Gefährliche Geschäfte
Die Basler Konvention von 1989 verbietet die Ausfuhr von gefährlichen Abfällen. Dennoch exportieren Industrienationen jedes Jahr große Mengen unbrauchbarer elektronischer Geräte in Länder mit lückenhafter Gesetzgebung. Zu den weltweit größten Verwertungsplätzen für illegal exportierte Computer aus Industrieländern zählt Indien. In Neu Delhi ist das Ausschlachten alter PCs, Monitore und Drucker bis ins Detail durchorganisiert - und eine hochgiftige Angelegenheit für Mensch und Umwelt.
von Frank Hartmann
Neu Delhi Ost, ein dreistöckiges Eckhaus im Moslemviertel von Selampur. In den Metallwerkstätten gleich nebenan weiß angeblich niemand, wem das Gebäude gehört, wann der Besitzer anzutreffen ist, noch was sich hinter der Tür mit dem Vorhängeschloss und den verrammelten Fenstern verbirgt. Direkt vor dem Haus liegen riesige Kunststoffsäcke. Sie sind so zerschlissen, dass durch die Risse hindurch Tasten und Buchstaben zu erkennen sind. Daneben stapeln sich ausgeschlachtete Computertastaturen zweieinhalb Meter hoch. Noch ein Stück weiter hat man Hunderte leerer Monitorgehäuse zu langen Reihen ineinander geschoben.
Ein Mann kommt angeradelt, steigt vor dem Eckhaus von seinem dreirädrigen Lastenfahrrad, lädt Dutzende der Gehäuse auf die hölzerne Ladefläche. Auf die Frage, wohin er die Ladung bringe, antwortet er abweisend: “Woanders”. Kurz bevor er um die nächste Straßenecke biegt, dreht er sich um. Als wolle er sich versichern, dass ihm niemand folgt.
Abfallmanagement-Experten in Neu-Delhi, wie Peter Henschel von der Deutschen “Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit” (GTZ) und Amit Jain, Direktor der auf Energie, Umwelt und natürliche Ressourcen spezialisierten International Resources Group, betrachten das Verhalten des Mannes als typisch. Denn das Netz von Geschäftsleuten, die Computerschrott illegal nach Indien exportieren, ihn aufkaufen, verteilen, ausschlachten und weiterverwerten, weise - so ihre Erkenntnis - “mafiose Strukturen” auf.
Shastri Park, nahe des Flusses Yamuna. Im offenen Abwasserkanal vor einem zweistöckigen Haus treibt eine dunkle, stinkende Brühe vorbei. Das Erdgeschoss des Gebäudes ist zur Straße hin offen. Man blickt direkt in einen Verkaufsraum mit gebrauchten Rechnern, Monitoren, Druckern und CD-ROM-Laufwerken. Davor sitzt ein Mann, barfuß, in langer schwarzer Hose und weißem Netzhemd. Nein, er habe keine Ahnung, wem der Laden gehöre. Nach einigem Palaver und 200 Rupien Schmiergeld (nicht ganz vier Euro), geht er im Treppenhaus voran, vorbei an einer Gittertür, hinter der mehrere Haufen mit Computerteilen und Elektronikzubehör zu sehen sind.
Oben auf dem Flachdach türmt sich ein Stapel dunkelgrüner Leiterplatten. Ein Junge schraubt einen Monitor auseinander. Ihm gegenüber hockt ein Mann vor einem Kerosin-Kocher und hält mit einer Zange eine Leiterplatte in die Flamme. Die Flamme färbt sich grün; Rauch steigt auf, erst weiß, dann grau. Die Augen des Mannes tränen, er fängt an zu husten. Als ihm die dünne Plastikplatte weich genug erscheint, greift er mit der anderen Hand einen schweren Schraubenzieher und schlägt Kleinteile aus Metall ab.
In einem Verschlag schräg hinter dem Mann kauert eine Frau mit einem Kleinkind auf dem nackten Boden. Der Junge kann gerade laufen. Er kommt angewackelt, bückt sich, schnappt sich einen abgefallenen Kondensator und steckt ihn in den Mund. “Mein Sohn”, sagt der im Netzhemd und nimmt den Kleinen auf den Arm: “Wir wohnen hier oben.” Der Junge nuckelt weiter an dem schwarzen Kondensator herum. Einen richtigen Schnuller hat er nicht.
