Erst die Kolonialherren haben Haftanstalten nach Afrika gebracht - als Mittel der Unterdrückung. Und das sind sie noch immer
Den Afrikanern sind große Gefängnisse zuerst als Internierungslager der Sklavenhändler und dann als Werkzeug der Kolonialherrschaft begegnet. Nach der Unabhängigkeit haben viele afrikanische Regierungen die Haft vor allem als Mittel der politischen Repression eingesetzt. Es ist daher nicht erstaunlich, dass die Idee vom Gefängnis als Besserungsanstalt in Afrika kaum Fuß gefasst hat und vor allem Oppositionelle und Außenseiter der Gesellschaft im Kerker landen.
von Dr. Florence Bernault
Die schrecklichen Bilder von überbelegten Gefängnissen in Ruanda, die nach dem Völkermord von 1994 auf den Fernsehschirmen der ganzen Welt zu sehen waren, haben von den Gefängnissen in Afrika ein apokalyptisches Bild vermittelt. Eine Beschreibung des Gefängnisses von Gitarama zeichnete 1995 "eine Szene wie von Dante: vier Insassen pro Quadratmeter, Verrenkungen, um zu den Latrinen zu gelangen, der Boden feucht von der Ausscheidung brandiger oder abgestorbener Zehen ... und über 900 Todesfälle in acht Monaten". Diese Bilder wurden zum Symbol für die Rückschritte im Bereich der Menschenrechte in Afrika und erschienen als eine Art Gegenmodell zum modernen Gefängnis, von dem die westliche Welt seit dem 18. Jahrhundert träumt.
Doch man begreift die Gefängnisse in Afrika nicht, wenn man sie lediglich mit den Gefängnissen früherer Jahrhunderte in Europa vergleicht oder glaubt, sie seien einfach das Produkt von vorkolonialen oder barbarischen Traditionen. Vor dem 19. Jahrhundert gab es in Afrika keine Gefängnisstrafen. Haftanstalten sind dort von den europäischen Kolonisatoren eingeführt worden, um die Kolonisierten politisch und wirtschaftlich unter Kontrolle zu halten. In den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts übernahmen dann die Regierungen der neuen unabhängigen Staaten diese Gefängnisse, die sie heute für ihre eigenen juristischen und politischen Strategien benutzen.
Die meisten afrikanischen Gesellschaften südlich der Sahara kannten vor der Kolonisierung verschiedene Formen des Einschließens. Die Kriegsgefangenschaft war weit verbreitet, ebenso wie das Festhalten von Straftätern diese konnten vorübergehend angekettet oder in Kerkern festgesetzt werden, bevor sie verurteilt wurden. Ein Beispiel ist die berühmte Episode aus dem Epos über den Reichsgründer Samori Touré in Westafrika, der seinen eigenen Sohn verdächtigte, ihn an die Franzosen verraten zu haben: Er ließ ihn in eine Hütte einmauern und hungers sterben, um ein Geständnis zu erzwingen. Das sollte nicht der Bestrafung oder Besserung dienen, sondern diese grausame Gefangenschaft zielte auf Folter und Vernichtung ab.
Weder in zentralisierten afrikanischen Staaten noch in staatenlosen, segmentierten Gesellschaften war die Art der Gefangenschaft jemals standardisiert und für alle gleich. Sie trat auch nicht an die Stelle anderer Strafen. Praktisch überall beruhte die Sühne für Vergehen und Verbrechen und damit auch die Wiederherstellung der sozialen Ordnung auf der Wiedergutmachung oder dem Ausschluss aus der Gesellschaft. Wiedergutmachung konnte als Geldstrafe oder Arbeit geleistet werden oder durch den Übergang des Täters in die Familie des Opfers (etwa als Ersatz für eine verlorene Arbeitskraft; Anm. d. Red). Der Ausschluss konnte die Hinrichtung, das Exil oder den Verkauf als Unfreier bedeuten. Afrika südlich der Sahara kannte somit keine Einrichtungen wie die auf Umerziehung ausgerichteten Gefängnisse, die in Europa und Amerika Ende des 18. Jahrhunderts entstanden.
