Subodh Pyakurel tritt dafür ein, die Kriegsparteien in Nepal aus der Bevölkerung unter Druck zu setzen, und fordert internationale Sanktionen. Pyakurel ist Vorsitzender der Menschenrechtsgruppe Informal Sector Service Centre (INSEC) in Katmandu, eines Partners des EED.
Gespräch mit Subodh Pyakurel
Wo liegen die Schwerpunkte der Arbeit von INSEC?
INSEC konnte erst 1991, nach der Demokratisierung, offiziell als NGO registriert werden. Bis dahin konzentrierten wir uns auf systematisch benachteiligte Bevölkerungsgruppen darunter Arbeiter in Schuldknechtschaft, wir haben die Bonded Labour Liberation Front unterstützt. Auch für eine minimale politische Vertretung der Frauen sind wir eingetreten. Wir haben die Bildung von Vereinigungen der Landarbeiter in über 80 Dörfern ermutigt, wo sie Mindestlöhne durchsetzen konnten. Auf dieser Grundlage konnten mit Hilfe einiger Gewerkschaften und politischen Parteien 1994 nationale Mindestlöhne für Landarbeiter erreicht werden. Seit der Registrierung 1991 konzentrieren wir uns auf Menschenrechtsarbeit. Wir haben damit begonnen, dass wir Verstöße dokumentierten. Das Material benutzten wir dann zur Bewusstseinsbildung. Wir haben ein Programm für Menschenrechtserziehung im nationalen Radio gestartet, das heute die zweitpopulärste Sendung ist. Für uns sind bürgerliche und politische Rechte das Verfahren, mit dessen Hilfe Menschen soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte erlangen können, denn geschützt von politischen Rechten können sie sich äußern und organisieren.
Haben die meisten Nepalis Radios?
Ja, fast jeder Haushalt selbst auf dem Land hat eines. Radio ist das wichtigste und verbreitetste Medium.
Wie hat der Ausbruch der maoistischen Rebellion 1996 die Arbeit von INSEC beeinflusst?
Das traf uns unvorbereitet. Viele in INSEC, darunter ich selbst, waren vor 1990 in der demokratischen Bewegung aktiv gewesen. Mit vielen Führern der Maoisten waren wir aus dieser Zeit bekannt oder befreundet. Die heutigen Maoisten haben ja 1991 als Partei an den Wahlen teilgenommen und neun Sitze im Parlament erhalten. Wir trauten ihnen nicht zu, dass sie Gewalt einsetzen würden. Von 1996 bis 1998 störten sie unsere Arbeit in Menschenrechtserziehung und Grundbildung. Dass wir an der Basis auf die Menschenrechte hinwiesen, die auch in der Verfassung stehen, gefiel ihnen nicht. Sie nahmen uns das Schulungsmaterial und die Beleuchtung weg. Ich fuhr deshalb in die Aufstandsgebiete und griff auf alte Freundschaften mit Führern der Maoisten zurück. Ich sagte lokalen Kadern, dass wir dasselbe Ziel die einfachen Leute ins Zentrum des Staates zu stellen mit verschiedenen Mitteln verfolgten: Sie mit Gewalt, wir mit Aufklärung und der Durchsetzung von Rechten. Nach und nach akzeptierten sie das. Ein Grund dafür war, dass die Regierung 1992 eine brutale Unterdrückungskampagne gegen die späteren Maoisten gestartet hatte, die damals noch im Parlament saßen. Wir hatten das öffentlich gemacht und Proteste dagegen unterstützt.
Sie dokumentieren Übergriffe des Staates wie der Maoisten?
Ja. Unsere Haltung hat uns einen Ruf der Unparteilichkeit eingetragen. Wir haben seit 1996 auch die Gräueltaten der Maoisten angeprangert. Sie brachten zum Beispiel Menschen auf grässliche Art um, brachen anderen die Beine und setzten die Führer aus politischen Parteien ab. Die Maoisten haben in den Dörfern die gleiche Taktik angewandt wie die tamilischen Rebellen in Sri Lanka: Sie haben nach und nach die politische Führung ausgetauscht. Daher haben die Parteien jetzt auf dem Land keine Führung mehr.
Die Dokumentation von Übergriffen ist bis heute der Hauptteil Ihrer Arbeit?
Ja, neben der Menschenrechtsbildung. Alphabetisierungsklassen machen wir nicht mehr, weil das andere Gruppen tun, aber wir begleiten sie mit Menschenrechtserziehung im gesamten Land.
