Bericht über eine Journalistenreise nach Kapstadt und Johannesburg
Eine Gruppe von acht Journalistinnen und Journalisten begab sich Anfang November auf eine zweiwöchige Rundreise nach Südafrika, organisiert vom Solidaritätsfonds Demokratische Medien in der Welt, der Fachstelle Wirtschaft der Evangelischen Akademien und der Fachstelle Eine Welt Medien beim Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik. Auf der vom Ausschuß für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik (ABP) geförderten Reise trafen die Journalisten vor allem Medienvertreter, um sich mit der Rolle der vierten Gewalt im südafrikanischen Transformationsprozeß auseinanderzusetzen.
von Gerhard Klas
"Johannesburg ist eine sterbende Stadt", erklärt Lucky Mhlambi den Journalisten, die er auf einer alternativen Stadtrundfahrt in einem Kleinbus begleitet. Es ist Sonntag, der erste Tag der Rundreise, und die Down- town, das Herz der Millionenmetropole, wirkt fast wie ausgestorben. Ins Zentrum der Stadt wagen sich außerhalb der Geschäftszeiten nur noch wenige, denn dort finden die meisten Verbrechen statt. Die Armenviertel, in Südafrika "Townships" genannt, gelten als vergleichsweise sicher. "Dort kennen sich die Leute", erklärt der ehemalige ANC-Kämpfer und jetzige Touristenführer.
Die weltweit höchste Kriminalitätsrate ist kein Zufallsprodukt und - wenn überhaupt - nur untergeordnet rassistisch motiviert. Weiße fallen zwar proportional öfter einem Verbrechen zum Opfer. Das liegt jedoch hauptsächlich daran, daß ihr Wohlstand nach wie vor den der schwarzen Bevölkerungsmehrheit weit übersteigt. Nach Brasilien gilt Südafrika als das Land mit den größten Einkommensunterschieden. Die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt mehr als dreißig Prozent. Der Kampf ums überleben scheint fast jedes Mittel zu rechtfertigen. Die Polizei, jahrzehntelang als Repressionsinstrument gegen Oppositionelle eingesetzt, hat zudem kaum kriminalistische Erfahrung. Die Aufklärungsquote von Mordfällen liegt gerade einmal bei zwanzig Prozent.
Die Eindrücke des ersten Tages ziehen sich wie ein roter Faden durch die kommenden Stationen der Rundreise. Stacheldraht, Sicherheitspersonal und Schilder, auf denen mit "armed response" auf unmittelbaren Schußwaffeneinsatz bei unbefugtem Betreten eines Gebäudes hingewiesen wird, finden sich auch an den Häusern, in denen die Redaktionen der Print- und Hörfunkmedien untergebracht sind.
Kriminalität beschäftigt die südafrikanische Gesellschaft. Für kommerzielle Medien sind vor allem skandalträchtige Verbrechen eine Schlagzeile wert. Das bestätigt auch Claudia Braude, die als unabhängige Mitarbeiterin am Bericht über Rassismus in den Medien der südafrikanischen Menschenrechtskommission mitarbeitet. Während einer gemeinsamen Veranstaltung des Institute for the Advancement of Journalism und der Heinrich-Böll-Stiftung, einer der ersten Stationen der deutschen Journalistengruppe, berichtet Braude, daß mit der sinkenden Aufmerksamkeit für die Ergebnisse der Wahrheitskommission das Interesse an Kriminalgeschichten angestiegen sei. Die Titelseiten von Blättern wie The Star, der zweitgrößten Tageszeitung Südafrikas, hätten zwar Artikel zu den Verbrechen des Apartheidregimes publiziert, die im Laufe der Zeit allerdings immer kleiner wurden, während sie gleichzeitig aktuelle Verbrechen in den schillerndsten Farben ausmalten und ihnen immer mehr Platz einräumten, erklärt Braude zu den vorläufigen Ergebnissen des Berichts. "The Star vermittelt ein Bild, daß die Verbrechen des Apartheidstaates schlimm waren. Aber das, was heute passiert, ist noch viel schlechter", beschreibt Braude die subtile Wirkung derart gestalteter Titelseiten.