Der Sklavenhandel hat dies eher noch verstärkt. Fast überall entstanden neue Formen der Gefangenschaft. Zunächst errichteten die europäischen Mächte an den afrikanischen Küsten zahlreiche Forts für den Sklavenhandel. Die meisten besaßen Gefängnisse oder Verliese, die zunächst für die Europäer der Garnison bestimmt waren, in die aber auch Afrikaner gesteckt werden konnten. Im Übrigen wurden vor allem im 19. Jahrhundert verstärkt Afrikaner eingesperrt und gefangen gehalten. Geschlossene Gebäude verbreiteten sich, in denen Sklaven vorübergehend zusammengepfercht wurden, um sie vor Schiffspatrouillen zu verbergen, die den Sklavenhandel bekämpften.
In den angolanischen Häfen Luanda und Benla wurden Sklaven zum Beispiel bis zu ihrer Einschiffung in eine Einfriedung mit dem Namen quintal (Viehpferch) gesperrt außer wenn sie das Glück hatten, von einem Ortseinwohner als Haussklave eingestellt zu werden. Diese Einfriedungen wurden alle zwei Jahre neu aufgebaut; sie waren von sehr hohen Mauern umgeben, die manchmal mit kleinen Schießscharten ausgestattet waren. Sie waren nicht gepflastert, hatten jedoch einen Schuppen oder ein Gebäude mit einem Strohdach, wo die Sklaven nachts oder bei Regen Zuflucht suchen konnten. Nach dem offiziellen Verbot der Sklaverei wurden sie durch barracons ("Baracken" auf Portugiesisch) ersetzt große Gebäude, die nahe der Küste an verstreuten und vom Meer aus nicht erkennbaren Orten gebaut waren. Dort zwängte man Sklaven, die in Gruppen zuammengekettet waren, bis zu ihrer Einschiffung hinein.
Eine Folge der Verbreitung dieser Gebäude zur Zeit des Sklavenhandels war, dass der Gefangenschaft die Bedeutung von gesellschaftlicher Erniedrigung beigelegt wurde. Diese Auffassung wurde noch dadurch verstärkt, dass die Europäer zu Beginn der eigentlichen kolonialen Durchdringung Afrikas ihre ersten Gefängniswärter gern unter Afrikanern rekrutierten, die zuvor auf den Sklavenhandel spezialisiert gewesen waren. All das wirkte sich stark darauf aus, wie Afrikaner, als Ende des 19. Jahrhunderts neuartige Gefängnisse eingeführt wurden, die Strafanstalten wahrnahmen.
Das Gefängnis war ein unerlässliches Instrument der kolonialen Herrschaft. Selbst zwischen 1885 und 1910, als sich die Präsenz der Europäer erst auf einige strategische Punkte beschränkte, wurde die Einrichtung von Militär- und Verwaltungsposten stets vom Bau provisorischer Gefängnisse begleitet. Die Inhaftierung bildete in dieser Zeit eine Art Verlängerung des Eroberungskrieges; sie wurde zunächst benutzt, um die Anführer von Rebellen zu unterwerfen. Als sich die Kolonialherrschaft dann stabilisierte, wurden routinemäßige Inhaftierungen als Disziplinarstrafen auf die gesamte Bevölkerung ausgedehnt. Zum Beispiel erlaubte das Strafgesetz für Eingeborene in den französischen Kolonien bis 1946 jedem weißen Verwalter, jeglichen widerspenstigen Einheimischen ohne Prozess bis zu zwei Wochen einzusperren.
Überall verbreiteten sich Gefängnisse und umschlossen die afrikanische Bevölkerung mit einem relativ dichten Netz von Haftanstalten. Jeder Verwaltungsposten, jeder Hauptort eines Distrikts, jede Stadt hatte ein Gefängnis. Sie hatten einen doppelten Zweck: den Widerstand gegen Steuern und Zwangsarbeit zu brechen sowie der Verwaltung und den Privatunternehmen billige Arbeitskräfte zu liefern.
