Weil das Spendenvolumen insgesamt begrenzt und der Markt heiß umkämpft ist, sind alle Organisationen bemüht, die eigene Arbeit und die eigenen Projekte im besten Licht erscheinen zu lassen. Deshalb ist so gut wie nur von Erfolgen und kaum je von den Misserfolgen die Rede. Da man bekanntlich nur aus Fehlern lernt, ist das ein fatales Versäumnis.
Renate Wilke-Launer
Der Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO) macht sich Sorgen um die Zukunft der Entwicklungspolitik. Deshalb startete er im April dieses Jahres bei 400 ausgewählten Personen eine Umfrage. Die Adressaten sollten einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten.
Eine der Ursachen für das zurückgehende Interesse an entwicklungspolitischen Fragen machte die Umfrage - unfreiwillig - selbst deutlich: Die Fragen waren so speziell, dass selbst Fachleute Mühe hatten, sie zu beantworten. Wer so denkt und formuliert, sollte sich nicht wundern, wenn er über die "Entwicklungsindustrie" - aus (wenigen) Politikern, akademischen Theorieproduzenten, Experten, Funktionären in den verschiedenen Hilfseinrichtungen und inzwischen auch hauptberuflichen NRO-Vertretern - hinaus kaum jemand erreicht. Entwicklungspolitik kann man so weder neu begründen noch ihr zu größerer Popularität verhelfen.
"Draußen im Lande" sieht es, wenn man die Spendenbereitschaft als Maßstab nimmt, derweil so finster gar nicht aus. Meinungsumfrage um Meinungsumfrage, Spendenbilanz um Spendenbilanz und die ungebremste Popularität von zum Beispiel Kinderpatenschaften und direkten Partnerschaften zeigen, dass sich weiterhin viele Menschen von fremder Not anrühren und zu Hilfe bewegen lassen. Die Spendenstatistik der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmarketing (BSM) wertet 1999 insgesamt als gutes Jahr für die Hilfswerke.
Die Profis der Entwicklungspolitik haben auf die Spender und ihre Motive lange Zeit ein wenig herabgesehen und viele kleinere Hilfsorganisationen wegen ihrer manchmal emotionalen Werbung und ihrer punktuellen Hilfe kritisiert. Spenderinnen und Spender haben sich in ihren Prioritäten aber nicht beirren lassen. Ihr Beharren auf direkter, unpolitischer Hilfe kann auch als gesunde Skepsis gegenüber manchem revolutionären Projekt der engagierten Besserwisser gedeutet werden, das dann teuer gescheitert ist.
Spenden haben etwas mit Gefühlen zu tun, das wissen die nüchtern kalkulierenden Werbestrategen der Hilfswerke und gestalten ihre Botschaften entsprechend. Sie dafür zu verdammen, wäre unsinnig. Mit Spenderzeitschriften sind inzwischen viele bemüht, auch Hintergrundinformationen an den Mann und die Frau zu bringen und Verständnis für andere Lebenswelten und politische Anliegen zu wecken.
Das spendende Volk sollte man auch dann nicht beschimpfen, wenn man sich aus guten Gründen andere Prioritäten wünscht. Dass mehr für Katastrophenhilfe gespendet wurde, während weniger spektakuläre Entwicklungsausgaben an Boden verloren haben, heißt ja auch, dass der Gedanke der Katastrophenverhütung, den die Entwicklungspolitik für sich in Anspruch nimmt, beim Publikum nicht angekommen ist.
Etwas Anderes ist aus entwicklungspolitischer Sicht aber noch weitaus beunruhigender. Weil das Spendenvolumen insgesamt begrenzt und der Markt heiß umkämpft ist, sind alle Organisationen bemüht, die eigene Arbeit und die eigenen Projekte im besten Licht erscheinen zu lassen. Deshalb ist so gut wie nur von Erfolgen und kaum je von den Misserfolgen die Rede.
Da man bekanntlich nur aus Fehlern lernt, ist das ein fatales Versäumnis. Wenn eines Tages dann doch ans Licht der Öffentlichkeit gelangt, was alles schief gelaufen ist, kann das verheerende Folgen für das Spendenergebnis haben. Wer rechtzeitig den Mut aufbringt, sich als lernende Organisation darzustellen, steht dann besser da.
