Ein Kongress in Nürnberg
Gerechtigkeit und Frieden sind keine Gegensätze. Im Gegenteil: Wenn sie richtig betrieben werden, fördern und stützen sie sich gegenseitig. Die Frage kann daher niemals lauten, ob Gerechtigkeit und Rechenschaft angestrebt werden sollen, sondern nur: wann und wie. Das Auswärtige Amt hat diese Feststellung von Kofi Annan aufgenommen und lädt zu einer Konferenz nach Nürnberg ein, um mit Fachleuten aus aller Welt nach Bausteinen für nachhaltigen Frieden zu suchen.
von Christian Much
"Frieden" und "Gerechtigkeit" sind überragende Ziele. Ihre Verwirklichung macht einen nicht unerheblichen Teil aller Aktivitäten der Vereinten Nationen aus und hat neue Institutionen wie den Internationalen Strafgerichtshof hervorgebracht. Nachhaltiger Frieden bedeutet: Frieden und Gerechtigkeit sind gemeinsame Garanten der Stabilität in Nachkonfliktsituationen. Wem fiele es ein, Frieden und Gerechtigkeit durch ein "oder" zu verbinden und damit gegeneinander auszuspielen?
Die Wirklichkeit ist rauer. Wenn es um die Beendigung von gewaltsamen Konflikten geht, scheinen Frieden und Gerechtigkeit zuweilen miteinander zu konkurrieren - zumindest kurzfristig. Das beginnt in Friedensverhandlungen: Anführer einer Konfliktpartei stimmen einer Friedensvereinbarung möglicherweise nur zu, wenn ihnen Straffreiheit zugesichert wird; diese Forderung wiederum kann innergesellschaftliche Kontroversen auslösen über den Vorrang von Sühne oder unverzüglicher Waffenruhe - Kontroversen, in denen die Beteiligten oft ratlos vor einem ebenso praktischen wie moralischen Dilemma stehen; Kontroversen, die aber auch allzu oft mit unnötigen Vereinfachungen (im Sinne eines "entweder Frieden oder Gerechtigkeit") geführt werden.
Konflikte zwischen den Interessen des Friedens und der Gerechtigkeit können sich auch nach dem Ende eines gewaltsamen Konflikts zeigen. Wenn der Bestand des Friedens von einem mühsam ausgehandelten Machtgleichgewicht zwischen ehemaligen Kontrahenten abhängt, können eine instabile Sicherheitslage und schwache Institutionen dem Streben nach Gerechtigkeit enge Grenzen setzen. Friedenssicherung kann dadurch erschwert werden, dass wichtige Maßnahmen zum Wiederaufbau wie Reformen des Sicherheitssektors, Rechtsstaatsförderung und andere Entwicklungsaufgaben um knappe Wiederaufbaumittel konkurrieren müssen.
Dies sind keine Horror-Szenarien aus politikwissenschaftlichen Planspielen. Dies sind Zielkonflikte aus dem wirklichen Leben. Norduganda, Afghanistan und Kolumbien sind Beispiele. Der Umgang mit diesen Zielkonflikten gehört zu den täglichen Herausforderungen von Friedensvermittlern und von Organisationen wie den Vereinten Nationen und dem Internationalen Strafgerichtshof. Umso überraschender scheint es, dass es hierfür keinen allgemein akzeptierten konzeptionellen Rahmen gibt. Oder auch nicht so überraschend? Schließlich ist jeder Konflikt anders, verlangt nach anderen, kreativen Lösungen. Die Zeit scheint jedenfalls reif, um Erfahrungen miteinander zu vergleichen, um bestimmte Lehren, die kontext-unabhängig gezogen werden können, zusammenzufassen, um dafür zu sorgen, dass schwierige Abwägungen, die auch in Zukunft fallen werden und fallen müssen, differenzierter, informierter und kreativer getroffen werden können.
Das ist das Ziel, das die Nürnberger Konferenz "Frieden und Gerechtigkeit - Bausteine der Zukunft" (25. - 27. Juni 2007) verfolgt. Die deutsche Bundesregierung greift hier einen politischen roten Faden" auf - Deutschlands Aufarbeitung von Völkermord und Kriegsverbrechen, die daraus motivierte Förderung internationaler Kriegsverbrecherjustiz im Jugoslawien- und im Ruanda-Tribunal der Vereinten Nationen und in anderen Ad-hoc-Tribunalen und schließlich die deutsche Vorreiterrolle bei der Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes - und führt diesen roten Faden weiter in die Bereiche der Konfliktnachsorge und der nachhaltigen Entwicklung.