Die Gefängnissysteme waren eng an die politische Organisation der Kolonien unter dem jeweiligen Kolonialsystem angepasst. In den britischen Kolonien, unter dem System der indirekten Herrschaft (indirect rule), gab es neben den von der Regierung kontrollierten Zentralgefängnissen Haftorte, die unter der Aufsicht der afrikanischen Häuptlinge standen so in Nigeria und Uganda. Kenia bietet ein typisches Beispiel für die Anpassung dieses Netzes an die wirtschaftlichen und politischen Erfordernisse der Kolonie. 1911 gab es dort rund dreißig Gefängnisse. Zwei der ersten Kategorie waren für Personen bestimmt, die zu langen Haftstrafen das heißt mehr als drei Jahre verurteilt waren, fünf für Häftlinge mit Strafen von mittlerer Dauer (sechs Monate bis drei Jahre) und 23 Distriktgefängnisse für Häftlinge mit kurzen Strafen. Seit 1925 wurden Gefangene je nachdem, für welche Arbeiten sie eingesetzt werden sollten, den 22 Gefängnislagern (prison camps) zugeteilt, die im gesamten Land errichtet worden waren. 1933 nahm die Zwangsarbeit ein solches Ausmaß an, dass die Regierung neue Haftanstalten bauen ließ, die ausschließlich für die Durchführung von Argar-projekten oder öffentlichen Arbeiten gedacht waren. Die Krise während des Mau-Mau-Aufstands bildete den Höhepunkt dieser Inhaftierungspolitik: Zwischen 1952 und 1960 wurden in rund fünfzig Notlagern (emergency camps) ganze Dörfer und mehrere Tausend Kikuju-Gefangene zwangsweise festgehalten. Mitte der fünfziger Jahre gab es 176 Gefängnisse und Lager mit einem Tagesdurchschnitt von 86.000 Inhaftierten.
Kenia mag als Extremfall erscheinen. Doch Masseninhaftierungen fanden in den meisten Kolonien bis nach dem Zweiten Weltkrieg statt. In Belgisch-Kongo, wo vor dem Krieg nach Schätzungen der Verwaltung im Jahresdurchschnitt zehn Prozent der männlichen Bevölkerung inhaftiert wurden, belief sich diese Zahl noch 1954 auf fast sieben Prozent. Diese Masseninhaftierungen, die von den Behörden streng kontrolliert wurden, machen deutlich, wie sehr das Gefängnisnetz bis zur Unabhängigkeit der Staaten Afrikas ein wichtiger Bestandteil der Kolonialherrschaft blieb.
In den Kolonialgefängnissen waren die Gefangenen zur Arbeit verpflichtet, und ihre Arbeitskraft wurde von den Behörden systematisch genutzt. Die Häftlinge mussten verschiedene öffentliche Arbeiten verrichten wie Müllabfuhr und Straßenreparatur, oder sie wurden gegen Entgelt an Privatunternehmen vermietet. In Französisch-Guinea griffen die großen Bananenplantagen von Kindia auf diese billigen Arbeitskräfte zurück, und manchmal wetteiferte die Gefängnisverwaltung in Conakry, der Hauptstadt der Kolonie, mit den Gefängnissen der Distrikte auf dem Land darum, wer die größte Zahl von Strafgefangenen bereitstellen konnte. Der Einsatz von Häftlingen, die zu jeder Art Arbeit gezwungen werden konnten, war besonders wichtig in den Kolonien, in denen es offiziell keine Zwangsarbeit gab oder wo diese außer Gebrauch gekommen war. Selbst inhaftierte Frauen mussten Zwangsarbeit leisten und sich an der Reinigung und Wartung von Gefängnissen beteiligen.
