Warum sich die Stromerzeugung mit Hilfe von Großkraftwerken überall durchgesetzt hat und wieso ihre Zeit nun vorbei ist
Das globale Wohlstandsgefälle ist auch ein Gefälle beim Energieverbrauch. Arme Länder verbrauchen weniger Energie pro Kopf als reiche und nutzen zum Teil andere Energiequellen. Sie setzen zudem einen kleineren Teil der verfügbaren Energie für den Verkehr ein und mehr für die Industrie - und das oft sehr ineffizient. Verbesserungen im Energiesektor sind daher ein unverzichtbarer Bestandteil der Entwicklung wie der Armutsbekämpfung.
von Lutz Mez
Die Stromwirtschaft ist heute über hundert Jahre alt. Ihre industrielle und gesellschaftliche Organisation kann sowohl in den Industriestaaten als auch in den Ländern der Dritten Welt als das Resultat mehrerer Einflussfaktoren erklärt werden. Die wichtigsten sind Technik, Wirtschaftlichkeit, Staatsintervention und staatliche Regulierung sowie ökologischer Problemdruck. Jeder dieser Faktoren hat seine eigene Dynamik; dennoch sind sie voneinander abhängig und beeinflussen einander.
Theoretisch gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, um Strom zu erzeugen. Das Spektrum reicht von der Fotovoltaik, mit der Sonnenlicht in Solarzellen direkt in Elektrizität umgewandelt wird, bis zur Brennstoffzelle, die chemische Energie mit der "kalten" Verbrennung in Kraft und Wärme verwandelt. In der Praxis wird Strom im großen Maßstab aber überall auf der Welt mit Generatoren erzeugt, die Bewegungsenergie in Elektrizität umwandeln. Diese mechanische Energie kann zwar Wasserkraft oder Windkraft sein. Aber zumeist wird sie zunächst in Wärmekraftwerken erzeugt - es wird also Wärme in Strom umgewandelt. In Wärmekraftwerken werden fossile Energieträger wie Kohle, Öl oder Gas sowie Kernbrennstoffe eingesetzt.
Die Technikentwicklung ist dem Gesetz der Wirtschaftlichkeit durch Skalenerträge gefolgt - die Vergrößerung der Kraftwerke verbilligt den Strom. Daher wurden immer größere Kraftwerksblöcke konstruiert, gebaut und betrieben. Erst durch die Weiterentwicklung der Flugzeugturbine zu stationären Gasturbinenkraftwerken kam in den letzten zwanzig Jahren eine technische Alternative zum Einsatz, in der kleine Einheiten preisgünstiger als Riesenkraftwerke Strom und Wärme produzieren können.
Seit dem ersten Bericht des Club of Rome über die "Grenzen des Wachstums" wird über die Erschöpfung der fossilen Energiequellen Öl, Kohle und Gas diskutiert. Danach sind die Grenzen des darauf beruhenden Energiesystems in spätestens einigen Jahrzehnten erreicht. Und die hohen Erwartungen an die Atomenergie sind der Einsicht gewichen, dass es sich bei Atomkraftwerken bestenfalls um eine Übergangstechnik handelt; denn es haben sich immer neue Risiken gezeigt, die Uran-Reserven sind ebenfalls sehr begrenzt, und die Technik des Schnellen Brüters (in dem neuer Kernbrennstoff erzeugt werden sollte) ist gescheitert.
Die Stromwirtschaft steht somit auch aus ökologischen Gründen an einem Scheideweg. Neben den Kathedralen der Elektrizität haben verschiedene Typen von Umwandlungstechnik, die mit völlig anderen sozialen Beziehungen zwischen Energieerzeugern und -verbrauchern einhergehen, eine historische Chance. Das fossile Zeitalter und das Atomzeitalter können schon heute durch das Solarzeitalter abgelöst werden. Dies ist jedoch nicht nur ein technisches, sondern mehr noch ein soziales und politisches Problem.