Eine mögliche Erklärung sieht sie in der alten Strategie des Apartheidregimes, derzufolge "achtzig Prozent einer Konterrevolution ohne Waffen stattfinden". Deshalb wären zahlreiche Redakteure und Journalisten damit beauftragt gewesen, "die Herzen der Menschen zu gewinnen". Viele von ihnen seien noch heute auf ihren Posten.
Jüngste Erhebungen von ANC-Medienexperten scheinen Braudes Befürchtungen zu untermauern. Trotz des "Employment Equity Act", der alle Firmen dazu verpflichtet, einen bestimmten Anteil an Schwarzen und Farbigen einzustellen, sind die Redaktionsräume mehrheitlich von Nicht-Schwarzen besetzt. Und noch immer gilt: je höher die Stufe auf der Karriereleiter, desto weißer die Hautfarbe.
"Ich würde eher einen Weißen einstellen, wenn er bessere Qualifikationen mitbringt", sagt Ryland Fisher, Chefredakteur der regionalen Tageszeitung Cape Times. Er selbst fällt analog zu den noch immer in Südafrika benutzten Kriterien in die Kategorie "coloured", das heißt "farbig". Der hohen Nachfrage nach ausgebildeten schwarzen Journalisten stehen nur wenige gegenüber, die tatsächlich den Anforderungen des journalistischen Alltags gerecht werden können. Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens gibt es außer einem Universitätsstudiengang und einer Handvoll privater Institute keine Ausbildungsmöglichkeiten für Journalisten. Zweitens sind seit dem Machtwechsel in Südafrika viele schwarze Journalisten in besser bezahlte Jobs der Politik und Verwaltung gewechselt.
Die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung hat immer noch die Folgen der bildungspolititschen Vernachlässigung unter dem Apartheidregime zu tragen. Die Politik des ANC konnte diese Scharte bisher noch nicht auswetzen, obwohl der Staatshaushalt nun den höchsten Posten für Bildung und Erziehung aufwendet.
Viele der Journalisten, Redakteure und Medienexperten beklagen gegenüber der Reisegruppe die schlechte Qualität der journalistischen Produkte in Südafrika. Vor allem im Printmedienbereich machen viele die Marktöffnung für Investoren aus dem Ausland dafür verantwortlich. Mittlerweile gehört allein die Hälfte der dreißig führenden Tages- und Wochenzeitungen zum Imperium des irischen Independent-Verlages von Tony O'Reilly. Der wirtschaftliche Druck und die Angst vor feindlichen übernahmen steigen ständig.
"Der Maßstab für Erfolg ist allein die Auflagenstärke", erklärt Fisher, dessen Zeitung Cape Times ebenfalls zur Independent-Gruppe gehört. Fisher, der während der Apartheid vier Jahre für grassroots, eine alternative Community-Zeitung, gearbeitet hat, beklagt sich über die wenigen Möglichkeiten für investigativen Journalismus. "Nur zwei Reporter sind für die heißen Geschichten unterwegs", so der Chefredakteur der auflagenstärksten Tageszeitung in Kapstadt. Da wundert es kaum, daß die Berichterstattung oft an der Oberfläche bleibt und die sozialen Hintergründe der Kriminalität im Dunkeln läßt.
Mehr Menschen als jedes andere Medium erreicht das südafrikanische Radio. Nach Angaben von Chris Vick, der als Medienexperte für die Regierung arbeitet, lesen 22 Prozent der Bevölkerung Zeitung, schauen 47 Prozent fern und hören immerhin 60 Prozent Radio. Dabei spielt die nach wie vor hohe Analphabetenrate ebenso eine Rolle wie die Kosten für die jeweiligen Medien.