Die Gefängnisse spielten ferner eine wichtige Rolle bei der politischen Kontrolle der Afrikaner. Eingesperrt wurden politische Widersacher, und die gefährlichsten von ihnen wurden in isolierte Zuchthäuser geschickt wie auf die Insel Fotoba vor der Küste Guineas oder nach Kidal mitten in der sudanesischen Wüste. Weniger sichtbar, aber von entscheidender Bedeutung war, dass die Inhaftierung von Afrikanern, die Steuern oder Zwangsarbeit ablehnten, die rassische Unterwerfung beförderte.
Die Bau-und Funktionsweisen der Gefängnisse folgten streng diesem Prinzip der Rassentrennung. Die wenigen Europäer, die in den Kolonialgefängnissen inhaftiert wurden - die meisten wurden ins Mutterland zurückgeschickt, denn man war der Ansicht, dass ihre Inhaftierung vor Ort dem Ansehen der Weißen abträglich war -, wurden niemals an den gleichen Orten wie die Afrikaner festgehalten. Außerdem brauchten sie keine Zwangsarbeit zu leisten.
Die afrikanischen Häftlinge wurden nicht in Einzel-, sondern in Massenzellen eingesperrt. Das war in der europäischen Vorstellung begründet, dass Afrikaner eigentlich keine Individuen und vor allem keine Bürger mit eigenen Rechten waren. Diese Auffassung lebte sogar noch fort, nachdem Afrikaner in den Jahren 1940-50 politische Rechte erworben hatten. Im Übrigen ersetzten die Gefängnisse in Afrika nicht die körperliche Züchtigung - anders als in Europa, wo diese Ende des 18. Jahrhunderts abgeschafft worden war. Körperstrafen wie etwa Stock- und Rutenhiebe wurden in den Strafgesetzbüchern der meisten Kolonien verankert. In Belgisch-Kongo waren Auspeitschungen erlaubt - 50 Schläge 1906 und 1951 noch 4; in den britischen Kolonien waren Peitschen-und Stockhiebe vorgesehen.
Dass solche Strafen bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts fortdauerten, zeigt, dass die Kolonialgefängnisse, obwohl sie scheinbar einem importierten Modell folgten, in Wirklichkeit von einem völlig anderen Prinzip abgeleitet waren als die Gefängnisse in der westlichen Welt. Diese waren dazu bestimmt, die Straftäter zu bessern und die überkommenen Strafen zu mildern. Die Kolonisatoren dagegen wollten mit den Kolonialgefängnissen vor allem ihre Privilegien schützen. So kam es, dass trotz der Reformen in anderen sozialen Bereichen der Kolonien in den Gefängnissen dort die politische Ungleichheit konserviert wurde.
Die meisten afrikanischen Gesellschaften versuchten, sich dieser neuen Form der Bestrafung zu entziehen zuweilen auf radikale Weise. Vielen erschien die Inhaftierung als inakzeptable Form der Bestrafung. In etlichen afrikanischen Gesellschaften konnte freien Menschen keine Freiheitsstrafe auferlegt werden; sie konnten nicht in Ketten gelegt und zur Arbeit für andere gezwungen werden das kam der Knechtschaft gleich. Die Schande und der gesellschaftliche Absturz, die für Afrikaner mit solchen Strafen verbunden waren, zwangen die dazu Verurteilten häufig, ihrem Leben ein Ende zu setzen; damit achteten sie die ethischen Werte und den Ehrenkodex ihrer Gesellschaft. In Senegal zum Beispiel beging Samba Yaya Fall, der gestürzte Häuptling von Kayoor, in Saint-Louis Selbstmord, sobald ihm bedeutet worden war, dass er sich nicht mehr frei bewegen konnte. Sein Sohn Diéry Dior Ndella tötete im Jahre 1904 den Verwalter Chautemps, weil dieser sich weigerte, eine Gefängnisstrafe in eine Geldstrafe umzuwandeln. Im gleichen Jahr nahm sich einer seiner Mitangeklagten in einer Affäre um den Sklavenhandel, Boucar Thilas Thioub, in einem Gefängnis in Dakar das Leben.
