Beobachtungen in südafrikanischen Redaktionen
1994 haben Menschen aller Hautfarben in Südafrika zum ersten Mal ihre Regierung wählen können. Der Wandel weg von der Apartheid war und ist ein schmerzhafter Prozess. Auch Journalisten haben gelegentlich damit zu kämpfen.
von Douglas Foster
Es ist kurz nach neun Uhr morgens an einem kalten Apriltag in Kapstadt, also tiefster Winter. Von den Treppen des L-förmigen Gebäudes, das den beiden größten englischsprachigen Tageszeitungen von Kapstadt als Hauptsitz dient, kann man über die Schulter Richtung Süden auf die Felshänge des Tafelberges blicken.
In einem altertümlichen Fahrstuhl geht es hinauf zu den düsteren Redaktionsräumen der Morgenzeitung Cape Times und des Cape Argus, der nachmittags erscheint. Durch die bleiverglasten Fenster kann man Ausschnitte des mattgrauen Himmels und das blaugrüne Wasser von Duncan Dock ausmachen. Weiter draußen auf der See liegt Robben Island, wo Nelson Mandela lange inhaftiert war.
Südafrikas Zeitungen war es damals verboten, Mandelas Namen zu drucken oder ein Foto von ihm zu veröffentlichen. Ältere Reporter und Redakteure erinnern sich noch gut daran, dass Schilder mit der Aufschrift »Nur Weiße« an der Toilettentür angebracht waren. Es ist ein ganz neues Land, werden sie sagen. Heutzutage beschweren sich die politischen Gegner des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der Partei von Mandela nicht über drohende Verhaftung, sondern eher darüber, von den Medien schlicht und einfach ignoriert zu werden (besonders durch die von der Regierung kontrollierte Rundfunkanstalt South African Broadcasting Corporation).
Redakteure der Nachmittagsausgabe, leger gekleidet, drängen sich um den massiven ovalen Eichentisch im Sitzungsraum. Das ist ein ziemlich bunter Haufen aus Menschen aller Hautfarben ein Zeichen dafür, wie viel sich geändert hat, seit Mandela 1994 zum Präsidenten gewählt wurde.
Bei näherer Betrachtung sieht die Geschichte freilich nuancierter aus. An dem Ende des Tisches, wo der Nachrichtenchef sitzt, haben sich überwiegend die weißen Redaktionsmitglieder niedergelassen. In der mittleren Sektion sitzen die weiterhin meist als Coloured bezeichneten Reporter (dem unter der Apartheid eingeführten Begriff für Menschen mit gemischter »rassischer« Herkunft).Weit unten am anderen Ende des Tisches nahe am Eingang, sozusagen als Zeichen dafür, dass sie erst vor kurzem dazugekommen sind, sitzen die schwarzen Reporter.
Die Nachrichtenchefin Vivien Horler kommt direkt auf das alles dominierende Thema zu sprechen: die bevorstehende Wahl. Für den dritten Urnengang wurden einige Redakteure dazu abkommandiert, Politiker an ihren Wahlkampforten aufzusuchen und zu interviewen. Doch die Journalisten protestieren gegen dieses doch reichlich abgenutzte Format. Murray Williams, ein weißer Reporter, schlägt vor, nicht Politiker sondern besonders interessante Leute zu befragen. Einige seiner Kollegen werfen städtische Wohnviertel in die Runde, in denen bekannte Schriftsteller, Architekten und Theaterleute leben.
Vom anderen Ende des Tisches ernten sie nur beleidigte Ungläubigkeit. Zenzile Khoisan, ein spindeldürrer Investigativ-Journalist mit schwarzer Baseball-Kappe, sagt: »Das ist doch sehr nett für uns, die Zeit in den wohlhabenden Distrikten zu verbringen, he? Wird in Khayelitsha etwa nicht gewählt?« Er zählt noch weitere Namen von Townships auf, in denen Schwarze und Coloureds zu Apartheidzeiten leben mußten.
