Vom beschränkten Erfolg international verordneter Vergangenheitsbewältigung
Die beiden internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda werden bald ihre Arbeit beenden. In anderen Ländern wurden Wahrheitskommissionen eingerichtet, um die Verbrechen früherer Regime zu untersuchen. Haben diese verschiedenen Versuche einer Gerechtigkeitspolitik mit universellem Anspruch gehalten, was sie den Opfern versprachen und der internationalen Gemeinschaft signalisierten?
von Pierre Hazan
Wahrheitskommissionen, internationale Strafgerichtshöfe, Wiedergutmachung für die Opfer, öffentliche Entschuldigungen und andere Mechanismen der transitional justice (Politik der Aufarbeitung von Unrecht in Übergangszeiten) sind die neuen Mantras der Zeit nach dem Kalten Krieg, mit denen die internationale Gemeinschaft heute schon fast automatisch auf Konflikte und gravierende Menschenrechtsverletzungen reagiert. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts wurden etwa 30 Wahrheitskommissionen eingesetzt. Und trotz vieler politischer Hindernisse hat der Internationale Strafgerichtshof (nternational Criminal Court, ICC) seine Anklagen gegen Führer der Lord's Resistance Army in Uganda erhoben, führt einen ersten Prozess gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga und ermittelt derzeit in weiteren Fällen in Darfur (Sudan) und in der DR Kongo.
Viele dieser Entwicklungen liegen in dem radikalen Paradigmenwechsel nach dem Kalten Krieg begründet. Ariel Colonomos bemerkt in La morale dans les relations internationales (2005) mit Recht, dass sich die internationale Politik mit dem Ende des Ost-West-Konflikts weg von der negativen Anthropologie der realistischen Schule hin zum evangelischen Optimismus des Liberalismus bewegt. Die Geschichte fand einen neuen Sinn: Sie ist nicht länger ein Nullsummenspiel, das im Schachspiel des Kalten Krieges abgebildet wird. Nun sollen Gesellschaften den Weg in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und damit den des moralischen Fortschritts einschlagen. Wie das Fegefeuer zwischen dem Bösen und dem Himmel ist die transitional justice eine entscheidende Etappe zwischen Barbarei und Zivilisation. Sie ist in Zeiten einer einzigen verbleibenden Supermacht die fachliche und ideologische Antwort der internationalen Gemeinschaft auf die Probleme von Gesellschaften, die Menschenrechtsverletzungen großen Ausmaßes durchlebt haben. Sie dient dem Ziel, Spannungen in diesen Gesellschaften abzubauen, Reformen und Demokratie zu unterstützen und letzten Endes den sozialen Wiederaufbau zu fördern.
Dass es auf diesem Weg zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Aussöhnung enorme Hindernisse gibt, geht aus dem Bericht der Vereinten Nationen (UN) mit dem Titel The Rule of Law and transitional justice in Conflict and Post-Conflict Societies (2004) hervor: "Kriegszerrütteten Gesellschaften bei der Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit und bei der Aufarbeitung von Massenverbrechen zu helfen, und das in einem Umfeld zerstörter Institutionen, erschöpfter Ressourcen, verminderter Sicherheit und mit einer traumatisierten und gespaltenen Bevölkerung, ist eine beängstigende, oft überwältigende Aufgabe. Unzählige Defizite sind zu beachten, es fehlt an politischem Reformwillen, institutioneller Unabhängigkeit im Justizwesen, heimischen Fachkräften, Sach- und Finanzmitteln, öffentlichem Vertrauen in die Regierung, Achtung der Menschenrechte auf staatlicher Seite, weder Frieden noch Sicherheit sind gewährleistet."
Wer wollte es bestreiten: Angesichts dieser gewaltigen Hindernisse ist die transitional justice eine Herkulesaufgabe. Aber wie effektiv sind diese Mechanismen, die von der internationalen Gemeinschaft und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) finanziell und politisch unterstützt werden, wirklich?
Über ihre Wirkung weiß man sehr wenig und das aus guten - vor allem methodischen Gründen. Es ist äußerst problematisch, die sozialen und politischen Wirkungen eines internationalen Strafgerichtshofs, eines Gerichts mit lokalen und internationalen Elementen (Hybrid-Gericht) oder einer Wahrheitskommission von anderen Faktoren wie etwa der politischen Entwicklung eines Landes zu trennen. Hinzu kommt die Verwendung vager Moralbegriffe wie Wahrheit, Vergebung und Aussöhnung. Betrachten wir nur einmal das Beispiel Aussöhnung: Definieren wir Aussöhnung als das Ausbleiben von Vergeltung? Oder als friedliche Koexistenz ehedem verfeindeter Gruppen? Dann stellt sich die Frage, mit welchem Maßstab die Verhinderung neuer Verbrechen zu messen ist, die doch ein erwünschter Effekt der transitional justice ist. Abschreckungseffekte sind naturgemäß schwer zu erfassen. Die Argumente bewegen sich immer im hypothetischen Bereich und stützen sich auf nicht nachweisbare Vorhersagen.
Um uns nicht in einer ideologischen und fruchtlosen Debatte zu verlieren, brauchen wir ein Bewertungssystem, das uns zu verstehen hilft, was die Einführung von Mechanismen der transitional justice in so vielen Ländern und die mit ihnen verbundenen finanziellen, politischen und symbolischen Investitionen gebracht haben. Inwieweit haben sich die in sie gesetzten Hoffnungen (Aussöhnung, Stabilität, Demokratisierung) erfüllt? Wie kann die internationale Gemeinschaft Gesellschaften zielgerichteter helfen, zivile Strukturen zu stärken und Spaltungen nach Konflikten zu überwinden? Ich schlage hier ein Bewertungsschema für Mechanismen der transitional justice vor, insbesondere für Wahrheitskommissionen und internationale oder Hybrid-Strafgerichte. Es besteht aus zehn Indikatoren, die entlang einer Zeitachse untersucht werden.
Die transitional justice kann als Zeitraum definiert werden. In der Regel werden ihre Mechanismen (Strafverfolgung durch nationale, hybride oder internationale Instanzen, Wahrheitskommissionen, öffentliche Entschuldigungen, Wiedergutmachung für die Opfer, Reinigungsriten, Gedenkprozesse und so weiter) in Übergangsphasen eingeführt - wobei "Übergang" nicht klar definiert ist.
Ihre Wirksamkeit variiert im Zeitverlauf, wofür die Nürnberger Prozesse ein eindrucksvolles Beispiel sind. Aus Untersuchungen geht hervor, dass diese Prozesse über mehrere Jahrzehnte keinen prägenden Einfluss darauf hatten, wie die meisten Deutschen über den Krieg dachten. Erst in den 1970er Jahren wurden die Nürnberger Prozesse Teil deutschen Bewusstseins, veranlassten die jüngere Generation, die Einstellung der Älteren zum Krieg zu hinterfragen, und trugen zur Neudefinition deutscher Identität bei. Eine Analyse Ende der 1950er Jahre hätte das Scheitern der Nürnberger Prozesse in Deutschland nachgewiesen. Ein halbes Jahrhundert später wäre die Analyse zum gegenteiligen Schluss gekommen. In der Tat ist die transitional justice mehr ein Prozess denn ein Ergebnis.