In jedem politischen System - ob im Westen, Osten, Norden oder Süden - hat sich die Stromwirtschaft im 20. Jahrhundert zu einem Hauptakteur im politischen Prozess entwickelt, oft wie ein Staat im Staate, dessen Machtbasis sich im Laufe der Zeit eher erweiterte als schmälerte. Daran haben historisch gesehen weder sich wandelnde Rahmenbedingungen noch politische Systemwechsel etwas geändert. Und das hängt unter anderem damit zusammen, welche Technik die Entwicklung der Stromwirtschaft bestimmt hat.
Elektrizität wurde als erste wirklich künstliche Energieform erfunden und spielte eine bedeutende Rolle bei der Transformation von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Stromversorgungssysteme sind eine grundlegende Infrastruktur von modernen Gesellschaften. Sie beeinflussen die Industrieorganisation und den Grad der Automatisierung, sie gestalten die Massenmedien, das Kommunikationssystem und bestimmen die Zukunft der Industriegesellschaft.
Die Organisation des Stromsystems begann mit der elektrischen Beleuchtung. Thomas Alva Edison strebte Ende des 19. Jahrhunderts eine integrierte Organisation von kleinen Blockstationen an, die alle Kunden von elektrischem Licht mit Energie versorgten. Da man damals mit Gleichstromnetzen arbeitete und Gleichstrom keine Fernübertragung zuließ, wurde eine große Zahl kleiner Kraftwerke und Netze benötigt. Edisons Vision für die Organisation der Stromwirtschaft war folglich eine große Anzahl von serviceorientierten kleinen Stromversorgern.
Die ersten wichtigen Innovationen, die auf die Organisation der Stromwirtschaft wegweisenden Einfluss hatten, waren die Erfindung des Drehstrommotors (der mit Wechselstrom betrieben wird) und des Transformators, kurz Trafo. In der Folgezeit wurde Wechselstrom die dominierende Technik, denn Trafos machten es möglich, die industriellen Zentren mit weit entfernten Kraftwerken zu verbinden, thermische Kraftwerke mit Wasserkraftwerken zu koppeln und ländliche Regionen mit urbanen Zentren ans selbe Netz anzuschließen (siehe Kasten). Ein weiterer Vorteil war die Freiheit bei der Wahl des Ortes für die Zentralstation, insbesondere für Stadtgemeinden, die ihre Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke selbst betrieben.
1891 wurde anlässlich der 1. Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung eine Wechselstrom-Übertragung zwischen Lauffen und Frankfurt/Main demonstriert. Das System bestand aus einer Wasserturbine mit 300 PS Leistung und einem Drehstromgenerator für 55 Volt Phasenspannung, zwei Transformatoren für je 100 Kilowatt Leistung, einer über 170 Kilometer langen Freileitung aus vier Millimeter starkem Kupferdraht mit 15.000 Volt Spannung sowie drei Trafos in Frankfurt, die die Leitungsspannung auf etwa 100 Volt zurücktransformierten. Auf dem Weg ging etwa ein Viertel der in Lauffen erzeugten Energie verloren. Oskar von Miller resümierte vor den Vertretern von 150 Städten laut einem Bericht der Elektrotechnischen Zeitschrift von 1891: "Diese Kraftübertragung zeigt, daß Wechselstrom nicht nur die Versorgung ganzer Städte mit Elektrizität ermöglicht, sondern dass Elektrizität über ganze Provinzen und Länder verteilt werden kann und so den Vorteil von großen Zentralstationen nicht nur in Großstädte, sondern auch in die kleinsten Dörfer bringen kann." Und der Gründer der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft AEG, Emil Rathenau, zeichnete das Zukunftsbild: "Was heute auf 175 Kilometern und mit 16.000 Volt Spannung gelingt, wird gewiß in wenigen Jahren mit 100.000 Volt auf weit riesigere Entfernungen ein Leichtes sein."