Williams erstarrt in seinem Stuhl. Er hält nichts von dem Vorstoß seines Kollegen. »Das ist eine sehr gute Frage, Zenzile«, bemerkt er in herablassendem Ton. »Vielleicht kannst du uns ja sagen, welcher wichtige Nichtpolitiker da draußen in Khayelitsha lebt.«
Eine nervöse Stille entsteht. Redakteure, die an dem vorwiegend weißen Ende des Tisches sitzen, wenden sich der Nachrichtenchefin Horler zu. Am gegenüberliegenden Ende werfen sich schwarze Journalisten starre Blicke zu. Keiner interveniert oder schlägt Namen von Sportlern, Musikern, Aktivisten, Kleinunternehmerinnen vor, die in den Townships leben und die zu interviewen sich lohnen könnte. Eine verpasste Gelegenheit.
Das Aufbrausen war nur von kurzer Dauer. Einige in dem Raum glauben ganz bestimmt, dass ich zu viel Aufhebens von der Sache mache. Die meisten der anwesenden älteren Redakteure und auch die der Cape Times im gegenüberliegenden Raum rühmen sich schließlich ihrer Anti-Apartheid-Verdienste. Und viele der jüngeren weißen Reporter wie Williams sind Liberale, die den größten Teil ihres Arbeitslebens in einem vermeintlich neuen, nichtrassistischen Südafrika verbracht haben. Williams meint, dass die Reporter dieser Redaktion die historische Rassentrennung erfolgreich hinter sich gelassen hätten. Er und Zenzile hätten einfach Spaß daran, die Dinge aufzubauschen, erklärt er: »Im Allgemeinen bleibt alles cool.«
Doch nimmt man Einzelne für ein persönliches Gespräch beiseite, lässt sich schon eine weit verbreitete Spannung entlang »rassischer« Konfliktlinien ausmachen. Nichtweiße Journalisten betonen, dass die Hautfarbe in der Redaktion immer noch weit heller ist als in der Bevölkerung als Ganzes. Würde wirkliche Transformation in diesem Fall nicht bedeuten, dass höchstens zehn Prozent der Journalisten und Redakteure weiß sein sollten? Joseph Aranes, der schroffe Politikchef des Cape Argus, formuliert zugespitzt: »Eine Menge weißer Leute in den Redaktionen hat doch keine Ahnung davon, was in Kapstadt los ist!« Dutzende Weiße mehr müssten noch gehen, fügt er hinzu, damit die Zeitungen so »umgewandelt werden können, dass sie unsere neue Wirklichkeit widerspiegeln.«
Farbige Redakteure benennen noch eine andere knifflige Sache. Sie berichten, dass sie sich zwischen ihren weißen und schwarzen Kollegen verloren fühlen. 11,5 Prozent der Einwohner Südafrikas sind Coloureds, doch in der Provinz Western Cape sind es 54 Prozent. Anti-Apartheid-Aktivisten legten Wert darauf, Solidarität zu fördern und die Kategorien der Regierung zu untergraben, indem sie alle Nichtweißen Schwarze nannten, doch die Differenzierung spielt, wenn auch abgestuft, immer noch eine Rolle. Ältere coloured Reporter erzählten zum Beispiel, dass sie während der Apartheid als nicht »weiß genug« betrachtet wurden, um gleich behandelt zu werden, doch jetzt fühlten sie sich nicht »schwarz genug« (vergl. »der überblick« 3/2004).
Auf der anderen Seite beklagen sich einige Weiße in Privatgesprächen darüber, an die Seite gedrängt zu werden. Sie würden wegen ihrer Hautfarbe nicht befördert und es sei praktisch unmöglich, die sinkenden redaktionellen Standards in Frage zu stellen, weil man dann Gefahr laufe, als rassistisch abgestempelt zu werden. Sie stören sich daran, dass die meisten Zeitungen einen ziemlich ANC-nahen Kurs fahren und fragen sich, ob schwarze Journalisten überhaupt das Verlangen verspüren, sich als hartnäckige watchdogs gegenüber der Regierung zu verstehen.
Die Redaktionen hier sind der Mikrokosmos des sie umgebenden politischen Klimas. Präsident Thabo Mbeki hat die Zeitungen gescholten, sich wie die Opposition zu verhalten, und seine Minister üben auf nichtweiße Redakteure besonders harten Druck aus. Umgekehrt werfen Oppositionsführer den Journalisten vor, der Regierung viel zu sehr gewogen zu sein. Solche Kritik ist rassistisch belastet.