Für die Herstellung der Rechner verwenden die Firmen zwischen 700 und 3500 Materialien, allein vierzig verschiedene Kunststoffe. Zudem enthalten Monitore gesundheitsschädigende Stoffe wie Blei und Cadmium. In Laserkartuschen und Kondensatoren sind polychlorierte Biphenyle (PCB) zu finden, die bei Erhitzen Dioxin freisetzen können, und in Leiterplatten Arsen und Brom. Ein Bestandteil von Batterien ist das hochgiftige Quecksilber. Wenn die Geräte unsachgemäß entsorgt werden, warnen Umweltschützer, gelangen die Gifte in den Körper, können Krebs erzeugen, das Erbgut verändern und später beim Nachwuchs zu Missbildungen führen.
Mayapuri, ein von Sikhs dominiertes Industrieviertel an der Ringstraße, die das Zentrum von Delhi umschließt: In Kleinbetrieben ächzen schweißtriefende Männer vor Anstrengung, während sie mit riesigen Meißeln, Vorschlaghämmern und Zangen Lkw-Führerhäuser und andere sperrige Metallteile zerlegen. Mittendrin sitzen drei junge Männer vor einem Lagerraum. Der jüngste von ihnen ist fünfzehn. Er zerlegt gerade einen Monitor. “Die Teile werden anschließend weiterverkauft”, erläutert er. Die beiden anderen montieren die Seitenwände von Computern ab und reißen mit Zangen die Leiterplatten heraus. Geht ihnen das nicht schnell genug, helfen sie mit Hämmern nach.
Die zerlegten Rechner stammen nur zum Teil aus dem Inland. Industrienationen wie die USA exportieren zwischen 50 und 80 Prozent ihres Elektronikschrotts: vorwiegend nach China, Pakistan und Indien. “Getarnt als Geschenke oder Gebrauchtgeräte”, berichtet Ravi Agarwal, Direktor des indischen Informationszentrums Toxics Link. Er und andere Fachleute gehen davon aus, dass weltweit jeder fünfte bis zehnte Schrottcomputer in den Export gelangt. Ob die Technik überhaupt noch funktioniert, werde in den Häfen von Mumbai (früher Bombay) und Chennai, wo die Ware nach einem Umweg über die Golfstaaten meist ankomme, nicht kontrolliert. Der Zoll kassiere die Gebühren, ohne einen Blick auf die Rechner zu werfen.
Toxics Link hat versucht, die verschlungenen Importrouten nachzuzeichnen. Im Internet fand die Organisation Händler, die alte Computer ins Ausland verkaufen. Sie entdeckten auch indische Internetseiten mit genauen Anweisungen, wie die Ware zu deklarieren sei, damit sie den Zoll problemlos passieren kann. Agarwal vermutet, dass die Fracht mittels Briefkastenfirmen mehrmals den Absender wechselt, bevor sie über den Mittleren Osten schließlich nach Indien gelangt. In den frühen neunziger Jahren seien riesige Mengen alter Autobatterien mit ihren Säuren und ihrem Blei ins Land gekommen. Agarwal glaubt, dass die damals aufgebauten Handelsrouten noch immer existieren und nun für Elektronikschrott genutzt werden.
Einer der drei Jungen in Mayapuri erzählt: “Jeden Tag kommt ein Lkw und bringt neue Geräte.” Dabei deutet er auf einen Weg, der vor lauter Schlaglöchern, Regenpfützen und Schlammflächen kaum noch befahrbar scheint. Am Ende dieses Pfades leben die Familien der Männer und Jugendlichen, die in den Werkstätten arbeiten: Zwischen stinkenden Abfallbergen, auf denen Kühe nach Fressbarem suchen, steht modriges, faules Wasser. Schweine suhlen sich in knöcheltiefem Schlamm. Vor Hütten aus Holzstangen und Plastikplanen bereiten Frauen in zerschlissenen Saris über offener Flamme Essen zu. Ihre Kinder - sie haben verfilzte Haare, sind völlig nackt, und offene Geschwüre zeigen sich an Armen und Beinen - bewerfen einander mit Schlamm. Etwas anderes haben sie nicht zum Spielen.
Schlimmer hausen kann man wohl nicht. Aber arbeiten. “Schrecklich” nennt Kushal Pal Singh vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt in Neu Delhi die Arbeitsbedingungen in Vierteln wie Mandoli, wo die Leute mit bloßen Händen Computer Teil für Teil auseinander pflücken und dabei giftige Gase einatmen. Indische Wissenschaftler hätten bei derart beschäftigten Frauen Dioxin in der Muttermilch nachgewiesen, sagt Singh. Die Unternehmer investierten keine einzige Rupie in Schutzmaßnahmen.