Die erste größere Anlage, die nach dem Wechselstrom-Transformatorensystem eingerichtet wurde, war die Zentralstation in Tivoli. Sie diente der Energieübertragung von 2000 PS auf eine Entfernung von 28 Kilometern nach Rom. Am Wendepunkt des Jahrhunderts stehen die Berliner Elektricitäts-Werke mit einer Gesamtleistung von 142.300 PS, an die 400.000 Glühlampen, 16.000 Bogenlampen, 8000 Elektromotoren und die gesamte Berliner Straßenbahn angeschlossen sind, als - wie sie selbst sagten - "die größte Centrale unserer Erde" da. Und schon vor dem Ersten Weltkrieg entstanden sogenannte Überlandzentralen, die das ländliche Gebiet zwischen den städtischen Strominseln erschlossen. Die erste europäische 100.000-Volt-Drehstromübertragung wurde 1912 bei Lauchhammer in Betrieb gesetzt. 1929 folgte eine Freileitung für Drehstrom von 220.000 Volt Spannung.
Die neue Technik wurde sakralisiert und erhielt durch neugotische Architektur ein vertrautes Auml;ußeres: Die "Kathedralen der Electricität" waren mit Zinnen, Türmen und sonstigem neugotischen Zierrat versehen und glichen einem Hochaltar der Technik. "Mit einer gewissen Blasphemie kann die Stromwirtschaft des späten 20. Jahrhunderts mit der Katholischen Kirche in der Mitte des 15. Jahrhunderts verglichen werden. (...) Das 1000 MW Dampfturbinenkraftwerk ist das Äquivalent der Stromwirtschaft zu den Kathedralen des Mittelalters. Es ist die materielle Manifestation einer Ideologie und einer Weltsicht, die billige Energie anstelle von Abhängigkeit verspricht", schreibt der schwedische Wissenschaftler Måns Lönnroth.
Der Transformator stimulierte weitere Technikentwicklungen: Die Turbine ersetzte die Dampfmaschine. Mit dem Einbau von Turbinen wuchs die Stromerzeugung rapide, aber noch schneller wuchs der Bedarf an Elektrizität. Durch die Vergrößerung der Anlagen ließ sich eine Senkung des Strompreises erzielen. Im Laufe der Zeit vergrößerte sich die Kapazität der Dampfturbine um das Tausendfache. Die Spannung der Übertragungssysteme kletterte bis auf 1.500 Kilovolt, und der Wirkungsgrad der Dampfturbine konnte um den Faktor sieben gesteigert werden. Die verschiedenen Skalenerträge trugen dazu bei, dass der Strompreis im 20. Jahrhundert immer billiger wurde. Das Resultat war die Entstehung nationaler Energieversorgungsunternehmen.
Die Organisation der Stromversorgung kann zumindest auf zwei Ebenen analysiert werden: Zum einen auf der Ebene der Stromwirtschaft und zweitens auf der Ebene der gesellschaftlichen Organisation von Stromversorgungsunternehmen. Die Stromwirtschaft besteht dabei eigentlich aus drei Sektoren: erstens der stromerzeugenden und -verteilenden Industrie, zweitens der elektrotechnischen Industrie, die Anlagen für die Stromerzeugung und -verteilung produziert, und drittens der Elektrogeräteindustrie, die Stromverbraucher mit Elektrogeräten versorgt.
In den Industrieländern des Nordens hat die Entwicklung der Elektrotechnik zu einer Symbiose von Stromversorgern und elektrotechnischer Industrie geführt. Zunächst gründete diese, um ihre Anlagen verkaufen zu können, Tochterunternehmen, die Strom erzeugten und verteilten. Um die Jahrhundertwende emanzipierten sich diese Stromversorger von ihren Muttergesellschaften. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte die elektrotechnische Industrie, bestimmte Funktionen der Stromversorger zu übernehmen. Seit schlüsselfertige Kraftwerke angeboten werden, sind beispielsweise die Design- und Konstruktionsabteilungen der Stromversorger überflüssig. Früher gab es auch einmal enge Verbindungen zwischen der elektrotechnischen Industrie und der Elektrogeräteindustrie, aber diese haben sich im Laufe der Zeit auseinander entwickelt. In Zukunft könnte diese Verbindung aber wieder neu belebt werden - nicht zuletzt aus Gründen des Umweltschutzes.