Man braucht nur eine Reihe heikler Themen anzusprechen, mit denen sich die Reporter Woche für Woche auseinanderzusetzen haben Armut, HIV/Aids, Wirtschaftsentwicklung, Korruption, Kriminalität und selbst Sport , und man bekommt eine Ahnung davon, vor welcher Herausforderung sie stehen. »Rasse« zieht sich durch alles und jedes. Kein anderes Thema spielt für die multirassische Gruppe, die um den Tisch in Kapstadt sitzt, eine herausragendere und kompliziertere Rolle, nichts anderes ist so unberechenbar. Vielleicht ist das der Grund, warum die Frage der Hautfarbe so selten über die »Rassenlinien« hinweg diskutiert wird.
Am Morgen nach den Wahlen hat die Cape Times fast den gesamten Platz über dem Bruch einem schönen Foto gewidmet, das eine lange Schlange von Wählern zeigt als Silhouette vor dem Sonnenuntergang mitten in einem der Townships. Die Schlagzeile lautete: »Eine Nation kommt auf die Füße«. Diese offen feierliche Behandlung des Themas will die Tatsache unterstreichen, dass die Zeitung, die schon seit Generationen auf dem Markt ist, nun eine sich wandelnde Leserschaft in einer erst zehn Jahre alten »multirassischen« Demokratie bedient.
Im Mai reise ich etwa 900 Meilen nordostwärts nach Johannesburg, einst das Herz der Goldminen des Landes. Johannesburg ist das brodelnde Ying gegenüber Kapstadts lieblicherem Yang. Diese Stadt ist ein Traum für Nachrichten-Junkies. Dort gibt es sieben größere Tageszeitungen (eine davon in Afrikaans) und neun Wochentitel sowie Stadtteilblätter mit einer gemeinsamen Auflage von über einer Million.
Die Stadt stellt die Bühne für einen erbitterten Wettbewerb um neue Leserschaften. Vor zwei Jahren gründete Naspers, ein traditionell afrikaanssprachiger Medienkonzern, eine Tageszeitung, deren Zielgruppe die schwarze Arbeiterklasse ist. Während die Auflage der meisten Zeitungen stabil geblieben ist oder sogar abgenommen hat, machte die Daily Sun mit ihren Berichten über Verbrechen von Schwarzen und Sexskandale sowie Geschichten über Hexerei, angereichert mit Wie-macht-man-und Wie-helfe-ich-mir-selbst-Artikeln, unmittelbar Furore. Die Auflage der Zeitung stieg Ende Juni 2004 auf über 300.000, womit sie die größte Tagezeitung des Landes ist.
Wenige Blocks vom majestätischen Obersten Gerichtsgebäude und nicht weit vom weltberühmten Market Theater in Johannesburgs Innenstadt entfernt, liegen einander gegenüber in der Sauer Street zwei riesige Bürogebäude: das Hauptquartier des ANC und der Sitz der Independent Group, der größten Kette von Tageszeitungen des Landes (zu der auch die Zeitungen Kapstadts gehören).
Das 1887 in Kapstadt gegründete Blatt The Star ist das Flaggschiff der Independent Group. Die Zeitung, die im Laufe ihrer Geschichte größtenteils aus der Sicht der englischsprachigen Weißen berichtete, spielte auch im Kampf gegen Apartheid eine wichtige Rolle. Die Tageszeitung war außerdem eine Art Ausbildungsstätte für viele der besten Journalisten des Landes, darunter so einflussreiche schwarze Vertreter wie Mathatha Tsedu von City Press, Mondli Makhanya von der Sunday Times (der größten Sonntagszeitung) und Justice Malala von This Day (Die mit nigerianischem Geld finanzierte Tageszeitung wurde im Oktober 2004 wieder eingestellt Anm. d. Red.).
The Star hat mit dem gewaltigen Auflagenschwund auch den Glanz seiner glorreichen Zeit Anfang der neunziger Jahre eingebüßt. Das Gebäude gleicht heute einem trostlosen, schmuddeligen und heruntergekommenen Kasten. Als Sir Anthony O'Reilly, ein Ire, der die Independent News & Media Ltd. führt, den Star 1995 kaufte, glaubten viele, dies werde eine neue Erfolgsära einleiten. Die verfallene Einrichtung und die überforderten Redaktionsmitglieder zeigen, wie illusorisch diese Vorhersage war.