Die Männer und Frauen, die im Industriegebiet von Mandoli schuften, wissen entweder nicht, was sie ihrer Gesundheit antun. Oder sie ahnen es, finden aber keine andere Beschäftigung in dieser Gegend östlich des Flusses Yamuna an der Grenze zum Bundesstaat Uttar Pradesh. Die Wohngegend ist typisch für einen Randbezirk der indischen Hauptstadt: enge, schmutzige Gassen, heruntergekommene Geschäfte, baufällige Häuser, vergammelte Fassaden, wie die der 24-Stunden-Ambulanz.
Der diensthabende Arzt dort heißt Dr. Gyaneshwar Sharma. Als er nach der Tagesschicht sein winziges Büro mit der abgenutzten Behandlungsliege verlässt und vor die Eingangstür tritt, blickt er wie so oft auf dunkle Rauchwolken zu seiner Linken. Sie steigen aus dem Industriegebiet auf, keine fünfhundert Meter entfernt. “Die meisten Patienten sind durch mangelhafte Ernährung geschwächt und leiden unter Herz- und Kreislauf-Problemen”, erläutert der auf berufsbedingte Krankheiten spezialisierte Mediziner. “Häufig betroffen sind auch innere Organe wie Lunge, Leber und Nieren.” Ein Zusammenhang mit dem nahen Industriegebiet liegt für Sharma auf der Hand: “Die Betriebe verseuchen das Wasser, den Boden und die Luft - also zwangsläufig auch die Menschen.” Staatliche Aufsicht, Polizeikontrollen? Der Arzt verzieht seinen Mund und schnaubt resigniert.
Die Basler Konvention, ein Abkommen der Vereinten Nationen von 1989, schränkt den Giftmüll-Export erheblich ein. Danach ist verboten, derartige Abfälle in Entwicklungsländer auszuführen. Viele Länder, die sich in der OECD, der “Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung”, zusammengeschlossen haben, unterzeichneten das Abkommen. Die USA, Kanada, Japan und Australien gehören jedoch zu den “wenigen großen Industrienationen, die die Basler Konvention nicht ratifiziert haben”, merkte die Neue Zürcher Zeitung im vergangenen Jahr an.
Wenige Monate zuvor hatte Toxics Link - unterstützt vom Basel Action Network und der US-amerikanischen Organisation Silicon Valley Toxics Coalition - ordentlich Staub aufgewirbelt. Im Rahmen der Studie Scrapping the Hi-Tech Myth - Computer Waste in India wies Toxics Link nach, dass Neu Delhi zu den weltweit größten Entsorgungsplätzen für illegal eingeführte Geräte gehört: “Mindestens 30 bis 50 Prozent unseres untersuchten Elektronikschrotts sind ausländischer Herkunft.” Direktor Ravi Agarwal und Senior-Experte Kishore Wankhade befürchten, dass dieser Anteil in den kommenden Jahren noch wachsen wird.
Ein Indiz dafür bietet der weltweite PC-Absatz. Für das zweite Quartal des Jahres 2004 hat das US-amerikanische Marktforschungsinstitut Gartner im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen Anstieg des Verkaufs von Computern um 13,3 Prozent auf 43 Millionen errechnet. Das konkurrierende Marktforschungsinstitut International Data Corporation (IDC) meldete ein Wachstum von 15,5 Prozent auf 39,7 Millionen PC. Erklärungen liefern die beiden Institute auch gleich mit: Ein Grund sei der Ersatz von älteren PCs bei Unternehmen und privaten Konsumenten. Weiter trage die zunehmende Nachfrage nach PCs in Europa zu dem Anstieg bei, und auch der bessere Absatz in Kanada und Lateinamerika sei mitverantwortlich. Der Preiskampf heize die Nachfrage an.
Weltweit sind bereits über eine Milliarde Rechner im Einsatz, jedes Jahr werden 130 Millionen neue verkauft. Zu den Gewinnern des weltweiten Runs gehören die fünf Branchenriesen Dell, Hewlett-Packard, IBM, Fujitsu Siemens und Acer. Deren Geräte sieht man neben anderen Marken zu Tausenden am Nehru Place, dem Zentrum Neu Delhis für gebrauchte und reparaturbedürftige PCs. Aber irgendwann wissen auch die findigsten indischen Tüftler in ihren winzigen Werkstätten nicht mehr weiter. Dann beginnt der in Indien weitgehend unkontrollierte Prozess des Ausschlachtens und des Herauslösens der wertvollen Rohstoffe, die die Schrottgeräte enthalten - darunter winzige Mengen an Gold und Silber.