Anders als bei den Nürnberger Prozessen setzt internationale Strafjustiz seit Ende des Kalten Krieges mitunter schon vor der Einstellung der Kriegshandlungen ein. Beispiele hierfür sind der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia, ICTY), der auf dem Höhepunkt des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien eingerichtet wurde, und der Internationale Strafgerichtshof (International Criminal Court, ICC), an den der UN-Sicherheitsrat die Behandlung der aktuellen Krisen in Darfur und Kongo verwiesen hat.
Die Berücksichtigung der Zeitdimension ist umso wichtiger, als Mechanismen der transitional justice das aktuelle Gleichgewicht der Kräfte reflektieren, aber auch wesentlich zu seiner Veränderung beitragen. Eine Bewertung im Zeitverlauf lässt diese Dynamik erkennen. Besiegte oder geschwächte Führer haben häufig zunächst noch negativen Einfluss und eine starke Verhandlungsposition bei der Gestaltung einer neuen inneren Ordnung. Doch mit der Zeit schwinden ihre Stärke und ihr Rückhalt, vor allem wenn Mechanismen der transitional justice greifen. So geschah es in Chile, wo die Wahrheitskommission dazu beitrug, die Popularität von General Pinochet zu schmälern, ein neues Gleichgewicht der Kräfte förderte und Jahre später den Weg zu Gerichtsverfahren ebnete, die zu einem früheren Zeitpunkt undenkbar gewesen wären.
Für die Wirkungsanalyse unterscheide ich vier Phasen: Erstens, die Phase des bewaffneten Konflikts oder der Unterdrückung, währenddessen die politischen und militärischen Führer die Staatsgewalt ganz oder teilweise unter Kontrolle haben und internationalen Gerichten nur eine sehr begrenzte Wirkungsmöglichkeit einräumen.
Zweitens, die ersten fünf Jahre nach dem Konflikt. Die Kriegsherren können noch Einfluss ausüben, indem sie die Medien und die ihnen loyalen Netzwerke mobilisieren, tun dies aber nicht unbedingt. Mechanismen der transitional justice können nun zu wirken beginnen, wenn es die Machtverhältnisse vor Ort zulassen und die internationale Gemeinschaft entsprechend Druck ausübt.
Drittens, die mittlere Frist (die nächsten 5 bis 20 Jahre). Die Gesellschaft befindet sich im sozialen und politischen Wiederaufbau. In dieser neuen politischen Landschaft sind die Führer, die humanitäres Völkerrecht verletzten, und die Netzwerke, die sie unterstützten, geschwächt. Im ehemaligen Jugoslawien zum Beispiel wurden 80 Prozent der angeklagten Kriegsverbrecher in dieser Phase festgenommen.
Viertens, die lange Frist (über 20 Jahre). Eine neue Generation kommt an die Macht und ist viel eher bereit, alte Spaltungen zu überwinden. Mechanismen der Unrechtsaufarbeitung und politische Reformen können nun sehr viel effizienter umgesetzt werden.
Um Mechanismen der Unrechtsaufarbeitung zu bewerten, müssen diese Phasen getrennt
voneinander betrachten werden. Im Hinblick auf die von der internationalen Gemeinschaft
gesetzten Ziele - nationaler sozialer Wiederaufbau, regionale Stabilität und internationale
Sicherheit - habe ich zehn Indikatoren ausgewählt. Drei dieser Indikatoren beziehen sich auf
internationale und Hybrid-Strafgerichte. Drei weitere sind vor allem für
Wahrheitskommissionen relevant. Und vier Indikatoren sind sowohl für die
ausgleichsorientierte (restorative) Politik, die auf Vergebung setzt, als auch auf die
bestrafungsorientierte (retributive) Justiz anwendbar. Alle diese Indikatoren geben Aufschluss
über die Wirkungen von Maßnahmen der Unrechtsaufarbeitung. Sie spiegeln auch Versprechen
wider, welche die internationale Gemeinschaft Gesellschaften und insbesondere den Opfern
schwerer Menschenrechtsverletzungen gegeben hat. Sie sind die Aufgabenstellung für die
transitional justice.
Indikatoren für die internationale Strafjustiz
Die Wirksamkeit der Gerichte
Der erste Indikator für eine bestrafungsorientierte Justiz ist die Wirksamkeit der Gerichte. Die Fürsprecher internationaler Strafjustiz sind der Ansicht, dass Wahrheitsfeststellung und Täterbestrafung für Aussöhnung und dauerhaften Frieden unabdingbar sind. Unter welchen Bedingungen können Gerichte wirksam arbeiten? Sowohl externe Faktoren im Hinblick auf die Kooperation von Staaten als auch interne Faktoren, die die Funktionsfähigkeit der Gerichte selbst betreffen, spielen dabei eine Rolle.
Zu den externen Faktoren zählt der Einfluss der politischen und militärischen Machthaber auf die Fähigkeit internationaler Gerichte, Recht zu sprechen. Es sind auf der einen Seite die einflussreichen Staaten, insbesondere die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, auf der anderen staatliche oder substaatliche Einheiten (Armee, Miliz, Guerilla und so weiter), gegenüber denen die Autorität internationaler Justiz geltend gemacht werden soll. Im Fall des ICTY und des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda, ICTR), wirken die einflussreichen Staaten auf unterschiedliche Weise an der Gestaltung der Rechtsprechungskapazität mit. Sie definierten das Mandat und wählten Richter und Anklagevertreter. Sie entscheiden, ob politische und finanzielle Unterstützung geleistet wird, regeln ihre Zusammenarbeit im Einklang mit ihren nationalen Interessen, haben ausgeklügelte Überwachungssysteme, um Befehlsketten zurückzuverfolgen, und helfen der Anklagevertretung bei der Beweiserhebung. Sie nehmen Beschuldigte (oft im Rahmen großer Militäreinsätze) fest und üben, wenn sie es für angebracht halten, auf die Kriegsparteien Druck aus, um sie zur Zusammenarbeit mit der Anklagevertretung zu bewegen.
Jeder dieser Faktoren ist wichtig, wenn internationale Rechtsprechung wirksam sein soll. Umgekehrt ist internationale Rechtsprechung nur sehr bedingt leistungsfähig, wenn es in den einflussreichen Staaten an politischem Willen fehlt. So hat zum Beispiel der ICTR größte Schwierigkeiten, Kriegsverbrecher anzuklagen, die nicht auf der Seite des extremistischen und des Genozids schuldigen Hutu-Regimes, sondern auf der Seite der Front Patriotique Rwandais (FPR) standen.
Mit der Resolution 955 beschloss der Sicherheitsrat die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda mit dem Ziel der "nationalen Aussöhnung". Die Resolution verleiht dem Gerichtshof die Befugnis, die Hauptverantwortlichen des Genozids, dem 800.000 Tutsi zum Opfer fielen, und die Verantwortlichen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Armée Patriotique Rwandaise (APR) als Vergeltung beging, zu bestrafen. Rechtsprechung wurde als unabdingbare Voraussetzung für Aussöhnung unter den Ruandern gesehen.
