Mexiko ist zum wichtigsten Transitland für den illegalen Drogenhandel in die USA geworden
Die Bedeutung Mexikos für die Belieferung des Drogenmarkts in den USA ist in den letzten zehn Jahren stark gestiegen. Mexiko dient als Transitland für Kokain aus dem Andengebiet und liefert außerdem Marihuana und Heroin aus eigener Herstellung. Die geringen Erfolge der mexikanischen Maßnahmen gegen den Drogenhandel belasten die Beziehungen zu den USA, und die Hinweise auf eine weit reichende Korrumpierung staatlicher Institutionen durch die Narko-Organisationen häufen sich. Einige Behörden sind so stark durch Schmiergelder von Drogenhändlern unterwandert, dass sie ihre Aufgaben nicht zu erfüllen vermögen.
von Dr. Karl Dieter Hoffmann
Der Schmuggel illegaler Rauschmittel aus Mexiko in die USA ist an sich kein neues Phänomen. Neu ist jedoch die führende Position des südlichen Nachbarlandes bei der Versorgung des weltweit größten Drogenmarkts. So stammte der Großteil des in den Vereinigten Staaten angebotenen Marihuana lange Zeit aus mexikanischer Produktion. Im Zusammenhang mit der Hippie-Bewegung und dem Boom alternativer Jugendkulturen stieg der Verbrauch seit Mitte der sechziger Jahre enorm an. Anfang der siebziger Jahre kamen rund achtzig Prozent des in den USA konsumierten Marihuana aus Mexiko, dessen Erzeugung dort Tausenden von Kleinbauern eine befriedigende Einnahmequelle verschaffte. Auch mexikanisches Heroin stellt ein traditionelles Element auf dem US-Drogenmarkt dar, spielte aber mehrere Jahrzehnte nur eine untergeordnete Rolle im Gesamtangebot. Dies änderte sich zu Beginn der siebziger Jahre nach der Zerschlagung der sogenannten French Connection (Türkei – Marseille), die bis dahin 80 Prozent des in den USA verkauften Heroins geliefert hatte. Die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage wurde rasch von mexikanischen Produzenten und Händlern geschlossen, die bereits 1973 den US-Heroinmarkt dominierten.
Politischer Druck aus Washington führte aber alsbald zur Verschärfung der mexikanischen Maßnahmen gegen das Drogengeschäft. Oberstes Ziel war, die Rohstoffproduktion zu unterbinden – im wesentlichen mittels manueller Zerstörung von Drogenpflanzungen durch Militäreinheiten sowie mittels Besprühung von Opium- und Marihuanafeldern mit Herbiziden. Dies hatte einen raschen Rückgang des grenzüberschreitenden Handels mit den beiden Rauschmitteln zur Folge. Mexikanisches Marihuana ließ sich wegen Pestizidrückständen bei einem Teil der Ware nur noch schwer absetzen, während der Anteil Mexikos am US-Heroinmarkt 1980 mit rund 25 Prozent nur noch ein Drittel des fünf Jahre zuvor erreichten Werts betrug. Damals stiegen Kolumbien und Jamaika zu den wichtigsten Lieferanten für die pot-Raucher in den USA auf, bis Gegenmaßnahmen in diesen Ländern zu einer erneuten Trendumkehr führten. Anfang der neunziger Jahre nahmen mexikanische Händler wieder den ersten Platz unter den Zulieferern für den US-Markt ein. Eine schnell expandierende Produktion in einigen Staaten der Westküste der USA selbst deckte allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits den größten Teil der landesweiten Nachfrage. Heute bieten US-amerikanische und kanadische Produzenten Marihuana in einer konkurrenzlos guten Qualität mit ungewöhnlich hohem Wirkstoffgehalt an.
