Eine Journalistin berichtet über die Medienpolitik ihres Landes
Weder zur Kaiserzeit noch unter der sozialistischen Militärherrschaft gab es in äthiopien Pressefreiheit. Auch die Willkür der jetzigen "demokratischen" Regierung macht die journalistische Arbeit riskant.
von Guenet Ayele
Wie jede andere Großstadt, die etwas auf sich hält, hallt die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba von den Rufen der Straßenverkäufer wider, die unabhängige Tages- und Wochenzeitungen zum Kauf anpreisen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung aber kein Zeichen von Pressefreiheit.
Jahrtausendelang wurde Äthiopien von Königen und Kaisern beherrscht, bis im Jahre 1974 eine Revolution ausbrach. Die so genannte "schleichende Revolution" geriet allerdings in das Fahrwasser einer Militärjunta unter Oberst Mengistu Haile Mariam, die Kaiser Haile-Selassie absetzte und die Macht übernahm. Die Militärjunta konnte sich siebzehn lange Jahre behaupten, bis sie von der heutigen Regierung unter Ministerpräsident Meles Zenawi abgelöst wurde.
Äthiopien ist eines der wenigen Länder Afrikas, das eine eigene Schriftsprache entwickelt hat. Davon zeugt ein reicher Bestand an Jahrhunderte alten Manuskripten, religiösen Schriften und Chroniken. Doch steckt der Journalismus in diesem Land immer noch in den Kinderschuhen.
Früher wurden alle Schriften zum Ruhm der Könige und Herrscher verfasst. Bis in die siebziger Jahre hinein gab es keine unabhängige Presse. Die staatlichen Zeitungen lobhudelten dem Kaiser als "Licht Äthiopiens, Vater Afrikas, Sonne der Armen" und was der Ehrentitel mehr waren. Und trotzdem musste noch jeder Bericht, jede Meldung und jeder Kommentar vor der Veröffentlichung die Zensur passieren.
Im Prinzip verfuhr der Derg, die marxistische Militärjunta, mit den Medien nicht viel anders. Nach einem kurzen Tauwetter bei Ausbruch der Revolution setzte eine scharfe Zensur ein, die der strengen Aufsicht des Informationsministeriums unterstand.
In den achtziger Jahren schrieb Bealu Girma, einer der fähigsten Journalisten, die Äthiopien je hervorgebracht hat, seine berühmte Satire Oromay. Das Buch, dessen Handlung im kriegsgebeutelten Eritrea spielt, kam den Autor teuer zu stehen. In den Schlüsselfiguren der brillant geschriebenen Satire waren unschwer einige hohe Regierungsbeamte zu erkennen. Und diese schätzten die Darstellung keineswegs. Bealu Girma wurde entführt und verschwand für immer, nur sein Auto wurde einige Kilometer außerhalb der Hauptstadt verlassen aufgefunden. Nach dem Sturz des Regimes sagte ein Augenzeuge aus, Girma sei in eine Villa am Stadtrand von Addis Abeba verschleppt worden, die dem Innenministerium gehörte. Dort sei der Journalist gefoltert und schließlich ermordet worden.
Als Mengistu im Mai 1991 endlich zu Fall gebracht wurde, verkündete das neue Regime ein demokratisches Regierungssystem, das auch Presse- und Meinungsfreiheit gewährleisten sollte. Bald schon erschienen unabhängige Zeitungen und Zeitschriften ein gutes Zeichen. Unabhängige Rundfunk- und Fernsehanstalten sind dagegen auch heute noch nicht erlaubt.
Aber auch für die Printmedien dauerte die von der neuen "demokratischen" Obrigkeit gewährte Gnadenfrist nur wenige Monate. 1992 trat ein neues Pressegesetz in Kraft und schränkte die Pressefreiheit dermaßen ein, dass viele Journalisten sich fragten, ob journalistisches Arbeiten überhaupt noch möglich sei. Für viele Journalisten gehören polizeiliche Schikanen mittlerweile zum Alltag, und die Bundesstaatsanwaltschaft hat eine Sonderabteilung für "Pressevergehen" eingerichtet. Jede Publikation wird täglich überprüft, um sicherzustellen, dass keine Kritik an der Regierung oder ähnliche "Straftaten" verübt werden.