In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Stromindustrie aufgrund neuer Kraftwerkstechnik rasant, und in fast allen Ländern entstand ein Monopol für die leitungsgebundene Energieversorgung. Damals wurden vier Optionen für die Zukunft der Stromwirtschaft diskutiert: erstens ein Versorgungssystem unter der Kontrolle der Industrie, das aus privaten Monopolen besteht; zweitens Staatseigentum; drittens staatlich reguliertes Privateigentum; und viertens kommunal reguliertes Privateigentum. In den meisten Ländern entstand die Stromwirtschaft in Form von öffentlichen Unternehmen, die teilweise Eigentum von kommunalen, regionalen oder nationalen Körperschaften waren. Daneben gab es auch gemischtwirtschaftliche Formen, in denen private Klein- und Großaktionäre am Kapital der Stromwirtschaft beteiligt waren.
Auch die Sowjetunion maß der Elektrifizierung hohe Bedeutung bei. Von Lenin stammt die Formel "Kommunismus gleich Sowjetmacht plus Elektrifizierung". Diese eindimensionale Kommunismus-Vision lautete weiter: "Wenn Russland sich mit einem dichten Netz von elektrischen Anlagen bedeckt haben wird, dann wird unser kommunistischer Wirtschaftsaufbau zum Vorbild für das kommende sozialistische Europa und Asien werden". Die Sowjetunion orientierte sich, was die Entwicklung der Technik betrifft, aber an den kapitalistischen Industriegesellschaften. Der Plan zur Elektrifizierung Russlands von 1920 wurde bis 1935 um das 2,5-fache übererfüllt. Angeblich "überholte" die UdSSR hinsichtlich der Energieeffizienz im Jahr 1937 mit einem Brennstoffverbrauch von 0,62 Kilogramm Kohle pro erzeugter Kilowattstunde gar die industriell führenden Länder. Die Steigerung der Stromerzeugung galt unter Stalin als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die technische Umgestaltung der sowjetischen Volkswirtschaft. Und da nicht nur in der UdSSR, sondern auch in anderen staatssozialistischen Ländern die Stromwirtschaft auf "kapitalistischer" Technik basierte, ist es kein Wunder, dass auch in der Dritten Welt keine alternative Technikentwicklung Fuß fassen konnte.
In der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der ersten Ölpreiskrise von 1973 folgte die Energiepolitik von Industriestaaten dem gleichen Entwicklungsmuster. Das von Leon Lindberg so genannte Energiesyndrom trat denn auch in Ost und West gleichzeitig auf; es war das Ergebnis gemeinsam auftretender Symptome, die zu einem Systemversagen führten. Zu den Symptomen zählte, dass die Energieerzeugung und der Verbrauch eine ständig wachsende Energieversorgung erforderten und die staatliche Politik von der Sichtweise der Energieproduzenten bestimmt wurde. Das Zusammenwirken von politischen, institutionellen und strukturellen Hindernissen erzwingt die Suche nach Alternativen.
Folgt man der Analyse von Herbert Kitschelt, so löste sich das Energiesyndrom in den 1970er Jahren langsam auf und schuf Raum für das Experimentieren mit verschiedenen energiepolitischen Optionen. Die erste ist die Fortsetzung der üblichen Energiepolitik, also einer auf wenige Stromproduzenten ausgerichteten, besonderen Politik für die einzelnen Primärenergiequellen - etwa für Kohle, Erdgas, Atom. Das zielt auf wirtschaftliches Wachstum. Politische Interventionen in die Energiewirtschaft sind unsystematisch, unkoordiniert und Marktprozessen untergeordnet.
Die zweite Option ist, dass der Staat die energiepolitischen Kompetenzen konzentriert, eine staatliche Energiestrategie formuliert und versucht, eine koordinierte Energiepolitik umzusetzen. Die dritte lautet, dass der Staat sich angesichts der politischen Kontroversen in der Energiepolitik auf eine Schiedsrichterrolle zurückzieht. Diese Strategie verkauft sich als Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung. Sie überlässt den Energieunternehmen und der Industrie das Feld, um die Politik nicht mit Forderungen zu belasten, die mit der Stromversorgung zusammenhängen. Viertens kann der Staat versuchen, alle Widersacher am Entscheidungsprozess über die Stromerzeugung zu beteiligen. Diese auf Konsens ausgerichtete Option erfordert einerseits eine wachsende Politisierung der Stromwirtschaft und andererseits eine Abkehr von traditionellen Zielen der Energiepolitik. In den 1990er Jahren trat in den hochindustrialisierten Ländern, aber auch in den Schwellenländern der Dritten Welt als weitere strategische Orientierung eine ökologische Energiepolitik hinzu.