»Darüber, wie dieser eine Mann, Tony O'Reilly, den südafrikanischen Journalismus zerstört hat, muss erst noch eine Doktorarbeit verfasst werden«, sagt Ryland Fisher, der viele Jahre die Cape Times herausgegeben hat und heute ein wichtiges Journalistenausbildungsprogrammm des Peninsula Technikon in Kapstadt leitet.
Moegsien Williams, der derzeitige Chefredakteur des Star, sieht das anders als sein Freund und früherer Kollegen Fisher. Es ist schon ein bisschen irritierend, Williams ein Blatt leiten zu sehen, das im Mainstream liegt. Früher war er ein Gewerkschaftsaktivist und Mitbegründer von radikalen Publikationen, die durch Steven Biko inspiriert waren (Biko war in den siebziger Jahren Führer der Black Consciousness Bewegung. Das Kernstück dieser Anti-Apartheidsbewegung bildete der Gedanke, dass politische Freiheit nur erreicht werden kann, wenn Schwarze aufhören, sich gegenüber Weißen minderwertig zu fühlen; Anm. d. Red.). Seine engsten Freunde, darunter sein gegenwärtiger Boss Nazcem Howa, Vorstandsvorsitzender der zur Gruppe gehörenden Betriebe, arbeitete mit ihm bei South. Das war ein Aktivistenblatt, dessen vornehmliches Ziel es war, über die Tätigkeit der gebannten Organisationen zu berichten und den Apartheidsstaat zu stürzen. Nach 1994 gelangte Williams im Eiltempo an die Spitze und diente in rascher Abfolge als erster nichtweißer Chefredakteur bei den Pretoria News, dem Cape Argus, dann der Cape Times und nun bei The Star.
Auf den Sitzungen an diesem Morgen geriet Williams in Diskussionen über die politische Richtung der Zeitung. »Tony Leon mag uns nicht«, wagt sich einer der Redakteure vor und spricht dabei vom Oppositionsführer. »Er sieht uns als Schoßhündchen des ANC.« Der 52-jährige Williams ist ein Mann mit unbewegter Miene und trägt vermeintliche Gelassenheit zur Schau. Doch der Vorwurf der Einseitigkeit trifft ihn sichtlich: »Diese Kritik ist doch lächerlich«. Er streckt seinen Daumen in Richtung Sauer Street: »Sie glauben, es sei günstig, dass das ANC-Hauptquartier gerade gegenüber liegt. Als ob wir uns die ganze Zeit dort Order holen würden.«
Im Übrigen hat es immer wieder Beschwerden über Einseitigkeit aus der anderen Richtung gegeben von Mandela bis zur heutigen ANC-Führung , die den Redakteuren vorwerfen, sich zu sehr wie die Opposition zu verhalten. Weder die Kritiker von der Regierung noch die von der Opposition haben Verständnis dafür, was für einen delikaten Balanceakt ein »neuer Kader von Reportern und Redakteuren« zuwege bringen müsse, sagt Williams.
Wenn man sieht, wie schlecht ausgebildet viele in diesem neuen Kader sind, dann versteht man, wie gewaltig die Herausforderung ist, denen sich Chefredakteure wie Williams zu stellen haben. In einem Land mit elf offiziellen Sprachen haben viele seiner Reporter (darunter Weiße, die mit Afrikaans aufgewachsen sind) damit zu kämpfen, in gutem Englisch zu schreiben. Für einige von ihnen ist Englisch eine Drittsprache.