Die meistgehörten Radiosendungen sind die der South African Broadcasting Company (SABC), des öffentlich-rechtlichen Radiosenders in Südafrika. Doch die Journalistengruppe beschäftigte sich vor allem mit dem wachsenden Sektor der Community-Radios. In den letzten Jahren hat der unabhängige Rundfunkrat IBA knapp einhundert Lizenzen vergeben. Die Palette reicht von kommerziellen Privatsendern bis hin zu Basisradios, die sich den sozialen Problemen der südafrikanischen Bevölkerungsmehrheit widmen.
In Kapstadt stand ein Besuch des Bush-Radio an. Es ist das erste Community-Radio, das in den 80er Jahren mit dem Verkauf von Kassetten, auf denen politische Reden und Musik eingespielt waren, auf sich aufmerksam machte. Als sie 1993 erstmals für vier Stunden auf Sendung gingen, beschlagnahmte die Polizei anschließend ihr gesamtes Equiqment.
"Zur selben Zeit konnten andere Community Radios aus Pretoria unbehelligt in Afrikaans senden", erklärt Brenda Leonard, eine der drei hauptamtlichen Beschäftigten des Bush-Radio. Zuvor hatten sie sich für eine Lizenz beworben, jedoch ohne von der damals noch regierenden National Party eine Antwort zu erhalten. Doch die Repression hinderte sie ein Jahr später, als sie ihre technische Ausrüstung endlich zurückerhielten, nicht daran, ihre zweite Sendung "on air" zum Mord am damaligen Führungsmitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas, Chris Hani, auszustrahlen.
Heute sendet Bush-Radio für die "ärmsten der Armen" im Sendegebiet, die Bewohner der "Cape Flats". "Wir müssen uns die Frequenz mit einem anderen Sender teilen, der vor allem die farbige Mittelklasse anspricht", so Leonard. Die Situation des Radios ist nach wie vor prekär, obwohl sie mittlerweile finanzielle Unterstützung durch die Friedrich-Ebert-Stiftung erhalten. Statt der kurzfristigen Lizenz, die jährlich erneuert werden muß, will Bush-Radio eigentlich eine Vierjahreslizenz. "Das scheiterte bisher jedoch an den bürokratischen Strukturen der IBA und den gesetzlichen Vorschriften", erklärt Leonard.
Workers World Radio Productions, ebenfalls ansässig in Kapstadt, hat aus dieser Not eine Tugend gemacht. Martin Jansen, der geistige Vater des Projekts, weiß um die Schwierigkeiten bei der Lizenzvergabe. Deshalb will er seine Zeit gemeinsam mit weiteren ehrenamtlichen Mitarbeitern der Produktion von Radiosendungen widmen. Zudem hätten die wenigsten Community Radios die finanziellen Möglichkeiten, qualitativ hochwertige, eigene Produktionen für ihre Sendungen herzustellen, erklärt Jansen.
Diese Lücke wollen die Mitarbeiter von Workers World Radio Productions künftig füllen, zuerst auf regionaler, dann auf nationaler Ebene. Ihre Zielgruppe sind lohnabhängig Beschäftigte und Erwerbslose, denen sie Wege aufzeigen wollen, sich für ihre eigenen Interessen stark zu machen.
Johannesburg und Kapstadt waren die einzigen Stationen der Südafrikarundreise. Doch in zwei Wochen hätten mehr Aufenthalte weniger Qualität bedeutet. Die gewonnenen Eindrücke gingen weit hinter die an der Oberfläche so gewaltig präsente Kriminalität.
Trotz der weitgehend neoliberalen Politik der südafrikanischen Regierung war doch in vielen Gesprächen eine Zuversicht zu spüren. Eine Zuversicht, die sich vor allem aus der Erfahrung speist, die über Jahrzehnte existierende Gesellschaftsordnung der Apartheid überwunden zu haben.
aus: der überblick 01/2000, Seite 131