Die Vorstellung, dass der Freiheitsentzug einen Makel hinterlässt, wirkt bis heute fort. In etlichen Ländern Westafrikas besteht die erste Tat von Häftlingen nach ihrer Freilassung darin, in einem Fluss oder im Meer ein reinigendes Bad zu nehmen und die Kleidungsstücke zu verbrennen, die sie im Gefängnis getragen haben. Manchmal sind Gefängnisse mit Grabstätten verglichen worden, das heißt mit der Welt, die vom Jenseits droht. In Guinea lief das Gerücht um, dass Gefängnisinsassen nach und nach ihr Augenlicht einbüßten und nach einem Jahr völlig erblindet wären. Diese Bilder machen deutlich, wie sehr die Gefängnisse mit Orten gleichgestellt wurden, wo übernatürliche und schädliche Kräfte entfesselt werden. In vielen Fällen wird die Gefängnisstrafe wie ein radikaler und unumkehrbarer Verlust jedes esoterischen Schutzes empfunden, den die Betroffenen seit ihrer Geburt angesammelt haben. So nahm gleich nach dem Bau der ersten Kolonialgefängnisse der Kleinhandel mit esoterischen Talismann, die vor dem Gefängnis schützen oder bei der Flucht aus ihm helfen sollten, einen starken Aufschwung; es gibt ihn auch heute noch.
In der Kolonialzeit führten die Ablehnung des Gefängnisses und die Angst davor zu sehr hohen Ausbruchsraten. Dazu trugen auch mehrere Gegebenheiten bei: Die Gebäude, vor allem die kleinen ländlichen Gefängnisse, waren schlecht gebaut; Dächer aus Stroh oder Zweigen und Mauern aus brüchigem Material machten eine Flucht leicht. Außerdem bot die Zwangsarbeit außerhalb der Mauern Möglichkeiten zur Flucht. Und schließlich war nicht möglich, eine klare Grenze zwischen den Straftätern und der übrigen Bevölkerung zu ziehen, weil die Afrikaner in ihrer Gesamtheit Zwangsmaßnahmen ausgesetzt waren. Viele Arten von Komplizenschaft halfen den Flüchtenden. Die Wächter, stets Afrikaner, wurden von den Kolonialbehörden häufig als Verbündete der Gefangenen ausgemacht. Diesen gaben auch Dorfbewohner und Familien bereitwillig Schutz - der Flucht, der Revolte des einzelnen, entsprach die stillschweigende kollektive Ablehnung der Kolonialgefängnisse.
Seit den dreißiger Jahren werden die Gefängnisse jedoch nach und nach stärker akzeptiert. Vor allem gewöhnt man sich daran, dass der Staat, zumindest teilweise, die Bestrafung von Straftätern übernimmt.
Nach der Kolonialzeit haben alle afrikanischen Regierungen ohne Ausnahme das von der Kolonialzeit ererbte Gefängnissystem übernommen. Die Funktion dieser Gefängnisse hat sich jedoch geändert. Zum einen wurde ihre politische Rolle verstärkt. Zum anderen werden Konflikte und Vergehen nach dem Zivilrecht (im Unterschied zum Strafrecht) häufig mit Hilfe anderer Institutionen geregelt, so dass die Gefängnisse als bevorzugte Orte für die Ausübung der öffentlichen Gewalt an Bedeutung verlieren. Und schließlich entstehen immer häufiger Geheim-und Privatgefängnisse in den Händen politischer Gruppen; das verdeutlicht den fortschreitenden Verlust der Kontrolle des Staates über das Gefängnissystem.
Die Nutzung der Gefängnisse zur politischen Repression hat sich im heutigen Afrika erheblich verstärkt. Das haben die heutigen Regime vom kolonialen Gefängnissystem übernommen - der Lehrstätte der Unterwerfung unter die bestehende Ordnung. Die gesellschaftliche Gruppe, die heute am leichtesten im Gefängnis landet, sind die Gegner des bestehenden Regimes - auch wenn ihre Haft heute weniger der reinen Repression dient als der zwangsweisen Festsetzung von Regierungsgegnern. Viele Regierungen setzen willkürliche Verhaftungen ein, um Oppositionelle einzuschüchtern und zu schwächen, bevor sie schließlich wieder in das Machtgefüge integriert werden.