Universitäre Studiengänge und Fachschulen bereiten die Absolventen einfach nicht ausreichend darauf vor, in Redaktionen zu arbeiten, sagt Williams. Das ist nicht nur die nicht weiter erstaunliche Klage von jemandem aus der Pioniergeneration. Eine branchenweite Umfrage, die das Nationale Redakteursforum Südafrikas (SANEF) vor einigen Jahren durchgeführt hat, offenbarte, dass viele Reporter, die ihren Job seit zwei bis fünf Jahren ausübten, kaum über grundlegende journalistische Kenntnisse verfügten. So konnte eine Mehrheit die folgende Frage nicht korrekt beantworten: »Wenn vier Millionen simbabwische Bürger angeben, dass sie zur Wahl gehen werden, und zwei Millionen angeben, dass sie nicht wählen werden, wie viel Prozent der simbabwischen Bürger werden dann wählen gehen?«
Die Umfrage hatte einen grässlichen neuen Begriff zur Folge: juniorization (Verjüngungsprozess). Er deckt eine Vielzahl von Sünden ab: Wenn erfahrenere Reporter den Beruf aufgeben, weil sie durch die Berichterstattung über die politische Gewalt, die das Land in den achtziger Jahren erfasst hatte, über Kriminalität oder über HIV/Aids in den neunziger Jahren traumatisiert wurden; wenn talentierte Redakteure unter Verdoppelung des Gehalts von der Regierung oder von Firmen als PR-Berater abgeworben werden; wenn jemand auf einen Posten befördert wird, für den er nicht ausreichend qualifiziert ist, und selbst wenn ein Reporter bei der Recherche einer Geschichte kräftig danebenliegt: juniorization ist das zu allem passende Etikett, mit dem die Menschen, die die Redaktionsräume bevölkern, beschämt werden, ohne explizit zu erwähnen, dass die meisten der »Junioren« schwarz sind.
Die Reporter in der Redaktion des Star bilden eine angenehme »multirassische« Gemeinschaft. Sie behandeln ihren Boss wie einen verehrten exzentrischen Onkel. Doch man braucht nur einige von ihnen zum Mittagessen oder zu einem Bier beiseite zu nehmen, und man bekommt einen Eindruck davon, wie schwer ihnen die Bedingungen in der Redaktion im Magen liegen. Wie viele Redakteure wünschen auch die Reporter, dass Williams den Erbsenzählern in dem Unternehmen Paroli bietet und für eine bessere Ausstattung der Redaktion kämpft. An einigen Tagen, betonen sie, stehen nur ein Dutzend Reporter bereit, um aus einer Metropole von über 3,2 Millionen Menschen zu berichten, und da sind Soweto und andere Townships noch nicht einmal mitgezählt.
Im letzten Jahrzehnt wurde das Redaktionsteam des Star bis auf die Hälfte abgebaut, auf etwa 120 Mitarbeiter. Die vielgepriesene hauseigene Fortbildungseinrichtung wurde ausgerechnet in dem Moment geschlossen, als viele Vorstandsmitglieder dafür plädierten, dass sowohl Berufsanfänger als auch schon einige Jahre Berufstätige Fortbildung brauchen, damit der historische Übergangsprozess auch in ihren Redaktionsräumen stattfinden kann.
Eine dünne Personaldecke erlaubt es kaum noch, junge Talente zu fördern, betonen die Reporter. Berufsanfänger müssen sich in einem harten Umfeld zurechtfinden. Reporter haben kaum noch Möglichkeiten, sich zu spezialisieren und ihre Fachkenntnisse zu vertiefen. Und es gibt weniger Reportagen und mehr »Was«- und »Wann«-Geschichten, weniger Analyse und Hintergrund.
Zurück in seinem Büro gesteht Williams ein, dass die Independent Group viel zu spät damit begonnen habe, nichtweiße Talente anzuwerben, auszubilden, zu befördern und zu erhalten. »Viele andere Institutionen in Südafrika haben die Zeichen der Zeit in den achtziger Jahren erkannt. Wir sind erst 1994 aufgewacht.«
Williams widerspricht aber der Vermutung, die redaktionellen Werte seien den wirtschaftlichen Zielsetzungen geopfert worden. Er habe seinem Chef vielmehr geholfen, gewaltige Gefahren für das Überleben der Zeitung abzuwenden. Die Auflage sei von ungefähr 230.000 im Jahr 1994 vor vier Jahren auf den niedrigen Stand von 152.000 gesunken. Unter seiner Leitung hätten sich die Einnahmen verdreifacht und die Auflage des Star sei auf 172.000 zurückgeschnellt: »Tatsächlich habe ich dem Star zum Wachstum verholfen und dem Blatt die Rolle verschafft, die es in der Gesellschaft zu spielen hat. Und das kann man nur, wenn es nicht wirtschaftlich den Bach runtergeht.