Aber was geschah wirklich? Die ruandische Regierung kooperierte zunächst mit dem ICTR, um denen, die noch Zweifel hatten, die Realität des Genozids zu beweisen, und um Argumente derer, die ihn leugneten, zu widerlegen. Als dies erreicht war und als einigen Schlüsselfiguren der ruandischen Regierung Verfahren wegen mutmaßlicher Verbrechen drohten, schlug diese einen Kurs aktiver Behinderung ein. Und das mit Erfolg. In den zehn Jahren seit seiner Einsetzung hat der ICTR keine einzige Anklageschrift im Zusammenhang mit Verbrechen, die als Vergeltung für den Genozid verübt wurden, vorgelegt. Als die Chefanklägerin Carla del Ponte öffentlich ihre Absicht bekannt gab, dem Regime nahe stehende Personen anzuklagen, bemühte sich die Regierung in Kigali um ihre Absetzung - letzten Endes mit Erfolg, auch wenn bei ihrem Ausscheiden die diplomatische Form gewahrt wurde.
Die ruandische Regierung konnte die internationale Rechtsprechung umso besser blockieren, als die erheblichen Probleme während der ersten Jahre seiner Tätigkeit die Glaubwürdigkeit des ICTR geschwächt hatten. Fakt ist auch, dass auf Ruanda aus politischen und geostrategischen Gründen nie ein ähnlicher Druck zur Zusammenarbeit mit der internationalen Strafgerichtsbarkeit ausgeübt wurde wie auf Serbien.
Wie kann unter solchen Umständen die festgestellte Wahrheit dem Ziel der nationalen Aussöhnung gerecht werden, wenn nur ein Teil der weltweit begangenen Verbrechen strafrechtlich verfolgt wird? Alison Desforges, eine Kennerin der Region der Großen Seen Afrikas und des ICTR, fragt sich, ob diese internationale Justiz die Bevölkerung eher geeint oder noch stärker gespalten hat. Skepsis ist angebracht, auch wenn es dem ICTR zu verdanken ist, dass der Genozid an den Tutsi heute unbestritten ist, was vor zehn Jahren nicht der Fall war. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, die 700 Millionen US-Dollar, die der ICTR bis jetzt gekostet hat, in den Wiederaufbau des Gerichtswesens und der Rechtsstaatlichkeit in Ruanda zu investieren und so dem autoritären Kurs der Regierung einen Riegel vorzuschieben.
Die internen Faktoren, welche die Wirksamkeit einer bestrafungsorientierten Justiz maßgeblich prägen, betreffen die Funktionsfähigkeit der Justizinstitutionen selbst: Es sind die Grundsätze eines ordnungsgemäßen Verfahrens, die Sicherheit von Anwälten und Zeugen, die Strafstrategie der Anklage, die Beweisfeststellung und die Urteilssprechung. Manche dieser Kriterien sind leichter zu bewerten als andere. Aber eines wird immer besonders schwer zu beurteilen sein: die Entscheidung der Anklagevertretung, ob ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher angeklagt werden soll, der an der Macht und in der Lage ist, ein Friedensabkommen herbeizuführen oder zu blockieren.
Die Wirkung von "Schauprozessen"
Große Prozesse sind "didaktische Monumente", sagt Mark Osiel in Mass Atrocity, Collective Memory and the Law (1997). Sie erzählen von der Barbarei, welche die Gesellschaft befiel, und sie erinnern die Gesellschaft an grundlegende Normen, auf die eine neue nationale und internationale Ordnung aufbauen wird. Das Urteil ist gewissermaßen zweitrangig: Angesichts der Entsetzlichkeit der verübten Verbrechen kann keine Strafe der Tragödie angemessen sein. Diese großen Prozesse haben nur dann einen Wert, wenn sie erzieherisch wirken. Das ist ihr einziger Beitrag zum sozialen Wiederaufbau. Die Kritik, internationale Gerichte würden Recht lediglich zur Schau stellen, ist unfair, denn es ist ja gerade Sinn und Zweck der internationalen Strafjustiz zu zeigen, dass Recht geschieht. Recht muss nicht nur geschehen, es muss sichtbar geschehen. Demnach gilt es zu untersuchen, auf welche Weise Recht zur Schau gestellt wird, und die Wirkungen in der Gesellschaft zu bewerten. Auch hier müssen die Indikatoren verbessert werden. Der "Schauprozess" findet auf mehreren Bühnen gleichzeitig statt. Für die Wirkungsmessung müssen die verschiedenen Publikumsgruppen getrennt voneinander betrachtet werden.
Die direkt betroffenen gesellschaftlichen Gruppen sind die, für die dieses Theater von Wahrheit und Bestrafung in erster Linie aufgeführt wird. Das sind die Zielgruppen, zu denen die Bevölkerungen im ehemaligen Jugoslawien, in Ruanda, Sierra Leone, Sudan und Uganda zählen. Dann ist da die Weltöffentlichkeit. Laut dem Ankläger des ICC sind beide Gruppen Klienten der internationalen Justiz, unterscheiden sich aber radikal in ihren Erwartungen, Reaktionen und Wahrnehmungen. Keine der Gruppen ist homogen. Für die internationale Justiz besteht die Schwierigkeit darin, einen Standpunkt zu vertreten, den alle Parteien - und insbesondere die Zielgruppen der Opfer, der potenziellen künftigen Täter, der Polizei, Armee und Miliz - akzeptieren können.
Aus dem Beispiel des ICTY können wir viel lernen. Wie immer sein offizielles Mandat auch lauten mochte, kam ihm - zumindest solange im ehemaligen Jugoslawien noch schreckliches Unrecht begangen wurde - die Rolle zu, das schlechte Gewissen des Westens zu beruhigen. Die Planer des ICTY gaben diesem einen Auftrag nach dem Triangulations- oder Billardprinzip: Der Spieler zielt auf eine Kugel, um mit ihr eine andere anzustoßen, die er eigentlich treffen will. In unserem Fall hatte der ICTY den Auftrag, für die Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawiens tätig zu werden, aber seine eigentliche Zielgruppe war der Westen, wenigstens solange der Krieg noch tobte.
Wenn wir nun noch einmal unsere Zeitkategorien betrachten, werden die Wirkungen dieser Diskrepanz zwischen der echten und der vorgeblichen Zielgruppe noch deutlicher. Während der Kriegshandlungen und unmittelbar danach, also kurz nachdem die Verbrechen stattgefunden hatten, galt der Strafgerichtshof in der westlichen Öffentlichkeit als durchschlagender Erfolg, zumindest bis zum Krieg im Kosovo. Der ICTY bildete den Auftakt für den Kampf gegen die Straflosigkeit und für eine Reihe internationaler Prozesse. Es folgte die Einsetzung mehrerer Gerichte - des ICTR, des Sondergerichtshofs für Sierra Leone und des ICC - und die Entwicklung des Weltrechtsprinzips infolgedessen spanische und belgische Richter die Ex-Diktatoren Augusto Pinochet (Chile) und Hissène Habré (Tschad) strafrechtlich belangen konnten. Der Erfolg des ICTY ist im Wesentlichen auf der institutionellen und symbolischen Ebene zu sehen, da es nur sehr wenige Verfahren gegen hochrangige Staatsbeamte jener Zeit gab. Wenn sich die Beschuldigten dann schließlich mittelfristig für ihre Taten verantworten müssen, verlieren die Medien und die westliche Öffentlichkeit auf Grund der formalen Spitzfindigkeiten in den Debatten und der Verfahrenslänge (durchschnittlich 18 Monate) schnell das Interesse. Vom Prozess gegen Milosevic erhofften sich westliche Regierungen eine Verteufelung des ehemaligen Balkanherrschers und eine Rechtfertigung der NATO-Intervention. Doch in dieser Hinsicht war der Prozess ein totaler Fehlschlag.