Seltener sind die Fälle wie in Ruanda in den neunziger Jahren, wo ein solches System sich auf die Inhaftierung ganzer Bevölkerungsgruppen (in diesem Falle einer ethnischen Gruppe) ausweitete, die als Feinde des Regimes galten. In Ruanda bleibt die Funktion der übervölkerten Gefängnisse in der Zeit nach dem Völkermord fragwürdig. Soll sie in die Wiedereingliederung der Häftlinge in die Gesellschaft münden, wenn sie das Gewicht ihrer Schuld erkannt und gesühnt haben, oder aber die Opposition schwächen? Die ungesunden Zustände in diesen "anonymen Tribunalen", wo der Tod etwas Alltägliches ist, und ihre Überbelegung sind kein Zufall. Die heimliche Beseitigung politischer Gegner bleibt in afrikanischen Gefängnissen ein allzu häufiges Ereignis.
Alles weist jedoch darauf hin, dass die Institution Gefängnis im Denken der Bevölkerung immer noch auf Ablehnung stößt. Manchen Schätzungen zufolge hat die Zahl der Ausbrüche aus Gefängnissen seit der Kolonialzeit stark zugenommen. Nach offiziellen Angaben sind sie in Kongo-Kinshasa dreimal so hoch wie am Ende der Kolonialzeit; angeblich flieht rund ein Drittel aller Gefangenen, berechnet nach dem Tagesdurchschnitt der Zahl der Häftlinge. Solche Zahlen lassen nicht nur erkennen, dass Gefängnisstrafen weiterhin abgelehnt werden, sondern zeigen auch die Schwäche der Institutionen, die theoretisch für die Haftanstalten verantwortlich sind.
Diese schwache Akzeptanz kommt auch in den Rechtsgepflogenheiten zum Ausdruck. Ein Gefängnis funktioniert häufig als eine Zusatzinstitution am Rande der Gerichte. In vielen Ländern landen nur ganz bestimmte Kategorien von Personen in Gefängnissen und verbüßen dort ihre Strafe. Außer politischen Gefangenen stranden dort Menschen, die ohnehin teilweise schon aus dem Gesellschaftsgefüge herausgefallen sind - entweder aufgrund ihrer persönlichen Situation (etwa Ausländer) oder wegen des begangenen Delikts (wegen Hexerei zum Beispiel). Für die übrigen Straftäter funktioniert eine ganze Palette von anderen Konfliktlösungen auf allen Ebenen der sozialen Hierarchie. Die große Wirtschaftskriminalität und von hochrangigen Personen begangene Verbrechen werden überhaupt nicht gerichtlich verfolgt. Das andere Extrem ist, dass ein großer Teil der kleinen Delikte innerhalb der Familie oder auf den Polizeiwachen des Viertels geregelt wird. Das zeigt, dass die Überlagerung verschiedener Rechtssysteme aus der Kolonialzeit überlebt hat; damals erfasste das europäische Recht nur eine dünne Schicht der Straftaten, und in den Ortsgemeinschaften gab es vielfältige Techniken, Konflikte beizulegen.