Obwohl das Blatt heute eine mehrheitlich schwarze Leserschaft hat, wird der Star noch weithin als »von Weißen kontrolliert« angesehen. Williams will die Zeitung für ihre multirassische Zukunft neu erfinden etwas, was seine Hauptkonkurrenten, die ausschließlich auf weiße oder auf schwarze Leser zielen, nicht tun müssen.
Der Erfolg oder Misserfolg seiner Bemühungen, eine Zeitung zu produzieren, mit der die Stadt Johannesburg »zu sich selbst« sprechen kann, wird in starkem Maße davon abhängen, ob und in welcher Weise die Redaktion zu einem Spiegel der Welt außerhalb des Gebäudes gemacht werden kann. »Wenn es uns nicht gelingt, dieses Land umzuwandeln und die bisher ausgeschlossene Mehrheit der Bevölkerung zu stärken und wenn die Mehrheit der Menschen kein Interesse am Erhalt dieser neuen Ordnung hat dann wird alles verloren sein«, sagt er mit sanfter Stimme. Er zeigt über die Schulter auf den Redaktionsraum. »Die jungen schwarzen Reporter dort sind die zukünftigen Hüter einer freien Presse in diesem Land.«
Am Rande von Auckland Park einem der pulsierendsten Vierteln von Johannesburgs, wo Lofts, Kunsthandwerksläden, Cafés und Clubs den neuesten Trend anzeigen findet sich ein Gebäude aus Stein und Glas, in dem die Wochenzeitung Mail & Guardian mit einer Auflage von 39.000 ihren Hauptsitz hat. Sie ist das intellektuelle Führungsblatt Südafrikas und kann sich rühmen, den Apartheid-Staat immer wieder vorgeführt zu haben. Nach 1994 hat es ihr zur Ehre gereicht, dass sie Berichte über Korruptionsfälle in der neuen Regierung veröffentlicht habe.
An einem kalten grauen Morgen Ende Juni begrüßt mich Ferial Haffajee, seit Januar 2004 Chefredakteurin, in ihrem Büro und geht gleich in die Offensive: »Der Zustand unserer Medien ist besser als der Ihrer Medien«, sagt sie und greift die Kritik an der fahnenschwingenden US-amerikanischen Berichterstattung über den Irakkrieg auf.
Die 37-jährige Haffajee, nach den alten Einteilungen der Apartheid als indisch-malaiisch eingestuft, wuchs in Bosmont auf, einem »rassisch« gemischten Township außerhalb Johannesburgs. »Ich wurde in dem Bewusstsein groß, eine Schwarze zu sein, weil meine Brüder mich über Black Consciousness aufgeklärt haben.«
Ihre Tätigkeit bei der Wochenzeitung begann sie Ende der neunziger Jahre als Wirtschaftsjournalistin, wechselte dann zur Financial Mail über und kehrte zwei Jahre später in ihre alte Redaktion zurück. Sie wurde zur ersten Chefredakteurin der Zeitung ernannt, als der ebenfalls schwarze Mondli Makhanya als Chefredakteur zur Sunday Times ging.
Haffajee neigt ihren Kopf in Richtung Eingang und nimmt das Gemurmel in einem Redaktionsraum wahr, der gerade zum Leben erwacht. Ihre Hauptreporter und Redakteure finden sich nach und nach zur morgendlichen Redaktionssitzung um 10.00 Uhr in ihrem Büro ein. Vor zehn Jahren noch hatte die Mail & Guardian ein überwiegend weißes Personal. Die Redakteure, die sich heute im Raum befinden, sind ein Gemisch aus Schwarzen und Weißen, Männern und Frauen. Es herrscht eine lockerere und angenehmere Atmosphäre als in den anderen Redaktionen, die ich besucht habe.
Fikile-Ntsikelelo Moya liest seinen geplanten Leitartikel für eine Beilage zu einem Gesetzesentwurf vor, das öffentliches Propagieren von Hass und Diskriminierung aufgrund von Rasse, Ethnizität, Geschlecht oder Religion unter Strafe stellen soll. »Wenn Patriotismus das letzte Refugium für Schurken ist, dann muss die Rede- und Meinungsfreiheit das bevorzugte Versteck für Eiferer sein.« Es herrscht Stille im Raum und nur das Geräusch vom Zähneknirschen eines Redakteurs, der direkt neben mir sitzt, ist hörbar.
