Frauen, hört auf zu essen, damit eure Gene im Rennen bleiben!
Warum hungern freiwillig immer mehr schwarze Frauen in Südafrika? Traditionell galten unter schwarzen Südafrikanern dicke Frauen als schön und begehrenswert. Eine üppige Figur war Zeichen für Gesundheit und Wohlstand. Mit dem neuen Schlankheitswunsch von Frauen beschäftigt haben sich Julie Seed, Psychologin an der britischen Northumbria University, ihre Kollegen Steve Oliver und Linda Allin und die Ernährungswissenschaftlerin Sabelo Nxumalo von der südafrikanischen University of Zululand in Kwa-Zulu Natal. Gemeinsam haben sie die erste Untersuchung über das Essverhalten der schwarzen ländlichen Bevölkerung Südafrikas durchgeführt.
Die Studie ist noch nicht veröffentlicht. Erste Erkenntnisse aber hat Julie Seed bei der Jahreskonferenz der “Britischen Gesellschaft für Psychologie” und der “Britischen Gesellschaft für Psychobiologie” jeweils im April und September 2004 vorgetragen. Mit ihrer freundlichen Genehmigung bringt der “der überblick” eine Zusammenfassung.
Seit dem Ende der Apartheid erreichen Bilder schlanker Frauen – als modern und erfolgreich dargestellt – alle Bevölkerungsgruppen am Kap. Als Folge streben nicht länger nur Weiße, sondern auch Schwarze diese modernen Ideale an. Weit verbreitet ist daher die Ansicht, dass der Einfluss “der Globalisierung” und “der Medien” für die veränderten Körperideale verantwortlich sei. Doch das Forscherteam fand für die zunehmenden Fälle von Magersucht und Ess-Brech-Sucht bei schwarzen Südafrikanerinnen eine andere Erklärung. Ihrer Meinung nach sind die Männer schuld.
Zu ihrer Figur und ihrem Essverhalten hatten die Wissenschaftler im Jahr 2002 insgesamt 40 junge Zulu Studentinnen der University of Zululand befragt. Die jungen Frauen kamen aus den Dörfern und Townships der Umgebung. Zunächst wurden alle Teilnehmerinnen gewogen, dann füllten sie Fragebögen aus, mit denen Tendenzen zu Magersucht gemessen werden können. Es zeigte sich, dass ein großer Teil von ihnen übergewichtig war. 80 Prozent aller Studienteilnehmerinnen gaben an, mit dem eigenen Körper unzufrieden zu sein und daher unbedingt abnehmen zu wollen. Bei den Tests erreichten 45 Prozent Werte, die auf eine latente oder eine ausgeprägte Essstörung hinwiesen. Mit diesen Ergebnissen war belegt, dass auch schwarze Frauen in ländlichen Gebieten Südafrikas unter Essstörungen leiden. Es handelt sich also nicht nur um ein Phänomen in den Städten, wo der Einfluss medialer Vorbilder größer ist. Unklar aber war, was die Frauen dazu trieb, weniger wiegen zu wollen.
In einer Folgestudie im Jahr 2003 fanden die Forscher dann durch Gespräche mit weiteren 17 schwarzen Studentinnen derselben Universität die Gründe für den Schlankheitswunsch heraus: Durch Hungern und Diäten wollen die jungen Frauen ihren “mate value”, also ihren “Wert als Partnerin für den Mann” erhöhen.
Der “mate value” ist laut Untersuchung ausschlaggebend für die Bewertung der Attraktivität einer Frau und er richtet sich allein nach dem männlichen Geschmack. Bei der Konkurrenz um einen Partner setzen Frauen diesen Wert ein, um ihre Geschlechtsgenossinnen auszustechen. Früher war viel Körpermasse von Vorteil. In der kargen südafrikanischen Landschaft konnten dickere Individuen besser Dürren und Hungersnöte überleben und so ihre Gene an die nächste Generation weiter geben. Frauen mit fülliger Figur hatten einen hohen “mate value” und wurden bevorzugt. Auf diese Weise erklären die Wissenschaftler die Ursprünge des traditionellen Körperideals in der Region. Angelehnt an die Evolutionstheorie gilt bei ihrem Ansatz: Die Frauen, die für Männer am attraktivsten sind, setzen sich im Wettbewerb bei der Partnerauswahl durch. Aber warum sind das zur Zeit die Schlankesten?