Eine neue Dimension erhielt die Rolle Mexikos im regionalen Drogengeschäft, als die großen kolumbianischen Kokainhandelsorganisationen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre dazu übergingen, einen rasch steigenden Teil der für die USA bestimmten Lieferungen über die mexikanische Grenze zu schmuggeln. Das aus dem südamerikanischen Kokablatt extrahierte Kokain und dessen Derivat Crack sind seit Beginn der achtziger Jahre die meistverkauften harten Drogen in den USA. In den ersten Jahren hatten die kolumbianischen Händler Schmuggelwege durch die Karibik genutzt und das Kokain meistens via Florida eingeschleust. Eine enorme Verstärkung der Kontrollmaßnahmen der US-Drogenpolizei, der Zollbehörde und der Küstenwache in dieser Region führte zu einem erhöhten Risiko für die Drogenschmuggler und veranlasste die Kokainbarone aus Medellín und Cali schließlich dazu, sich nach anderen Transportrouten umzusehen.
Die über 3000 Kilometer lange Grenze zwischen Mexiko und den USA bot günstige Voraussetzungen für den Schmuggel. Da die Grenze über riesige Strecken nicht (bzw. einzig durch natürliche Barrieren wie Flüsse oder Wüstengebiete) oder nur unzureichend gesichert war, war sie ein ideales Terrain für illegale Transaktionen jeglicher Art. Dies und das starke Wohlstandsgefälle zwischen den beiden Ländern erklären, warum in der Grenzregion seit dem 19. Jahrhundert ein reger illegaler Grenzverkehr herrscht. In der Prohibitionszeit fanden mexikanische Alkoholika nördlich des Rio Grande reißenden Absatz. Seit den fünfziger Jahren wurden Zehntausende in den USA gestohlene Kraftfahrzeuge über die Grenze gebracht. In den siebziger und achtziger Jahren bereicherten gefälschte Markentextilien aus Mexiko und Unterhaltungselektronik aus den USA die Palette der illegal gehandelter Güter. Für die Durchlässigkeit der Grenze spricht auch und gerade die Tatsache, dass seit den sechziger Jahren jährlich Hunderttausende von illegalen mexikanischen Arbeitsimmigranten in die USA gelangen.
Im Mittelpunkt des Interesses der kolumbianischen Kokainlieferanten standen freilich die Aktivitäten mexikanischer Drogenschmuggler, deren Erfahrungen und kriminelle Infrastruktur man sich gegen Bezahlung zu Nutze machen konnte. Die Kooperation erwies sich für die neuen Partner als sehr vorteilhaft: Während die Kolumbianer ihr Risiko beträchtlich zu mindern vermochten, weil nun der gefährlichste Abschnitt in der illegalen Handelskette den mit der Grenzregion vertrauten mexikanischen Banden übertragen wurde, erhielten diese die Möglichkeit, von den Einnahmen aus dem boomenden Kokainabsatz in den USA zu profitieren.
Die Zufriedenheit der kolumbianischen Kokainhändler mit der Arbeit der mexikanischen Schmuggler kam darin zum Ausdruck, dass immer größere Mengen des Suchtstoffs über diese Route transportiert wurden. Erreichten 1988 gemäß den Schätzungen der zuständigen US-Behörden erst rund 20 Prozent des Kokains das Gebiet der Vereinigten Staaten via Mexiko, erhöhte sich dieser Anteil bis Mitte der neunziger Jahre auf über 70 Prozent. Durch die entsprechend steigenden Einnahmen vermochten die mexikanischen Drogenhändler ihre Position gegenüber den kolumbianischen Zulieferern zu verbessern. Dieser Trend wurde dadurch enorm verstärkt, dass in Kolumbien gleichzeitig eine Neustrukturierung des Kokaingeschäfts stattfand, die durch die Zerschlagung beziehungsweise erhebliche Schwächung der beiden großen Händlerringe von Medellín und Cali ausgelöst worden war. Während sich dort in Produktion und Handel eine Aufteilung auf eine Vielzahl von verhältnismäßig kleinen Banden abzeichnete, konzentrierte sich der mexikanische Transithandel mit Kokain zunehmend auf einige wenige Organisationen, die jeweils bestimmte Gebiete entlang der Grenze zu den USA kontrollieren.
