Erfahrungen im Streit um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte
Die Menschenrechtskommission ist das wichtigste menschenrechtliche Gremium der Vereinten Nationen. Sie tagt jedes Jahr im Frühjahr in Genf. Dabei macht der Streit um Menschenrechtsverletzungen in China - Peking konnte sich auch dieses Jahr mit dem Antrag auf "Nichtbefassung" durchsetzen - jedes Jahr Schlagzeilen, die Diskussion um die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte findet dagegen kaum Aufmerksamkeit. Christian Much, der dieses Jahr als Mitglied der deutschen Delegation federführend eine Resolution dazu formuliert, eingebracht und die entsprechenden Verhandlungen geleitet hat, beschreibt, wie die Debatte verlaufen ist und was die Kommission am Ende verabschiedet.
von Christian Much
Die Menschenrechtskommission (MRK) hat 53 Mitglieder, diese Staaten werden jeweils für drei Jahre vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) gewählt. Sie tritt jedes Jahr von Mitte März bis Ende April in Genf zusammen. Dann werden etwa 90 teils länder-, teils themenbezogene Resolutionen verhandelt und verabschiedet. Die Aushandlung erfolgt in informellen Arbeitsgruppen, die sich parallel zum Plenum der Menschenrechtskommission treffen. Alle übrigen UN-Mitgliedsstaaten sind berechtigt, an den Verhandlungen über die Resolutionen mitzuwirken. Charakteristisch für die Menschenrechtskommission ist, dass NGO-Vertreter die Meinungsbildung durch Lobbyarbeit erheblich beeinflussen und in zunehmendem Maße den eigentlichen Verhandlungen beiwohnen können – wenn auch ohne Rede- oder gar Stimmrecht.
Die einzelnen Resolutionen betreut jeweils ein Staat als "Haupteinbringer". Das beinhaltet, den Resolutionsentwurf zu erstellen, zu Verhandlungen einzuladen und diese dann zu leiten, konträre Positionen nach Möglichkeit zusammenzuführen, die stimmberechtigten MRK-Mitglieder zur Zustimmung zu bewegen und möglichst breite Unterstützung durch die "Miteinbringer" zu mobilisieren. Bei letzteren handelt es sich um Staaten, die sich mit dem Resolutionsinhalt ganz besonders identifizieren und dies durch Eintragung in eine Unterstützer-Liste öffentlich machen.
Im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (wsk-Rechte) gibt es alljährlich eine Grundsatzresolution. Sie behandelt Fragen, die alle wsk-Rechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ("Sozialpakt") und das für seine Umsetzung zuständige Vertragsorgan, den Sozialrechtsausschuss, betreffen. Weiter werden Resolutionen zu Einzelthemen verabschiedet wie extreme Armut, Recht auf Nahrung, illegale Giftmüllverbringung, Auswirkung von Strukturanpassungspolitiken und Auslandsverschuldung.
Traditioneller Haupteinbringer der Grundsatzresolution ist Portugal. Es hat in vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet, um den weltweiten Grundkonsens zu den wsk-Rechten in einer Resolution zusammenzufassen, die meist ohne förmliche Abstimmung angenommen wurde. Da Portugal im ersten Halbjahr 2000 die EU-Präsidentschaft inne hat, hat es Deutschland gebeten, in der diesjährigen 56. Sitzung der Menschenrechtskommission die Resolution zu den wsk-Rechten zu betreuen. Im kommenden Jahr wird es aber seine angestammte Rolle als Haupteinbringer wieder einnehmen.
Über die Fortschreibung traditioneller Grundsätze hinaus (unter anderem Unteilbarkeit und Gleichrangigkeit aller Menschenrechte, Notwendigkeit internationaler Zusammenarbeit zur Förderung nationaler Rechtsimplementierung, Aussagen zum Sozialrechtsausschuss und zur Bedeutung des Staatenberichtsverfahrens) strebte die Resolution in diesem Jahr neue Akzentsetzungen in vier Bereichen an. Erstens sollte ein Sonderberichterstatter im Bereich der wsk-Rechte eingesetzt werden. Sonderberichterstatter sind von der MRK bestellte unabhängige Experten, die ein Land oder ein Thema besonders beobachten, Empfehlungen aussprechen können und der MRK darüber berichten. Zweites Ziel war die Aufwertung der Aussagen zum Recht auf Erziehung. Drittens sollten neue konzeptionelle Ansätze gewürdigt und festgeschrieben und viertens Fortschritte auf dem Weg zur Verabschiedung eines Zusatzprotokolls zum Sozialpakt erreicht werden.
