Französisch verpflichtet
Als sprachliches und kulturelles Band bindet Französisch Menschen und Staaten aneinander. Um die 280 Millionen Menschen auf fünf Kontinenten sprechen Französisch als Erst- oder Zweitsprache (die internationale Organisation für Frankophonie vertritt sogar 500 Millionen Bürger der Mitgliedsländer). Etwa 40 Staaten billigen dem Französischen einen offiziellen Status zu. Hinzu kommen noch circa 20 Staaten oder Regionen, in denen ein signifikanter Teil der Bevölkerung Französisch als Verkehrssprache benutzt. Für ihre Pflege, den Erhalt und die Verteidigung haben sich Liebhaber der französischen Sprache und Bewunderer der französischen Kultur in verschiedenen Gruppen, Initiativen und nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene zusammengeschlossen.
von Eva-Maria Eberle
Die "Frankophonie" umfasst nicht nur eine sprachliche und kulturelle Dimension, sie versteht sich auch zunehmend als eine geopolitische bzw. politisch-institutionelle Gemeinschaft. Der international agierende, in einem multilateralen Netzwerk vereinigte Zusammenschluss frankophoner, partiell frankophoner aber auch nicht frankophoner Staaten und Regierungen hat sich 1997/1998 unter dem Namen Organisation Internationale de la Francophonie (OIF) konstituiert. Zur OIF gehören heute 49 Vollmitglieder, zwei assoziierte Staaten und fünf Staaten mit Beobachterstatus.
Ursprünglich war Frankreich nicht die treibende Kraft hinter der Idee der "Frankophonie", wenn auch ein französischer Geograph, Onésime Reclus, den Begriff 1880 geprägt hat. Vom Zentrum Frankreich ausgehend sollte die französische Sprache und Kultur internationale Verbreitung und Bedeutung erlangen. Die Peripherie sollte von einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein profitieren, das an die Sprache nicht nur die Kultur, sondern auch die "zivilisatorische Ideale" der Dritten Republik - die Ideale der Französischen Revolution - knüpfte.
Die heutige weltweite internationale Frankophonie ist ein Erbe des ersten französischen Kolonialreichs in Nordamerika und Indien, das bis Mitte des 18. Jahrhunderts bestand, und des noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts bestehenden zweiten französischen Kolonialreiches in Afrika und Asien. Erst die Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die monozentrische Frankophonie in Frage. Zahlreiche internationale Organisationen wurden gegründet, die das Französische als Zusammenhalt betonten: so 1952 auf Initiative der kanadischen Provinz Québec die Journalistenvereinigung Association Internationale des Journalistes de la Presse de Langue Française, die ebenso wie die Union Culturelle Française (1954) die Idee der Frankophonie weiter verbreitete. Es waren aber die gerade unabhängig gewordenen afrikanischen Staaten - besonders die damaligen Präsidenten Hamani Diori (Niger), Habib Bourguiba (Tunesien) und vor allem Léopold Sédar Senghor (Senegal) -, die durch ihren Zusammenschluss zur Union Africaine et Malgache (UAM) 1961 (bzw. Organisation Commune Africaine et Malgache 1966, OCAM) Frankreich nicht mehr als das Zentrum sehen wollten und die Frankophonie zu einer polyzentrischen Gemeinschaft machten.
Unterstützung erhielten die afrikanischen Vordenker aus der kanadischen Provinz Québec, deren Einwohner um die Anerkennung des Französischen als alleinige Amtssprache für ihre Provinz kämpften. Mit den afrikanischen Ländern gemeinsam arbeiteten sie für die Schaffung einer Institutionalisierung der weltweiten Frankophonie. Diesem polyzentrischen Kooperationsmodell stand Frankreich skeptisch gegenüber - vordergründig mit der Behauptung, keine postkolonialen Bestrebungen verfolgen zu wollen, doch eher aus Furcht vor einem Einflussverlust.