Ebenso unzutreffend und unausrottbar wie im kolumbianischen Fall hat sich zur Bezeichnung dieser kriminellen Gruppen der Begriff "Kartell" eingebürgert. Zweifelhafte Berühmtheit erlangten insbesondere die Kartelle von Tijuana, Ciudad Juárez, vom Bundesstaat Sinaloa und das im Bereich des Golfs von Mexiko aktive cártel del golfo. Die Grenzstädte Tijuana und Ciudad Juárez haben die höchsten Verbrechens- und Mordraten Mexikos, wobei ein großer Teil der Tötungsdelikte auf Konflikte innerhalb des Drogenhändlermilieus zurückgeht.
Der kriminelle Charakter dieser Gruppen bringt es mit sich, dass wenig Verlässliches über deren Aufbau und innere Organisation sowie die Abwicklung und das Ausmaß der dunklen Geschäfte bekannt ist. Sowohl die Schätzungen über die jährlich in die USA geschmuggelten Kokainmengen als auch die Annahmen über Umsätze und Gewinne der diversen Kartelle bewegen sich in großen Bandbreiten.
Einigermaßen gesichert ist aber, dass die mexikanischen Kartelle heute die mächtigsten Organisationen im gesamten lateinamerikanischen Drogenhandelskomplex darstellen. Dies geht wesentlich darauf zurück, dass die mexikanischen Banden jenen Abschnitt des Kokainhandels kontrollieren, in dem die stärkste Wertsteigerung der illegalen Ware eintritt, nämlich den Transfer in das eigentliche Absatzgebiet. Nach den Berechnungen des US-Drogenexperten Peter Reuter erhöht sich der Preis eines Kilos Kokain zwischen der kolumbianischen und der US-Grenze um rund 10.000 Dollar. Ein beträchtlicher Teil dieser Spanne dürfte in die Taschen mexikanischer Drogenbosse fließen, die in der Regel außerdem mit Heroin und zum Teil auch noch mit Marihuana handeln. Dass Mexiko in jüngster Zeit zum nach Kolumbien zweitwichtigsten Heroinlieferanten für den US-Markt aufsteigen konnte, liegt nicht zuletzt an dem ungewöhnlich hohen Reinheitsgrad der heute angebotenen Ware. Der enorme Qualitätsanstieg gegenüber der früheren minderwertigen Ware hat eine zusätzliche Nachfrage ausgelöst, weil Heroin mit einem solch hohen Reinheitsgrad auch geraucht werden kann.
Die mexikanischen Banden vermochten ihre Einnahmen und mithin ihre Macht in dem Maße zu steigern, wie es ihnen gelang, auch in die Großhandelsebene des US-Drogenmarktes vorzudringen. Diese hatte sich zuvor teilweise in der Hand von Mitgliedern der großen kolumbianischen Kartelle befunden. Mexikaner übernahmen Großhandelsfunktionen zumeist im Zusammenhang mit der erwähnten Reorganisation des kolumbianischen Drogenhandels, in mehreren Fällen auch infolge aggressiver Verdrängungspraktiken der mexikanischen Banden. Gemäß den Erkenntnissen der US-Justizbehörden kontrollieren Mexikaner mittlerweile die Verteilernetze für Kokain, Heroin und Marihuana in zahlreichen wichtigen Absatzgebieten.