Im ersten und zweiten Punkt ist diese Akzentsetzung gelungen, im dritten (erwartungsgemäß) nur teilweise, im vierten (leider) nur in sehr geringem Umfang. Insgesamt ist die Bilanz jedoch positiv. Die Resolution wurde am 17. April 2000 von der Menschenrechtskommission im Konsens angenommen und hatte mit 57 Unterzeichnern mehr Miteinbringer als im Vorjahr (52).
Damit hat die MRK das Mandat für einen Sonderberichterstatter zu den Rechten auf angemessene Unterbringung beschlossen. Sie sind im Sozialpakt und in der Kinderrechtskonvention sowie in den Nichtdiskriminierungsvorschriften der Frauenrechts- und der Anti-Rassismus-Konvention enthalten. Damit leistet die Kommission einen Beitrag dazu, dass die rund eine Milliarde Menschen in aller Welt, deren Hoffnung auf menschenwürdige und rechtlich abgesicherte Unterbringung noch unerfüllt ist, eine Chance zur Entfaltung von Eigenanstrengungen erhält. Gerade Frauen sind auch in diesem Bereich oft benachteiligt. Das Mandat knüpft an zwei Weltkonferenzen zu Siedlungsfragen an sowie an die Arbeit der UN-Sonderorganisation Habitat mit Sitz in Nairobi, die derzeit von Klaus Töpfer geleitet wird.
Das Mandat konnte beschlossen werden, nachdem die Bedenken von zwei Kategorien von Staaten überwunden wurden. Die eine Gruppe, insbesondere entwickelte "Sozialstaaten", wollte klargestellt sehen, dass das Recht auf Wohnung kein individueller Leistungsanspruch gegenüber der Regierung sei ("Recht auf staatliche Zurverfügungstellung des Eigenheims"), sondern auf staatliche Garantie eines Eigenanstrengungen ermöglichenden rechtlichen Rahmens sowie auf nicht-diskriminierenden Zugang zu bestehenden Wohnungen. Die andere Gruppe, insbesondere Entwickungsländer, befürchtete, mit einem Sonderberichterstatter werde ein neuer "Anklagemechanismus" geschaffen. Aus ihrer Interessenlage heraus sei es viel wichtiger, konstruktive Lösungen aufzuzeigen und neue Ressourcen zu mobilisieren.
Die Bedenken konnten dadurch überwunden werden, dass (wie für die MRK-Arbeit nicht untypisch) die deutsche Delegation ihre Überzeugungsarbeit mit den einschlägigen Fachinstitutionen (Habitat) und Nichtregierungsorganisationen (vor allem dem Centre on Housing Rights and Evictions – COHRE) abgestimmt hat.
Die Aussagen zum Recht auf Erziehung und zur Arbeit der seit zwei Jahren tätigen Sonderberichterstatterin (Katarina Tomaševski) sind in der Resolution erstmals in einem eigenen Kapitel zusammengefaßt. Das ist eine Vorstufe dazu, in der kommenden Sitzung der Menschenrechtskommission eine eigene Resolution zum "Recht auf Erziehung" einzubringen. Nach einem Haupteinbringerstaat wird noch Ausschau gehalten. Im jetzt verabschiedeten Kapitel II werden Frau Tomaševski Mandatstätigkeit (unter anderem ihr Dialog mit der Weltbank) sowie eine Welterziehungskonferenz, die Ende April 2000 in Dakar stattfand (Education for All Forum), zustimmend kommentiert und ein entwicklungspolitisch interessantes Seminar über Erziehungs-Indikatoren beschlossen.
Die Resolution bemüht sich in mehrfacher Weise, neue konzeptionelle Ansätze im Umgang mit den wsk-Rechten zu fördern. Das ist aus folgenden Gründen notwendig: Trotz der deklamatorisch unbestrittenenen Gleichrangigkeit der bürgerlichen und politischen Rechte einerseits und der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten andererseits ist der genaue Regelungsinhalt der wsk-Rechte vielfach noch ungeklärt. Diese Rechte lassen sich nicht so einfach als Ansprüche auf staatliches Unterlassen oder Dulden fassen, wie das bei den bürgerlichen und politischen Rechten der Fall ist. Für viele wsk-Rechte ist vielmehr ein Anspruch auf staatliches Handeln charakteristisch, aber nicht auf unmittelbare Erfüllung privater Bedürfnisse, sondern auf allgemein gültige, nicht diskriminierende, Eigenanstrengungen ermöglichende Regelung.