Als der damalige französische Staatschef Charles de Gaulle aber 1967 im Rahmen der Weltausstellung in Montréal die besondere Verbundenheit zwischen der frankophonen Provinz und Frankreich mit Vive le Québec libre! (Es lebe das freie Québec) hervorhob, ebnete er nicht nur gegen den Willen der kanadischen Regierung dem nicht souveränen Québec den Weg in die frankophonen Organisationen, sondern machte die Frankophonie auch zu einem entscheidenden Element der französischen Außenpolitik.
Ende der sechziger Jahre verschärfte sich der Konflikt zwischen Ottawa und Québec um die Frage der Amtssprache in der Provinz weiter, als der Bildungsminister Québecs 1967 (auf sein Bitten hin) zur Konferenz der Bildungsminister frankophoner Länder (CONFEMEN) in Gabun eingeladen wurde - ohne Konsultation Ottawas. Kanada brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Gabun ab. Ein Jahr später, als die Afrikanisch- Madegassische Union (OCAM) vorschlug, eine Institution für die kulturelle und technische Zusammenarbeit zwischen allen frankophonen Ländern zu gründen - die spätere Agence de Coopération Culturelle et Technique (ACCT) -, übte Paris Druck auf Niger aus, Québec zur geplanten Gründungskonferenz in der Hauptstadt Niamey einzuladen. Bei der Gründungsversammlung der ACCT 1970 waren 21 frankophone Regierungen vertreten: unter anderen Frankreich, um Québec zu stützen, Québec, um sich gegen Ottawa durchzusetzen und Kanada, um Québecs internationale Aufwertung zu unterlaufen.
So hat sich in den letzten Jahren der Fokus immer mehr von einer Sprach- und Kulturgemeinschaft entfernt und in Richtung einer politischen Institution verschoben. Seit 1986 findet alle zwei Jahre der Gipfel der Frankophonen Staaten statt, zuletzt der neunte Gipfel 2002 in Beirut (Libanon); für Herbst 2004 ist der nächste Gipfel in Ouagadougou (Burkina Faso) geplant.
Mehr als alle anderen trieb der senegalesische Staatschef und Dichter Léopold Senghor die Idee der Frankophonie voran. Er schlug dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing 1975 vor, ein frankophones Gipfeltreffen, eine Konferenz aller frankophonen Staatschefs, zu organisieren. Während Kanada das Ansinnen befürwortete, zögerte Frankreich. Auch diesmal war man sich über den Status von Québec nicht einig.
Mit dem Machtwechsel in Paris 1981 verschwand die Idee der Gipfeltreffen kurzzeitig in der Schublade, bis der damalige Präsident Mitterrand aufgrund der innenpolitischen Lage einen außenpoltischen Erfolg suchte: einen Gipfel in Paris. Das erste Frankophonen Gipfeltreffen fand im Februar 1986 statt. Damit trat die Frankophonie nicht nur in eine neue Phase ein, sondern bekam auch innerhalb der französischen Außenpolitik einen neuen Status zugewiesen: Im Außenministerium wurde eine eigens für Frankophonie zuständige Stelle und beim Premierminister ein Staatssekretariat für Frankophonie eingerichtet. Gleichzeitig entstand die erste internationale Plattform auf der Québec gleichberechtigt mit Kanada vertreten war; Kanada - als Mitglied des Commonwealth - entdeckte sie als zusätzliche Möglichkeit, sich in der Außen- und Entwicklungspolitik zu profilieren, und schließlich verhalf der Konkurrenzkampf zwischen Frankreich und Kanada den Entwicklungsländern zu mehr Unterstützung.
Am ersten Gipfeltreffen, das offiziell "Konferenz der Staats- und Regierungschefs der Länder, denen der Gebrauch der französischen Sprache gemeinsam ist" heißt, nahmen 41 Länder teil. Mit der Schaffung neuer Institutionen und Gremien - etwa die Kommission CIS, welche die auf den Gipfeln beschlossenen Maßnahmen überwachen soll, eine jährlich tagende Ministerkonferenz (CMF) und ein ständiger Rat (CPF) für die Bestimmung der Richtlinien zwischen den Gipfeln - wurde der ACCT schleichend immer mehr Macht entzogen.