Ganz anders war das Szenario auf der Bühne des Balkans. Während des Konflikts und unmittelbar danach wurde der Gerichtshof von den Bosniern als Alibi für ein Nichteingreifen und von einer großen Mehrheit der Serben und Kroaten als Instrument des Westens angesehen. Seine Legitimität wurde weithin angezweifelt. Dafür waren die internationale Gemeinschaft und der ICTY durchaus mitverantwortlich. Staatsbürger des ehemaligen Jugoslawiens durften keine hochrangigen Stellen im ICTY besetzen; die UN-Generalversammlung schloss muslimische und orthodoxe Richter aus der Erstbesetzung des ICTY aus; Standort war das Hunderte von Kilometern entfernte Den Haag; es gab im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens keine engagierte Kommunikationspolitik; und nationalistische serbische und kroatische Medien standen dem ICTY feindselig gegenüber. All dies trug dazu bei, die Kluft zwischen dem Gerichtshof und der Bevölkerung im ehemaligen Jugoslawien, für die er im Prinzip gedacht war, zu vergrößern. Dass den NATO-Mitgliedstaaten so sehr daran gelegen war, auf dem Höhepunkt des Krieges im Kosovo mit dem ICTY verstärkt zusammenzuarbeiten, bestätigte die große Mehrheit der Serben in der Auffassung, er sei der juristische Arm des atlantischen Bündnisses.
So konnte sich der Gerichtshof während der verschiedenen Kriegsphasen, unmittelbar danach und auch mittelfristig außer in Bosnien nie wirklich durchsetzen. Nach der Festnahme des kroatischen Generals Gotovina im Dezember 2005, der für den Tod serbischer Zivilisten und vor allem alter Menschen verantwortlich gemacht wird, demonstrierten in Split 40.000 Menschen zu Ehren ihres "Helden" und "Befreiers" und dem ICTY zum Hohn. Auch in Serbien stand die Öffentlichkeit dem Gericht sehr feindlich gegenüber und schuf damit vielleicht das Umfeld, in dem Ministerpräsident Zoran Djindjic im März 2003 ermordet und ein Attentatsversuch auf die Chefanklägerin, Carla del Ponte, verübt wurde.
Verstärkt wurde die negative Einstellung vieler Serben und Kroaten zum ICTY noch durch einen weiteren Faktor, den wir hier den Druck der Meta-Norm nennen wollen. Warum sollten sich die ehemaligen Jugoslawen internationaler Rechtsprechung beugen, wenn die Amerikaner sich dieser entziehen wollten? Neben anderen Faktoren war es diese Politik der Doppelstandards, die das Image des Gerichts auf dem Balkan trübte. Wie hätte es auch anders sein können, drohten die USA den Republiken des ehemaligen Jugoslawiens und insbesondere Serbien und Kroatien doch mit wirtschaftlichen Repressalien, wenn sie die Zusammenarbeit mit dem ICTY verweigerten, aber auch, wenn sie das Statut des ICC ratifizierten?
Entscheidend aber ist die langfristige Wirkung des Gerichts. Inwieweit wird seine Arbeit dazu beitragen, den Weg zu einem Konsens über die in der Region in den 1990er Jahren begangenen Verbrechen nach zehn oder zwanzig Jahren zu ebnen? Wenn es sich dann herausstellt, dass der ICTY die Leugnung von Massenverbrechen verhindert hat, dann hat die Arbeit der internationalen Justiz Früchte getragen. Und einiges deutet darauf hin, dass das der Fall sein wird, etwa die Tatsache, dass Kroatien, Serbien und Bosnien ihre Kriegsverbrecher selbst vor Gericht gestellt haben, die serbische Anerkennung der Massaker von Srebrenica und die Entschuldigungen seitens der Behörden der Republika Srpska, die serbische Teilrepublik von Bosnien-Herzegowina.
Abschreckung
Ein weiteres Hauptziel internationaler Justiz ist die Verhinderung künftiger Verbrechen durch Abschreckung. So steht es in den Resolutionen 808 und 827 des UN-Sicherheitsrats über die Einrichtung des ICTY geschrieben. Auf der Website von Human Rights Watch ist zu lesen: "Indem wir die Verbrechen von gestern mit Gerechtigkeit ahnden, können Gräueltaten von morgen verhindert werden."
Empirisch betrachtet scheinen internationale Gerichte in dieser Hinsicht versagt zu haben. Zwei Jahre nach der Einrichtung des ICTY begingen bosnische Serben in der von den UN ausgerufenen "Sicherheitszone" von Srebrenica das größte Massaker in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Der ICTR, der 1994 einige Monate nach dem Genozid in Ruanda geschaffen wurde, schien auf regionaler Ebene keinerlei Abschreckungswirkung zu haben. Die Truppen der ruandischen Armee begingen 1996 und 1997 massive Verbrechen in der Region Kivu im benachbarten Kongo. Darüber hinaus starben nach den Schätzungen mehrerer Organisationen in Kongo von 1998 bis 2003 mehr als drei Millionen Menschen, überwiegend Zivilisten, an den direkten und indirekten Folgen der verschiedenen Konflikte. Ein größeres Fiasko ist kaum vorstellbar.
Welche Abschreckungsfähigkeit hat nun ein internationales oder ein Hybrid-Gericht? Die
eigentliche Frage ist, wie die Kriegsparteien das Risiko strafrechtlicher Verfolgung einschätzen.
Nach erster empirischen Beobachtung sind sich die Kriegführenden des Risikos bewusst und
handeln entsprechend, wenn sie es als unmittelbare persönliche Bedrohung wahrnehmen. Die
UN-Friedenstruppen im ehemaligen Jugoslawien berichteten, dass die Kriegsparteien das Risiko
einer Strafverfolgung in den ersten Wochen nach der Schaffung des ICTY 1993 scheuten.
Später erkannten sie, dass das Gericht schwach war, und begingen im Vertrauen darauf,
ungestraft davon zu kommen, die Massaker von Srebrenica. In Darfur verübten die Milizen
Augenzeugenberichten zufolge weniger Gewalttaten, als sie fürchteten, sich für diese vor
internationalen Gerichten verantworten zu müssen. Diese zwei Beispiele lassen darauf
schließen, dass Kriegsparteien dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung dann Rechnung tragen,
wenn sie das Gericht als stark empfinden und wenn es die politische und militärische
Unterstützung der großen Mächte genießt. Sie zeigen aber auch, dass die abschreckende
Wirkung bald nachlässt, wenn es nicht schnell zu Anklagen und Festnahmen kommt.