Dies wird noch dadurch kompliziert, dass der Sozialpakt ausdrücklich nur fortschreitende Rechtserfüllung fordert. Um Entwicklungsländern keine unrealistischen Pflichten aufzuerlegen, verlangt Art. 2(1) des Sozialpakts Rechtsverwirklichung "nach und nach" und "unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten".1 Die sich hieraus ergebenden Unklarheiten hinsichtlich der Justiziabilität der wsk-Rechte sind eines der häufigsten Argumente, die gegen das im Entwurf eines wsk-Zusatzprotokolls vorgesehene Individualbeschwerdeverfahren erhoben werden. Auch die Bundesregierung hält die Justiztiabilität vieler wsk-Rechte für ungeklärt und fordert daher Anstrengungen zur Behebung der Unklarheiten (Stellungnahme zum Entwurf des Zusatzprotokolls, UN-Dokument E/CN. 4/2000/49).
Dies sollte mit der Resolution versucht werden. Ansätze hierfür könnten sein: die vom Sozialrechtsausschuss im Rahmen der "Allgemeinen Stellungnahmen" (General Comments) unternommene konzeptionelle Arbeit, die Arbeit von Sonderberichterstattern und der Nachweis der praktischen Wirksamkeit eines "rechte-gestützten" Entwicklungsansatzes, so wie er von der Hochkommissarin für Menschenrechte zum Beispiel in das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und in die Weltbank eingebracht und von einigen UN-Sonderorganisationen (insbesondere dem Kinderhilfswerk UNICEF) bereits jetzt praktiziert wird.
Ein weiterer Ansatzpunkt für konzeptionelles Vorwärtsdenken: Die wsk-Rechte sind, wie der Zusammenhang zwischen der Bekämpfung von Kinderarbeit und dem Recht auf Erziehung eindringlich vorführt, stark mit den arbeits- und sozialrechtlichen Standards der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verzahnt. Außerdem wird, gerade unter dem Vorzeichen der Globalisierung, der Genuss der wsk-Rechte in zunehmenden Maße auch durch nichtstaatliche Akteure, konkret: Unternehmen, beeinflusst. Wie kontrovers allerdings die Meinungen in dieser Hinsicht sind, hat die jüngste WTO-Konferenz in Seattle drastisch deutlich gemacht.
Die im Resolutionsentwurf vorgeschlagenen neuen Ansätze wurden in den Verhandlungen unterschiedlich aufgenommen und nur zum Teil akzeptiert. Im Hinblick auf die Sozialrechte, insbesondere Kinderarbeit, begrüßt die Resolution, wie von Deutschland vorgeschlagen, die Annahme der ILO-Konvention zur Bekämpfung der schwersten Formen von Kinderarbeit vom Juli 1999 und ruft zur Ratifizierung auf. Damit betritt die Resolution erstmals "ILO-Gelände", wenn auch in einem eher unkontroversen Bereich. Was die wsk-Rechte in Entwicklungsprogrammen angeht, begrüßt die Resolution erstmals, dass die Hochkommissarin für Menschenrechte über ihre Mitgliedschaft in der UN Development Group, einem entwicklungspolitischen Koordinierungsgremium, wsk-Rechte in die Entwicklungsarbeit der Vereinten Nationen einbringt. Die darin implizit enthaltene Zustimmung zum rechte-gestützten Entwicklungsansatz, der von zahlreichen Entwicklungsländern argwöhnisch als neues Synonym der Menschenrechts-Konditionalität betrachtet wird, konnte allerdings, entgegen dem deutschen Vorschlag, nicht explizit erfolgen.
Die Resolution enthält, ebenfalls auf deutsche Initiative, erstmals einen (allgemeinen) Aufruf zur Beschäftigung mit "neuen Ansätzen" und erwähnt (ausgehend von einem lateinamerikanischen Vorschlag) als Beispiel die HIPC-Initiative, die Maßnahmen zur Förderung der Schulpflicht, der AIDS-Bekämpfung und der Behebung von Katastrophenschäden mit Schuldenerlass verknüpft. Im Hinblick auf den Sozialrechtsausschuss zeigt sich die Resolution erstmals interessiert an der Ausarbeitung weiterer "Allgemeiner Stellungnahmen". Das deutsche Ausschussmitglied Professor Eibe Riedel (er ist unabhängig, das heißt nicht Vertreter einer Regierung) erstellt derzeit eine Stellungnahme zum Recht auf Gesundheit. Entgegen dem deutschen Vorschlag gab es keine allgemeine Zustimmung zur Initiative von UN-Generalsekretär Kofi Annan, den Unternehmenssektor in das Bemühen einzubinden, die Entfaltung der globalen Marktkräfte in ein Gefüge menschen-, arbeits- und umweltrechtlicher "globaler Werte" einzubetten (Global Compact).