Im Haftsystem der meisten afrikanischen Länder fällt die völlige Vernachlässigung innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern auf. Fast überall ist ein Verfall der Bausubstanz festzustellen, der Unterhalt der Gefängnisse steht im Staatshaushalt häufig an letzter Stelle. Die einzige Ausnahme ist, dass ausländische Privatunternehmen in der Elfenbeinküste oder Ghana moderne, schlüsselfertige Gefängnisse bauen - vielleicht deutet sich hier eine Wende an. Anderswo stammen die meisten Gefängnisse aus der Kolonialzeit und werden nicht mehr gewartet. Da es entweder gar keine Finanzmittel für die Gefängnisse gibt oder diese nicht vorherzusehen sind, wenden sich Gefängnisdirektoren, um die Ernährung und die Grundversorgung der Häftlinge - etwa mit Wäsche, Bettzeug und medizinischer Versorgung - sichern zu können, unablässig mit der Bitte um Spenden an die Öffentlichkeit und an die Familien von Häftlingen, die für die Verpflegung zuständig sind. Das hat zur Folge, dass die Gebäude gegenüber der Außenwelt relativ offen sind. Für den westlichen Beobachter ist erstaunlich, dass Familien und Spender täglich in die Gefängnisse kommen, während den Häftlingen häufig erlaubt wird, die Gebäude zu verlassen, um zu arbeiten, Besuche zu empfangen, frische Luft zu schöpfen oder miteinander zu sprechen.
Außer solchen im sozialen und strafrechtlichen Raum gleichsam verdünnten Gefängnissen gibt es aber auch dramatischere Erscheinungen. In Uganda, in der Zentralafrikanischen Republik und in Guinea haben manche nachkoloniale Diktatoren Haft-und Folterstätten eingerichtet, die offenbar allein den mörderischen Launen der Regierenden dienen. Diese zu traurigem Ruhm gelangten Gefängnisse entsprechen einer örtlichen politischen Kultur, die von Willkür, Folter und personaler Gewalt bestimmt wird. Sie folgen keiner industriellen und bürokratischen Logik wie die sowjetischen Lager oder die Konzentrationslager der Nationalsozialisten, wo Gefangene ebenfalls vernichtet wurden. Sie funktionieren vielmehr wie ein nach außen offenes Theater wie eine tragische Inszenierung der Beziehungen von Macht und Unterwerfung in der Gesellschaft. Sie sind eine monströse Ausgeburt der Macht, wo in einer grausamen und personalisierten Auseinandersetzung Diktatoren und Untertanen, Wärter und Häftlinge, Starke und Schwache der jeweiligen Zeit versammelt sind - und diese alle unterliegen den Wechselfällen eines instabilen politischen Kontextes.
Diese Auswüchse entstammen teilweise dem archaischen Charakter des kolonialen Strafvollzugs mit seinen Körperstrafen, der Personalisierung von Strafe und Autorität und der Vermengung von Politik und Wirtschaft. Darin kommt aber der Charakter der Regierungsformen nach der Kolonialzeit zum Ausdruck, die auf dem Primat der Gewalt und nicht des Schutzes für die Gesellschaft gegründet sind.
Doch der Staat übt diese Gewalt nur noch in beschränktem Maße aus. Er konkurriert dabei mit aufsteigenden gewalttätigen Kräften. Wo die vielfältigen Brüche des politischen und sozialen Raums im modernen Afrika den Zugriff der Regierung schwinden lassen, da breiten sich Geheim-und Privatgefängnisse aus. Auf der einen Seite entstehen im Zuge von Bürgerkriegen Gefängnisse und Kerker von paramilitärischen Milizen. Auf der anderen Seite wird in kleinen Polizeirevieren und -wachen in Friedenszeiten eine nicht unbeträchtliche Zahl von wirklichen oder angeblichen Straftätern festgehalten, ohne dass die zentralstaatliche Justiz von dieser Art der Haft immer Kenntnis erhält. Diese vorübergehenden und wenig bekannten Inhaftierungen verweisen auf die Bedeutung der örtlichen Netze der Macht und zeugen von der Existenz großer Bereiche juristischer und sozialer Neuerungen, in die die Staaten nicht, oder nicht mehr, vordringen.
Literatur:
aus: der überblick 01/2000, Seite 16
AUTOR(EN):
Dr. Florence Bernault:
Dr. Florence Bernault lehrt Geschichte an der University of Wisconsin-Madison in den USA. Sie ist Spezialistin für Zentralafrika und hat das Buch "Enfermement, prison et châtiments en Afrique du 19e siècle à nos jours" (Paris 1999) herausgegeben.