Mit Diät reagierten die Südafrikanerinnen nicht auf die veränderten Lebensbedingungen, wie das Leben in Städten und eine bessere Nahrungsmittelversorgung, sondern vordergründig auf die neuen Vorlieben der Männer, so das Forscherteam. Da männliche Ideale entscheiden, welche weiblichen Maße begehrenswert sind, verhalten sich die Frauen im Sinne der Evolution logisch, wenn sie sich nach diesen Vorstellungen richten. Dass die Männer sich schlanke Frauen wünschen, konnten die Wissenschaftler durch eine Studie mit 40 schwarzen Kommilitonen der zuvor befragten Studentinnen erhärten. Anhand einer Grafik wählten die jungen Männer unter sieben Frauenfiguren, von sehr dünn bis sehr dick angeordnet, die von ihnen bevorzugten weiblichen Maße aus. Übereinstimmend wünschten sich die Männer eine Traumpartnerin, die groß und schlank ist und einen flachen Bauch und eine schmale Taille hat. Zwischen dem Ideal der Männer und der Körperform, welche die Frauen durch Diäten anstreben, bestand kein Unterschied. Anders ausgedrückt, das Wunschgewicht der Frauen entspricht genau dem, das die Männer am attraktivsten finden. Die Südafrikanerinnen liegen also mit ihrer Einschätzung des derzeit gefragten “mate value” in Bezug auf die Figur vollkommen richtig.
Prägend sind, zu diesem Schluss kommen die Wissenschaftler, der Einfluss von Freunden und der Familie, der Medien sowie der Modeindustrie und der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen. Junge Frauen in Südafrika müssen ihren jeweils eigenen Weg zwischen dem traditionellen und modernen Körperbild finden. Dabei genießen sie ihre zunehmende Unabhängigkeit, gleichzeitig aber unterwerfen sie sich den Körperidealen des anderen Geschlechts. Wenn also Männer weiterhin dickere Frauen bevorzugen würden, könnten die unterschiedlichen sozialen Faktoren allein das Essverhalten der Südafrikanerinnen nicht derart bestimmen. Davon sind die Forscher überzeugt. Es erscheint widersprüchlich, aber trotz Emanzipation der Frauen hat der Mann in Sachen weiblicher Figur das letzte Wort. Offen bleibt, was zu den veränderten Einstellungen der Männer geführt hat, und ob auch die Frauen ihren Partner nach veränderten Kriterien aussuchen. Die unten stehenden Aussagen stammen von Studentinnen, die im Durchschnitt etwa 22 Jahre alt sind und im Gespräch mit den Wissenschaftlern unverblümt Auskunft gegeben haben.
odu
“Die meisten Fernsehansagerinnen und auch die Filmstars sind dünn und attraktiv. Sogar wenn sie für neue Kleider Werbung machen, nehmen sie dafür nur schlanke Frauen. Ich habe noch keine dicke Frau eine Werbung im Fernsehen machen sehen.”
“Yeah, Zulu Frauen haben mehr Macht zu entscheiden, wie sie aussehen wollen. Heutzutage haben Frauen Rechte, sie sind gut ausgebildet und erfolgreich. Sie verlangen sehr viel mehr Respekt von den Männern als früher. Wenn du schlanker werden möchtest, kann dich heute einfach niemand mehr daran hindern.”
“Heute können Frauen machen, was immer sie wollen. Sie haben die gleichen Rechte wie die Männer. Wenn die Frauen mehr Geld haben, sind sie nicht mehr total abhängig vom Mann. Sie können fast alles mit ihrem Körper anstellen, was sie wollen.”
“Ich würde versuchen, das [auf Wunsch des Freundes abzunehmen] zu schaffen, denn am Ende würde ich ihn zufriedenstellen wollen.”
“Wenn du aber zu dünn bist, denken sie, dass du vielleicht HIV positiv bist und Aids hast.” “Es kommt darauf an, wer der Mann ist, woher er kommt. Wenn du in bestimmte ländliche Gebiete fährst, findest du vielleicht Männer, die keine dünnen Frauen mögen. Aber wenn du an einem Ort wie der Universität bist, wo die meisten Männer unter westlichem Einfluss stehen, interessieren sie sich definitiv mehr für dünnere Frauen.”
“Früher war das nicht so wie jetzt. Es war kein Thema, schlanker zu sein. Damals wollte jeder dicker sein. Wenn man dünner war, dachten alle, dass du aus einer sehr armen Familie kommst, und dass du nicht genug zu essen bekommst.”
“Ich habe im Moment Kleidergröße 36, ich hätte aber lieber Größe 34, weil, wenn ich jetzt zunehmen würde, hätte ich Größe 40. Und ich habe Angst, dann keine freie Auswahl mehr unter den Kleidern zu haben, die ich tragen kann. Vielleicht, also wenn ich dann in einen Laden ginge, würde ich mir einen Rock aussuchen, den meine Mutter tragen würde, wegen ihrer Figur. Das will ich nicht, ich will einen Rock tragen, den auch Leute in meinem Alter anziehen würden.”
“Wenn du dicker bist und deine Freunde sind dünner, ziehen sie dich fast immer auf und du wirst von ihnen untergebuttert. Am Ende wirst du dann auch einfach dünner.”
“Meine Großmutter will, dass ich dicker bin und hier und dort etwas ansetze, um zu zeigen, dass ich eine Frau geworden bin und eine gute Ehefrau sein werde.” |
aus: der überblick 04/2004, Seite 24