Wie überprüfen Sie Bericht über Menschenrechtsverstöße haben Sie Beobachter vor Ort?
Ja. In allen drei Entwicklungsregionen des Landes haben wir ein regionales Büro und in allen 75 Distrikten einen Menschenrechts-Berichterstatter. In 50 Distrikten führen wir auch Projekte mit Kindern, Frauen, Kastenlosen (Dalits) oder Landarbeitern durch immer mit lokalen Partnern. Außerdem bilden wir Führungskräfte auf der mittleren Ebene heran, die in den Dörfern Unterstützung in Menschenrechtsfragen geben können.
Werden öfter Mitarbeitende von INSEC bedroht oder angegriffen?
Beide Kriegsparteien haben schon Mitarbeitende von uns getötet. Andere wurden entführt, und wir mussten über ihre Freilassung verhandeln, was wegen Kommunikationsproblemen oft schwierig ist.
Ist es in einem Bürgerkrieg wie in Nepal für Zivilisten möglich, der Armee und den Rebellen Grenzen zu setzen und sie an Gräueltaten zu hindern?
In gewissem Maße. 1998 begannen wir Frauen zu unterstützen, die Opfer der Kämpfe geworden waren. Egal ob sie unter den Maoisten oder der Armee gelitten hatten, sie lebten und arbeiteten zusammen. Wenn sie dabei einmal die Erfahrung gemacht hatten, dass sie die Fronten überschreiten und lokale Probleme gemeinsam angehen konnten, dann fassten sie Mut, direkt mit beiden Seiten zu verhandeln.
Solche Frauengruppen haben direkten Kontakt zu den Maoisten und der Armee?
Ja. Immer wenn ein Trupp Maoisten oder Soldaten in ein Dorf kommt, fragen sie nach Herberge oder auch nur nach einem Glas Wasser. Als die Frauen von uns gehört hatten, welche Menschenrechtsverletzungen und Kriegshandlungen nach internationalem Recht verboten sind, begannen sie mit den Trupps zu debattieren: Warum zieht ihr uns ohne Not in den Krieg hinein? Ihr könnt euch doch irgendwo draußen bekämpfen. Sie berufen sich auf unsere alte Hindu-Kultur, nach der Kriege abseits auf einem Feld ausgetragen werden, ohne Unbeteiligte hineinzuziehen. Gegenüber den Maoisten nutzen sie zusätzlich das Argument: Wir respektieren, dass es keine Diskriminierung geben soll, aber wir akzeptieren nicht euren Weg, dafür zu kämpfen. Und sie appellieren an die Identität als Mitglieder einer Familie, einer Kultur jenseits von der Ideologie. Die lokalen Kader der Maoisten stammen vielfach aus dem Dorf, wo sie eingesetzt sind. Die Frauen sagen ihnen: Wenn ihr hier die Schulen und Trinkwasserversorgung zerstört, dann werden eines Tages eure Freunde aus der Kinderzeit sagen: Ihr mögt ideologisch Großes geleistet haben, aber wir sind euretwegen noch immer Analphabeten.
Wovon leben die Rebellen?
Sie bewegen sich ständig und fragen nach Unterkunft und Verpflegung in den Dörfern, wo sie gerade sind. Das entspricht unserer Kultur der Gastfreundschaft.
Diese Kultur scheinen viele Maoisten aber vergessen zu haben...
Sicher. Wir versuchen daran zu erinnern und ein Friedensklima zu schaffen. An manchen Orten haben wir Älteste, traditionelle Führer oder kulturelle Gruppen bewogen, die Frauengruppen zu unterstützen. Auch NOGs, die in den Dörfern Entwicklungsprojekte durchführen, haben wir einbezogen. An manchen Orten haben die gemeinsam eine Friedenszone erklärt und eine Friedensflagge aufgepflanzt.
Inwieweit hat das die Kriegsführung verändert?
Wir haben die Maoisten bewogen, über 270 gefangene Soldaten freizulassen. Auch die Rückkehr von über 2000 Vertriebenen in ihre Dörfer haben wir durch Gespräche mit den Maoisten erreicht.
Funktionieren solche die Kontakte auch zur Armee?
Ja. Das beruht auf Taktik: Beide Seiten nutzen unsere Informationen über Gräueltaten der jeweils anderen Seite und sind insoweit auf uns angewiesen. INSEC ist die einzige Organisation in Nepal, die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, und unser Jahrbuch, das seit 1992 erscheint, ist die wichtigste Informationsquelle. Wir nutzen das aus, müssen aber natürlich sehr vorsichtig vorgehen. Und beide Seiten verbreiten selbstverständlich falsche und verzerrte Informationen.