Die Voraussetzungen dafür sind für Mexikaner ungleich besser als für andere Lateinamerikaner. Dies liegt vor allem an den großen mexikanischen Kolonien in zahlreichen Großstädten der USA, die den Dealern optimale Tarnmöglichkeiten bieten. Die Strafverfolgungsbehörden haben es zumeist mit Gangstern zu tun, die lange Zeit in den USA leben und die Situation dort genauestens kennen. Außerdem bildet der nie versiegende Zustrom an illegalen mexikanischen Arbeitsimmigranten ein ideales Rekrutierungspotenzial für Tätigkeiten auf der untersten Stufen des Drogenhandels (etwa Kuriere, Fahrer und Aufpasser). Auch wenn nur eine verschwindend kleine Minderheit der in den USA lebenden Mexikaner in das Drogengeschäft verwickelt ist, bahnt sich hier die Gefahr einer pauschalen Diskriminierung an.
In Mexiko sind Macht und Einfluss der einzelnen Händlerringe einem kontinuierlichen Wandlungsprozess ausgesetzt. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre galt das Golf-Kartell als wichtigste Drogenhandelsorganisation. Sein Chef García Abrego soll als erster gegenüber den kolumbianischen Zulieferern durchgesetzt haben, dass die Dienste der mexikanischen Schmuggler mit bestimmten Kokainmengen statt mit Bargeld abgegolten werden. 1996 wurde er verhaftet und in die USA ausgeliefert, wo er auf der Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher stand. Ein Jahr später wurde auch Garcías Nachfolger an der Kartell-Spitze von der Polizei gestellt, und seitdem häufen sich die Hinweise auf eine empfindliche Schwächung dieser Organisation. Damals rückte das Kartell von Ciudad Juárez in die führende Position der mexikanischen Drogengangs auf. Dessen Chef Armando Carillo erhielt den Übernamen "Herr der Lüfte", weil er ausgediente Passagierflugzeuge zum Drogentransport zwischen Kolumbien und Mexiko einsetzte. Nach dem mysteriösen Tod von Carillo im Jahre 1997 wurde das Kartell reorganisiert, dominiert mit einem geschätzten Anteil von 50 Prozent der Kokainexporte in die USA aber weiterhin das mexikanische Drogengeschäft. Als solideste und gewalttätigste unter den Drogengangs gilt das Kartell von Tijuana, das außer mit Kokain auch mit Amphetaminen handelt.
Gemessen an den gängigen Erfolgsindikatoren kann sich die mexikanische Bilanz der Bekämpfung des Drogenhandels durchaus sehen lassen: Die jährlichen Statistiken weisen imposante Zahlen über das Ausmaß zerstörter Drogenpflanzungen, die Menge der beschlagnahmten Suchtstoffe und die Verhaftung von Drogenhändlern aus. Diese Erfolge sind freilich vordergründig, weil die Antidrogenprogramme ihr eigentliches Ziel völlig verfehlt haben. Obwohl deren finanzielle, personelle und technische Ausstattung ständig verbessert wurde, konnten Produktion und Handel nicht spürbar vermindert werden, der Zustrom von illegalen Drogen auf den US-Markt hält unvermindert an.
Seit einigen Jahren stellt das mexikanische Militär über 20.000 Soldaten für Antidrogen-Einsätze ab; der Großteil dieses Kontingents ist mit der Zerstörung von Drogenpflanzungen beschäftigt. 1999 entfiel ein Viertel des Budgets des Verteidigungsministeriums auf Antidrogen-Einsätze. Fast 2000 mexikanische Soldaten haben bislang in Militärkollegs der USA an Lehrgängen zur Drogenbekämpfung teilgenommen. Auch im Bereich von Justiz und Polizei sind die mit Drogendelikten betrauten Behörden stark ausgebaut worden.