Von besonderer Bedeutung war der Gipfel 1995 in Benin. Hier wurde beschlossen, der Frankophonie eine vollständig politische Dimension zu geben, indem die Organisation einen Generalsekretär wählen sollte, der die Frankophonie auch zwischen den Gipfelkonferenzen nach außen vertritt. Die neue Satzung Charte de la Francophonie, beschlossen auf der Ministerkonferenz 1996 in Marokko, begründet die Wendung zur politischen internationalen Organisation. Sie enthält die Idee der kulturellen Identität, die Forderung nach mehr Demokratie und die Solidarität in der frankophonen Gemeinschaft. Damit soll das Profil geschärft sowie die Frankophonie als internationale Zivilmacht gestärkt und glaubwürdiger werden. Durch die Charta ist die Rolle der Gipfelkonferenz als höchstes Organ der Frankophonie festgelegt. Die Umsetzung der von ihr festgelegten Richtlinien und Ziele überwacht die Ministerkonferenz CMF, die ihrerseits der ACCT (deren Abkürzung jetzt für Agence de la Francophonie steht) vorangestellt ist. Die Umsetzung der Ministerbeschlüsse überwacht der CPF, der aus persönlichen Vertretern der Staats- und Regierungschefs besteht.
Ein weiterer Meilenstein war der siebte Gipfel in Hanoi 1997. Der neu geschaffene Posten des Generalsekretärs wurde auf Betreiben Frankreichs (gegen den anfänglichen Widerstand der afrikanischen Mitgliedsstaaten) mit dem Ägypter und ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros-Ghali besetzt - als offizieller Repräsentant, Sprecher der Frankophonie und Verantwortlicher für die Beziehungen zu anderen internationalen Organisationen. Außerdem wurden fünf Programmschwerpunkte auf diesem Gipfel formuliert: Man will sich verstärkt für Konfliktprävention und Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten auf internationaler Ebene einsetzen, den kulturellen Austausch zwischen den Völkern durch den Ausbau von Kommunkationstechnologien verbessern, in der Bildungspolitik politisch zusammenarbeiten, die Verbreitung der französischen Sprache fördern sowie die Entwicklungszusammenarbeit koordinieren.
Ein Jahr später auf der Ministerkonferenz in Bukarest wurde der Name Organisation Internationale de la Francophonie (OIF) offiziell beschlossen. Auf dem neunten Frankophonen Gipfel in Beirut 2002 wurde Abdou Diouf, der ehemalige senegalesische Präsident (1981-2000), als Nachfolger von Boutros-Ghali gewählt. Dieser Gipfel war wegen der Anschläge am 11. September 2001 in New York um ein Jahr verschoben worden. Mit dem Thema "Dialog der Kulturen" hat die OIF die Diskussion um ein funktionierendes Miteinander verschiedener Religionen und Kulturen angesichts terroristischer Strömungen gefördert.
Die OIF versucht, neben anderen internationalen Institutionen und Organisationen sowie gegenüber der anglophonen Welt und als Alternative zur Globalisierung made in USA an Gewicht zu gewinnen. Deshalb nimmt sie zunehmend Staaten in ihre Gemeinschaft auf, die auch nach großzügigen Kriterien wenig oder gar nichts mit Frankophonie zu tun haben.
Es bleibt die Frage, ob das ursprüngliche Band von Sprache und Kultur erhalten bleiben kann und soll, oder ob sich die OIF noch einmal ein neues Gesicht geben wird.
aus: der überblick 01/2004, Seite 12
AUTOR(EN):
Eva-Maria Eberle:
Eva-Maria Eberle ist Redakteurin beim überblick.