Indikatoren für Wahrheitskommissionen
Das erste Kriterium für die Bewertung ausgleichsorientierter Justiz ist die Wahrheitsfeststellung. Die Befürworter von Wahrheitskommissionen argumentieren, das Aussprechen der Wahrheit führe zu einer nationalen Katharsis, die Energien in die nationale Aussöhnung lenke. Eine der Schlüsselfragen dabei ist, welche Art von Wahrheit sich herausbilden wird. Der stellvertretende Vorsitzende der südafrikanischen Kommission für Wahrheit und Aussöhnung, Alex Boraine, unterscheidet zwischen drei Wahrheitsebenen: der faktischen Wahrheit, der persönlichen Wahrheit und der sozialen oder dialogischen Wahrheit, auch wenn sie alle darauf abzielen, sowohl die Menschenrechtsverletzungen als auch die Strukturen, die diese zugelassen oder gefördert haben, zu dokumentieren und zu analysieren.
Die faktische Wahrheit gibt einer Familie konkrete Auskunft über die sterblichen Überreste eines Angehörigen. Die persönliche Wahrheit hat theoretisch eine kathartische Wirkung für die Person, welche die Wahrheit ausspricht. Die dialogische Wahrheit schließlich ist die Wahrheit, welche die Gesellschaft annimmt.
Hier geht es uns zunächst um die faktische Wahrheit. Für die Fähigkeit einer Wahrheitskommission, Tatsachen festzustellen, sind spezifische Parameter ausschlaggebend. Detailinformationen über staatliche Unterdrückung zum Beispiel werden in der Regel nur dann zugänglich sein, wenn die ehemaligen Organe der Unterdrückung - der Innenminister, die Armee, die Polizei, der Nachrichtendienst, die Miliz und so weiter - kooperieren. In welchem Umfang faktische Wahrheit in Erfahrung gebracht werden kann, hängt aber auch von der Mitarbeit eines Netzes von Institutionen, Krankenhäusern, Leichenhallen und Friedhöfen ab, deren Aufzeichnungen sich oft als unentbehrlich erweisen. Die besten Karten für die Ermittlung faktischer Wahrheit hat der Staat. Er kann die Kommission befugen, die Vorlage von Dokumenten und das Erscheinen von Zeugen und Tätern vor Gericht unter Strafandrohung zu erzwingen. Das war in Südafrika der Fall: Die Entscheidung, Hunderte von Vertretern des Unterdrückungssystems vor Gericht erscheinen zu lassen, half, den Modus operandi dieser politischen Kriminalität ans Licht zu bringen. Je stärker demnach das Mandat der Kommission ist, umso besser wird sie faktische Wahrheit und damit auch persönliche und dialogische Wahrheit ermitteln können.
Die dialogische Wahrheit
Dialogische Wahrheit ist der soziale Dialog über geschehenes Unrecht, der sich aus der Arbeit einer Wahrheitskommission ergibt. Er schafft einen neuen öffentlichen Raum, in dem unterschiedliche und gegensätzliche Erinnerungen an die Vergangenheit friedlich koexistieren und den langen Weg zu einer gemeinsamen Geschichte einschlagen können. Die Beurteilung dialogischer Wahrheit sollte von einer Analyse der Zusammensetzung und des Mandats der Wahrheitskommission (dem Glaubwürdigkeitsfaktor) ausgehen und viele andere Faktoren einbeziehen, unter ihnen die Festlegung der Verbrechenskategorien, die untersucht werden sollen, die Definition der Opfer, die Klärung der Frage, ob die Täter vor Gericht erscheinen sollen, die Möglichkeit einer Strafverfolgung hochrangiger Persönlichkeiten, die Präsentation der Kommission in der Öffentlichkeit und die Verteilung des Schlussberichts.
Sehen wir uns zwei ganz unterschiedliche Beispiele an: Chile und El Salvador. Hier wird deutlich, wie eine Gesellschaft sich im einen Fall mit der Arbeit einer Kommission identifizieren und das innere Gleichgewicht der Kräfte verändern kann oder wie genau dies im anderen Fall nicht geschieht. Die festgestellte Wahrheit ergibt sich zum Teil aus dem Kräfteverhältnis zwischen der alten und der neuen Regierung. In Chile zum Beispiel waren Anhänger Pinochets und Demokraten in der Kommission gleichgewichtig vertreten. In den Ergebnissen bestätigte sich eine Vergangenheitssicht gemäß der "Theorie der zwei Dämonen": Die Gewaltanwendung durch Vertreter des Staates und die durch linke Extremistengruppen wurden praktisch auf eine Stufe gestellt, obwohl die Militärjunta für die überwältigende Mehrzahl der Verbrechen verantwortlich war.
Dennoch wurde mit dieser konsensorientierten, aber historisch fragwürdigen Interpretation, unter dem Druck von Opfervereinigungen, Gewerkschaften, NGOs und einigen politischen Parteien, der Standpunkt der Pinochet-Anhänger diskreditiert. So änderte die Arbeit der Kommission trotz einiger Einschränkungen das innere Gleichgewicht der chilenischen Gesellschaft und förderte mittelfristig die Herausbildung einer dialogischen Wahrheit, die der historischen Wahrheit entsprach. In der Folge wurden dann auch gerichtliche Verfahren wieder aufgenommen, obwohl die Kommission ja gerade wegen des Widerstands der Junta-Anhänger als Ersatz für Gerichtsverfahren einberufen worden war.
In El Salvador hatte die - ausschließlich mit ausländischen Mitgliedern besetzte - Kommission in ihrer Arbeit mehr Spielraum zur Ermittlung und Interpretation der Fakten als die chilenische. Doch waren der dialogischen Wahrheit, die sich schließlich herausbildete, durch die ehemaligen Kriegsparteien enge Grenzen gesetzt. Weit davon entfernt, den Empfehlungen der Kommission zu folgen und rund fünfzig Staatsbedienstete und Guerillaführer gerichtlich zu belangen, vereinbarten ihre Vertreter statt dessen die Verkündung einer Generalamnestie durch das Parlament.
Eine wichtige Frage ist ferner, wie die Erkenntnisse der Kommission publik gemacht werden. Wird es öffentliche Anhörungen der Wahrheitskommission geben? Werden diese live im Fernsehen und Radio übertragen? Werden die Ergebnisse publiziert und der Allgemeinheit zugänglich gemacht? Alle diese Faktoren spielen eine maßgebliche Rolle, wenn es in der Gesellschaft eine politische Debatte geben soll, an der sich die Opfer, die politischen Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und die ehemaligen Kriegsparteien beteiligen.
Die Entscheidung hängt oft davon ab, welche Art von Botschaft vermittelt werden soll und wie die Kräfte zwischen Menschenrechtsaktivisten und den Vertretern der alten Unrechtssysteme verteilt sind. Je stärker der Wille ist, mit der Vergangenheit zu brechen, umso stärker wird auch die Versuchung sein, eine symbolische Ausdrucksform zur Vermittlung dieser Botschaft zu wählen. Wie unterschiedlich die Botschaften sein können, zeigen die Beispiele von Südafrika und Marokko. In Südafrika wurde ein Doppelziel verfolgt: Zum einen sollte die kriminelle Natur des ehemaligen Regimes (und der Gewalttaten des African National Congress) nachgewiesen, gleichzeitig aber auch das Abkommen zwischen F. W. de Klerk und Nelson Mandela legitimiert werden, das heißt Wahrheit gegen Amnestie. In Marokko bestand das Ziel der Kommission darin, der Demokratie mehr Raum zu schaffen, ohne den Fortbestand des Regimes zu gefährden. In allen Fällen wirken Kommissionsmitglieder Identität stiftend, da sie dazu beitragen, neue Rituale für die Nation zu entwickeln.