Die USA haben auf den wachsenden Drogenschmuggel aus Mexiko mit einer Verstärkung der Grenzsicherungen und Kontrollen reagiert, wobei sich einige der Maßnahmen gleichzeitig oder vorrangig gegen den Zustrom illegaler Arbeitsimmigranten richten. Zwischen 1993 und 1998 ist die Zahl der Agenten der Grenzpolizei auf rund 8.000 verdoppelt worden, bis 2001 sollen jährlich weitere 1.000 Beamte dazukommen. Parallel dazu wurde die technische Ausrüstung und Bewaffnung ständig verbessert. In einigen Grenzabschnitten wird die Polizei von kleinen Militärtrupps unterstützt. Auch werden an der Grenze seit Beginn der neunziger Jahre wesentlich mehr Agenten der Drogenpolizei eingesetzt, und an den Grenzübergängen verrichten heute wesentlich mehr Zollbeamte ihren Dienst als noch vor wenigen Jahren.
Der Ausbau der mexikanischen Drogenabwehr und die verschärften Kontrollen an der Grenze zu den USA haben die Abwicklung des Drogenhandels zweifellos erschwert. Die Schmugglerbanden haben es jedoch verstanden, ihre kriminelle Infrastruktur den gestiegenen Risiken anzupassen. Sobald die Drogenabwehr eine wichtige Schmuggelroute ins Visier nimmt und das entsprechende Gebiet intensiver überwacht, verlegen die Kartelle ihre Lieferwege in andere Regionen. Ähnlich flexibel verhalten sie sich bei den Schmuggelmethoden. Als eine verbesserte Überwachung des mexikanischen Luftraums die Landung von Drogenflugzeugen riskanter machte, ließen die Kartelle die Ladungen im karibischen Meer abwerfen, wo sie von Motorbooten aufgefischt und zur Küste gebracht wurden. In jüngster Zeit werden beim Kokaintransport Kleinflugzeuge zunehmend durch leistungsstarke Schnellboote ersetzt, welche die Distanz zwischen Kolumbien und Mexiko in rund 24 Stunden bewältigen.
Für den Schmuggel über die US-Grenze haben die engeren Wirtschaftsbeziehungen infolge des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA (in Kraft getreten 1994) den Drogenhändlern enorme Vorteile gebracht. Infolge des rapiden Wachstums der mexikanischen Exporte in die USA muss sich die Kontrolle der Trucks an der Grenze trotz des Personalausbaus beim Zoll auf Stichproben beschränken. Dazu kommt ein schnell ansteigender grenzüberschreitender Pkw- und Personenverkehr, der ebenfalls mannigfaltige Schmuggelmöglichkeiten bietet.
Mit der kriminellen Kreativität, mit der es den Kartellen gelingt, den Strafverfolgungsbehörden immer einen Schritt voraus zu sein, lässt sich der Erfolg des grenzüberschreitenden Drogenhandels indes nicht vollständig erklären. Daneben kommt dem Faktor Korruption eine zentrale Bedeutung zu. Bestechung ist freilich keine neue Erscheinung in Mexiko, vielmehr gibt es dort traditionell eine alle gesellschaftlichen Bereiche und insbesondere die Staatsbürokratie durchdringende "Kultur der Korruption". Mit den riesigen Finanzmitteln, die den Drogenkartellen zur Verfügung stehen, hat dieses Übel jedoch eine neue Dimension angenommen. Schätzungen über die jährlich von den großen Drogenhändlern ausgezahlten Bestechungsgelder bewegen sich zwischen 250 und 600 Millionen US-Dollar.
Als anfällig für die Schmiergelder aus dem Drogenmilieu erweisen sich nicht nur untere und mittlere Chargen staatlicher Organe, sondern auch zahlreiche Inhaber von Spitzenpositionen. Das Spektrum reicht von Polizisten, die nach Dienstende Wach- und Schutzaufgaben für Drogenhändler übernehmen, über Bankmanager, die Geld aus dem Drogengeschäft "waschen", und Richter, die notorische Drogenhändler nur zu kurzen Haftstrafen verurteilen oder frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen, bis hin zu Gouverneuren von Gliedstaaten, denen die Kollaboration mit Führungsfiguren der Kartelle angelastet wird. So tauchte der Gouverneur von Quintana Roo – der Bundesstaat grenzt an Guatemala, Belize und die Karibik – Anfang 1999 zehn Tage vor dem Ablauf seiner Amtszeit unter, um sich einer Untersuchung wegen schwerwiegender Korruptionsvorwürfe zu entziehen: Er soll das Juárez-Kartell protegiert haben.