Dänemark ist ein prominenter Fall für eine integrierte Umwelt- und Energiepolitik. Die neue dänische Energiepolitik war in erster Linie eine Reaktion auf die weltweit einmalige Ölabhängigkeit des Landes: Zur Zeit der ersten Ölpreiskrise wurden 93 Prozent des Primärenergieverbrauchs mit Mineralöl gedeckt. Andererseits haben die Politik und die Behörden eine große Fähigkeit entwickelt, mit anderen Beteiligten an der Energiepolitik zusammenzuarbeiten und innovative Lösungen zu finden. Die Ziele der neuen dänischen Energiepolitik waren: Verbesserung der Versorgungssicherheit durch den Aufbau einer heimischen Öl- und Gasproduktion; Verminderung des Primärenergieverbrauchs; Erhöhung der Energieeffizienz; und Ausbau der Nutzung regenerativer Energiequellen.
Diese Ziele wurden in vier Phasen mit Hilfe neuer Institutionen in Angriff genommen und weitgehend verwirklicht. Heute ist Dänemark in Europa das Land mit dem höchsten Stromanteil aus Heizkraftwerken - über die Hälfte der Elektrizität wird in Kraft-Wärme-Koppelung erzeugt. In Deutschland liegt der Anteil bei etwas über 10 Prozent. Auch bei der Nutzung regenerativer Energien für die Stromerzeugung ist Dänemark mit einem Windstromanteil von über 13 Prozent wesentlich weiter als Deutschland. Nach dem Aktionsplan "Energie 21" steigt Dänemark nicht nur aus der Kohleverstromung aus und vervielfacht den Anteil der regenerativen Energien, sondern auch die kraftwärmegekoppelte Stromerzeugung soll noch weiter ausgebaut werden.
Die heutigen Strukturen der Stromwirtschaft beruhen folglich nicht auf Naturgesetzen oder technisch-ökonomischen Zwängen, sondern sind in Interessenkonflikten und politischen Entscheidungsprozessen entstanden. Deshalb ist es wichtig - wie Stier formuliert -, die politische "Gestaltbarkeit dieses Sektors auch in Zukunft einzufordern, Alternativen aufzuzeigen und neue Anforderungen an eine künftige Energiepolitik zu formulieren".
Für die Industrieländer steht seit etwa einem Jahrzehnt ein Paradigmenwechsel in der Energiepolitik auf der Tagesordnung, für den eine Reihe von Faktoren verantwortlich ist. Der wichtigste ist der ökologische Problemdruck. Seit Beginn der 1970er Jahre wurde die Stromwirtschaft unter ökologischen Gesichtspunkten geprüft. In diesem Prozess wurden Umwelt- und Naturschutzinteressen mobilisiert, die sich verstärken und auf ökonomische und politische Entscheidungen Einfluss nehmen konnten.
So sollte ein Immissionsschutz den Gesundheitsgefahren durch Rauchgase und Staubemissionen sowie - später - dem Waldsterben entgegenwirken. In Folge der Ölpreiskrisen gewann der Ressourcenschutz an Bedeutung, der den sparsamen Umgang mit Energie einforderte. Der Landschaftsschutz machte den Braunkohleabbau im Tagebau oder die Stromerzeugung in großen Wasserkraftwerken zum Thema. Der Strahlenschutz gelangte insbesondere nach der Katastrophe in Tschernobyl auf die politische Tagesordnung. Und der Klimaschutz erfordert seit den 1980er Jahren neue Aspekte des rationellen Umgangs mit Energie, um die CO2-Emissionen zu vermindern.