Haffajee lehnt sich in ihren Stuhl zurück. Man diskutiert, teilweise entlang von »Rassenlinien« darüber, wie wichtig es ist, auf der einen Seite Menschen vor verbalen Angriffen zu schützen und auf der anderen Seite die Freiheit der Rede zu wahren. Es ist ein lebhafter Austausch. »Wir müssen uns für eine absolute Rede- und Meinungsfreiheit einsetzen«, beendet Haffajee die Diskussion.
Die Sitzung geht weiter, doch Moyas Artikel verwandelt sich über die nächsten Tage zu einem Leitessay für den »Kommentar und Analyse«-Teil. Die Titelgeschichte widmet sich einem nepotistischen Bürgermeister mit seinem komplizierten Privatleben.
Wisani Waka Ngobeni, ein investigativer Journalist, ist gerade mal 27 Jahre alt und kam über das berühmtes Ausbildungsprogramm der Zeitung zum Mail & Guardian. Beim Mittagessen in einem Café mit dem Namen Color Bar erzählt er, dass die Zeitung, unter Haffajees Leitung erhebliche Fortschritte gemacht habe, aber noch nicht das gelobte Land sei. Vor ein paar Wochen zum Beispiel wurde das Bild eines unbekannten schwarzen Mannes unter die Titelschlagzeile »Ist das das Gesicht der Korruption?« gesetzt. Da es keine Bildunterschrift gab, die den Mann als einen korrupten Funktionär auswies, dem ein bestimmtes Verbrechen vorgeworfen wird, wurde ein schwarzes Gesicht zum Symbol für die ganze Gattung gemacht. »Das war schlecht! Das war ganz, ganz schlecht!«, ereifert sich Ngobeni, und der Ärger steigt wieder in ihm hoch.
Er gesteht, dass seine Reaktion auf das Foto einem tiefer sitzenden Unbehagen entspringt. Viele seiner Zeitgenossen betrachten die heute in der Regierung sitzenden ANC-Politiker als Heroen. Ihn selbst beunruhigt die Wirkung dieser ständigen Lesekost über Korruption im öffentlichen Sektor im Gegensatz zu, sagen wir, der Enthüllung von Weiße-Kragen-Kriminalität in der Wirtschaft. Wenn man weiterhin so unbedacht derartige Geschichten verfolge, könnte das sogar das Vertrauen in die schwarze Mehrheitsherrschaft untergraben. »Ich glaube kaum, dass viele weiße Journalisten diese Dimension verstehen«, meint er.
Nach der Arbeit mache ich mich wieder auf zur Color Bar, um mit einem weißen Kollegen von Ngobeni, Stefaans Brummer, ein Bier zu trinken. (Brummer meidet die Rassenklassifizierung aus Apartheidzeiten und zieht es vor, sich selbst als »Afrikaner« zu bezeichnen.) Er kam kurz vor den Wahlen von 1994 zur Redaktion, seine journalistische Laufbahn hatte er als Reporter beim Cape Argus begonnen. Er sah den Kampf gegen Apartheid aus nächster Nähe; seine größte Story aus jenen Tagen war die Aufdeckung eines Massakers an ANC-Anhängern in einem der Homelands.
Integration auf Grund von leistungsbezogenen Kriterien war innerhalb der Redaktion in Brummers Augen überfällig. Doch Transformation war seiner Meinung nach auch aus journalistischen Gründen notwendig. Eine Zeitlang gab es nach den 1994er Wahlen doch recht viel »Sonnenschein-Journalismus«, mit dem der Übergang zur ANC-Herrschaft zumeist unkritisch gepriesen wurde. Mitte der neunziger Jahre, als die Zeitung begann, Artikel über Korruption in der Regierung zu veröffentlichen, »wurden wir zunehmend von Funktionären attackiert, die uns und anderen Rassismus vorwarfen«, sagt Brummer.