Inzwischen greifen führende Zeitungen wie The Times of India das Thema immer wieder auf und kritisieren, angesichts fehlender nationaler Gesetze sei Indien zu einer “bevorzugten Müllhalde für Elektronikschrott aus Ländern wie den USA, Malaysia, Schweden, Kanada und Singapur” geworden. Seitdem Kritik laut wird, betreiben die Besitzer der Kleinbetriebe in Mandoli ihr schmutziges Geschäft hinter meterhohen Wänden und verriegelten Eisentoren noch vorsichtiger. Nach wie vor schimmern links und rechts der unbefestigten Wege Teiche und Wasserlachen giftgrün, türmen sich undefinierbare Plastikreste, häufen sich schwelende Schlacke und dunkle Asche. Beißende, schwarze Rauchschwaden überziehen weite Teile des Industrieviertels und lassen die Augen tränen. Wenn schon hier die Lunge brennt und das Atmen schwerfällt, wie muss es erst den Arbeitern auf der anderen Seite der rot-braunen Backsteinmauern ergehen?
Indische Fachleute vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt und von Toxics Link haben es dokumentiert: In verrosteten Fässern, voll gestopft mit Computerkabeln, brennen Männer ohne Atemschutz die Ummantelung herunter, um die Kupferdrähte freizulegen - pro Tag rund eine Tonne. Die Schlafpritschen der Arbeiter stehen auf dem Brandplatz. Sie arbeiten rund um die Uhr.
Gegen Mittag öffnen sich in einer der namenlosen Straßen des Industriegebietes von Mandoli die Eisentore einen Spalt breit. Arbeiter quetschen sich einer nach dem anderen nach draußen. Ausgemergelt sehen sie aus. Die Männer sind rußverschmiert, die Frauen über und über mit feinem Aschestaub bedeckt. Hinter ihnen schließen sich die Tore sofort wieder. Feuerstellen, um Plastik von Metall zu lösen? Hier doch nicht, außerdem sei das schließlich verboten. Säurebäder? Nein, davon wüssten sie nichts. Schon kommen Aufpasser dazu, wohlgenährt, saubere Hemden, Kugelschreiber in der Brusttasche, Handy in der Hand, finstere Mienen. Die Arbeiter schweigen abrupt aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren.
Geschmeichelt von der erfundenen Geschichte, dass ein deutscher Unternehmer etwas über ihre Recyclingmethoden lernen möchte, öffnen zwei Betriebsleiter schließlich doch ihre Tore. Der eine lässt in ebenerdigen offenen Brennöfen schmelzen, das flüssige Aluminium in Formen gießen und von Arbeiterinnen die Aschereste durchsieben, die noch winzige Metallkrümel enthalten könnten. Beim anderen ist es Kupfer. Frauen hämmern auf erkaltete Schlackebrocken ein, um anschließend auch noch die letzten verwertbaren Teile herauszupulen. Fragen nach Gesichtsmasken und Schutzkleidung, nach Filtern im Schornstein beantworten die Betriebsleiter verständnislos mit “Nein”.
Allein in diesem Jahr werden 300 Millionen Computer aus dem Verkehr gezogen. Bei der Sammlung und Aufbereitung von Elektronikschrott liege vor allem in den Entwicklungs- und Schwellenländern einiges im Argen, berichtete der Züricher “Tages-Anzeiger” unter Berufung auf Lorenz Hilty von der “Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt” (EMPA).
Wissenschaftler der EMPA haben in der indischen Hauptstadt unter anderem die einzelnen Verarbeitungsschritte und deren Wertschöpfung untersucht. Dabei fanden die Schweizer heraus, dass viele der Unternehmen weniger als ein Dutzend Arbeiter beschäftigen, oft versteckt agieren und in kürzester Zeit ihren Standort wechseln können. Von der Verarbeitung dieses Schrotts “hängt die Existenz von mehr als 100.000 Menschen rund um New Delhi ab”.
Ach, zwei Technik-Fachjournalisten aus Deutschland? “Zwei Minuten, keine Fotos, keine Notizen.” Unter dieser Bedingung gewährt ein weiterer Betriebsleiter in Mandoli Einblick: Einer seiner Arbeiter in Badelatschen fischt, tief nach vorn gebeugt, PC-Leiterplatten aus einem blaugrünen Säurebad. Er trägt rotbraune Schutzhandschuhe, die bis zu den Oberarmen reichen. Als einziger. Zwei Frauen hinter ihm schrubben ohne Schutzhandschuhe mit Bürsten die Säurereste in verbeulten Wannen ab, bevor andere die letzten winzigen Goldmengen von den Platten abschaben.