Die Rahmenbedingungen für den Umgang mit Energie, wie sie durch den weltweiten Energiebedarf, das Bevölkerungswachstum, die Ressourcenknappheit oder die Umweltauswirkungen gegeben sind, erzwingen die Suche nach einer sozial- und umweltverträglichen Alternative. Der bevorstehende Umbruch der Stromwirtschaft bedeutet, dass die Vorherrschaft der fossil oder atomar befeuerten Dampfturbine von hoher Leistung vorüber ist und das Zeitalter der kleinen, avancierten Gasturbine, der dezentralen Erzeugung von Kraft, Kälte und Wärme in Blockheizkraftwerken und der wesentlich effizienteren Elektrizitätsnutzung in Beleuchtungssystemen, Motoren und anderen Elektrogeräten angebrochen ist. Die Elektrizitätssysteme der Zukunft werden vermutlich von sehr flexibler dezentraler Umwandlungstechnik wie Mikroturbinen und Brennstoffzellen dominiert werden. Dazu trägt auch die Liberalisierung der Energiewirtschaft bei, die Strom zu einer Handelsware wie Schweinehälften oder Sojamehl macht.
Literatur
Oliver Fok: Kathedralen der Electricität; Hamburg 1991.
Thomas P. Hughes: Networks of Power: Electrification in Western Society, 1880-1930; Baltimore 1986.
Herbert Kitschelt: Politik und Energie: Energie-Technologiepolitiken in den USA, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Schweden; Frankfurt/M und New York 1983.
Leon N. Lindberg (ed.): The Energy Syndrome; Lexington/Mass. 1977.
Lutz Mez und Rainer Osnowski: RWE - Ein Riese mit Ausstrahlung; Köln 1996.
Bernhard Stier: Staat und Strom - Die politische Steuerung des Elektrizitätssystems in Deutschland 1890-1950; Ubstadt-Weiher 1999
StromtransportDer Trafo macht es möglichOhne Transformatoren wäre der Stromtransport über große Entfernungen nicht möglich. Denn dieser Transport ist stets mit Verlusten verbunden - je länger die Leitungen bei gleicher Dicke sind, desto größer ist ihr elektrischer Widerstand und damit der Anteil des Stroms, der in den Leitungen in Wärme umgesetzt wird. Dieser Anteil kann jedoch entscheidend verringert werden, wenn Strom unter sehr hohen Spannungen übertragen wird. Denn die elektrische Leistung (gemessen in Watt) ist das Produkt von Spannung (in Volt) und Stromfluss (in Ampere); für die Leitungsverluste ist aber nur der Stromfluss maßgeblich. Man kann also bei der zehnfachen Spannung dieselbe Leistung mit zehnmal weniger Stromfluss und damit Energieverlust übertragen. Hochspannung ist allerdings für die meisten Endgeräte ungeeignet und sehr gefährlich. Deshalb setzt der Stromtransport über große Entfernungen voraus, dass Niederspannung in Hochspannung transformiert werden kann und umgekehrt. Genau das leisten Transformatoren. In ihnen treten zwar auch Energieverluste auf, aber weniger als in langen Leitungen. Allerdings funktionieren Trafos nur mit Strom, der seine Polrichtung periodisch ändert. Dieser sogenannte Wechselstrom war deshalb lange weit besser transportabel als Gleichstrom. Inzwischen kann auch Gleichstrom unter Hochspannung transportiert werden und verursacht dann unter Umständen noch weniger Verluste. Die technische Voraussetzung dafür ist, dass man Gleichstrom in Wechselstrom verwandeln kann und zurück, denn nach wie vor kann man nur Wechselstrom transformieren. bl. |
aus: der überblick 04/2001, Seite 20
AUTOR(EN):
Lutz Mez:
Dr. Lutz Mez ist Privatdozent am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und Geschäftsführer der Forschungsstelle für Umweltpolitik an der Freien Universität Berlin. Sein Hauptforschungsinteresse gilt der Energie- und Umweltpolitik von Industrieländern unter besonderer Berücksichtigung der Atom-, Klimaschutz- und Elektrizitätspolitik.