Kleinbauern als Verlierer der globalisierten Nahrungswirtschaft
von Bernd Ludermann
Mehr als 800 Millionen Menschen in den Ländern des Südens haben nicht satt zu essen. Die Mehrheit von ihnen lebt paradoxerweise auf dem Land; gerade Kleinbauern, ländliche Tagelöhner und ihre Familien sind von Hunger und Mangelernährung betroffen. Gleichzeitig leidet ein wachsender Teil der Bevölkerung im Norden und der Wohlhabenden im Süden unter Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Beschwerden und Diabetes, die auf zu viel, zu fettes und zu süßes Essen zurückgehen. Der Verdacht liegt nahe, dass Hunger dort und Überfluss hier miteinander zu tun haben. Schließlich ist die Nahrungsproduktion zunehmend globalisiert und industrialisiert.
Wir essen nicht nur Obst aus Chile, Bohnen aus Kenia oder Fisch und Garnelen aus Süd- und Südostasien. Man könnte auch in Europa nicht so viel Fleisch und Milch erzeugen wie derzeit, ohne zum Beispiel Soja aus Brasilien an unser Vieh zu verfüttern.
Unsre Agrarimporte aus armen Ländern sind an sich aber nicht unbedingt schädlich für die Armen. Wenn wir zum Beispiel Soja aus Brasilien oder Bohnen aus Kenia kaufen, ist die Frage, wem dort welcher Anteil des Preises zugute kommt. Wo der Anbau vorwiegend in der Hand von Kleinbauern ist wie in großen Teilen Afrikas, kommt es hier darauf an, wer wirklich eine Chance hat, den Markt zu beliefern und zu welchen Bedingungen.
Der Zugang zu den Märkten für Nahrungsmittel nicht nur zu den internationalen, sondern auch zu den lukrativen Teilen des Binnenmarkts wird auch in vielen armen Ländern zunehmend von Supermarktketten oder wenigen Großhändlern kontrolliert. Dies birgt die Gefahr, dass die ärmsten Kleinbetriebe, die nur unregelmäßig Überschüsse haben und die Forderung nach standardisierten und dokumentierten Produktionsverfahren nicht erfüllen können, weniger Einkommen erzielen. Das gleiche gilt für Marktfrauen und Kleinhändler. Eine Studie des EED und des Forums Umwelt und Entwicklung hat darauf jüngst hingewiesen (vgl. auch "der überblick" 3/2007).
Ein mindestens ebenso großes Problem für die Ernährungssicherheit in armen Ländern ist aber der Handel in die umgekehrte Richtung: Agrarimporte aus Industrie- oder Schwellenländern können in armen Ländern die Erzeugerpreise drücken und einheimische Kleinproduzenten ruinieren. Der Trend zur industrialisierten und globalisierten Nahrungsproduktion setzt Kleinbauern überall unter Druck. Wer in Deutschland seinen Hof aufgibt, hat meist immerhin die Chance auf ein anderes Einkommen oder eine soziale Absicherung. In typischen armen Ländern haben gerade die ärmsten Bauernfamilien weder das eine noch das andere. China, wo im Zuge der rasanten Industrialisierung Millionen Landbewohner zumindest schmutzige und schlecht bezahlte Jobs in der Stadt finden, ist eine Ausnahme von der Regel.
Auf die Zusammenhänge zwischen unserem Nahrungskonsum, dem Welthandel und dem Hunger will "Brot für die Welt" mit der Kampagne "Niemand isst für sich allein" aufmerksam machen. Sie will Verbraucherinnen und Verbraucher anregen, durch bewusste Kaufentscheidungen zu gerechteren Handelsbeziehungen und einer stärker sozial und ökologisch ausgerichteten Landwirtschaft beizutragen. Und sie lädt Bürgerinnen und Bürger ein, auf die Politik entsprechend Einfluss zu nehmen.
"Brot für die Welt" verweist auf das Menschenrecht auf Nahrung, das im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 niedergelegt ist. Zwar ist es nicht von Einzelnen einklagbar. Aber aus dem Recht ergibt sich die Pflicht der Staaten, nichts zu tun, was die Ernährungssicherheit von Teilen ihrer Bevölkerung untergräbt, sondern diese zu schützen und zu fördern. Ähnliche Pflichten haben Staaten und internationale Organisationen gegenüber Menschen in armen Ländern, auf die sie einwirken zum Beispiel mit ihrer Handelsoder Entwicklungspolitik.
Ob eine Familie auf dem Land ausreichend Zugang zu Nahrung hat, hängt allerdings von vielen Faktoren ab. Dazu gehören das Wetter, die Preise für Dünger und Saatgut, die Verkehrsinfrastruktur und Transportkosten, der Zugang zu Krediten sowie Kosten etwa für Gesundheitsdienste, die sich Arme vom Munde absparen müssen. Wegen dieser vielfältigen Einflüsse ist schwer nachzuweisen, dass Hunger von bestimmten politischen Entscheidungen verursacht wird.