Aus der Form der Präsentation ist das zugrunde liegende politische Projekt erkennbar, dessen Botschafterin die Kommission ist. Die öffentlichen Verhandlungen in Südafrika begannen mit Gebeten. Davon ging die klare politische Botschaft aus, dass der Prozess der Wahrheitssuche und mit ihm der Tauschhandel von Wahrheit gegen Amnestie den Segen der höchsten religiösen Autoritäten hatte. Die dramatische Intensität der Konfrontation zwischen Opfern und Tätern entsprach öffentlichen Erwartungen: schärfste Verurteilung der Verbrecher, aber Strafverzicht um der höheren Interessen einer neuen Nation willen.
Der Einsatz religiöser und kultureller Symbole durch den Kommissionsvorsitzenden, Erzbischof Desmond Tutu, und das Zelebrieren der "Überlegenheit" afrikanischer ausgleichsorientierter Unrechtsaufarbeitung gegenüber westlicher Strafjustiz sollten das neu erreichte politische Gleichgewicht legitimieren. Sie verwandelten zudem Amnestie in Vergebung. Bei der Wahrheitskommission in Marokko machten die Opfer ihre Aussagen 2005 vor Porträts von König Mohammed VI und seinem verstorbenen Vater und Vorgänger, König Hassan II, unter dessen Herrschaft sie von den Sicherheitskräften gefoltert worden waren. Anders als in Südafrika erschienen die Folterer, Kidnapper und in einigen Fällen Mörder der Vergangenheit nicht vor der Kommission. Die Botschaft, die der Königspalast aussandte, sollte zum einen die Unterdrückung jener dunklen Jahre verurteilen und die Demokratisierung weiterführen, zum anderen aber den Fortbestand der Monarchie und der Organe der Unterdrückung sichern.
Beide Kommissionen standen im Einklang mit den Zielen, die ihnen gesetzt waren. Es waren keine Alibi-Kommissionen, auch wenn sie unbestreitbar eine Rolle bei der Legitimierung der jeweils neuen Regierung spielten. Wahrheitskommissionen müssen unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Ziele bewertet werden.
Die Empfehlungen
Die Bewertung sollte sich auch daran orientieren, welche Empfehlungen für institutionelle und
politische Veränderungen eine Wahrheitskommission in ihrem Schlussbericht abgibt. Ist sie in
der Lage, die grundlegenden Probleme einer Gesellschaft anzusprechen, die Frustration und
Gewalt nährten? Die Antwort wird zeigen, ob sie als Motor der Demokratisierung wirkt. Eric
Brahm, Politikprofessor an der Universität von Nevada in Las Vegas, stellte fest, dass von den
27 Wahrheitskommissionen, die er untersuchte, (bis Oktober 2004) 15 Berichte veröffentlicht
hatten, eine (Haiti) ihren Bericht nur an ausgewählte Empfänger verteilte, drei (Simbabwe,
Uganda und Philippinen) keinen Bericht herausgaben und zwei (Bolivien und Ecuador)
aufgelöst wurden, bevor sie ihre Arbeit abgeschlossen hatten. Nur wenige der veröffentlichten
Berichte enthielten konkrete Vorschläge für institutionelle und politische Veränderungen. Und
eine oberflächliche Analyse zeigt, dass die Empfehlungen in der Regel nicht umgesetzt werden,
ohne dass sich die Behörden zu einer Erklärung genötigt fühlen würden.
Gemeinsame Indikatoren für Mechanismen der internationalen Strafjustiz und Wahrheitskommissionen
Bei der transitional justice stehen die Opfer im Vordergrund. Durch ihre Genesung und durch die ihnen geleistete Wiedergutmachung soll die Gesellschaft selbst von den Wunden der Vergangenheit genesen und wieder zusammenfinden, sobald die Wahrheit festgestellt und eine symbolische oder gerichtliche Strafe verhängt worden ist. Demnach könnte man Wahrheitskommissionen nach ihrer Wirkung auf die Opfer beurteilen. Aber haben "Anerkennung", "Recht" und "Wahrheit" wirklich eine therapeutische Wirkung auf die Opfer, wie die Befürworter behaupten? Zunächst einmal sehen viele Psychologen in der Nichtverfolgung der Peiniger eine Fortsetzung der Pein. Diana Kordon stellt fest, dass die Straffreiheit Gefühle der Schutzlosigkeit und Verlassenheit hervorruft, die mit Symptomen wie Alpträumen, Depressionen, Schlaflosigkeit und körperlichen Beschwerden einhergehen.
Der Kampf gegen die Straflosigkeit ist andererseits ein Mittel, um das Bedürfnis von Opfern nach faktischer und persönlicher Wahrheit zu stillen. Zu wissen, unter welchen Umständen ein naher Verwandter starb, wo diese Person begraben liegt und wer für ihr Leid verantwortlich war, erleichtert den Trauerprozess. Bei der persönlichen Wahrheit geht es um eine Aufklärung der Vergangenheit, aber auch um das Bedürfnis vieler Zeugen, ihr Leid auszudrücken und durch den Staat offiziell zur Kenntnis nehmen zu lassen. Für manche Zeugen war es äußerst wichtig, ihre Aussage öffentlich zu machen, sei es vor einem Gericht oder außergerichtlich. Einige bestätigten, sie fühlten sich verpflichtet, ihre Nachkommen im Geiste der Rache zu erziehen, wenn die Verbrecher nicht bestraft würden.
Unabhängig von den Motiven, die sie zu Aussagen bewegen - sei es ein Gefühl moralischer Verpflichtung gegenüber den Toten, ideologische Überzeugung oder ein psychologisches Bedürfnis -, hoffen die Opfer, mit der Aussage ihre Würde wieder herstellen und sich zumindest teilweise von ihrer traumatischen Vergangenheit befreien zu können. Aber eine solche Zeugenaussage ist auch ein gefährliches Unterfangen, denn das Opfer muss sich extrem belastende Ereignisse ins Gedächtnis zurückrufen und das therapeutische Potenzial einer Zeugenaussage ist ungewiss.
Eine Gefahr ist auf jeden Fall mit öffentlichen Aussagen verbunden. Die UN-Ad-hoc-Gerichte sicherten den Opfer-Zeugen Anonymität zu. Doch wurde in Ruanda wie auch in Jugoslawien die Identität einiger Zeugen bekannt, worauf diese und ihre Familien mit dem Tod bedroht wurden. Diese Gefährdung beeinträchtigt die therapeutische Wirkung, da sie die Zeugen destabilisiert und vergangenes Leid wieder zum Bewusstsein bringt.