Im Zentrum des spektakulärsten Falls der letzten Jahre steht Raúl Salinas, der in der Zeit der Präsidentschaft seines Bruders Carlos (1988-1994) die Tätigkeit kolumbianischer und mexikanischer Drogenhändler in vielfältiger Weise unterstützt und dafür Schmiergelder in Höhe von mehreren Millionen Dollar kassiert haben soll. Auf diversen ausländischen und mexikanischen Konten wurden rund 250 Millionen Dollar sichergestellt, deren angeblich legale Herkunft er nicht beweisen konnte. Raúl Salinas verbüßt derzeit eine lange Haftstrafe aufgrund eines anderen Delikts, eines Mordkomplotts.
Besondere Aufmerksamkeit erregen Korruptionsfälle, die Angehörige von staatlichen Einrichtungen betreffen, deren ureigene Aufgabe die Bekämpfung des Drogenhandels ist. 1997 ertappte man Mitglieder einer militärischen Spezialeinheit der Luftwaffe, die den Luftraum überwachen und Drogenflugzeuge abfangen sollte, als sie an Bord ihrer Maschine eine größere Menge Kokain von der guatemaltekischen Grenze nach Mexiko-Stadt transportierten. Jahrelang sollen Polizeioffiziere den zuständigen Beamten in der Generalstaatsanwaltschaft hohe Summen gezahlt haben, damit sie ihnen Kommandoposten in solchen Bundesstaaten und Regionen zuweisen, in denen der Drogenhandel blüht und mithin hohe Bestechungsgelder locken. In den letzten Jahren wurden mehrere Hundert Mitarbeiter der Antidrogen-Behörde und der ihr übergeordneten Generalstaatsanwaltschaft wegen nachgewiesener Kollaboration mit Drogenhändlern oder begründetem Verdacht darauf entlassen.
Anfang 1997 wurde sogar der Chef der nationalen Drogenbekämpfungsbehörde, General Gutiérrez, verhaftet, weil er lange Zeit mit dem Boss des Juárez-Kartells kollaboriert hatte. Gutiérrez, der in sechs Jahren ein Vermögen von über 100 Millionen Dollar angehäuft hatte, konnte durchaus erfolgreiche Antidrogenmaßnahmen vorweisen, welche sich aber bevorzugt gegen die Konkurrenzunternehmen des Juárez-Kartells richteten. Dieser Fall bedeutete auch eine herbe Enttäuschung für die USA, die die mexikanische Regierung seit Jahren gedrängt hatten, Schlüsselpositionen der staatlichen Drogenbekämpfung wegen der notorischen Korruption der Polizeibehörden mit Militärs zu besetzen. Die Folge war die zunehmende Korrumpierung einer Institution, die bisher von diesem Übel weitgehend verschont geblieben war – des Militärs. Bis heute sind viele Dutzend Angehörige der Streitkräfte, darunter zahlreiche hohe Offiziere, wegen passiver oder aktiver Unterstützung des Drogenhandels angeklagt worden. Allerdings haben große Teile des Militärs die zunehmende Einbindung ihrer Organisation in die staatliche Drogenabwehr nie gutgeheißen.
Die mexikanische Regierung reagierte auf die Enttarnung von General Gutiérrez mit einer völligen Reorganisation der Antidrogen-Behörde. Dies ist das bei solchen Anlässen übliche Verfahren: Häufen sich Korruptionsfälle in Polizei- oder Justizbehörden, werden diese aufgelöst und durch neue Einheiten mit geänderten Bezeichnungen ersetzt, wodurch allenfalls eine vorübergehende Verringerung der Missstände erreicht werden kann. Zusätzlich wurden in den letzten Jahren verschärfte Selektionskriterien für das Personal der neuen Einrichtungen angewandt; an der Überprüfung und Auswahl der Mitarbeiter einiger besonders wichtiger Behörden der staatlichen Drogenbekämpfung waren sogar US-Spezialisten beteiligt. Mittlerweile sind aber auch in solchen Einheiten bereits mehrere Korruptionsfälle aufgetreten.