Und noch etwas versäumen die Hilfswerke sträflich, so Horand Knaup in diesem Heft: "Aufklärung zu betreiben, dass eine effektive Verwaltung Sinn hat und Geld spart und dass es nützlich ist, nicht alle Spendengelder auf einmal unter die Leute zu bringen". Wer sich wie VENRO Gedanken um die Effizienz und Akzeptanz der Entwicklungspolitik macht, könnte offensiv dazu beitragen, dass die Hilfswerke rechtzeitig aus dieser Omnipotenzfalle herausfinden. Ein Verband hat es da leichter als einzelne Hilfswerke im Konkurrenzgetümmel.
Dass die Spendenbereitschaft weiter hoch ist, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich etwas geändert hat in der öffentlichen Wahrnehmung und Bedeutung der Entwicklungspolitik.
Vielen engagierten Verfechtern der Entwicklungszusammenarbeit fällt auf der Suche nach den Schuldigen schnell etwas ein. "Die Medien" werden besonders gerne genannt, die angeblich zu wenig und zu negativ berichten, oder auch "der Neoliberalismus", der danach offenbar flächendeckend das Bewusstsein zu vernebeln vermag. Andere bezichtigen die mit großen Ankündigungen ins Amt gelangten rotgrünen Politiker und Politikerinnen des Verrats an Programm und Wählerauftrag.
Nur ganz selten sind selbstkritische Töne zu hören, kaum jemand hält die entwicklungspolitische Akzeptanzkrise für hausgemacht. Doch ein Grund ist ganz offensichtlich. Ähnlich wie die Hilfswerke hat sich auch die staatliche Entwicklungspolitik in eine Omnipotenzfalle manövriert. Franz Nuscheler hat das mit einem Zitat aus einer Schrift der Konrad-Adenauer-Stiftung von 1996 illustriert: "Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit ist eine der zentralen Ausgaben der Politik in der Gegenwart. Sie leistet einen wesentlichen Beitrag bei dem Versuch zur Lösung der globalen Aufgaben: der Bekämpfung von Armut und Hunger und damit der Ursachen für die weltweiten Migrationsströme, der Begrenzung von Umweltschäden und damit der Förderung eines weltweiten Ressourcenschutzes, der Verbreitung der Ideen von Menschenrechten, Partizipation und Demokratie und damit die Verwirklichung von Frieden und Sicherheit."
Zugegeben, so geballt kommt es selten. Aber Versatzstücke dieser Argumentation gibt es zuhauf im entwicklungspolitischen "Diskurs". Wer ihn über die Jahre verfolgt hat, weiß, dass hinter derzeit gängigen Begriffen wie Konfliktprävention, globale Strukturpolitik oder Friedensfachkräfte Einsichten und Lernprozesse stehen. Weil aber die ihnen zu Grunde liegenden Fehleinschätzungen, Misserfolge und Zweifel nicht mit reflektiert werden, haben sich die Entwicklungspolitiker in dem Bemühen, ihrem Politikfeld Anerkennung zu verschaffen, in so luftige Höhen begeben, dass sie nur noch abstürzen können.
Ähnlich ist es mit zwei großen entwicklungspolitischen Kampagnen für Entschuldung und Erhöhung der Entwicklungshilfe. Sie lassen sich gut begründen. Wer überschuldet ist, kann sich kaum entwickeln, wo die Kluft zwischen Arm und Reich so groß ist, sollte mehr Solidarität gezeigt werden. Sie vermitteln aber implizit eine gefährliche Botschaft: dass nämlich mehr Geld zu mehr Entwicklung führen werde.
Die abnehmende Akzeptanz der Entwicklungspolitik hat ja auch damit zu tun, dass diese Debatten und Kampagnen weit entfernt von dem zu sein scheinen, was Bürgerinnen und Bürgern auf anderen Wegen über die Länder der Dritten Welt hören und sehen. Was sie in den letzten Wochen den Zeitungen entnehmen konnten, ist wenig geeignet, den Forderungen nach Ent schuldung und mehr Entwicklungshilfe Nachdruck zu verleihen.