Wenn der Staatsanwalt meint, er habe ausreichendes Belastungsmaterial für eine Anklage, leitet er die Akte weiter an die Polizei mit dem Auftrag, eine "Untersuchung" einzuleiten. Eigentlich gibt es überhaupt nichts zu untersuchen, da das Beweismaterial in gedruckter Form schwarz auf weiß vorliegt. Dann bekommt der unglückliche Redakteur eine Vorladung: Er muss bei der Behörde vorsprechen, und zwar in Begleitung einer Person, die fähig und bereit ist, eine Kaution zu stellen. Diese kann zwischen umgerechnet 500 und 2000 Euro liegen.
Ein Vertreter der Organisation Reporters sans frontiéres (Reporter ohne Grenzen) war ziemlich schockiert als ein äthiopischer Journalist ihm sagte: "Im Grunde war mir die Zensur unter der Militärjunta lieber. Wenn ein Artikel einmal die Zensur passiert hatte, war ich vor Scherereien sicher. Jetzt dagegen werde ich unruhig, sobald das Blatt im Straßenverkauf erscheint, denn ich weiß nie, wann es bei mir klopft und jemand von der Polizei vor der Tür steht."
Die Schwierigkeiten junger und unerfahrener Journalisten hängen eng mit mangelhaften Ausbildungsmöglichkeiten zusammen sowie damit, dass sich die Behörden beharrlich weigern, Informationen herauszurücken. In Äthiopien steht die Gerüchteküche ständig unter Hochdruck; dagegen sind Regierungsbeamte fast nie bereit, eine Stellungnahme abzugeben. Was Wunder, dass Journalisten oft keinen anderen Ausweg sehen, als Informationen zu veröffentlichen, die sie irgendwie bekommen haben und zwar ohne die Möglichkeit, deren Wahrheitsgehalt überprüfen zu können.
Einmal habe ich ein hohes Tier des Regimes auf diese Lage angesprochen: "Warum beschuldigen Sie Journalisten, unzutreffende Gerüchte zu verbreiten, wo Sie doch selbst nicht bereit sind, sie wahrheitsgemäß zu informieren?" "Sehen Sie", war seine Antwort, "ich kann nie voraussehen, ob ich in den unabhängigen Blättern auch wahrheitsgetreu zitiert werde. Lieber halte ich meine Bürotür fest verschlossen und lasse niemanden herein, als dass ich das Risiko eingehe, falsch zitiert zu werden. Im übrigen ist unsere Regierung nicht auf die unabhängige Presse angewiesen, oder?"
In einer wirklichen Demokratie kann ein Minister es sich gar nicht leisten, solch einen Spruch loszulassen, aber bei uns ist das leider möglich. Einmal führte Äthiopien sogar die Liste der Länder an, die Journalisten gefangen halten nur in China saßen damals noch mehr Pressevertreter hinter Gittern als bei uns.
Eines schönen, sonnigen Tages kam die Reihe auch an mich. Ich war gerade dabei, auf meinem Weg ins Büro die Kinder zur Schule zu bringen, als ein Privatfahrzeug vor mir einschwenkte und mir den Weg abschnitt. Ein Polizist in Zivil stieg aus, trat an mein Autofenster und befahl mir, ihm zur Polizeiwache zu folgen. Ich war sehr nervös, aber auch verärgert darüber, in Gegenwart meiner noch kleinen Kinder wie ein gewöhnlicher Verbrecher behandelt zu werden. "Hören Sie", sagte ich zu dem Beamten, "eine einfache Vorladung genügt, wenn ich auf Ihre Dienststelle kommen soll. Es ist wirklich nicht nötig, so eine Show abzuziehen." Er überlegte einen Augenblick und ließ mich dann großzügig weiterfahren allerdings nicht ohne mir vorher das Versprechen abzunehmen, innerhalb einer Stunde auf seiner Dienststelle zu erscheinen.
Ich kochte innerlich immer noch vor Wut, als ich die Zentrale der Untersuchungsbehörde betrat. Ich war nicht zum erstenmal in diesem Haus und kannte den Typ am Schreibtisch, der geradezu Zähne fletschend grinste. Aber eigentlich lächelte er gar nicht. Er hatte einfach nur hervorstehende Zähne. Er wies mir einen Stuhl an und begann, meine Personalien aufzunehmen ohne mir zu eröffnen, welche Anklagen gegen mich vorlägen. Aus Erfahrung wusste ich, dass es nutzlos war, danach zu fragen auch diesmal hätte die Antwort gelautet: "Das sage ich Ihnen später. Jetzt antworten Sie bitte: Name? Alter? Staatsangehörigkeit?" (Dumme Frage in Äthiopien dürfen Ausländer keine Artikel veröffentlichen) "Ethnische Zugehörigkeit?" (Auch das kannte ich schon von früher: den endlosen Streit, der jetzt folgen würde. Ich lege Wert darauf, einfach als Äthiopierin zu gelten, er dagegen würde darauf bestehen, dass ich eine ethnische Gruppe angebe, weil ich schließlich einer angehören muss.).