Eine Studie für die Ernährungskampagne von "Brot für die Welt" hat das am Beispiel von Reisbauern in Ghana, Honduras und Indonesien untersucht. In allen drei Ländern wurde laut der Studie auf Drängen der Weltbank und des Weltwährungsfonds (IWF) der Importschutz für Reis stark abgebaut. Als Folge wuchsen die Reisimporte, in einigen Fällen sprunghaft. Dadurch wurden einheimische Produzenten aus dem Markt gedrängt auch dort, wo wie in Ghana der gesamte Reiskonsum zunahm. Der Siegeszug des importierten Reis war in allen drei Fällen zum Teil eine Folge von Dumping: Subventionen sorgten dafür, dass die Hauptexporteure vor allem die USA, aber auch Thailand und Vietnam zu weniger als den heimischen Preisen und zum Teil gar unter den Produktionskosten verkaufen konnten. Den gleichfalls armen Konsumenten hat das wenig genutzt: Die Verbraucherpreise für Reis sind nicht gesunken, in Indonesien während der Marktöffnung sogar gestiegen.
Die Importe hätten aber nicht in dem Maße geschadet, wenn Ghana, Honduras und Indonesien nicht alle die staatliche Förderung für den Reisanbau und die Reisvermarktung beendet oder stark eingeschränkt hätten ebenfalls auf Anraten der Weltbank, des IWF und einzelner Geberländer. Das stürzte in den drei Ländern kleine Reiserzeuger in Not. Sonderfaktoren kamen hinzu wie zwei große Wirbelstürme in Honduras. Aber die Studie schließt: "In Kombination mit der Verdrängung von den Märkten und einer Abnahme der Erzeugerpreise durch billige Importe verursachten die Kürzungen in der Produktionsförderung drastische Einkommensverluste und sind nachweislich ein Hauptgrund für Mangelernährung und Nahrungsunsicherheit."
Die Regierungen aller drei Länder versuchten daher, den Markt wieder stärker zu regulieren. Das half aber nur begrenzt. Was folgt daraus? Der Schluss, dass es automatisch eine Menschenrechtsverletzung ist, Zölle zu senken oder Stützungsmaßnahmen für nicht wettbewerbsfähige Wirtschaftsbereiche zu beenden, wäre sehr problematisch.
Jede Reform stellt manche Gruppen besser, andere aber schlechter als zuvor. Die Menschenrechte verpflichten jedoch die Staaten sicher zu stellen, dass keiner Bevölkerungsgruppe Einkommens- und Ernährungsmöglichkeiten entzogen werden, ohne dass sie eine Alternative hat. Daher müssen bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen besonders die Wirkungen auf verletzliche Gruppen bewertet werden.
Um eine Verletzung des Menschenrechts auf Nahrung im juristischen Sinn festzustellen, muss man die Folgen bis auf die individuelle Ebene nachweisen, betont Danuta Sacher von "Brot für die Welt". Entsprechend konzentriert sich die Studie auf eine verletzliche Gruppe. Daraus, so räumt sie ein, kann man nicht folgern, dass einzelne politische Entscheidungen rechtswidrig oder andere einklagbar wären. "Es gibt verschiedene Möglichkeiten, dafür zu sorgen, dass die Rechte der Reisbauern gewahrt werden", erläutert Sacher.
"Dazu gehören Importzölle und die Förderung des Anbaus oder der Vermarktung im Inland, aber auch Straßen zu bauen oder ein soziales Netz für die Geschädigten zu schaffen. Das Problem ist, dass in der Praxis nichts davon getan wird. Und dies mündet schließlich in die Menschenrechtsverletzungen." Ruinierte Bauern auf andere Erwerbsmöglichkeiten zu verweisen, die es gar nicht gebe, sei da nicht akzeptabel.
Auch aus anderen Gründen ist es in Irrweg, die Nahrungsproduktion einzig am Kriterium der niedrigsten Kosten auszurichten so eine Kernbotschaft der Ernährungskampagne: Es geht ebenso um ökologisch angepasstes Wirtschaften und um die Lebensfähigkeit ländlicher Räume, auch in weniger begünstigten Naturzonen. Davon ausgehend will "Brot für die Welt" gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) demnächst Milchbauern aus Nord und Süd miteinander ins Gespräch bringen. Beide sehen sich von der Agrar- und Handelspolitik in Europa geschädigt und wollen gemeinsam Änderungen fordern. Für sie ist klar: Mehr Markt allein wird es nicht richten.
aus: der überblick 04/2007, Seite 106
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann
ist freier Redakteur des Forum im "überblick"