Vor den beiden UN-Ad-hoc-Gerichten, die Verfahren nach dem Common Law (britische Rechtstradition) durchführen, haben die Opfer nur Zeugenstatus. Sie werden nicht geladen, um ihre tragischen Erfahrungen zu erzählen, sondern um die Beweisführung der Anklage zu unterstützen. Sie werden auch ins Kreuzverhör genommen. Carla del Ponte, die Anklagevertreterin am ICTR, bedauerte die Tatsache, dass das Kreuzverhör in den Verfahren zu einem "Folterinstrument" geworden sei.
Aber Rechtsprechung ist nun einmal kein therapeutischer Prozess, auch wenn sie mitunter positive Wirkungen auf die Opfer hat. Und auch hier gibt es ein Nord-Süd-Gefälle. Internationale Rechtspflege ist ein Produkt reicher Länder. Sie sichert den Beschuldigten Grundrechte nach den Kriterien von Wohlstandsgesellschaften zu - Rechte, die Opfer in armen Ländern nicht unbedingt genießen. Das krasseste Beispiel ist Ruanda, wo die überlebenden Opfer des ruandischen Genozids schlechter behandelt werden als seine Urheber, welche die Opfer mit dem HIV-Virus infizierten, aber auf Grund der Mittelknappheit des ruandischen Staates als Einzige das Privileg einer Behandlung genießen. Diese empörende Ungleichbehandlung von Tätern und Opfern kann die therapeutische Wirkung der Zeugenaussage beeinträchtigen.
Die Wirksamkeit öffentlicher Entschuldigungen
Bei der transitional justice haben Entschuldigungen einen besonderen Stellenwert. Sie gelten als offizielle Anerkennung des Unrechts der Vergangenheit, als Anerkennung staatlicher Verantwortung und demnach als vorbeugende Maßnahme, damit sich solche Straftaten nicht wiederholen. Eine Entschuldigung wird als wichtiger Teil des sozialen Wiederaufbaus betrachtet. Aber wie wirksam sind diese öffentlichen Entschuldigungen? Der symbolträchtigste Akt dieser Art war der von Bundeskanzler Willy Brandt, als er am 9. Dezember 1970 in respektvollem Gedenken vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettos niederkniete und damit eine Ära öffentlicher Entschuldigungen einleitete. Durch seine Geste der Reue bat er für die Verbrechen, die andere begangen hatten, um Verzeihung, leistete einen Beitrag zur Normalisierung der Beziehungen zwischen den Opfern und Deutschland und in der Folge zum symbolischen Wiedereintritt Deutschlands in das Konzert zivilisierter Nationen.
Nach diesem Präzedenzfall und unter dem Eindruck der moralisierenden Ideologie, die seit dem Ende des Kalten Krieges vorherrscht, hat in den letzten Jahren eine Flut von Reuebekundungen eingesetzt. Die Wirksamkeit solcher Entschuldigungen ist jedoch sehr relativ. Eine Entschuldigung kann reinigend wirken, wenn sie nicht von der betroffenen Gesellschaft als triviale, gehaltlose Routinegeste wahrgenommen wird. Präsident Bill Clintons Entschuldigung für Sklaverei und Sklavenhandel, die er außerhalb der USA und zudem in einem historisch nicht direkt betroffenen afrikanischen Land vorbrachte, hatte keinerlei Wirkung. Afroamerikaner und die vom transatlantischen Sklavenhandel betroffenen afrikanischen Länder hielten sie für fadenscheinig und nahmen sie kaum zur Kenntnis. Wegen der Unangemessenheit des Ortes (Uganda) und der fehlenden Zielgenauigkeit ging diese Entschuldigung ins Leere.
Auf der anderen Seite richtet sich der Ausdruck des Bedauerns gemäß dem Billardprinzip nur scheinbar an bestimmte Opfer, tatsächlich aber an eine ganz andere Zielgruppe. Zum Beispiel entschuldigte sich UN-Generalsekretär Kofi Annan 1999 dafür, dass die Menschen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda nicht besser geschützt worden waren. Der eigentliche Zweck dieser Entschuldigung bestand weniger darin, die Opfer von aufrichtigem Bedauern zu überzeugen, sondern vielmehr darin, die UN-Friedenssicherungseinsätze in den Augen der internationalen Gemeinschaft "reinzuwaschen" und ihnen zu neuem Ansehen zu verhelfen. Das eigentliche Zielpublikum (internationale Gemeinschaft) wurde damit erreicht, nicht aber die Zielgruppe, an die die Entschuldigung theoretisch gerichtet war (Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawiens und Ruandas).
Für eine Bewertung öffentlicher Entschuldigungen wäre demnach der Inhalt der Botschaft, die Angemessenheit von Zeit und Ort, das eigentliche Zielpublikum (Opfer oder andere Interessenträger) und die Reaktion, die sie hervorrufen, in Betracht zu ziehen.
Die Wirksamkeit von Wiedergutmachungsleistungen
Die Feststellung der Wahrheit und die Stigmatisierung der Täter werden als Wiedergutmachung für die Opfer verstanden. Symbolische und finanzielle Wiedergutmachung gilt als wichtiger Bestandteil von transitional justice.
Dies ist ein emotional aufgeladenes Thema, das eine Reihe von Fragen aufwirft: Was genau soll wieder gut gemacht werden? Der Verlust eines Angehörigen, Leid, Einkommensverluste als Folge unrechtmäßiger Haft oder echter materieller Schaden? Welche Summe ist als Wiedergutmachung angemessen? Die Bewertung von Wiedergutmachungsleistungen ist besonders komplex. Einerseits hat ein Staat nur begrenzte Mittel zur Verfügung und muss konkurrierenden Ansprüchen (zum Beispiel Bildung, Unterkunft) Rechnung tragen. Andererseits haben die Opfer einen Schaden erlitten, der mit Geld nicht wieder gutzumachen ist.
Über die persönlichen Einstellungen der Opfer hinaus betrifft diese Debatte die Gesellschaft als Ganzes. Denn Wiedergutmachung ist die Frucht von Verhandlungen und zeigt an, dass sich Standards verändern und neue Normen Geltung erlangen. Die entscheidende Frage ist hier, wie diese ethisch-politische Übereinkunft gestaltet wird. Wie akzeptabel sind ihre Bedingungen? Und für wen sind sie akzeptabel, für wen nicht? Derartige Fragen sind nicht nur für die direkt beteiligten Opfer und Regierungen relevant, sondern - in dem Maß, in dem Wiedergutmachung für vergangenes Unrecht an Häufigkeit und Internationalität zunimmt - für viele Gesellschaften. Betroffen sind nicht nur die Opfer, Gerichte oder Politiker, die die Wiedergutmachung aushandeln, sondern ganze Gesellschaften auf der einen oder anderen Seite des Prozesses. Einen akzeptablen Wiedergutmachungsbetrag festzusetzen, ist eine echte Herausforderung, denn das Thema löst starke Emotionen aus und polarisiert die öffentliche Meinung. Zur Bewertung von Wiedergutmachungsleistungen wäre es notwendig, die internationale und die nationale Dynamik auseinander zu halten.