Ein lohnendes Geschäft, wie Kushal Pal Singh vom Zentrum für Wissenschaft und Umwelt vorrechnet. In den USA koste das Recyceln eines Computers bis zu zwanzig US-Dollar pro Stunde. In Indien verdiene ein Arbeiter umgerechnet höchstens einen US-Dollar am Tag: “Das heißt, in Indien ist die Entsorgung, das Recyceln eines Computers, etwa zwanzig Mal billiger als in den USA.” Singh zufolge passieren fast täglich Unfälle, die nicht gemeldet werden, da das Business offiziell nicht existiere. So könne man auch niemanden vor Gericht zur Rechenschaft ziehen, denn die Arbeiter schütze kein Gesetz. Sie arbeiteten als Tagelöhner, “mal hier, mal dort”.
Der Export von Elektronikschrott “ist das schmutzige Geheimnis der Hightech- Revolution. Technologiebranche und Regierungen schauen weg, während Schrotthändler, die das Zeug in die Dritte Welt verschieben, sich auch noch das schöne Etikett Recycling geben”, kritisieren Mitglieder der US-amerikanischen Organisation Silicon Valley Toxics Coalition. Ausdrücklich loben sie dagegen europäische Initiativen zur umweltgerechten Entsorgung des Elektronikschrotts.
“Weder hat der indische Zoll eine starke Stellung, noch ist E-Waste richtig definiert, noch bestehen Vorschriften für die fachgerechte Entsorgung von Computern”, fasst GTZ-Experte Peter Henschel zusammen. Deshalb sollen Studien, Beratung und Trainings der indischen Regierung dabei helfen, auf diesem Gebiet notwendige gesetzliche Regelungen zu erarbeiten.
Dass Deutschland und die Schweiz einen wichtigen Beitrag dazu leisten, ist nicht verwunderlich. Beide Länder haben die Basler Konvention ratifiziert und gehen auch in anderer Hinsicht mit gutem Beispiel voran. Allein in der Bundesrepublik haben sich bereits 120 Hardware-Hersteller zusammengetan, um die Entsorgung gemeinsam zu regeln, hat die Financial Times Deutschland beobachtet. Hintergrund: Mit dem kürzlich im Bundeskabinett beschlossenen Elektro- und Elektronikgerätegesetz will Bundesumweltminister Jürgen Trittin ab August 2005 das von der Europäischen Union vorgegebene Verursacherprinzip durchsetzen. Hersteller und Importeure sollen dann für die Entsorgungskosten aufkommen.
In der Schweiz enthält der Verkaufspreis jedes Elektronik- und Elektrogerätes bereits einige Euro, mit denen die umweltgerechte Entsorgung finanziert wird. Verkaufsstellen, Händler und Hersteller nehmen ausgediente Geräte kostenlos zurück und geben sie an Recycling-Betriebe weiter.
Die Immark AG in Regensdorf bei Zürich etwa betreibt eine hochmoderne Elektronik- und Elektroschrott-Recycling-Fabrik. Kühlschränke, Staubsauger, aber auch Computer und Drucker werden zunächst maschinell zerlegt und die Teile dann in einem vierstufigen Verfahren weiter verarbeitet. Am Ende des Prozesses verlassen kleine, nach Sorten getrennte Metallkugeln und zerkleinerte Kunststoffteile das Werk. Eisen, Blei, Kupfer und Gold werden an Hütten verkauft. Schadstoffhaltige Komponenten wie Kondensatoren und Kunststoffe, die giftiges Brom enthalten, werden aussortiert und in Hochtemperatur-Sondermüllanlagen verbrannt. Laut Konstrukteur Jochen Apfel bewältigt die Anlage pro Woche dreihundert Tonnen Elektronikschrott.
Was in Europa funktioniert, lasse sich natürlich nicht eins zu eins auf Indien übertragen, meinen Fachleute wie Ingenieur Rolf Widmer von der schweizerischen EMPA. Der Westen mit seiner Wegwerf-Mentalität könne jedoch noch viel lernen: “Ein großer Teil der Computer, die fortgeworfen werden, sind noch betriebsfähig.” In Indien dagegen verlängere alles noch Brauchbare die Lebensdauer eines Computers um ein Vielfaches. In diesem Punkt, stellt Widmer fest, “sind sie uns eigentlich um viele Jahre voraus”.
aus: der überblick 04/2004, Seite 94
AUTOR(EN):
Frank Hartmann:
Frank Hartmann betreibt als freier Journalist ein Redaktionsbüro bei Athen. Er ist spezialisiert auf Auslandsreportagen und Porträts und schreibt unter anderem für den "Stern", den "Spiegel", "Geo".