer eine Chance, diesen Teil des Weltmarkts für sich zu erschließen. So mögen manche, die sich früher mit Fischen selbst versorgen konnten, wenigstens Arbeit in der industriellen Fischzucht und -verarbeitung finden und ihren Fisch dann - verarbeitet und vertrieben von multinationalen Handelsketten - im Supermarkt kaufen. Das ist zwar nicht so romantisch wie traditionelle Kleinfischerei, aber auch nicht lebensgefährlich. Damit allerdings die Versorgung der Menschheit mit Fisch zukunftsfähig wird und die Fischbestände sich erholen können, müssten die einkommensstärkeren Schichten ihr Konsumverhalten ändern und zum Beispiel anstelle von Lachs, der mit Fisch gefüttert wird, Pflanzen fressenden und möglicherweise sogar preiswerteren Pilapia wählen. Ob sich die Verbraucher jedoch dazu bewegen lassen, ist mehr als zweifelhaft. Denn hier gilt wieder: Wat de Buer nich kennt, dat fret hey nich. du |
aus: der überblick 02/2004, Seite 6
AUTOR(EN):
Paul Brown:
Paul Brown ist Umweltkorrespondent der britischen Tageszeitung "The Guardian" in London.