Neben der Bundesregierung, vertreten durch das Auswärtige Amt in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), treten zwei weitere Regierungen und einige einschlägig qualifizierte zivilgesellschaftliche Organisationen als Konferenzveranstalter auf. Es handelt sich um die Regierungen von Finnland und Jordanien, das International Center for Transitional Justice - TJ, New York), die Crisis Management Initiative (CMI, Helsinki), die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), das Centre for the Study of Violence and Reconciliation - VR, Johannesburg), das Kompetenzzentrum Friedensforschung (KOFF, Bern), die Universität Göttingen sowie die entwicklungspolitische Arbeitsgemeinschaft FriedensEntwicklung (FriEnt, Bonn).
Die aus der Praxis der Vereinten Nationen bewährte, Regionen und Kulturen überschreitende Zusammenarbeit zwischen den Regierungen Deutschlands, Finnlands und Jordaniens wird fortgesetzt. Wichtigen Sachverstand tragen die zivilgesellschaftlichen Partner mit ihrem fachlichen Hintergrund bei, sei es im Bereich transitional justice, in der Konfliktbearbeitung, im entwicklungspolitischen und humanitären Bereich oder in der Geschlechterperspektive. Die Nürnberger Konferenz wird somit nicht nur die erste ihrer Art sein, sondern auch die erste, in der die vom Dilemma zwischen Frieden und Gerechtigkeit berührten Disziplinen zusammenfinden und eine multidisziplinäre Vision entwickeln sollen.
Am ersten Konferenztag - nach einer Eröffnungszeremonie im Nürnberger Schwurgerichtssaal 600 - wird in vier hochrangig besetzten Runden diskutiert. Man darf sicherlich erwarten, dass die Referenten - allesamt Persönlichkeiten mit langjähriger praktischer Erfahrung und Verantwortung - die Fragestellung multidisziplinär angehen werden, ganz im Sinne eines nachhaltigen Verständnisses von Frieden, bei dem Sicherheit, Gerechtigkeit, Entwicklung und Institutionenbildung zusammenfließen.
Am zweiten Konferenztag werden die etwa 300 Teilnehmer einzelne, jedoch zentrale Aspekte in Arbeitsgruppen vertiefen. Diese werden in der Verantwortung der Partnerorganisationen vorbereitet. Dazu gehört auch die Erstellung vorbereitender Studien. Sie sollen, wenn immer möglich, an konkreten Situationen und Erfahrungen anknüpfen und das Bindeglied zwischen Praxis und konzeptioneller Aufarbeitung herstellen. Für diesen, bereits angelaufenen Teil der Konferenzvorbereitung geben die Veranstalter einen nicht unerheblichen Teil der Konferenzmittel aus.
Themen der Arbeitsgruppen werden unter anderem sein:
Die Ergebnisse der Arbeitsgruppen sollen am dritten Tag zusammengeführt werden. Es ist dabei ein besonderes Anliegen, dass sie über den Tag hinaus Wirkung entfalten. Die Konferenzpartner bieten sich daher an, in einem Folgeprozess Bündel von Prinzipien und Empfehlungen zusammenzufassen und sie zur Diskussion zu stellen.
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg der Konferenz ist Authentizität. Daher werden gezielt staatliche oder zivilgesellschaftliche Praktiker aus einschlägigen Konflikt- oder Nachkonflikt-Situationen eingeladen, im Rahmen der verfügbaren Mittel auch auf Kosten der Veranstalter. Die Robert-Bosch-Stiftung und die Dräger-Stiftung hatten den Weitblick, die friedens- und gerechtigkeitspolitische Bedeutung der Konferenz zu erkennen und sie großzügig zu fördern. Dank gilt auch der Stadt Nürnberg, vor allem für den offenen Umgang mit ihrer Geschichte, der die Grundlage ist für zahlreiche praktische Hilfsangebote an die Veranstalter.
Seit Mitte April 2007 können Organisationen, welche an der Teilnahme (vom 25. bis 27. Juni) interessiert sind, über die Konferenz- Website (www.frieden-gerechtigkeit-konferenz.info beziehungsweise www.peace-justice-conference.info) beim Konferenzsekretariat (GTZ) ihr Interesse anmelden.
aus: der überblick 01/2007, Seite 120
AUTOR(EN):
Christian Much
Christian Much ist Referatsleiter im Auswärtigen Amt.