In den 1950er Jahren waren deutsche Reparationen in Israel politisch heiß umstritten. Sie spalteten das Land in eine Fraktion, die Reparationen als pragmatischen Beitrag zur Staatsbildung betrachtete, und eine andere, die sich weigerte, "Blutgeld" zu nehmen. Auf nationaler Ebene haben Reparationen insofern eine andere Dynamik, als es hier nicht nur eine ethische Debatte - Blutgeld oder nicht - gibt, sondern auch eine Debatte zwischen gegnerischen Gruppen innerhalb der Gesellschaft, die kurzfristige Folgen (Gewaltausbrüche) und langfristige Wirkungen auf die Entwicklung einer nationalen Identität haben kann.
In Indonesien plante die Regierung, Opfer unter der Bedingung zu entschädigen, dass sie den Schuldigen verzeihen. Der Plan, der für die Opfer moralisch inakzeptabel war, da er für sie dem Verkauf ihres Gewissens gleichkam, wurde später fallengelassen. In Argentinien wurde den Opfern gleichzeitig mit dem Erlass der Punto-Final- (Amnestie-) Gesetze eine Entschädigung zugesprochen. In beiden Fällen war die Gegenleistung für die Wiedergutmachung der psychologische und soziale Freispruch der Täter.
Das Erzählen einer gemeinsamen Geschichte
Die Fürsprecher einer transitional justice weisen nachdrücklich darauf hin, dass neben persönlichen Einzelberichten eine Parallelgeschichte geschrieben werden muss, um Aussöhnung und gegenseitige Achtung zu fördern. Ein Bewertungsprozess kann sich hier einer ganzen Reihe von Kriterien bedienen: der Öffnung von Archiven, der Schaffung von Denkmälern und Museen, der Arbeit von Historikern, der Überarbeitung von Schulbüchern, der Werke von Künstlern und so weiter.
Mehr noch als bei den bisher genannten Indikatoren ist Zeit ein wichtiger Faktor: Das Erzählen einer gemeinsamen Geschichte ist ein fortlaufender, facettenreicher Prozess mit institutionellen, politischen, kulturellen, symbolischen und künstlerischen Elementen. Er ist Teil der transitional justice und spiegelt gleichzeitig wider, was mit den Mechanismen der transitional justice bereits geleistet wurde. Somit ist er ein Indikator im eigentlichen Sinn und auch ein Prozess, der im Lauf der Zeit Aufschluss gibt über die Wirksamkeit aller anderen Mechanismen der transitional justice im Hinblick auf die Wiederherstellung geregelter, humaner und zivilisierter Beziehungen zwischen den Menschen.
Der Wiederaufbau der Brücke von Mostar, die zwei Volksgruppen verbindet, der Beschluss der Witwen und Mütter von Srebrenica, ihre Angehörigen nahe dem Ort, an dem sie starben, zu begraben, das gemeinsame Verfassen eines Schulbuchs über den arabisch-israelischen Konflikt durch israelische und palästinensische Historiker - all das kann Wunden lindern, aber nie ganz heilen.
Aufgabe dieser und anderer von Konflikten geprägten Gesellschaften ist es, ein symbolisches Bindungssystem zu entwickeln, das nach und nach neuen Raum schafft, in dem Menschen mit unterschiedlichen Geschichten friedlich koexistieren können.
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben westliche Regierungen und NGOs finanziell, politisch und symbolisch in Mechanismen der Unrechtsaufarbeitung investiert. Laut dem amerikanischen Ambassador-at-large for War Crimes, Clint Williamson, haben die USA alleine seit 1993 rund 500 Millionen Dollar ausgegeben, um die Arbeit von internationalen und Hybrid-Gerichten zu unterstützen. In dem Bemühen, ganzen Bevölkerungen Stabilität, Frieden und Sicherheit zu bringen, sind Mechanismen der Unrechtsaufarbeitung zu einem Vektor der Globalisierung geworden. Sie können eine langfristige Verbesserung der menschlichen Beziehungen und Lebensbedingungen herbeiführen, wenn sie nicht gedankenlos und ohne Rücksicht auf die jeweiligen Umstände eingesetzt werden. Weil diese Mechanismen in der westlichen Öffentlichkeit hoch im Kurs stehen, sind sie allzu oft von der internationalen Gemeinschaft eingeführt worden, mitunter zu hohen Kosten, aber mit wenig greifbaren Ergebnissen für die Menschen, für die sie gedacht waren.
In einigen Fällen wurde den kurzfristigen politischen Vorteilen von Medienpublizität mehr Bedeutung beigemessen als den Bedürfnissen der Menschen vor Ort. Mechanismen der transitional justice können maßgeblich zum Abbau von Spannungen in von Gewalt und Konflikt zerrissenen Gesellschaften beitragen - aber nur dann, wenn sie mit echtem Willen der Akteure vor Ort zusammentreffen, ihr Geschick selbst in die Hand zu nehmen und politische und institutionelle Sicherungen einzubauen, damit sich Massenverbrechen nicht wiederholen.
Seit dem 11. September 2001 hat sich die politische Landschaft dramatisch verändert. Selbstredend hat sich das auch auf die Mechanismen der Unrechtsaufarbeitung ausgewirkt. Mit dem so genannten Krieg gegen den Terror wird die Tatsache gerechtfertigt, dass es in Afghanistan keinerlei Rechenschaftsmechanismen gibt, obwohl die Bevölkerung nach einer Studie der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission mit großer Mehrheit eine strafrechtliche Verfolgung der Kriegsverbrecher befürwortet.
Doch bislang steht das weder auf der Agenda der afghanischen Regierung noch auf der der UN oder der NATO-Länder, die Truppen in das Land entsandt haben. Im Gegenteil: das afghanische Parlament hat am 31. Januar 2007 ein Gesetz verabschiedet, dass eine breite Amnestie an allen Beteiligten der letzten 25 Jahren Kriege gewährt. In anderen Ländern ist die Sprache der Unrechtsaufarbeitung politisch in Mode gekommen und wird benutzt, um eine Politik der Straffreiheit zu rechtfertigen.
Eine Bewertung der Mechanismen für die Unrechtsaufarbeitung ist daher wichtig, um die Rolle der internationalen Gemeinschaft besser zu definieren, gegebenenfalls die Gründe für ein Versagen dieser Mechanismen zu verstehen und ihre Anschubkraft für soziale Umgestaltung und Demokratisierung zu ermitteln.
Zeit ist für die Unrechtsaufarbeitung von entscheidender Bedeutung. Das macht die Bewertung von Strafgerichtshöfen, Wahrheitskommissionen und anderen Mechanismen komplexer, aber umso notwendiger. Transparenz und Überwachung müssen gewährleistet werden, auch wenn sie auf viele Hindernisse stoßen. Ohne sie können sich die Mechanismen als wirkungslos erweisen, als bequemes Alibi für Trägheit dienen oder ihren eigentlichen Zweck, den des sozialen Wiederaufbaus, völlig verfehlen.
aus: der überblick 01/2007, Seite 10
AUTOR(EN):
Pierre Hazan
Pierre Hazan ist Senior Fellow am "United States Institute of Peace". Er bereitet ein Buch zum
Thema "transitional justice" vor, das 2007 auf Französisch und 2008 auf Englisch
erscheinen wird.