Nicht gelungen ist ein Vorstoß zur Konkretisierung der Rechtspflichten. Der Sozialrechtsausschuss vertritt seit Jahren ein Konzept, das im Einklang mit den von der Wissenschaft ausgearbeiteten "Maastrichter Richtlinien" steht. Danach läßt sich die staatliche Verpflichtung zur Verwirklichung der wsk-Rechte aufgliedern in Verpflichtungen, ein Recht zu achten (Unterlassen eigener Eingriffe in das Recht), zu schützen (Gewährleistung, dass das Recht nicht von Dritten gestört wird – nach deutscher Terminologie: "Drittwirkung der Grundrechte") und zu verwirklichen (Ergreifen angemessener gesetzgeberischer, administrativer und justizieller Maßnahmen, um dem einzelnen die Rechtsausübung zu ermöglichen). Die Festschreibung dieser Doktrin scheiterte an der Befürchtung mancher Staaten, dass sich aus der Konkretisierung der Rechte neue Ansatzpunkte für "externe Bevormundung" ergeben.
Die Einrichtung des Sonderberichterstatters gerade im Bereich "angemessene Unterbringung" ist auch unter dem Gesichtspunkt einer konzeptionellen Klärung gut gewählt, da die einschlägigen Rechte (Eigentums-, Miet-/Pacht- und Erbrecht, Nichtsdiskriminierung bei der Wohnungsvergabe usw.) schon jetzt in den Rechtsordnungen vieler Staaten justiziabel sind.
Insgesamt hat die Resolution die Suche nach neuen konzeptionellen Ansätzen – und damit nach stärkerer Akzeptanz und Beachtung der wsk-Rechte – ein gutes Stück vorangebracht. Der dafür zu zahlende Preis ist ein neuer Paragraf, der die Bedeutung internationaler (Entwicklungs-) Zusammenarbeit für die Verwirklichung der wsk-Rechte unterstreicht – über die entsprechenden, in der Resolution ohnehin enthaltenen Aussagen hinaus. Die Problematik des Paragrafen liegt weder in seiner substanziellen Berechtigung noch in der Sprache (es handelt sich weitgehend um ein Zitat aus der UN-Charta), sondern darin, dass er sich in das Bemühen menschenrechtskritischer Staaten einpasst, durch Betonung der "internationalen Rahmenbedingungen" von der für die Verwirklichung der Menschenrechte entscheidenden nationalen Ebene abzulenken.
In der Frage des Zusatzprotokolls konnten nur sehr bescheidene Fortschritte erzielt werden. Der Sozialrechtsausschuss hatte 1995 den Entwurf eines Zusatzprotokolls zum Sozialpakt vorgelegt, durch das (in Analogie zum Zivilpakt) ein Individualbeschwerdeverfahren geschaffen würde. Die beiden vorangegangenen Tagungen der Menschenrechtskommission hatten Staaten, multilaterale Organisationen und NGOs um Kommentare dazu gebeten. Reagiert haben auf diese Aufrufe nur 14 Staaten, drei davon, unter anderem Deutschland, zweimal. Die zweite Stellungnahme der derzeitigen Bundesregierung war positiver als die vorige. Die Voten waren überwiegend kritisch. Daraufhin machte Mary Robinson, die Hochkommissarin für Menschenrechte, drei Vorschläge für das weitere Vorgehen. Es sollten entweder noch einmal Kommentare eingeholt werden oder eine Arbeitsgruppe (Regierungsvertreter, Beteiligung von unabhängigen Fachleuten und NGOs) eingesetzt werden, um vorhandene Argumente zu sichten. Ihr dritter Vorschlag sah die Einsetzung einer (Regierungs-)Arbeitsgruppe zur Aushandlung eines Zusatzprotokolls vor.