Die mexikanische Regierung versucht die triste Korruptionsbilanz mit dem Argument zu beschönigen, dass jeder aufgedeckte Bestechungsfall den festen Willen der politischen Führung demonstriere, das Übel zu bekämpfen. Ähnlich hilft sich die US-Regierung, wenn sie ihre Entscheidung rechtfertigt, Mexiko im Rahmen des jährlichen Certification-Verfahrens eine ausreichende drogenpolitische Kooperation zu bescheinigen. Mit diesem 1986 von der Regierung Reagan eingeführten Verfahren beurteilt die beim Drogenkonsum weltweit führende Nation die Drogenpolitik jener Länder, die für die Produktion und den illegalen Export von Drogen Bedeutung haben. Länder, die nicht zertifiziert werden – so etwa 1996 und 1997 Kolumbien -, haben wirtschaftliche Sanktionen sowie ein US-Veto gegen die Vergabe von multilateralen Krediten zu gewärtigen.
Mexiko hat bisher in jedem Jahr die Zertifikation erhalten, was jeweils laute Proteste konservativer Kongressmitglieder und führender Politiker aus den US-Bundesstaaten an der Südgrenze hervorrief. Die Entscheidung des Weißen Hauses beruhte freilich nicht primär auf drogenpolitischen Kriterien. Vielmehr wurde angesichts der Bedeutung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen der Schaden einer Dezertifizierung ungleich höher eingeschätzt als der mögliche Nutzen.
Die mexikanische Regierung ist sehr bemüht, ein günstiges Bild ihrer Drogenbekämpfung zu vermitteln: Mehrfach wurden neue drogenpolitische Initiativen kurz vor dem Zertifikationstermin (1. März) verkündet, und auch einige spektakuläre Antidrogen-Einsätze und Verhaftungen scheinen mit Blick auf dieses Datum terminiert worden zu sein. Dass die Präsidenten Salinas und Zedillo den Drogenhandel zum vordringlichen Problem der nationalen Sicherheit erklärt haben, ist primär als symbolisch-propagandistischer Akt zu werten, der die Bereitschaft zu entschlossenem Handeln demonstrieren soll und in den USA die erhoffte Wirkung nicht verfehlt hat. Die mexikanische Regierung musste aber auch eine Reihe von echten Zugeständnissen machen, um Washington die Ernsthaftigkeit ihres drogenpolitischen Engagements zu beweisen. Dass sie dem Drängen der USA nachgegeben und einer militärischen Zusammenarbeit zugestimmt hat, wäre noch vor zehn Jahren wegen der traditionell extremen Empfindlichkeit in Souveränitätsangelegenheiten gegenüber Washington undenkbar gewesen.
Mexiko sieht sich wegen der zum Teil harschen Kritik an seiner Drogenpolitik aber auch immer wieder genötigt, auf die Verantwortung der Konsumentenseite für das Drogenproblem zu verweisen und von Washington verstärkte Anstrengungen zur Verminderung der Nachfrage nach Kokain und Heroin zu fordern. Die USA verfolgen jedoch seit jeher eine angebotsorientierte Strategie der Drogenbekämpfung, die es erlaubt, die Hauptlast der Verantwortung den Herkunfts- und Transitländern der Drogen zuzuschieben.