So betrachtet er die sich wandelnde Zusammensetzung seiner eigenen Redaktion aus einem leicht veränderten Blickwinkel: »Die Redaktion stand unter Druck, sich zu verändern. Doch Transformation bedeutete keinen Wandel in der Denkart über unsere journalistische Verantwortung«, sagt er. »Sicherlich ist die Redaktion repräsentativer geworden. Und das hat uns mehr Gelegenheit gegeben, hartnäckig zu bleiben.«
In vielerlei Hinsicht stehen Brummer und Ngobeni dafür, wie die Transformation ablaufen sollte. Kürzlich lagen sie für einige Zeit wegen »einer gewissen Recherche« im Clinch, gibt Brummer zu. Einer der Hauptkontrahenten bei dieser Recherche ist weiß, der andere schwarz. Brummer vertritt eine rigidere Linie gegenüber den Weißen, während Ngobeni härter mit den Schwarzen ist. Sie haben hin- und herüberlegt, wie sie die Informationen, die sie herausgefunden haben, interpretieren sollen. Doch sie haben nicht viel darüber gesprochen, zumindest bis jetzt nicht, inwieweit Rasse ihr Verhältnis zueinander oder ihre Behandlung der Story beeinflusst. Warum nicht? Brummer dreht seine Handflächen nach oben. »Rasse ist oft die letzte Barriere.«
Zurück im Büro geht Haffajee die letzten Seiten durch. Auffällige Strähnen auf ihrem Scheitel schmücken ihr straff nach hinten gezogenes rabenschwarzes Haar. Sie überprüft die Artikel, die an ihre Bürofenster geklebt sind eine über ein Kindermädchen, das von ihrem Arbeitgeber nach einem positiven HIV-Test entlassen wurde, die andere über Drohungen der Regierung von Simbabwe, den Verkauf des Mail & Guardian dort zu unterbinden.
Es gibt andere, ernstere Drohungen. Eine Ansammlung von Prozessen, die von ANC-Funktionären angestrengt wurden, hat Zeit und Geld gekostet. Der kommerzielle Wettbewerbsdruck ist beträchtlich. »Die Demokratie kam gerade nach Südafrika, als die Globalisierung uns traf«, betont Haffajee. Druck, mit weniger Mitteln mehr zu leisten, beißt sich mit der Verpflichtung, die nächste Generation kämpferischer Journalisten auszubilden. »Das, was wir verändern müssen, wird niemals ein Ergebnis von dem sein, was uns die Politiker sagen. Letztlich kommt es nur von uns selbst.«
Zum Ende des Gesprächs sagt Haffajee etwas, was mich vielleicht mehr als alles andere, was ich in all den Redaktionen in Südafrika gehört habe, erschreckt. Sie erwähnt beiläufig, dass sie davon ausgeht, in ein paar Jahren den Chefredakteurssessel zu räumen. Den Einfluss, den sie durch ihren Posten als Chefredakteurin des Mail & Guardian vor sechs Monaten als erste junge Frau gewonnen hat, plant sie freiwillig wieder aufzugeben.
»Warum in aller Welt wollen Sie das tun?«, frage ich. Sie sieht mich ruhig an, mit hochgezogener Augenbraue, als ob ich das in diesem Augenblick verstehen müsste. Es gibt ein »Stadium, durch das wir gehen müssen«, bevor wir das nichtrassische Ziel des südafrikanischen Befreiungskampfes erreicht haben, sagt sie. Sie hakt nacheinander die Namen noch jüngerer Reporter im Personal ab. »Weil in wenigen Jahren jeder von ihnen bereit ist, meinen Platz einzunehmen«, sagt Haffajee leise. Sie hält inne. »Und weil ich nicht schwarz bin.«
aus: der überblick 01/2005, Seite 66
AUTOR(EN):
Douglas Foster:
Douglas Foster ist außerordentlicher Professor an der »Medill School of Journalism« an der Northwestern University in Evanston/Chicago in Illinois (USA). Er beaufsichtigt Praktika von Journalismusstudenten bei Zeitungen und Radionetzwerken in Südafrika, darunter etliche der in diesem Artikel erwähnten. Wir übernehmen diesen Artikel in gekürzter Bearbeitung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des »Columbia Journalism Review«, wo er in der Ausgabe September/ Oktober 2004 erschienen ist.