Deutschland ging mit einer Präferenz für die zweite Option in die Verhandlungen, hatte aber auch Interesse an einer vierten Möglichkeit, derzufolge die dem zweiten Vorschlag zugrundeliegende "Klärungsarbeit" erstens von einem unabhängigen Experten und zweitens im weiteren Zusammenhang der sonstigen Mechanismen zur Umsetzung der wsk-Rechte vorgenommen worden wäre. Von Anfang an klar ablehnende Positionen etlicher Staaten (von China über gemäßigtere Entwicklungsländer bis zu westlichen Staaten) gegenüber einem Zusatzprotokoll blockierten allerdings eine substanzielle Aussprache über die verschiedenen Vorschläge. Auch der deutsche Versuch, durch schriftliche Vorlage alternativer Texte eine Aussprache zu erzwingen, erwies sich als untauglich. Am Ende stand eine "Schiebeverfügung", die gerade deswegen mehrheitsfähig war, weil sie am besten den fehlenden politischen Willen in Sachen Zusatzprotokoll reflektiert: Aufforderung zur Abgabe von Stellungnahmen zu den drei Optionen, zu jeder anderen Option sowie zum Inhalt des Zusatzprotokolls selbst. Allerdings gelang es in letzter Minute, der UN-Hochkommissarin ein allgemeines Mandat zur Abhaltung von Seminaren zu verleihen, so dass sie in diesem Rahmen die zweite und die "vierte" Option nun in eigener Regie weiterverfolgen kann.
In der überlieferten Zweiteilung der Menschenrechte in bürgerliche und politische auf der einen und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte auf der anderen Seite spiegeln sich Interessenunterschiede wider, die in der Entstehungszeit von Zivil- und Sozialpakt zwischen Ost und West herrschten. Über Jahrzehnte wurden beide Pakte politisch instrumentalisiert: Warf der Westen dem Osten Verletzung der bürgerlichen und politischen Rechte vor, so konterte der Osten, indem er dem Westen Vernachlässigung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vorwarf, ablesbar an den durch Ausbeutung geschaffenen sozialen und wirtschaftlichen Nöten der Dritten Welt. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat sich dieses Denkschema auf die Nord-Süd-Diskussion übertragen: Der Vorwurf, der Norden vernachlässige die wsk-Rechte, ist für den Süden ein Standard-Argument, um in der Frage, wer wem etwas vorzuwerfen hat, den Spieß umzudrehen
Der Streit ist letztlich unproduktiv. Die Auseinandersetzung mit den "neuen Ansätzen" zeigt: Ernsthaftes Bemühen zur intensivieren Beschäftigung mit den wsk-Rechten, aber auch Probleme auf dem Weg dorthin gibt es allerorts – in Nord und Süd. Die Interessenlagen sind zu vielschichtig, als dass die Zweiteilung der Menschenrechte noch zur rhetorischen Polarisierung taugt. So gesehen wäre es gut, wenn die mit der diesjährigen Resolution verfolgten Ansätze auch ein Beitrag zur versachlichten Beschäftigung mit den wsk-Rechten sein könnten. Damit sich dieser Wunsch erfüllt, müssten alle etwas dazulernen: die einen, dass Entwicklung ohne Menschenrechte nicht auskommt; die anderen, dass Menschenrechte nicht nur als Instrument der Kritik verstanden werden dürfen, sondern auch als gestaltendes Instrument.
1 Diese Darstellung ist notwendigerweise verallgemeinernd und damit teilweise unrichtig. Auch bei den bürgerlichen und politischen Rechten gibt es Leistungsansprüche, zum Beispiel was das (ja oft sehr kostspielige) Justizwesen und den Strafvollzug betrifft. Umgekehrt gibt es auch bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten (ohne weiteres justiziable) Duldungsansprüche, zum Beispiel bei der Gewerkschaftsfreiheit. Obendrein gibt es bei den wsk-Rechten (das ist allerdings umstritten) "echte" individuelle Erfüllungsansprüche, nämlich auf Garantie des absoluten Existenzminimums.
aus: der überblick 02/2000, Seite 89
AUTOR(EN):
Christian Much:
Christian Much ist seit 1997 stellvertretender Leiter des Arbeitsstabs Menschenrechte im Auswärtigen Amt (Berlin). Er nahm in den letzten sieben Jahren sechsmal an den MRK-Tagungen teil. Much, studierter Jurist und Ethnologe, ist seit 1980 Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes und war in Jordanien, Saudi-Arabien, Ungarn, Costa Rica, New York und El Salvador stationiert.