Der Tod der Zeitungen
Als 1993 die Liberalisierung der Medienbranche begann, erschien eine Fülle neuer Zeitungen. Der Staat hatte sein Medienmonopol aufgegeben, die frühere Genehmigungspflicht für den Druck einer Zeitung wurde aufgehoben und die Pressefreiheit in der Verfassung Nigers verankert.
von Odile Jolys
Nach einer Liste des Panos Instituts für Westafrika (Institut Panos Afrique de l'Ouest, IPAO) können nur noch sieben der 25 unabhängigen nigrischen Zeitungen regelmäßig erscheinen, 16 weitere nur unregelmäßig. Die älteste und einzig überlebende nigrische Tageszeitung (von 1974) Le Sahel wird allerdings vom Staat herausgegeben.
Von den politischen Problemen abgesehen, ist die Presse Nigers mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Problemen konfrontiert. Ihre Einnahmen sind sehr gering. Dies hat zweierlei Gründe: Zum einen ist der Werbe- und Anzeigenmarkt sehr eng. Der Staat ist letztlich der Hauptanbieter, was die Unabhängigkeit der Zeitungen nicht gerade fördert. Zum anderen ist der Kreis der Leserschaft verhältnismäßig klein bei etwa 12 Millionen Einwohnern. Denn nur rund ein Viertel der Erwachsenen kann lesen. Außerdem erscheint nach Angaben von IPAO nur eine Zeitung in Hausa, der größten Verkehrssprache des Landes, die etwa drei Viertel der Bevölkerung des Landes verstehen. Um die anderen Zeitungen lesen zu können, muss man Französisch beherrschen. Zudem ist es außerhalb der Städte keine Selbstverständlichkeit, dass die Menschen ohne weiteres Zeitungen erstehen können. Und letztlich bieten die einheimischen Printmedien nicht immer die Qualität oder Themenvielfalt, welche die Bevölkerung sich wünscht.
Das sind aber noch nicht alle Hürden. Schließlich sollten sich Publikationen finanziell tragen können, müssen also Leser haben, die für ihre Zeitung auch bezahlen wollen und können. Boubacar Diallo, der Direktor der unabhängigen Wochenzeitung Libération in der nigrischen Hauptstadt Niamey, wundert sich (in einem Artikel in www.afrik.com/article6560.html vom 11. 9. 2003), dass die Auflage der Zeitungen in den letzten Jahren dramatisch gesunken sei trotz Anstieg der Leserzahl.
Für Diallo steht fest: Die Menschen wollen lesen, ohne in die eigene Tasche greifen zu müssen. Sogar hohe Beamte rechneten fest damit, dass Journalisten ihre Zeitung kostenlos zu ihnen nach Hause oder ins Büro schicken. Die Vermögenden würden "mit ihren dicken Wagen direkt entlang der Zeitungsverkäufer auf der Straße" zum Zeitungssitz fahren, um sich dort kostenlos zu bedienen. Die Familie und der Freundeskreis der Reporter erwarteten ebenfalls, die Zeitungen umsonst zu bekommen, so Diallo.
Zudem soll es auch Straßenverkäufer geben, die Zeitungen für einen Tag an ein Büro vermieten. Am Abend holten sie dann die Zeitungen wieder ab. Somit verdienen sie selbst, während die Zeitungen leer ausgingen. Zu diesem düsteren Bild gesellen sich noch die Diebstähle von Zeitungsbeständen und die kriminellen Machenschaften von Zeitungsverteilern.
So wird eine Mentalität angeklagt, die verheerende Folgen für die Zeitungen hat: nämlich ihr finanzielles Ausbluten. Ein Problem, das nicht nur Afrika betrifft.
aus: der überblick 04/2003, Seite 35
AUTOR(EN):
Odile Jolys:
Odile Jolys arbeitet als freie Journalistin in Hamburg. Sie hat während der Konzeption und Produktion des Heftes 1/2004 als Hospitantin in der Redaktion des "überblicks" gearbeitet.