Welchen Weg sehen Sie, den Konflikt zu beenden?
Wir treten für den Ansatz ein, von der Basis der Gesellschaft aus nach oben einzuwirken. Solange die Regierung und die Maoisten nicht gezwungen sind, sich dem Ärger der einfachen Leute auszusetzen, werden sie sich nicht verpflichtet fühlen, über Frieden nachzudenken. Die städtischen Intellektuellen haben in Nepal, wo 90 Prozent der Menschen auf dem Land leben, wenig Einfluss.
Halten Sie Verhandlungen zwischen der Regierung und den Maoisten für nötig?
Ohne Verhandlungen kann der Konflikt nicht gelöst werden. Das Problem ist, dass der König mit seinem Coup vom Februar 2005 alle Wege zum Frieden blockiert hat. Für den Ansatz von unten und für die Menschenrechtsarbeit sind bürgerliche Freiheiten die Voraussetzung, und die beschneidet der König jetzt. Die Kontrolle über die Medien ist verschärft worden, der Spielraum von NGOs wird eingeschränkt.
Ist der König zu Verhandlungen bereit?
Nein. Die Maoisten erheben drei Forderungen: erstens nach einem runden Tisch, zweitens nach einer dort zu bildenden Allparteienregierung und drittens nach einer verfassunggebenden Versammlung; deren Ergebnis wollen sie akzeptieren. Sie würden auch zustimmen, dass ihre Truppen und die Armee unter einen internationalen Überwachungsmechanismus gestellt werden.
Hat der König die Armee unter Kontrolle?
Ja. Die Armee ist dem König gegenüber loyal, und er stützt sich vor allem auf sie. Das größte Versäumnis der demokratischen Regierung nach 1990 war, dass sie die Armee nicht demokratisiert hat.
Welche Art Hilfe von Außen wäre sinnvoll?
Wir brauchen erstens starke Unterstützung für Menschenrechts- und Friedensaktivisten in Nepal. Die Europäische Union hat sich international für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern eingesetzt; sie sollte jetzt in Nepal eine Art Schutzschirm für sie schaffen.
Mit welchen Mitteln?
Indem zum Beispiel internationale Beobachter geschickt werden, den Aktivisten Schutz in europäischen Botschaften in Nepal angeboten wird oder Europäer Menschenrechtsgruppen in Nepal begleiten. Zweitens muss das Regime unter internationalen Druck gesetzt werden, um die bürgerlichen Freiheiten zu wahren. Das sollte nicht so schwierig sein, denn zwei Drittel von Nepals Staatshaushalt stammen aus Entwicklungshilfe von mehreren Geberländern, der Weltbank und oder Asiatischen Entwicklungsbank. Diese Unterstützung sollte sofort gestoppt werden. Darüber hinaus sollte ein internationales Tribunal die Taten des Königs untersuchen.
Nur die des Königs oder auch die der Maoisten?
Des Königs, des gesamten Regimes und auch der Maoisten. Es ist unbestreitbar, dass das gegenwärtige Regime sich über alle Verfassungsnormen Nepals und über die Menschenrechtskonvention hinwegsetzt. Die nationale Justiz hilft nicht weiter, weil das Regime rechtskräftige Urteile des Obersten Gerichts nicht befolgt. Die Voraussetzungen für das Eingreifen des Internationalen Strafgerichtshofs sind also gegeben.
Hat Nepal den Vertrag über den Internationalen Strafgerichtshof ratifiziert?
Nein.
Dann müsste der UN-Sicherheitsrat den Gerichtshof zum Eingreifen auffordern. Sollte er das?
Ja. Auch intelligente Sanktionen gegen führende Kräfte des Regimes sollte man erwägen.
Dafür wäre aber die Unterstützung Chinas und Indiens nötig, oder?
Meiner Ansicht nach wird Indien internationale Sanktionen gegen Nepal nicht verhindern. New Delhi hat ja bereits seine militärische Unterstützung für Nepal eingestellt. Chinas Haltung finden wir nicht leicht zu verstehen, aber wenn sich Indien, die USA, Europa und die UN klar gegen das Regime in Nepal stellen, wird China vermutlich nicht wagen, es zu unterstützen.
aus: der überblick 01/2006, Seite 108
AUTOR(EN):
die Fragen stellte Bernd Ludermann