Im Mittelpunkt der Kritik der USA an der mexikanischen Drogenbekämpfung steht verständlicherweise die Korruption. Dieses Übel wird als der wichtigste Grund für die mangelnde Wirkung der verschiedenen Antidrogenprogramme angesehen. Nun lässt sich das ungeheure Ausmaß dieses Problems weder bestreiten noch beschönigen, es ist weit größer als in anderen lateinamerikanischen Ländern, die in den Drogenhandel verwickelt sind. Was die US-Kritik jedoch geflissentlich ignoriert, ist die Tatsache, dass die Korruption ein zwangsläufiges Nebenprodukt des Drogenhandels darstellt, der seinerseits nach einer Logik funktioniert, die unmittelbar aus der staatlichen Drogenbekämpfungsstrategie und der dieser zugrunde liegenden Verbotspolitik resultiert. Das Argument, nach einer Ausmerzung der Korruption würde die mexikanische Drogenpolitik ihr Ziel erreichen, ist Unsinn, wenn Bestechlichkeit und Bestechung integrale Bestandteile des illegalen Drogengeschäfts darstellen.
Das zeigt sich auch auf der US-Seite der Grenze. Dort sind in den letzten Jahren mehrere Dutzend Zollbeamte wegen der Kollaboration mit Drogenhändlern – unter anderem mexikanischen – verhaftet worden. Die Dunkelziffer wird von Experten als sehr hoch eingeschätzt, denn die meisten korrupten US-Grenzbeamten werden kaum je entlarvt, weil ihnen ein Vergehen schwer nachzuweisen ist: Wenn ohnehin nur etwa jedes zehnte Fahrzeug beim Grenzübertritt näher kontrolliert wird, fällt der Beweis für das wissentliche Durchwinken eines mit Drogen beladenen Autos sehr schwer.
Wenn US-Politiker das anhaltende Drogenproblem in ihrem Land mit mangelndem Anstrengungen der mexikanischen oder kolumbianischen Regierung erklären, weichen sie dem Eingeständnis aus, dass die von ihnen verfolgte Antidrogenstrategie längst gescheitert ist. Diese spricht grundlegenden ökonomischen Mechanismen Hohn: Angestrebt wird, den Zustrom von illegalen Drogen spürbar zu verringern und deren Preis dadurch so stark zu erhöhen, dass die Nachfrage zurückgeht. Tatsache aber ist, dass bei steigenden Preisen die Profitaussichten und damit die Risikobereitschaft der Drogenhändler zunehmen und diese immer neue Mittel und Wege finden, die Märkte zu beliefern. Die von den USA und anderen Industrieländern praktizierte Gegenstrategie stellt in Wirklichkeit selbst einen Teil des Drogenproblems dar.
In jüngster Zeit scheint die mexikanische Drogenabwehr in Verbindung mit den verstärkten Kontrollmaßnahmen auf der Nordseite der gemeinsamen Grenze durchaus Wirkung zu zeigen. Darauf deutet zumindest hin, dass wieder ein größerer Teil des südamerikanischen Kokains über diverse karibische Schmuggelrouten in die USA geschleust wird, wobei Puerto Rico und Haiti wichtige Zwischenstationen zu bilden scheinen. Die geographische Lage Mexikos und die lange gemeinsame Grenze stellen zwar ideale Voraussetzungen für den Drogenschmuggel in die USA dar, die Rolle des Landes in diesem illegalen Geschäft ist aber weitgehend ersetzbar. Angetrieben wird es in erster Linie von der hohen Nachfrage und weniger von der Produktion oder dem Transithandel. Außer Frage steht, dass der Drogenhandel und die fragwürdigen Methoden zu seiner Bekämpfung in Mexiko die Korruption nähren und die Herausbildung eines demokratischen Rechtsstaats erschweren.
aus: der überblick 02/2000, Seite 39
AUTOR(EN):
Dr. Karl Dieter Hoffmann:
Dr. Karl Dieter Hoffmann ist Politikwissenschaftler und Geschäftsführer des Zentralinstituts für Lateinamerika-Studien an der Katholischen Universität Eichstätt.