In Malawi machen derzeit gleich zwei Skandale Schlagzeilen: Sechs Ministerien sollen fiktive Aufträge erteilt und überhöhte Rechnungen bezahlt haben, die Regierung hat aus Entwicklungsgeldern 39 Mercedes-Benz-Limousinen der S-Klasse bestellt, obwohl der Wagenpark mit dem Amtsantritt der Regierung erst erneuert worden war. Im privaten Gespräch halten Vertreter der "Geber" Sanktionen nicht für sinnvoll, da die offizielle Korruption, etwa verglichen mit der in Kenia, vergleichsweise gering sei. Dort hatten Weltwährungsfonds und Weltbank Anfang August die drei Jahre zuvor eingestellten Kreditzahlungen unter strengen Auflagen wieder aufgenommen. Die Parlamentarier genehmigten sich daraufhin umgehend eine Diätenerhöhung in Form von "Reisekostenspesen" von monatlich knapp 9500 Mark.
Ein drittes Beispiel kommt aus dem Tschad: Die Weltbank hatte nach langer - auch öffentlicher - Diskussion beschlossen, den Bau einer Ölpipeline an die Atlantikküste zu unterstützen. Damit das Öl-Geld auch wirklich der Bevölkerung zugute kommt, hatte die Bank das Darlehen mit strikten Auflagen vergeben. Den Präsidenten Idriss Deby hielt das nicht davon ab, dreist als erstes von den Lizenzen, die er von Ölunternehmen erhält, Waffen zu kaufen. Diese drei Beispiele aus Afrika lassen sich ohne Mühe mit abenteuerlichen Geschichten aus anderen Kontinenten ergänzen.
Es sind Nachrichten wie diese, die für das schlechte Image der Dritten Welt und das abnehmende Interesse an Entwicklungszusammenarbeit verantwortlich sind. Die entwicklungspolitisch Engagierten haben die Regierungen des Südens einst zu Recht gegen den Generalverdacht in Schutz genommen, sie schafften mit unserem guten Geld goldene Betten für sich an. Eine Generation später würde man ihnen ein goldenes Bett gern gönnen, wenn sie ansonsten gut regieren und die Entwicklungsanstrengungen der Menschen ihrer Länder fördern würden.
In dem verständlichen Bemühen, die Länder des Südens gegen Vorurteile in Schutz zu nehmen und für die Entwicklungszusammenarbeit zu werben, hat die Entwicklungspolitik zu Misswirtschaft und Korruption viel zu lange geschwiegen. Sie hat - zu Recht - von den externen Ursachen der Unterentwicklung geredet, darüber aber die zum Himmel schreienden internen Missstände vernachlässigt und nicht öffentlich beim Namen genannt. In vielen Ländern ist die organisierte Ausplünderung der Bevölkerung inzwischen zur Haupttätigkeit der Regierung geworden, im Frieden wie im Krieg.
Immerhin: Die Forderung nach guter Regierungsführung (good governance) gehört seit einigen Jahren ebenfalls zum Standardrepertoire der entwicklungspolitischen Diskussion. Aber wird sie wirklich ernst genommen? Würde dieses Kriterium konsequent beachtet, dürfte mancher Kredit und manches Projekt nicht bewilligt werden. Dann würde der Anteil der Entwicklungszusammenarbeit am Bruttosozialprodukt möglicherweise noch unter den derzeitigen Stand von 0,26 Prozent zurückfallen. Aber wäre das wirklich ein Schaden? Wer weiter auf dem 0,7-Prozent-Anteil beharrt, muss sich bohrende Fragen nach Regierungsführung und Entwicklungshandeln gefallen lassen.
Mit moralischen Appellen für mehr Geld und guten, aber großsprecherischen Worten wird die Entwicklungspolitik kaum an Akzeptanz gewinnen. In der Hilfsbereitschaft der Bürgerinnen und Bürger hat sie aber immer noch ein Kapital, mit dem sie wuchern könnte.
aus der überblick 4/2000 Seite 4