Erst nach diesen Formalien eröffnete er mir die Anklage: Im Pressegesetz gibt es einen Paragraphen, der im wesentlichen vorschreibt, dass "zwei Exemplare jeder Veröffentlichung innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach dem Erscheinen dem Informationsministerium vorgelegt" werden müssen. Das Nichterfüllen dieser Vorschrift ist strafbar. Ich hatte also versäumt, der Behörde zwei Exemplare von der Ausgabe der vorhergehenden Woche zuzustellen. "Ich hatte sehr viel zu tun, ich hatte es schlicht vergessen ...", was weiß ich all das spielte keine Rolle. Ich war meiner Verantwortung nicht nachgekommen. Ich war eine Kriminelle.
Normalerweise hätte ich jetzt gehen dürfen nach Unterzeichnung des Aussageprotokolls und nachdem jemand sich bereit erklärt hatte, die Kaution für meine Freilassung zu hinterlegen. Aber diesmal hatte ich Pech. Mein Polizist hatte schlechte Laune und verfügte, dass ich die Nacht in Haft verbringen sollte. "Wenn ich Lust habe, kann ich Sie für vierzehn Tage einlochen", behauptete er. Es wäre völlig zwecklos gewesen, darauf hinzuweisen, dass die Polizei (laut Gesetz) niemanden länger als vierundzwanzig Stunden ohne gerichtliche Verfügung festsetzen darf.
Vielleicht gelten die normalen rechtlichen Bestimmungen für Journalisten ja auch gar nicht. Ich verbrachte die Nacht mit drei jungen Frauen in einer Zelle, welche gerade mal einer größeren Matratze genug Platz bot. Eine der drei Frauen war schwanger.
Am nächsten Tag teilte man mir mit: "Sie dürfen gehen" und ich überließ meine Leidensgefährtinnen ihrem Schicksal und ging nach Hause. Nach wochenlangen Verhandlungssitzungen fällte das Tribunal endlich sein Urteil über mein Vergehen: Sechs Monate Gefängnis, für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.
aus: der überblick 04/2003, Seite 34
AUTOR(EN):
Guenet Ayele:
Guenet Ayele ist freie Journalistin und lebt in Port-au-Prince, Haiti. Ihre journalistische Laufbahn begann sie Mitte der achtziger Jahre als Nachrichtenreporterin und -moderatorin für Ethiopian TV. Dort arbeitete sie bis 1990. 1993 gründete sie ein Verlagshaus und gab die erste Frauenzeitschrift Guenet heraus, was im Amharischen "Paradies" bedeutet. Die Idee war, eine Möglichkeit zu bieten, die Probleme äthiopischer Frauen zu diskutieren, Lösungen zu finden und von Erfolgen zu berichten.
Kurz nachdem Guenet aus der Taufe gehoben war, brachte Ayele noch zwei weitere Wochenzeitschriften auf den Markt: Beza und Mebrek, die sich stärker mit politischen und sozialen Fragen auseinandersetzten. Wegen dieser beiden Zeitschriften verscherzte es sich die Journalistin mit der Obrigkeit. 1996 siedelte sie nach Paris über und stellte 2000 die beiden Zeitschriften ein.
Ayele interviewte zur Überraschung ihrer Kollegen und der Öffentlichkeit den im Exil lebenden Oberst Mengistu Haile Mariam. Während seiner Zeit als Führer der Militärjunta (1974-1991) hatte Mengistu nur selten Interviews gegeben. In seinem Exil in Simbabwe war er bereit, sein Schweigen zu brechen und Guenet Ayele ein Exklusivinterview zu geben. Außerdem sprach die Journalistin mit 21 seiner obersten Beamten, die jetzt im Gefängnis sitzen.
Das Buch mit diesen Interviews erzählt die Lebensgeschichte von Mengistu und ist ein Verkaufsschlager: Als Ye Letena Kolonel Mengistu Hailemariam Tiztawoch im Juni 2002 herauskam, waren nach drei Tagen bereits 40.000 Stück verkauft – so etwas hatte es in Äthiopien noch nie gegeben.